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Kommunalwahl in NRW: Für eine Partei stellt sich die Existenzfrage


Was heute wichtig ist
Wahl in NRW: Für eine Partei stellt sich die Existenzfrage

  • Peter Schink
MeinungVon Peter Schink

Aktualisiert am 14.09.2020Lesedauer: 7 Min.
Meinung
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NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU, l) und der SPD-Landesvorsitzende Sebastian Hartmann (r): Laschets Partei hat die Wahl klar gewonnen.Vergrößern des Bildes
NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU, l) und der SPD-Landesvorsitzende Sebastian Hartmann (r): Laschets Partei hat die Wahl klar gewonnen. (Quelle: Federico Gambarini/dpa)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages, heute stellvertretend für Florian Harms:

WAS WAR?

Die Region Chabarowsk liegt ganz im Osten Russlands am Pazifik. Bei uns wäre Chabarowsk so etwas wie ein Bundesland (41 solcher "Krai" gibt es in Russland). Die Region ist fast doppelt so groß wie Deutschland und hat etwa so viele Einwohner wie München. Moskau ist 6.000 Kilometer entfernt.

So könnte es Wladimir Putin ziemlich egal sein, wer dort die Regionalwahl gewinnt, die von Freitag bis Sonntag im ganzen Land abgehalten wurde. Doch das Gegenteil ist der Fall. Die Regionalwahl in Chabarowsk gilt als Stimmungstest. Die Region ist eines der Epizentren der Unzufriedenheit im Land.

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Angefangen hat alles 2018, als der Geschäftsmann Sergej Furgal bei der Gouverneurswahl gegen den Kandidaten von Putins Partei Einiges Russland gewann. Er selbst hatte kaum damit gerechnet. Die Menschen hatten ihn vor allem gewählt, um nicht Putins Partei wählen zu müssen. Ein Jahr später, bei der Regionalwahl 2019, folgte der Erdrutsch für Putins Partei. Bei der Wahl zum Regionalparlament kam die Partei dort gerade mal auf 13 Prozent der Stimmen (bei Wikipedia, nur auf russisch).

In Moskau reagierte der Apparat, wie es einer Autokratie gut ansteht: Der Verwaltungssitz der Region wurde kurzerhand nach Wladiwostok verlegt. Vor zwei Monaten dann wurde Furgal überraschend festgenommen. Der Vorwurf: Vor 15 Jahren sei er in einen Mord verwickelt gewesen. Dass dem so ist, schließen noch nicht einmal Kreml-kritische Medien aus. Merkwürdigerweise interessierten sich die Behörden erst jetzt für den Fall.

Die Antwort der Bevölkerung auf die Verhaftung folgte prompt: Wenige Tage später demonstrierten so viele Menschen wie nie zuvor in der Region. Jetzt bereits seit Wochen, jeden Samstag gibt es Großdemonstrationen. Eindrucksvolle Bilder davon sind auf Twitter zu sehen.

In Moskau ist man nervös. Nicht nur in Chabarowsk, auch in Tomsk und Wladiwostok wird demonstriert. Die wirtschaftliche Lage, die Corona-Krise, eine unpopuläre Rentenreform, die neue Verfassung – all das führt zu Rissen im System Putin. Doch bei Wahlen musste Putin bislang niemanden fürchten. Die russische Opposition ist zersplittert in linke und rechte Extreme. Alexej Nawalny und sein Team haben die Wähler deshalb aufgefordert, den jeweils aussichtsreichsten Kandidaten zu unterstützen – egal welcher politischen Couleur. "Kluge Abstimmung" nennen sie das.

Am späten Sonntagabend meldete die Opposition aus Nowosibirsk und Tomsk (wo Nawalny vergiftet wurde) einige Wahlerfolge. Die Ergebnisse aus allen 41 Regionen sollen am Montag bekannt gegeben werden. Es ist unwahrscheinlich, dass die Opposition mehr als ein paar Achtungserfolge einfahren kann.

Die Ereignisse in Chabarowsk zeigen zudem: Selbst wer in Russland Wahlen gewinnt, hat noch nicht gegen den Kreml gewonnen. Wer sich auflehnt, gefährdet sein eigenes Leben.


In Nordrhein-Westfalen haben demnach bei der Kommunalwahl Zehntausende Politiker ihr Leben riskiert. Nein. Natürlich nicht.

Hierzulande musste nur Armin Laschet den Stimmungstest an Rhein und Ruhr tatsächlich fürchten. Und angesichts der Ereignisse in Russland können wir ruhig einen kleinen Moment innehalten und unsere in über 70 Jahren gewachsenen demokratischen Verhältnisse genießen. All das ist nicht selbstverständlich.

