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Flutkatastrophe und Todesfälle: Hätte das Unglück verhindert werden können?


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Tagesanbruch
Hätte dieses Unglück verhindert werden können?

  • Bastian Brauns
MeinungVon Bastian Brauns

Aktualisiert am 19.07.2021Lesedauer: 6 Min.
Bundeskanzlerin Angela Merkel am Sonntag im Ahrtal.Vergrößern des Bildes
Bundeskanzlerin Angela Merkel am Sonntag im Ahrtal. (Quelle: imago-images-bilder)
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Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

mein Name ist Bastian Brauns. Ab August werde ich für t-online als USA-Korrespondent aus Washington, D.C. berichten. Heute kommentiere ich – noch von Deutschland aus – zum ersten Mal für Sie die Themen des Tages.

Der Anpassungsdruck ist real

Selten bekommen wir die regionalen Unterschiede in unserem Land so grausam vor Augen geführt wie angesichts der schwer zu beschreibenden Naturkatastrophe, die seit Tagen eine Schneise der Verwüstung und der Trauer um geliebte Menschen von Nordrhein-Westfalen über Rheinland-Pfalz und die Sächsische Schweiz bis ins Berchtesgadener Land nach Bayern geschlagen hat.

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Während die Menschen im Nordosten unseres Landes angesichts hoher Temperaturen und Trockenheit den Regen geradezu herbeisehnen, bangen die Bewohner des Westens und Südens, dass bloß kein einziger weiterer Tropfen mehr fallen möge.

Eine politische Frage wird angesichts des Hochwassers und der reißenden Fluten immer drängender: Hätte dieses Unglück, hätten diese vielen Verletzten und Todesfälle verhindert werden können – und müssen?

Als die Bundeskanzlerin am Sonntagnachmittag in Rheinland-Pfalz zusammen mit Ministerpräsidentin Malu Dreyer vor die Kameras trat, sagte sie einen bemerkenswerten Satz: "Wir werden uns auch mit Anpassung an die Gegebenheiten beschäftigen müssen, aber dem sind Grenzen gesetzt."

Angela Merkels Satz ist in zweierlei Hinsicht wahr. Wir werden uns anpassen müssen. Aber zugleich wird auch die beste Anpassung solchen Wassermassen wie in Ahrweiler, Altenahr, Passau oder in der Sächsischen Schweiz am Ende wenig entgegensetzen können.

Was dennoch verstörend wirkt, ist dieses "Wir werden müssen". Denn wir hätten uns längst viel besser anpassen müssen. Damit ist die Politik genauso gemeint wie Behörden, Unternehmen und Medien. Aber eben auch jeder Einzelne von uns.

Es gibt noch einen weiteren bemerkenswerten Satz der Kanzlerin. Er stammt aus den Anfängen der Pandemie im März 2020: "Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst."

Wie schon bei Corona fühlen wir uns jetzt von dieser Katastrophe überrascht. Dabei beschäftigen sich etwa die Umweltbehörden in Deutschland schon lange mit der sogenannten Mitigation und Adaption. Gemeint sind damit Strategien, um den Klimawandel abzumildern und sich zugleich so gut es geht an die Folgen anzupassen.

Aber wer hat davon schon mitbekommen? Vermutlich noch deutlich weniger Menschen, als sich die Warn-App "NINA" vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe heruntergeladen haben.

Unabhängig davon, wie klar das Hochwasser der vergangenen Tage dem erwiesenermaßen menschengemachten Klimawandel zuzurechnen ist: Das zentrale Problem besteht darin, dass das so relevante Thema der Anpassung viel zu lange politisch instrumentalisiert wurde.

Etwa, um gegen notwendige Klimaschutzmaßnahmen zu polemisieren. Das Motto dahinter: Wir können das Klima ohnehin nicht ändern, aber wir können ja lernen, uns mithilfe von Technologien anzupassen.

Von anderer politischer Seite wurden Menschen, die auf notwendige Anpassungsstrategien hinwiesen, dagegen schnell ins Lager der Klimawandel-Leugner gesteckt. Hier galt das Prinzip: Debatten um eine Anpassung stören nur bei der Durchsetzung strenger Klimaziele.

