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Die Ampelregierung und ihre Kommunikationsprobleme: Das Schweigen der Männer


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Tagesanbruch
Willkommen beim Kindergeburtstag!

MeinungVon Tim Kummert

Aktualisiert am 05.08.2022Lesedauer: 7 Min.
Wann wird es endlich konkret? Bundeskanzler Olaf Scholz bei einer Kabinettssitzung in BerlinVergrößern des Bildes
Wann wird es endlich konkret? Bundeskanzler Olaf Scholz bei einer Kabinettssitzung in Berlin (Quelle: IMAGO / photothek)
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Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hatten Sie einen schönen, warmen Donnerstag? Fahren Sie noch an die Ostsee, nach Spanien oder Griechenland? Vielleicht sind Sie auch schon dort? Oder genießen Sie bei einem Spaziergang im heimischen Park, wie die Sonne scheint?

Diese Wochen sind das große Aufatmen. Man grillt Bratwürste, löffelt Eis, verbringt manche Nacht mit einem Glas Weißwein auf der Terrasse. Zweieinhalb Jahre Pandemie voller Einschränkungen fallen von den Schultern. Es ist mal wieder richtig Sommer – fast so, wie's früher einmal war. Nun könnte man glauben: Das geht einfach so weiter.

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Ich will Ihnen an diesem Freitag nicht die Laune verderben, aber: Das wird es nicht. Über diesem Sommer liegt eine Decke aus kuscheliger Sorglosigkeit, die bald weggerissen werden wird. Der August ist angebrochen, die Zeit läuft.

Bereits jetzt wackelt die Welt an allen Ecken: Russlands Krieg in der Ukraine hat immense Auswirkungen, andere Krisen kommen dazu. Mal bestimmt der Kosovo die Schlagzeilen, mal Taiwan. Permanent sind Lieferketten in Gefahr, oft hält mancher in der Wirtschaft dabei den Atem an.

Theoretisch ist es denkbar, dass wir halbwegs gut durch Herbst und Winter kommen, doch die Chance ist extrem gering. Auf Wunder zu wetten, lohnt sich in der Regel nicht. Schon jetzt explodieren die Gaspreise, schon jetzt kostet Butter mindestens 3,50 Euro das halbe Pfund. Und schon jetzt können viele Familien in diesem Land ihre Rechnungen kaum noch bezahlen.

Das wird in den kommenden Monaten nicht besser werden, im Gegenteil. Wie wenig verlässlich die Gaslieferungen aus Russland sind, ist bereits deutlich geworden. Dass Deutschland auf ein Energieproblem zusteuert, auch.

Das Wunder wird wohl ausbleiben. Und mancher in der Ampelregierung deutet das auch an. Nur: Klar gesagt wird es nicht. Es fehlt ein öffentlicher Diskurs, die Vorbereitung auf das, was sich da zusammenbraut.

Die Bundesregierung wirkt dabei ein wenig wie Eltern, die sich nicht trauen, ihren Kindern die Wahrheit zuzumuten. Bloß keine allzu schlechte Stimmung wegen morgen verbreiten, die Party ist doch gerade noch schön. Willkommen beim Kindergeburtstag.

Wirtschaftsminister Robert Habeck steuert noch am ehesten dagegen an. Habeck kommuniziert auf fast allen Kanälen, gibt Pressekonferenzen, feuert seine Statements in den sozialen Medien ab.

Er fliegt nach Katar, um Deals über Gas abzuschließen, und rät den Bürgern, nicht zu lange zu duschen. Seine sorgenvollen Instagram-Videos lassen sich in drei Worten zusammenfassen: "Wir müssen aufpassen."

Das ist gut, einerseits. Andererseits dürfte Habeck das auch aus Selbstschutz tun: Als Wirtschaftsminister weiß er, auf wen die Industrie als erstes sauer sein dürfte, wenn es im September und Oktober knapp wird bei der Produktion. Dann lieber rechtzeitig ein wenig mehr warnen. Eine echte Vorbereitung auf das, was da wirklich angerollt kommt, betreibt er aber nicht.

Noch deutlicher wird das bei seinem Kollegen Christian Lindner von der FDP. Als Finanzminister ist Lindner der Kassenwart der Nation. Wo Habeck sinngemäß sagt: "Wir müssen aufpassen", kann man die Lindner-Statements zusammenfassen mit: "Es gibt kein weiteres Geld – leider nein, leider gar nicht."

Der Haushalt sei beschlossen, die bisherigen Entlastungspakete für die Bürger seien ja vorhanden. Und nächstes Jahr solle auf jeden Fall die Schuldenbremse wieder eingehalten werden. So will es wohl die FDP-Basis, da kann man nichts machen als Parteivorsitzender.

