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Le Pen, Georgescu, Imamoğlu: Wenn Richter Politik machen


Entzug der Wählbarkeit
Von wegen Opposition ab in den Knast

  • Uwe Vorkötter
MeinungEine Kolumne von Uwe Vorkötter

Aktualisiert am 08.04.2025Lesedauer: 5 Min.
Marine Le Pen im Gericht: Die nächste Wahl ist für sie gelaufen.Vergrößern des Bildes
Marine Le Pen im Gericht: Die nächste Wahl ist für sie gelaufen. (Quelle: Pierre Perusseau / Bestimage/imago-images-bilder)
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Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen. Oder ist es heute umgekehrt? Gibt es ein Sonderstrafrecht für Politiker? Die Frage stellt sich nicht nur bei Marine Le Pen.

Marine Le Pen, Chefin der französischen Rechten, darf nicht für das Amt der Staatspräsidentin kandidieren. Cӑlin Georgescu ist von der Präsidentenwahl in Rumänien ausgeschlossen worden. Ekrem Imamoğlu bekommt keine Chance, in der Türkei gegen Erdoğan anzutreten. Richter, Verfassungsrichter, Haftrichter haben in allen drei Ländern in den demokratischen Prozess eingegriffen. Ist die Justiz politisch? Sind die Richter nur willfährige Instrumente der Regierenden?

Ja, sagt Victor Orbán. Ja, sagen auch Elon Musk und JD Vance. Donald Trump sowieso. Orbán stellt sich demonstrativ hinter den rechtsextremen Georgescu, seine Solidarität mit Le Pen drückt er auf Französisch aus: "Je suis Marine" – ich bin Marine. Aus Washington tönt Trumps Oligarch: "Wenn die radikale Linke eine Wahl nicht gewinnen kann, missbraucht sie die Justiz, um ihre Gegner ins Gefängnis zu bringen." Vance sieht Rumänien als Beispiel für die Einschränkung der Demokratie in Europa. Trump stuft das Urteil gegen Le Pen als "sehr große Sache" ein und raunt: "Ich weiß alles darüber."

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Wenn Sie Le Pen und Trump ganz in Ordnung finden, empören Sie sich vielleicht über den "Politmord" in Paris – so nannte ein deutsches Medium aus der rechten Ecke das Urteil. Wenn Sie gegen rechts sind, stellen Sie voller Genugtuung fest: Es gibt doch noch Gerechtigkeit. Ich mache Ihnen einen anderen Vorschlag: Wir gehen der Sache auf den Grund und fragen, wo die Justiz tatsächlich politisch ist. Und wo sie politisch instrumentalisiert wird.

Uwe Vorkötter
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Uwe Vorkötter gehört zu den erfahrensten Journalisten der Republik. Seit vier Jahrzehnten analysiert er Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, er hat schon die Bundeskanzler Schmidt und Kohl aus der Nähe beobachtet. Als Chefredakteur leitete er die "Stuttgarter Zeitung", die "Berliner Zeitung" und die "Frankfurter Rundschau". Er ist Herausgeber von "Horizont", einem Fachmedium für die Kommunikationsbranche.

Strafbares Verhalten ist bei Le Pen unstrittig

Bleiben wir zunächst bei Marine Le Pen. Sie hat sich strafbar gemacht, das ist unstrittig. Über Jahre hat sie Mittel des Europäischen Parlaments zweckentfremdet – um Angestellte ihrer Partei zu bezahlen oder den Fahrer ihres Vaters. Sie wurde wegen Betrugs und Untreue zu einer Haftstrafe verurteilt, muss allerdings nicht ins Gefängnis, sondern "nur" eine elektronische Fußfessel tragen. Damit könnte sie trotzdem Wahlkampf machen.

Warum also zusätzlich der Ausschluss von der Wahl? Es handelt sich bei dieser "Nebenstrafe", die für eine Politikerin in Wahrheit die Hauptstrafe ist, um eine französische Eigenart: Für Straftäter ist die Aberkennung des Rechts, bei einer Wahl anzutreten, der Regelfall. Dabei gilt der Grundsatz der Égalité, der Gleichheit: Niemand steht über dem Gesetz. Nicht die Reichen, nicht die Prominenten, nicht die Politiker. So soll die Integrität des öffentlichen Lebens geschützt werden. In Frankreich ist das auch den Menschen vertraut – und bei Pro-Le-Pen-Demonstrationen wurden weniger Menschen gezählt als bei den Gegenprotesten.

Vor Le Pen erwischte es auch andere prominente Franzosen

Le Pen ist schließlich nicht die Erste, der das Wahlrecht aberkannt wird. Alain Juppé wurde als Bürgermeister von Paris wegen Unregelmäßigkeiten in der Amtsführung verurteilt. Nicolas Sarkozy wegen Korruption. François Fillon war einst Chef der Partei Les Républicains, sein Fall ähnelt frappierend dem von Le Pen. Emmanuel Macron wäre heute nicht Präsident, wenn Fillon als Kandidat hätte antreten dürfen.

Jean-Marie Le Pen, der Parteigründer, mit dem seine Tochter gebrochen hat: Ihm wurde gleich dreimal das passive Wahlrecht entzogen. Es traf nicht nur Politiker. Auch Serge Dassault, den Rüstungs- und Medienunternehmer. Und Bernard Tapie, Ex-Chef von Adidas und Olympique Marseille.