In Wahrheit ist beides dringend nötig.

Es mutet beinahe grotesk an, dass Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) am 7. Juli, also nur wenige Tage vor den Fluten, das "Zentrum Klimaanpassung" zur besseren "Beratung, Vernetzung und Gestaltung" feierlich in Berlin eröffnete. Wohlwollend könnte man sagen: gerade noch rechtzeitig.

Realistischer ist wohl das Urteil, dass wir damit viel zu spät dran sind. Das zeigen die Bilder aus Erftstadt-Blessem, wo ein ganzes Dorf droht abzurutschen, genauso eindrücklich wie es Hunderte Tote, Verletzte und Vermisste beweisen. Berichtet wurde über dieses Zentrum bislang wenig.

Im Oktober 2020 veröffentlichte das Bundesumweltministerium den "Zweiten Fortschrittsbericht zur Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel". Darin steht: "Es werden die Gegenwart, die nahe Zukunft (2031-2060) und die ferne Zukunft (2071-2100) betrachtet". Und es lässt sich nachlesen, dass die Experten raten, eine "Vision für ein klimaresilientes Deutschland 2060" zu entwickeln. Da ist es wieder, dieses Wort, das wir von Corona kennen: Resilienz.

Ja, wir müssen auch Folgen für die fernere Zukunft analysieren und Aktionspläne entwickeln, an die sich dann aber bitte auch gehalten wird. Denn auch bei Corona verstaubten längst entwickelte Pandemiepläne in den Schubladen und fristeten auf den Festplatten der Ministerien ein unbeachtetes Dasein.

Es stimmt zwar: Zahlreiche Bundesländer haben angesichts wiederkehrender Hochwasserkatastrophen längst definiert, was vor einer solchen Katastrophe geschehen muss. Und ja, als das Wasser kam, haben die Behörden und Rettungskräfte alles gegeben.

Aber auch bei diesen erneuten zerstörerischen Überflutungen bleibt dann doch der Eindruck, dass wir als Gesellschaft insgesamt noch nicht verstanden haben, was uns da nicht nur in irgendeiner Zukunft bevorsteht, sondern was längst in der Gegenwart Realität ist. Und was wahrscheinlich erst der Anfang einer schlimmeren Entwicklung ist.

Wir müssen jetzt handeln. Und die Taten dürfen sich nicht im politischen "Berichtswesen" erschöpfen. Ein 100-seitiges PDF, was man alles tun könnte, hilft weniger als zehn Punkte, die rasch umgesetzt werden.

Im ebenfalls überflutungsgeprüften Baden-Württemberg wurde 2016 ein Leitfaden für die staatlichen Pressestellen bei Hochwassergefahren entwickelt. Darin gibt es drei "Checklisten" für "Kommunen ohne eigene Pressestelle", die hoffentlich auch von Kommunen mit Pressestellen beherzigt werden. Eine für "Trockenzeiten", in denen keiner an Hochwasser denkt. Eine für den akuten "Hochwasserfall". Und eine für die Zeit "nach dem Hochwasser".

Als essenziell wird darin beschrieben, dass Informationsketten funktionieren müssen. Sobald eine Warnung eingeht, müssen beispielsweise auch die Medien eindringlich informiert werden, damit die Informationen auf möglichst vielen Kanälen zu den Menschen gelangen.

Womöglich haben zu viele Politiker, Behörden, Medien und auch die Menschen selbst in der aktuellen Situation die vielen Warnungen der Wetterdienste nicht ernst genug genommen – mit furchtbaren Folgen. Sobald ein Glied dieser tatsächlich lebenswichtigen Informationskette ausfällt, funktionieren auch die bestmöglichen wissenschaftlich-meteorologischen Erkenntnisse nicht mehr.

In der britischen Zeitung "The Times" erhebt die Professorin für Hydrologie an der Universität Reading, Hannah Cloke, bereits schwere Vorwürfe gegen die deutsche Bundesregierung und deren Katastrophenschutz-Management. Sie hat das Hochwasser-Warnsystems "Efas" mitentwickelt und sagte, schon am 10. Juli seien "Warnungen an die deutsche und die belgische Regierung" gesandt worden. Da die Leute dennoch nicht evakuiert worden seien oder keine Warnungen erhalten hätten, müsse man von einem "monumentalen Systemausfall" sprechen.