Von einem zusätzlichen Paket will man im Finanzministerium nichts wissen. In der FDP heißt es stattdessen gern, man wolle die aktuellen Maßnahmen erst mal wirken lassen.

Lindner will nur sukzessive die kalte Progression abschaffen – womit er vor allem besonders hohe Einkommen entlasten würde, wie die Kollegen der "Süddeutschen Zeitung" kürzlich berichteten. Ansonsten ist die Linie in etwa: Herbst und Winter, das wird schon, liebe Bürger.

Und dann ist da noch der Kanzler: Olaf Scholz. Der unterbrach kürzlich seinen Urlaub, hielt eine Pressekonferenz, wo er unter anderem versprach, dass es bei den Nebenkosten der Miete zu Entlastungen kommen soll.

Scholz versuchte sich im Pathos, sagte den Satz: "You’ll never walk alone", was sich angesichts der Maßnahmen aus dem Kanzler-Englisch in etwa übersetzen lässt mit: Wir kümmern uns schon auch ein bisschen. Und ja, man denke über weitere Maßnahmen nach, so der Kanzler.

Doch auch Scholz bleibt unkonkret. Stattdessen wird nun klar: Es soll eine sogenannte "Gasumlage" geben – wie hoch die genau ausfällt, ist offen. Jeder kann selbst recherchieren, die Spanne liegt irgendwo zwischen 500 und 1.500 Euro, so genau weiß man das alles noch nicht.

Bei Scholz spitzt sich das kommunikative Problem der Regierung zu. Einen englischen Satz als kleinen Mutmacher fallen zu lassen, reicht nicht. Er hält keine Rede an die Nation, er setzt nicht die Tonlage, dass es zu dramatischen Einschränkungen kommen wird. Alles läuft erst mal weiter.

Es geht dabei nicht darum, die Laune künstlich in den Keller zu ziehen. Jedem sei das Eis, das Grillwürstchen und das Glas Weißwein gegönnt. Der Sommer soll genossen werden. Doch wenn die Menschen nicht vorbereitet werden, kann sich das rächen.

Dabei geht es nicht um Übertreibung: Natürlich nutzt maßlose Panikmache am Ende Putin. Wer zu oft vor der Apokalypse warnt, dem glaubt man am Ende nicht mal mehr eine schlechte Wetterprognose.

Doch den Menschen klar zu sagen, was ihnen bevorsteht, das muss Teil der Strategie einer Regierung sein, die ihre Bürger ernst nimmt.

Das Schweigen der Männer und Frauen in der Ampelregierung trifft auf eine verbreitete, ausgeprägte politische Gleichgültigkeit. Das Erfolgsrezept von Angela Merkel war bisweilen, die Deutschen mit Debatten in Ruhe zu lassen: Lehnt euch zurück, ich regle das schon.

Mancher scheint gern weiterhin daran glauben zu wollen. Denn statt über die bevorstehenden Einschränkungen zu sprechen, halten wir uns mit Kokolores auf – und diskutieren allen Ernstes wochenlang einen Ballermann-Blödelsong.

Dabei wird es hart. Es wird an den Geldbeutel gehen. Die Rechnungen fürs Tanken, für den Strom, für die Heizung werden kommen. Mieter, die nicht schnell genug zahlen, dürften auf die Straße gesetzt werden.

Vermieter werden die Heiztemperatur senken, die Schlangen vor den Tafeln weiter wachsen. Wer in einem Unternehmen arbeitet, dem der Gashahn abgedreht wird, verliert womöglich seinen Job.

Mancher glaubt, es werde nicht zu großen Protesten kommen. Zu sicher sollte man sich da nicht sein. In den letzten zwei Jahren ließ sich bei den Corona-Maßnahmen besichtigen, wie schnell der gesellschaftliche Frieden ins Rutschen gerät.

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Das Risiko sollte die Bundesregierung nicht eingehen und endlich klar benennen, was dem Land bevorsteht. Schluss mit dem Kindergeburtstag.


Die Grünen grübeln noch, Friedrich Merz und Markus Söder sind bei der Frage nach der Kernenergie schon weiter. Denn in der Union versucht man sich in diesen Tagen als Antreiber der Ampel.

Also besuchten Merz und Söder am Donnerstag das Atomkraftwerk Isar 2. Bilder der Einigkeit – aller Rivalität der beiden zum Trotz – konnten so gemacht werden.

Merz sagte, dass eine Entscheidung über die Verlängerung der Laufzeit für das Kernkraftwerk noch im August fallen solle: "Wenn wir im September sind, wird es kritisch, wenn wir an Weihnachten sind, ist es unmöglich." Tempo, Tempo, so kennt man Merz.

