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HomePolitikUwe Vorkötter: Elder Statesman

Mannheim, Migration, Europawahl: Die Ampel produziert nur Wortblasen


Meinung
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  • Uwe Vorkötter
MeinungEine Kolumne von Uwe Vorkötter

18.06.2024Lesedauer: 5 Min.
Olaf ScholzVergrößern des Bildes
Die Ampel-Koalition unter Führung von Kanzler Olaf Scholz fuhr bei der Europawahl eine Pleite ein. (Quelle: Sebastian Willnow/dpa/dpa-bilder)
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Ein Terroranschlag und eine Wahl haben den politischen Betrieb erschüttert. Der Kanzler sagt, niemand dürfe einfach zur Tagesordnung übergehen. Dann gehen alle zur Tagesordnung über.

Sonntag, 2. Juni 2024

Die Nachricht löst einen Schock aus: Der Mannheimer Polizist Rouven Laur ist an den Messerstichen gestorben, die ihm der afghanische Flüchtling Sulaiman A. zwei Tage zuvor zugefügt hatte. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier äußert sich "bestürzt" über die "Verrohung der politischen Auseinandersetzung". Am Sonntag kündigt Bundeskanzler Olaf Scholz ein hartes Vorgehen gegen Gewalt an.

Uwe Vorkötter
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Uwe Vorkötter gehört zu den erfahrensten Journalisten der Republik. Seit vier Jahrzehnten analysiert er Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, er hat schon die Bundeskanzler Schmidt und Kohl aus der Nähe beobachtet. Als Chefredakteur leitete er die "Stuttgarter Zeitung", die "Berliner Zeitung" und die "Frankfurter Rundschau". Er ist Herausgeber von "Horizont", einem Fachmedium für die Kommunikationsbranche. Nach Stationen in Brüssel, Berlin und Frankfurt lebt Vorkötter wieder in Stuttgart. Aufgewachsen ist er im Ruhrgebiet, wo man das offene Wort schätzt und die Politik nicht einfach den Politikern überlässt. Bei t-online erscheint jeden Dienstag seine Kolumne "Elder Statesman".

Politik und Medien vermeiden zunächst Begriffe wie Islamismus und Terror, die einen aus professioneller Vorsicht, die anderen, um die ohnehin aufgeheizte Stimmung nicht weiter zu eskalieren. Der von der Polizei überwältigte und durch einen Schuss verletzte Täter sei noch nicht vernehmungsfähig, sein Motiv unklar, heißt es bei der Polizei. Millionen Menschen sehen das Video und die Bilder vom Mannheimer Marktplatz – den Angriff des Attentäters auf den rechtsextremen Michael Stürzenberger, die sich überschlagenden Ereignisse, immer wieder die Stiche in den Hals und in den Kopf des jungen Polizisten.

Montag, 3. Juni 2024

Sulaiman A. ist nach wie vor nicht vernehmungsfähig, die Politik kommt trotzdem nicht umhin, das Offensichtliche, den islamistischen Terror, beim Namen zu nennen. Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) fordert, schwerkriminelle Ausländer auch nach Afghanistan und Syrien abzuschieben: "Hier wiegt das Sicherheitsinteresse Deutschlands schwerer als das Schutzinteresse des Täters." FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai verkündet die neue Linie seiner Partei: „Abschiebungen nach Afghanistan müssen möglich sein.“

Wo sind denn die "ehrlichen Debatten"?

Der baden-württembergische Grüne Danyal Bayaz fordert "ehrliche Debatten". Es werde höchste Zeit, "ohne Naivität und Scheuklappen" über die islamistische Gefahr zu diskutieren.

Donnerstag, 6. Juni 2024

Buddhakanzler Olaf Scholz hält eine Regierungserklärung im Bundestag. Unter der Überschrift "Sicherheit" listet er eine skurrile Mischung von Themen auf, die nichts miteinander zu tun haben: die Fußball-EM, den Krieg in der Ukraine, das Hochwasser in Bayern, den Anschlag von Mannheim. Bürgerinnen und Bürger könnten sich darauf verlassen, dass die Regierung allen Bedrohungen entschieden entgegentrete, sagt Scholz. Der Kanzler, der die Leitlinien der Politik bestimmen soll, schließt sich den Forderungen an, Kriminelle und terroristische Gefährder abzuschieben, auch wenn sie aus Syrien oder Afghanistan kommen.

Faeser, Lindner, Habeck: Parteiübergreifend wird jetzt Härte gegenüber Islamisten und Messerstechern gefordert. Die Regierungskoalition, so scheint es, hat unter dem Eindruck des Terrors in Mannheim eine Kehrtwende vollzogen.

Freitag, 7. Juni 2024

Es scheint nur so. Aus dem grünen Lager hagelt es nun Absagen an jegliche Kehrtwende. Abschiebungen nach Afghanistan? Geht nicht, da müssten wir ja die Taliban diplomatisch anerkennen. Abschiebungen über Pakistan? Völlig unrealistisch. Überhaupt: Abschiebungen? Schwierig, das Asylrecht, die Genfer Flüchtlingskonvention, die UN-Menschenrechtskonvention ... Messerverbote in den Städten? Gibt es schon, wo sie sinnvoll sind. Wer soll das kontrollieren? Die grünen Protagonisten wissen genau, was nicht hilft gegen Gewalt und Terror. Was helfen könnte? Dazu kein Wort.