Und gerade deshalb gilt es, genau hinzusehen. Diese Wahl ist ein Signal. Mindestens an eine der beteiligten Parteien.

Zunächst einmal kann Armin Laschet sich freuen, dass in vielen Orten seine Leute klar gewonnen haben. Landesweit hat sich die CDU knapp behauptet, während die SPD fast acht Prozentpunkte verloren hat im Vergleich zur Kommunalwahl 2014. Die Grünen haben in gleichem Maß zugelegt.

Solche Abende gehören den Spin-Doktoren in allen Parteien.

Laschet gibt zu Protokoll: "Dass der Kurs der Mitte richtig ist, das versteht jetzt möglicherweise auch jeder in der CDU." Meint: Beim Bundesparteitag wählt ihr jetzt mich. Ihr seht doch, wie ich Wahlen gewinnen kann.

Grünen-Chef Robert Habeck spricht von einem "bärenstarken" Ergebnis, "auf dem man aufbauen kann". Heißt: Wenn wir so weitermachen, werden wir doch noch Kanzlerpartei.

Und SPD-Chef Norbert Walter-Borjans kann in dem herben Minus noch eine "Trendwende" sehen. Seit der Europawahl vor zwei Jahren habe seine Partei in NRW nämlich zwei Prozentpunkte zugelegt. Dazu beigetragen hat nach seiner Einschätzung ein "sehr geschlossenes Auftreten der SPD insgesamt". Aha! Heißt zwischen den Zeilen an die eigene Partei: Wir siegen kommendes Jahr, wenn wir nur alle mit dem Kanzlerkandidaten und den Parteivorsitzenden an einem Strang ziehen.

Alle ignorieren erst einmal, dass das Ergebnis vor allem das der vielen lokal handelnden Politiker ist. Kommunalwahlen werden in der Fläche gewonnen, nicht in Berlin.

Doch richtig ist natürlich auch: Die Wahl in NRW bestätigt den bundespolitischen Langzeittrend. Die Grünen können sich als neue Volkspartei festsetzen. Und die SPD droht, diesen Status zu verlieren. In einer mehr als 70 Jahre alten Bundesrepublik ist es per se nicht dramatisch, wenn sich langfristig etwas verschiebt. Doch eine zentrale Frage tut sich auf: Wer ist nach der SPD eigentlich die Stimme "der kleinen Leute"? Von wem fühlen sich die Leute am Fließband bei BMW oder in den Lagerhallen von Amazon vertreten?

Die Antwort: Jeder sucht sich da seine eigene Stimme. Die einen lassen sich an der Wahlurne noch von der SPD vertreten, die anderen von der Linken, wieder andere von der AfD, und natürlich wollen auch die Union und die Grünen noch ein paar "kleine Leute" vertreten. Im Ergebnis: Die Sozialdemokratie als Institution hat ausgedient.

Einige Politikwissenschaftler sehen eine Auflösung klassischer Milieus als Grund für den Niedergang der SPD. Andere argumentieren, dass die großen Gerechtigkeitsfragen ausgefochten seien.

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Aber was sind eigentlich die Gerechtigkeitsfragen unserer Zeit? In Deutschland wurde 2015 nach jahrelanger Diskussion der Mindestlohn eingeführt. Der SPD hat das keinen Zulauf gebracht. Und die Debatte um die Einführung der Vier-Tage-Woche hat gerade erst begonnen, ohne die SPD. Früher wären das Themen gewesen, da hätten Sozialdemokraten punkten können. Aber zum einen haben andere Parteien solche Themen heute schneller und authentischer besetzt, zum anderen drängen andere Fragen in den Vordergrund: Klima, Migration, Digitalisierung. Die SPD kann keines dieser Themen authentisch besetzen. Selbst der Satz "Wir schaffen das!" stammte nicht von einer Sozialdemokratin.

Es bräuchte schon "Fridays for Future"-Aktivisten oder Seenot-Retter an der Parteispitze, um die von Walter-Borjans vermutete Trendwende Wirklichkeit werden zu lassen. Denn der politische Erfolg wird nicht nur getragen von denen, die Themen besetzen können. Von klugen authentischen Köpfen. Nach ihnen sucht die SPD noch immer.


WAS STEHT AN?

In New York wollte Alexander Zverev sein erstes Grand-Slam-Tunier gewinnen. Am Ende blieb: Hätte, hätte, Fahrradkette.

Was für ein Match. Die ersten beiden Sätze im Finale der US Open gewinnt Zverev. Doch dann, drei Sätze hintereinander verloren. Um kurz vor halb drei Uhr unserer Zeit: aus der Traum.