Man wüsste ja gern, wie er klingen würden, gäbe es im Bund eine schwarz-grüne Koalition. Gibt es aber nicht – deshalb kann man aus der Opposition scharfe Sätze sagen. Meine Kollegin Miriam Hollstein findet, es war vor allem für Markus Söder kein geglückter Auftritt.


Was steht an?

Man hat offensichtlich eine Menge zu besprechen: Zum zweiten Mal innerhalb eines Monats treffen sich Russlands Präsident Wladimir Putin und der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdoğan.

Dieses Mal ist Erdoğan in den russischen Badeort Sotschi am Schwarzen Meer gereist. Thema des Treffens sollen die bilateralen Beziehungen zwischen den Ländern sein. Doch vor allem wird es wohl um den Krieg in der Ukraine gehen.

Erdoğan hatte zuletzt ein Ende der russischen Blockade von Getreideexporten vermittelt. Plötzlich sorgt sogar ein Autokrat dafür, dass man in westlichen Demokratien zumindest ein wenig aufatmen kann – die Zeiten ändern sich tatsächlich.

Wie weit geht China? Für den heutigen Freitag hat das chinesische Regime Schießübungen um die demokratische Inselrepublik Taiwan herum angekündigt.

Gerade hat die US-Politikerin Nancy Pelosi den Staat besucht. Taiwan befürchtet, dass es zu einer zwischenzeitlichen Blockade auf See und in der Luft kommen könnte. In der Region verlaufen wichtige Handelsstraßen.

Die US-Regierung veröffentlicht an diesem Freitag die Daten zur Arbeitslosenquote im Juli. Im Jahr 2021 lag sie noch bei 5,36 Prozent, in diesem Jahr ist sie leicht zurückgegangen. Ökonomen beobachten die Lage in den Vereinigten Staaten von Amerika genau, oft ist sie ein Gradmesser dafür, wie sich Krisen entwickeln.


Was lesen?

SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach, der gestern Abend positiv auf Corona getestet wurde, hat mit FDP-Justizminister Marco Buschmann ein neues Infektionsschutzgesetz vorgestellt. Meine Kollegin Christiane Braunsdorf sprach mit einem Experten, dessen Urteil vernichtend ausfällt: "Das Konzept ist jedenfalls Lauterbachs nächste Pleite. Es ist ein 9:0 für Marco Buschmann und die FDP." Das Gespräch lesen Sie hier.

Heute ist es endlich so weit: Mit dem Spiel Frankfurt gegen Bayern München startet die neue Bundesligasaison! Ab 20.30 Uhr können Sie die Partie – wie gewohnt – bei uns im Liveticker verfolgen. Stefan Effenberg blickt in seiner Kolumne auf die neue Spielzeit. Außerdem hat mein Kollege Alexander Kohne mit zwei deutschen Nationalspielern gesprochen: Lukas Nmecha und Christian Günter. Während der Wolfsburger von seinem Treffen mit Bundestrainer Hansi Flick und dem Training unter Pep Guardiola berichtet, erwartet den Freiburger die härteste Saison seiner bisherigen Karriere.

Der Grunewald brennt. Und eine Autobahn bei Berlin war zeitweise gesperrt. Warum? Weil es zuvor auf einem Sprengplatz der Polizei zu Explosionen kam. Was ist da los? Meine Kollegin Josephin Hartwig berichtet.

Die Temperaturen sind hoch – doch bald schon könnte es zu Wolkenbrüchen kommen. Meine Kollegen Hanna Klein, Hannes Molnár und Nicolas Lindken berichten, wo jetzt Gewitter drohen.


Was amüsiert mich?

Die Kollegen der "Bild"-Zeitung haben aufgeschrieben, welcher deutsche Spitzenpolitiker gern nur einen Teil seines Gesichts bei Instagram hochlädt. Angeblich sei das bereits "Kult", versichert der auf Nachfrage. Mehr erfahren Sie hier.

Was mich weniger amüsiert, aber umso mehr erfreut: Ein Musiktitel, bei dem sich – egal, wo man gerade ist – nach einer Weile das Gefühl einstellt, man würde am Meer entlangfahren. "If Love Has Grown", von Archie Daggers & Tender Slider. Hören Sie hier doch mal rein.

Ich wünsche Ihnen einen schönen Freitag, kommen Sie gut in dieses Wochenende. Morgen schreibt an dieser Stelle mein Kollege Peter Schink für Sie.

Ihr

Tim Kummert
Politischer Reporter im Hauptstadtbüro von t-online
Twitter: @TKummert

Was denken Sie über die wichtigsten Themen des Tages? Schreiben Sie es uns per E-Mail an t-online-newsletter@stroeer.de.

Mit Material von dpa.

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