Lamya Kaddor weiß, was hilft

Doch, Lamya Kaddor, die innenpolitische Sprecherin der Grünen, weiß, was hilft: eine stabile finanzielle Ausstattung von Programmen der Deradikalisierung und Prävention. Der Täter von Mannheim ist anscheinend nicht in den Genuss einer grünen Erziehungsmaßnahme gekommen. Ehrliche Debatten hatte der Grüne Bayaz am Montag gefordert. Aber am Freitag sind sie schon wieder da: die Scheuklappen und die Naivität.

Sonntag, 9. Juni 2024

Die Parteien der Ampelkoalition erleben bei der Europawahl ein Desaster. Die Union gewinnt die Wahl. Und die AfD wird trotz ihrer langen Skandalliste zweitstärkste Kraft, stärker als SPD, Grüne und FDP. Die Ursachen sind schnell analysiert: Die Ampel streitet zu viel. Sie gibt zu viel Geld aus (FDP) oder zu wenig (SPD), man muss den Verbrenner verbieten (Grüne), man darf den Verbrenner nicht verbieten (FDP), die Schuldenbremse, die Staatsfinanzen ... Das Ergebnis der AfD ist schockierend, wenigstens darin ist man sich einig. Katarina Barley, die gescheiterte Spitzenkandidatin der SPD, fordert, man müsse jetzt den Kampf gegen Rechts verstärken. Jenen Kampf, den sie gerade so grandios verloren hat.

Der Terror von Mannheim spielt am Abend der Wahl kaum eine Rolle.

Nach der Europawahl

Kanzler Scholz braucht zwei Tage, bis er einen Satz herausbekommt: Man dürfe jetzt nicht zur Tagesordnung zurückkehren. Die Regierung müsse ihre Arbeit machen, "dafür sorgen, dass unser Land modern wird, dass es vorankommt". Wortblasen. Zurück zur Tagesordnung.

Schon blickt alles auf den nächsten Showdown

Die Medien konzentrieren sich bereits ganz auf den nächsten Showdown. Am 3. Juli soll das Bundeskabinett den Haushaltsentwurf 2025 beschließen. Schafft die Ampel das? Zerbricht sie am Streit über alles und jedes? Stellt Scholz die Vertrauensfrage? Gibt es Neuwahlen?

Aus den Wahlanalysen ergibt sich eine drängende Frage: Warum haben so viele junge Menschen die AfD gewählt? Die Erklärungen der Ampelpolitiker sind vielfältig: Es liegt an TikTok. Die Jungen sind Corona-geschädigt. Sie finden keine Wohnung. Sie haben Zukunftsangst. Das Aufstiegsversprechen der alten Bundesrepublik gelte nicht mehr, moniert der Juso-Vorsitzende Philipp Türmer. Ist die AfD für Teenager attraktiv, weil sie das Aufstiegsversprechen erneuert? Das ist offenkundig Unsinn.

Eine naheliegende Erklärung kommt nicht vor. Viele junge Menschen haben Erfahrungen mit Gewalt. Auf dem Schulhof, im Club, nachts auf der Straße, in der U-Bahn. Sie erleben, wie sich die Atmosphäre im öffentlichen Raum verändert. "Abgezogen werden" nennen sie es, wenn ihnen Handy, Sneaker oder Geld geraubt werden. Die Täter sind immer Männer, sie treten dominant auf, in Gruppen, haben Messer dabei. Einer der wenigen, die über die Täter und ihre Herkunft reden, ist der Tübinger OB Boris Palmer, den die Grünen verfemt haben.

Es könnte jeden und jede treffen, überall

Noch ein Satz, der die Regierenden aufrütteln sollte: "Die Gewalt, die uns täglich begegnet, ist schonungslos brutal, menschenverachtend und oft tödlich. Die erschreckenden Entwicklungen können überall in Deutschland und im Grunde jede Bürgerin und jeden Bürger als Opfer treffen." Nein, das ist kein Zitat von Alice Weidel oder Tino Chrupalla. Das erklärte die Deutsche Polizeigewerkschaft. Die Schauplätze ganz unterschiedlicher Messerattacken seit dem Anschlag von Mannheim, Quelle Polizeibericht: Geesthacht, Saarbrücken, Frankfurt, noch einmal Mannheim, Schwäbisch Gmünd, Bremen, Schwerin, Schermbeck, Quakenbrück, Duisburg, Wolmirstedt.

Freitag, 14. Juni 2024

Mehr als 2000 Menschen nehmen in einer bewegenden Trauerfeier im Mannheimer Rosengarten von Rouven Laur Abschied.

Sonntag, 16. Juni

Das SPD-Präsidium kommt zur Krisensitzung zusammen, anschließend die Spitzen der Ampelkoalition. Die Krise, um die es geht, ist die Krise der SPD und der Ampel. Innere Sicherheit? Irreguläre Migration? Mannheim? Nein, diese Regierung ist voll und ganz mit ihrem eigenen Überleben beschäftigt. Mehr geht nicht mehr.

Verwendete Quellen
  • Eigene Überlegungen
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