Es wäre der erste Sieg eines deutschen Spielers bei den US Open seit Boris Becker gewesen. Bumm-Bumm-Boris aus Leimen. Ich erinnere mich noch: Es war ein großer Steffi-und-Boris-Hype Mitte der Achtzigerjahre. Die Tennis-Euphorie erfasste die gesamte Republik. In meiner Heimat München wurden damals alle Schulen aufgefordert, ihre Jüngsten zu Scouting-Veranstaltungen ins Olympiastadion zu schicken. Gesucht wurden die nächsten Boris' und Steffis. Mein gesamter Jahrgang musste antreten. Ich schubste ungeschickt Tennisbälle durch einen Slalom-Parcour. Und erinnere mich noch heute, wie peinlich mir das war. An mir jedenfalls ging kein Tennisstar verloren.

Ich wünsche Zverev, dass er trotz des verlorenen Finales die Begeisterung für diesen Sport wieder nach Deutschland tragen kann. Meine Kollegen David Digili und Noah Platschko hat er schon begeistert. Sie haben gestern bis spät in die Nacht das Finale verfolgt.


Am Dienstag gehört Apple die große Bühne. Die "Keynotes" des Tech-Konzerns werden bei Fans schon Tage und Wochen vorher diskutiert. Selbst kleinste Hinweise in der Einladung zum Event werden akribisch auseinandergenommen. Was nach Dienstag bleibt? Vermutlich ein paar neue teure technische Geräte, keine nennenswerte Innovation. Und erst recht kein Signal in Richtung Nachhaltigkeit. Apples Geräte sind eben Statussymbole des 21. Jahrhunderts.


In Berlin startet das Green Tech Festival. Ex-Formel-1-Star Nico Rosberg hat es geschafft, zu dem Nachhaltigkeitsevent Größen wie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, den Schauspieler Robert Redford, den Musiker Sting und Google-CEO Sundar Pichai auf die Bühne zu bringen. Wir sind Medienpartner und werden nicht nur deshalb darüber berichten.


Die FDP bekommt einen neuen Generalsekretär. Parteichef Christian Lindner wird hoffen, dass der Neue nicht nur frischen Wind in die Parteizentrale, sondern vor allem in die Umfragewerte der Partei bringt. Volker Wissing übernimmt eine nicht ganz leichte Aufgabe. Er muss erklären, wie die FDP Liberalismus im 21. Jahrhundert definiert. Und welche Antworten der Liberalismus auf die Fragen unserer Zeit hat. Lindner ist das in den vergangenen Jahren jedenfalls selten gelungen.


WAS LESEN ODER ANSCHAUEN?

Haben Sie gestern auch den "Tatort" gesehen und sich gedacht: "Mensch, die kenne ich doch?"

Vielleicht kam Ihnen die Amerikanerin Gretchen Fisher bekannt vor. Die kommt im wahren Leben nämlich nicht aus den USA, sondern aus Ulm und heißt Tessa Mittelstaedt. Treue Krimi-Zuschauer kennen sie aus einem ganz anderen Ermittlerteam. 14 Jahre lang spielte sie die Assistentin Franziska im Kölner "Tatort". Diese Rolle würde sie heute auf gar keinen Fall mehr mimen wollen. Warum nicht, hat sie meiner Kollegin Janna Halbroth verraten und außerdem erklärt, wie wohlüberlegt ihr Abschied damals war, warum ihr die alten Kollegen gar nicht fehlen und wie sie dann doch wieder die "Tatort"-Sehnsucht packte.


Es ist eine Schande für Europa. Sie wissen vermutlich, was das Thema ist. Doch es ändert sich nichts in Moria. Auch nicht nach den verheerenden Bränden. Vor Ort war am Samstag die WDR-Reporterin und Grimme-Preisträgerin Isabel Schayani. Bei ihrer Schalte berichtet sie zunächst eindrücklich. Schließlich ringt sie um Worte. Diese 2.47 Minuten machen sprachlos. Ich frage: Wo bleibt unsere Hilfe für Lesbos?

Langsam scheint hierzulande Bewegung in die Diskussion zu kommen. Markus Söder will "substanziell" mehr Flüchtlinge aufnehmen, sagte er in einem Interview.


WAS AMÜSIERT MICH?

Ist ja klar, warum dieser Typ in Nordrhein-Westfalen bei der Kommunalwahl so gut abgeschnitten hat.

Ich wünsche Ihnen einen gesunden Start in den Tag. Morgen schreibt Florian Harms wieder an dieser Stelle.

Ihr

Peter Schink
Stellvertretender Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Twitter: @peterschink

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