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Das Illusionstheater der Ampel: Der eigentliche Schock kommt erst noch


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Tagesanbruch
Der eigentliche Schock kommt erst noch

MeinungVon Sven Böll

Aktualisiert am 17.06.2022Lesedauer: 6 Min.
Wir müssen sparen – nur wie? Christian Lindner, Robert Habeck und Olaf Scholz im Bundestag.Vergrößern des Bildes
Wir müssen sparen – nur wie? Christian Lindner, Robert Habeck und Olaf Scholz im Bundestag. (Quelle: imago-images-bilder)
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Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

ein wirklich aufbauendes Thema habe ich heute leider nicht für Sie. Und nein: Damit meine ich nicht den Besuch von Olaf Scholz in Kiew. Es ist gut, dass der Kanzler endlich dort war. Noch besser ist, dass er an Tag 113 des Ukraine-Kriegs tatsächlich etwas Gewichtiges im Gepäck hatte: Das Land soll perspektivisch Mitglied der EU werden. "Die Ukraine gehört zur europäischen Familie", so Scholz.

Der Kanzler und seine Regierung haben sich in den vergangenen Wochen und Monaten mit beherzten außenpolitischen Entscheidungen schwergetan. Angesichts der noch immer nicht gebannten Gefahr, dass der Konflikt weiter eskalieren könnte, ist das verständlich. Nicht ganz so nachvollziehbar ist, dass die Ampelkoalition auch innenpolitisch dazu übergegangen ist, unangenehme Entscheidungen zu vertagen.

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Und was angesichts dieser historischen Krise fast schon bedrückend anmutet: Statt die Bürger ernsthaft auf schwere Zeiten vorzubereiten, scheint sie lieber ein großes Illusionstheater zu inszenieren. Wir sparen nun beim Tanken, wenn auch nicht so viel wie erhofft. Ein Monat Bus und Bahn kosten uns weniger als einmal Parken ohne Parkschein. Bald bekommen alle Arbeitnehmer jeweils 300 Euro brutto zusätzlich. Und so weiter.

Zweifellos helfen Tankrabatt, 9-Euro-Ticket und Energiepauschale sehr vielen Menschen, die bereits genau rechnen mussten, als die Inflation noch niedrig war. Und dennoch verstört es, wie die Regierung am Heile-Welt-Ideal festhält. In der Ukraine sterben täglich Menschen? Schrecklich, aber immerhin können wir für ein paar Euro den Nahverkehr nutzen.

Dieses "Liebe Bürger, alles gar nicht so schlimm" ist vor allem deshalb gefährlich, weil wir uns die dramatischen Folgen der aktuellen Entwicklung nur bedingt bewusst machen – und unser Schockerlebnis am Ende wahrscheinlich nur umso größer sein wird.

Schließlich ist nicht weniger als die politische und ökonomische Ordnung zerbrochen, die uns Jahrzehnte stetig wachsenden Wohlstand bescherte. Wir bezogen günstiges Gas aus Russland, machten renditestarke Geschäfte auch mit Autokratien – und ließen uns von den Amerikanern beschützen.

Die Sache mit der Energie zum Sonderpreis? Passé. Ob uns nach Russland bald auch China als verlässlicher Handelspartner abhandenkommt? Offen. Was dagegen längst klar ist: Dass wir deutlich mehr für unsere äußere Sicherheit bezahlen müssen.

Es ist nicht so, als hätten Spitzenpolitiker die Auswirkungen dieser tektonischen Verschiebungen nicht thematisiert. Olaf Scholz beschwor eine "Zeitenwende", Robert Habeck sagte ohne Umschweife: "Wir werden ärmer." Und Christian Lindner rechnete sogar mit einem "Wohlstandsverlust", den "auch der Staat nicht auffangen kann". Das alles sind klare Worte.

