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Krawalle in Stuttgart: Eine Generation zeigt ihre hässliche Seite


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Was heute wichtig ist
Stuttgart: Eine Generation zeigt ihre hässliche Seite

  • Peter Schink
MeinungVon Peter Schink

Aktualisiert am 22.06.2020Lesedauer: 7 Min.
Randale und Plünderungen: In Stuttgart wird aufgeräumt.Vergrößern des Bildes
Randale und Plünderungen: In Stuttgart wird aufgeräumt. (Quelle: Sven Kohls/dpa)
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Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages, heute stellvertretend für Florian Harms:

WAS WAR?

"Macht kaputt, was euch kaputt macht", die Liedzeile aus den Gründungsjahren der Rockband Ton Steine Scherben galt vielen Randalierern als Auftrag. Doch wer einmal einen 1. Mai in Berlin oder Hamburg miterlebt hat, der weiß, wie sinnentleert die angeblich politisch motivierte Gewalt war und ist. Und unpolitische Halbstarke nutzten schon immer den Protest, um mal ordentlich einen draufzumachen. In Kreuzberg begannen schon vor mehr als 15 Jahren Anwohner (teils selbst aus dem Hausbesetzermilieu), das friedliche "Myfest" zu organisieren. Genau dort, wo die Randale stattfand, sollte gefeiert werden. Die Kreuzberger wollten die Gewalt endlich loswerden. Steine werfende Jugendliche hatte man satt.

Und nun Stuttgart.

Noch ist unklar, wer genau in der Nacht auf Sonntag die Gewalt entfesselt hat. Die Bilder machen fassungslos. Randalierer, die auf Polizisten und Geschäfte losgehen. Halbstarke, die versuchen, Polizeiautos zu demolieren. Die Schaufensterscheiben einschlagen und Geschäfte plündern. Dazu Gelächter, Gegröle und Rufe wie "Fuck the police". Ein Randalierer springt einem knienden Polizisten in den Rücken. Wieder Gegröle. Zugedröhnte Jugendliche geben herbeigeeilten Journalisten wirre Interviews. Ihre Worte klingen nach Partylaune. Am Ende der Nacht sind 40 Geschäfte beschädigt, neun davon geplündert. Unzählige Polizeiautos zerstört, 19 Polizisten verletzt.

Das traditionsbewusste Schwabenländle ist für seine Kehrwoche verschrien. Nun randaliert der Mob.

Scheinbar aus dem Nichts bricht sich die Kraft der Jungen Bahn. Die Polizei sagt, die Randale habe nach einer Drogenkontrolle bei einem 17-Jährigen begonnen. Nach Ende einer Open-Air-Party. Erst hätten sich 100 bis 200 Umstehende den Krawallen angeschlossen, später seien es bis zu 500 gewesen, die in Kleingruppen durch die Stuttgarter Innenstadt zogen. Einen politischen Hintergrund könne man nicht erkennen.

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Als Journalist tut man gut daran, solche Schlüsse nicht voreilig zu ziehen. Schon manches Mal haben sich Politik und Polizei in ersten Einschätzungen geirrt. Zudem: Nicht alles, was im Netz an Bildern kursiert, sollte man für bare Münze nehmen. Doch die Bilderflut dieser Nacht ist überwältigend. Augenzeugen berichten, es habe sich um eine heterogene Ansammlung gehandelt, Menschen mit und ohne Migrationshintergrund.

Stuttgarts grüner Oberbürgermeister Fritz Kuhn tritt am Sonntag bei einer Pressekonferenz mit der Polizeispitze auf. Schock und Unverständnis für das Geschehene bei allen Beteiligten. Kuhn sagt, es sei ein trauriger Tag für die Stadt. Polizeipräsident Franz Lutz sitzt ebenso fassungslos neben ihm. Er spricht von "einer nie da gewesenen Dimension von offener Gewalt". Teile der Stuttgarter Partyszene zeigten inzwischen ein "aggressives und beleidigendes Tun gegen Polizeibeamte", sagt er.

Blickt man auf den 1. Mai in Berlin, ist das Phänomen ganz und gar nicht neu. Bereits vor über 15 Jahren sprechen Berliner Politiker von "erlebnisorientierten Jugendlichen", die "entpolitisierte Gewaltrituale" pflegten. Was neu scheint: In Stuttgart hat sich niemand verabredet, keiner hat den Deckmantel des politischen Protests benötigt.