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Die Diskussion um die politische Verantwortung hat gerade erst begonnen. Wer auch immer die Konsequenzen wird ziehen müssen, es ist in den kommenden Tagen und Wochen noch wichtiger, die Fehler, die gemacht wurden, zu identifizieren und sie dann für immer abzustellen. In der Checkliste aus Baden-Württemberg steht dazu: "Ist das Hochwasser vorbei, hat man die Möglichkeit, den gesamten Verlauf der Hochwasserkommunikation zu analysieren, Schwachpunkte aufzuzeigen und sich somit besser für das nächste Hochwasser zu wappnen."

Darum ein Appell an uns alle: Haken wir das nicht einfach ab. Es ist ernst. Ob Waldbrände, Tornados oder Überschwemmungen. Nehmen wir es endlich auch ernst.


Was steht an?

Ob es gute Nachrichten sind, wird sich angesichts von Virusmutationen noch zeigen.Aber zumindest in England fallen ab heute die Maskenpflicht und auch die Abstandsregeln weg. Selbst Nachtklubs dürfen wieder öffnen, und für Veranstaltungen gibt es keine Begrenzungen mehr. Der britische Premierminister Boris Johnson appelliert stattdessen an den gesunden Menschenverstand. Hoffen wir das Beste.

In Thüringen hätte heute planmäßig eine Sondersitzung im Erfurter Landtag stattgefunden, um diesen aufzulösen, damit am 26. September Neuwahlen stattfinden können. Stattdessen aber sagten Linke und Grüne die Abstimmung ab, weil Teile von CDU und FDP nicht mitmachen wollten. Zwar hätte man für eine notwendige Mehrheit stattdessen Stimmen der AfD akzeptieren können. Aber weder wollten Grüne und Linke das, noch hätten sie sich sicher sein können, dass die AfD nach Kemmerich nicht noch eine zweite "Falle" stellt. Die schönmalerisch als "Stabilitätsmechanismus" bezeichnete, von der CDU bislang tolerierte Minderheitsregierung von Bodo Ramelow wirkt darum ab sofort noch instabiler als zuvor. Wir halten Sie auf dem Laufenden.

Die Pegelstände sinken zwar, aber die Aufräum- und Rettungsarbeiten dauern an. Nach der Kanzlerin reist darum noch ein weiterer Politiker, der einer neuen Regierung nicht mehr angehören wird, in die Hochwasserregionen von Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) trifft sich dort mit Vertretern des Technischen Hilfswerks und besucht ein Krankenhaus. Die aktuellen Entwicklungen zur Hochwasserlage lesen Sie bei uns im Newsblog.


Was noch lesen?

"Weil jetzt ein solcher Tag ist, ändert man nicht die Politik", antwortete der CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet auf die Frage des WDR, wie die NRW-Regierung plane, angesichts der Flutkatastrophe beim Thema Klima einen Gang hochzuschalten. Meine Kollegin Theresa Crysmann hat aufgeschrieben, warum es trotzdem die Flutkatastrophe des Kanzlerkandidaten ist.


Regional, bio und kein Palmöl – so geht nachhaltiges Einkaufen. Oder doch nicht? In Wirklichkeit ist es leider oft nicht so einfach, wie es solch simple Phrasen suggerieren. Zum Auftakt der neuen Serie "Nachhaltig nachgefragt" meiner Kollegin Sonja Eichert lesen Sie, ob ein Apfel aus Neuseeland wirklich nachhaltiger sein kann als sein regionales deutsches Pendant.


Was amüsiert mich?

Kanzlerkandidatenkrisenmanagment:

Morgen schreibt an dieser Stelle wieder mein Kollege Sven Böll für Sie.

Ihr

Bastian Brauns
Washington-Korrespondent
Twitter @BastianBrauns

Was denken Sie über die wichtigsten Themen des Tages? Schreiben Sie es uns per E-Mail an t-online-newsletter@stroeer.de.

Mit Material von dpa.

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