Seine eindringlichste Rede hielt Scholz allerdings vor fast vier Monaten. Und die unmissverständlichsten Äußerungen von Habeck und Lindner sind ebenfalls einige Zeit her. Alle drei haben die Probleme zwar auch zuletzt immer mal wieder angesprochen, aber weniger deutlich. Denn sie wollen die beruhigende Wirkung von Tankrabatt, 9-Euro-Ticket und Energiepauschale nicht kaputtmachen. Schließlich sollen die Deutschen einen möglichst unbeschwerten Sommer verbringen.

Wie meistens werden Probleme durch Verschleppung nicht gelöst. Im Gegenteil: Das Aha-Erlebnis dürfte umso schockierender sein. Theoretisch könnte die Regierung natürlich erst einmal so weitermachen. Eine Überschuldung droht noch lange nicht.

Praktisch regiert im Bund aber die FDP mit. Und die Liberalen können sich nach mehreren Wahlschlappen kaum noch Kompromisse erlauben. Finanzminister Christian Lindner hat klargemacht, dass er 2023 wieder die Schuldenbremse einhalten will. Konkret heißt das: Der Bund darf nur noch ein paar Milliarden Euro Miese machen – und nicht mehr fast 140 Milliarden Euro wie in diesem Jahr.

Klar, es gibt derzeit außergewöhnliche Ausgaben, die 2023 nicht mehr anfallen. Aber es existieren eben auch eine ganze Menge Risiken im Haushalt: Niemand weiß, wie der Ukraine-Krieg weitergeht und welche Folgen sich daraus für die wirtschaftliche Entwicklung ergeben. Die Koalition hat 60 Milliarden Euro Corona-Hilfen, die nicht benötigt wurden, in einen Fonds umgebucht, mit dem Zukunftsinvestitionen finanziert werden sollen. Dagegen klagt die Union vor dem Bundesverfassungsgericht. Tja, und dann hat sich der heutige Finanzminister zu Oppositionszeiten noch selbst ein Problem geschaffen: Die Karlsruher Richter müssen auch über eine Klage der FDP gegen den Soli entscheiden.

Sparen kann man natürlich immer. Nur ist das in der Politik besonders schwer. Und anders, als viele vermuten, war der Subventionsabbau in der Vergangenheit gar nicht so erfolglos: Die teure Eigenheimzulage etwa gibt es schon lange nicht mehr. Die üppigste Finanzhilfe im Haushalt ist inzwischen mit 2,8 Milliarden Euro die Förderung für effiziente Gebäude. Wer sie abschafft, braucht Ersatz. Schließlich geht es um Klimaschutz.

Egal, ob man derzeit im Finanzministerium, im Kanzleramt oder im Bundestag fragt: Niemand kann so recht erklären, wie Christian Lindner das Kunststück eines verfassungskonformen Haushalts 2023 gelingen könnte. Fest steht nur, dass er ordentlich sparen muss. Und das heißt übersetzt: Viele von uns werden die Folgen der notwendigen, harten Entscheidungen bald spüren.


Was steht an?

Deutschland, Frankreich, Italien und Rumänien sind dafür, dass die Ukraine EU-Beitrittskandidat wird. Das ist das zentrale Ergebnis der Reise von Olaf Scholz, Emmanuel Macron, Mario Draghi und Klaus Iohannis am Donnerstag nach Kiew.

Weil damit auch die drei größten EU-Mitglieder (und sogar Gründungsmitglieder der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft 1957) das Anliegen der Ukraine unterstützen, dürfte sich am Mittag die EU-Kommission ebenfalls entsprechend positionieren. Sie gibt aber nur eine Empfehlung ab, entscheiden müssen am Ende alle EU-Mitglieder – und zwar einstimmig.

Prognose: Die EU wird deutlich wachsen. Es gibt ja auch noch die Republik Moldau und zahlreiche Länder auf dem Westbalkan.

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Was mich amüsiert

Hin und wieder sind auch Karikaturisten ein wenig zu pessimistisch ...

Bringen Sie am besten künftig immer mehr mit, als andere erwarten. Morgen schreibt an dieser Stelle wieder Florian Harms für Sie.

Ihr

Sven Böll
Managing Editor t-online
Twitter: @SvenBoell

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Mit Material von dpa.

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