Die Halbstarken haben einfach drauflosgeschlagen.

Natürlich, randalierende Jugendliche gab es schon immer. In den frühen Jahren der Bundesrepublik tauchen "jugendliche Rowdies" in Polizeiberichten auf. Aber bis zu 500 spontan plündernde Jugendliche? Das ist neu.

Das Gegröle dieser Nacht wird noch lange nachhallen. Warum so viele Randalierer, solche spontane, aggressive und über Stunden anhaltende Gewalt? Viele Fragen stellen sich.

Ganz offensichtlich war bei den Bildern der Nacht vor allem eines: Eine staatliche Instanz kannten die Randalierer nicht. Und: Die Polizei erschien solcher Aggressivität gegenüber machtlos und hilflos.

Mancher Politiker fand am Sonntag, die Diskussion über Rassismus bei der deutschen Polizei habe womöglich die Randalierer indirekt motiviert. Doch wer kann das schon mit Sicherheit bejahen oder verneinen?

Eines aber ist sicher: Wer so handelt, dem ist offenbar nicht klar, dass jeder Angegriffene ein Mensch ist. Selbst jede Schaufensterscheibe gehört zu einem Geschäft, in dem Menschen arbeiten (und damit ihre Familien ernähren). Wie kann man da draufschlagen?

Der Gewalt der Randalierer liegt eine Entmenschlichung zugrunde, die schockierend ist. Der gilt es entgegenzuwirken.

Die Band Ton Steine Scherben verließ 1975 West-Berlin in Richtung Nordfriesland, weil ihre Bandmitglieder keine Lust mehr auf die Stadt hatten. Auf ihrem Bauernhof in Fresenhagen lebte ab 1982 auch Claudia Roth, Band-Managerin und heutige Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags. Sie habe dort erlebt, "dass sich Reichtum nicht übers Konto definiert".

Eine Generation versuchte damals, die Gesellschaft neu zu erfinden. "Macht kaputt, was euch kaputt macht" diente wohl zahllosen Hausbesetzern als Soundtrack. Heute müssen die politischen Weggefährten der Band-Managerin Claudia Roth nicht nur sprichwörtlich die Scherben einer anderen Generation aufkehren. Die wollen kaputtmachen und dabei nichts neu erfinden. Womöglich wissen sie gar nicht, was sie selbst kaputtmacht.


WAS STEHT AN?

Die Woche beginnt mit einem Thema, mit dem die letzte geendet hat. Der R-Wert ist wieder über 2 gestiegen. Die Corona-Krise bestimmt das Nachrichtengeschehen, auch in unserer Redaktion. Und die Firma Tönnies hat derzeit einen nicht unwesentlichen Anteil daran: Mehr als 1.300 der 7.000 Mitarbeiter haben sich infiziert.

Meine Kollegen Johannes Bebermeier und Jonas Mueller-Töwe hatten bereits am Freitag nachgezeichnet, wie es überhaupt zum Ausbruch in der Fleischfabrik kommen konnte. Eine unfassbare Geschichte. Am Sonntagabend versuchte dann NRW-Ministerpräsident Armin Laschet, im ZDF zu erklären, wie es jetzt weitergeht. Klar ist für ihn: Einen gezielten Lockdown in den betroffenen Landkreisen in dieser Woche will er nicht ausschließen. Zunächst will er aber einen Expertenbericht erstellen lassen.

Die Situation vor Ort zeigt ein Dilemma des Coronavirus. Wie will man die Krankheit eindämmen, wenn Menschen ansteckend sind, bevor sie überhaupt Symptome entwickeln? Es ist klar: Mit maßvollen Aktionen geht das kaum. Doch wer will schon vorsorglich Kitas und Schulen schließen und Kontaktbeschränkungen verordnen? Für die Menschen in Bielefeld, Gütersloh und anderen Städten der Region kann man nur hoffen, dass sie in den vergangenen Tagen genug Abstand gehalten haben.

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WAS LESEN ODER ANSCHAUEN?

Philipp Amthor galt bis vor Kurzem noch als Shootingstar der CDU. Er ist jung, vertritt stramm konservative Positionen. Selbst politische Gegner sehen in ihm ein rhetorisches Ausnahmetalent. Mit 24 Jahren kam er 2017 in den Bundestag. Eine Karriere im Zeitraffer: Er sitzt im Innenausschuss des Bundestages, tritt permanent in Talkshows auf.