Dass es sich in ihrem Fall trotzdem um einen Anschlag auf die Demokratie handelt, begründet Marine Le Pen auch mit dem Zeitpunkt des Urteils: so kurz vor der Wahl 2027, dass eine Entscheidung in der Berufungsinstanz zu spät kommen wird. Aber Madame ist Juristin, sogar Strafrechtsexpertin. Sie wusste, wie das Urteil ausfallen würde. Sie tat deshalb jahrelang alles, um das Verfahren zu verzögern, über den Wahltermin hinaus. Als gewählte Präsidentin wäre sie dann vor der Strafverfolgung geschützt gewesen.

Le Pens Strategie ist gescheitert. Nun erleben wir eine jämmerliche Opfer-Inszenierung der französischen Rechten und ihrer internationalen Freunde. Einen Versuch, das System herabzusetzen, in dem Richter Recht sprechen, ohne Rücksicht auf Personen. Man nennt dieses System auch Rechtsstaat.

Trump wollte einsperren lassen – und kam selbst davon

Die Unabhängigkeit der Justiz ist den Autokraten aller Länder ein Dorn im Auge. Sie haben keinen Respekt vor dem Recht. "Lock her up", lautete der Schlachtruf der ersten Trump-Kampagne gegen Hillary Clinton, sperrt sie ein! Trump selbst wurde nach seinem Versuch, das Wahlergebnis von 2020 zu kippen, wegen Betrugs an den Vereinigten Staaten angeklagt.

In New York wurde er im Schweigegeldprozess um die Pornodarstellerin Stormy Daniels verurteilt. Als Präsidentschaftskandidat blieb ihm die Strafe erspart – anders als in Frankreich. Aber für ihn wie für Le Pen gilt: Richter sind Feinde, es sei denn sie sind Freunde, also politische Freunde. Elon Musk hat gerade versucht, seinem Herrn in Wisconsin eine Richterwahl zu kaufen. Die Wähler waren nicht käuflich.

Einer, der es geschafft hat, sich die Justiz untertan zu machen, ist Recep Tayyip Erdoğan. Im Fall Imamoğlu erübrigt es sich zu fragen, ob der Istanbuler OB sich tatsächlich etwas hat zuschulden kommen lassen, ob er sich seinen akademischen Titel erschlichen hat, ob seine Baufirma in dubiose Geschäfte verwickelt ist – alles Behauptungen von Erdoğans Gehilfen. In der Türkei gibt es nach 20 Regierungsjahren des modernen Sultans keinen Staatsanwalt mehr, der unabhängig ermittelt; kein Richter entscheidet noch frei nach Recht und Gesetz.

In den vergangenen Jahren sind bereits Dutzende Bürgermeister abgesetzt, Journalisten eingesperrt und Oppositionelle aus dem Weg geräumt worden. Auf nationaler Ebene waren die Wahlen bisher noch einigermaßen frei – solange Erdoğan seine Macht nicht ernsthaft gefährdet sah. Mit der Verhaftung Imamoğlus, der Chancen hatte, die nächste Wahl zu gewinnen, ist das vorbei. Erdoğans Türkei ist noch nicht Putins Russland, aber sie trägt bereits Anzeichen einer Scheindemokratie. Trump, Le Pen und Orbán haben zu Imamoğlu geschwiegen. Er ist keiner von ihnen. Er gehört ins demokratische Lager.

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In Rumänien war der Westen zu unkritisch

Marine Le Pen hat sich übrigens vor zehn Jahren, als es um eine Reform des französischen Rechts ging, dafür eingesetzt, dass Politikern, die sich strafbar machen, das Wahlrecht nicht nur für fünf Jahre aberkannt wird, sondern lebenslang. So halten es die Populisten: Gerecht ist, was gerade den eigenen Interessen nützt.

Im demokratischen Lager ist die Demokratie leider auch nicht perfekt. Beispiel Rumänien: Dort wurde die Wahl des Staatspräsidenten annulliert, nachdem der Überraschungssieger im ersten Wahlgang Călin Georgescu geheißen hatte. Begründung: Die Wahl sei Ziel eines "aggressiven russischen hybriden Angriffs" auf TikTok geworden, von dem Georgescu massiv profitiert habe. Kein Zweifel, der Mann ist ein Rechtsextremer, ein Verbündeter Russlands, er neigt zu Verschwörungstheorien.

Aber die Beweise für den Cyberangriff aus Moskau waren dünn; sie stammen vom rumänischen Geheimdienst. Die Verfassungsrichter in Bukarest hielten sie für stichhaltig. Die demokratische Öffentlichkeit in Europa nahm das unkritisch zur Kenntnis, weitere Belege von TikTok kamen erst später.

Apropos Geheimdienst. Wenn die Franzosen Le Pen von der Wahl ausschließen, dann könnten wir doch auch Alice Weidel die Rote Karte zeigen, oder? Jedenfalls dann, wenn der Verfassungsschutz, unser Inlandsgeheimdienst, die AfD endgültig als rechtsextrem einstuft? Bei der politischen Linken findet man das durchaus angemessen. Aber die Antwort ist eindeutig: nein.

Bei der AfD geht es um ihre politische Haltung, und sei sie auch extrem. Darüber entscheiden die Wähler. Bei Le Pen geht es um Betrug und Untreue. Darüber entscheiden die Gerichte. Wir sollten die Dinge nicht durcheinander bringen.

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Verwendete Quellen
  • Eigene Überlegungen
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