Doch dann enthüllte der "Spiegel", dass Amthor im Zentrum einer Lobbyismus-Affäre steht. Nun geht es um die Frage, wie käuflich er ist. Am Freitagabend entschied sich Amthor nach anhaltendem Druck, doch nicht für den Posten des Landeschefs der CDU in Mecklenburg-Vorpommern zu kandidieren. Der Erfolg war für ihn zum Greifen nahe – doch dann der Rückzieher.

Mein Kollege Tim Kummert, der Amthor seit Jahren begleitet, schreibt über dessen Rückzug: "Amthor verzichtet – und könnte damit Ruhe in den Prozess bringen. Doch wer ihn kennt, ahnt: Damit sind seine Karriereambitionen nicht beerdigt. Es ist eher die notwendige Bremse in einer Karriere, die schon bald wieder beschleunigt weitergehen soll." Hier finden Sie seine Analyse.


Donald Trump hat ein Problem. Nicht das Impeachment-Verfahren, seine Äußerungen zur Polizeigewalt, nicht die Corona-Krise. Seit diesem Wochenende diskutiert das Land darüber, warum der US-Präsident bei seinem ersten Wahlkampfauftritt in Tulsa vor teilweise leeren Rängen sprechen musste. Offenbar wollten ihm die Anhänger doch nicht in Scharen folgen. Und einige findige TikTok-Nutzer taten wohl ihr Übriges.

Trump liebt den großen Auftritt, doch diesmal wurde ihm das zum Verhängnis. Sein Team hatte kolportiert, es habe eine Million Reservierungen gegeben. Da wirkte der leere Saal im konservativen Oklahoma noch peinlicher. Größenwahn kommt also vor dem Fall. Schreibt unser US-Korrespondent Fabian Reinbold.


Ob ihre Mutter eine Telefonnummer auf ihrem Arm eintätowiert hätte, fragten die Menschen Maya Lasker-Wallfisch früher immer. Nein, es war die Häftlingsnummer aus Auschwitz-Birkenau.

Mayas Mutter, Anita Lasker-Wallfisch, hatte das deutsche Konzentrationslager einst überlebt. Doch ihre Geschichte hielt sie vor ihrer Tochter verborgen. Stattdessen herrschte im Hause Lasker-Wallfisch Schweigen. Die sensible Tochter ahnte gleichwohl, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung war. Maya Lasker-Wallfisch nahm Drogen, glitt in die Kriminalität ab.

Es dauerte lange, bis sie erkannte, dass sie unter einem transgenerationalen Trauma litt. Wie sie als Kind den Schrecken auf die Spur kam, die ihre Mutter einst erlebt hatte, wie sie von den Drogen wegkam und warum sie ihren im Holocaust ermordeten Großeltern Briefe schrieb, hat Maya Lasker-Wallfisch unserem Zeitgeschichtsredakteur Marc von Lüpke erzählt.


Es ist ein Irrglaube, den viele Menschen in Deutschland pflegen: Wer zu uns kommt, als Einwanderer, habe es vor allem auf "unseren Wohlstand" abgesehen, von "Zuwanderung in die Sozialsysteme" ist gar die Rede. Tatsächlich aber ist es anders. Die meisten Migranten haben ein klares Ziel vor Augen: Sie wollen hierzulande arbeiten – und haben meist sogar schon bei der Einreise einen Job in der Tasche. Damit tragen sie erheblich zur Stärke der deutschen Wirtschaft bei, wie jetzt das Institut der deutschen Wirtschaft festgestellt hat. Mein Kollege Florian Schmidt hat sich die Ergebnisse angesehen.


Menschen, die hoffen, dass wir nicht allein im Universum sind, können jetzt jubeln. Wir sind es nicht! Allein in unserer Milchstraße werden noch 35 andere Planeten von intelligenten Lebensformen besiedelt. Statistisch gesehen. Spannend ist die Berechnung, mit der Wissenschaftler jetzt im "Astrophysical Journal" zu diesem Ergebnis kommen. Nicht etwa Wasser, sondern zudem das Vorkommen von Eisen ist demnach Grundlage für unser Dasein.

Doch bei aller Freude über die neue Partnerschaft im All haben die Physiker auch eine bittere Botschaft: Durchschnittlich 17.000 Lichtjahre ist das intelligente Leben entfernt. Wir selbst haben bislang mit "Voyager 1" ein Objekt 0,002 Lichtjahre ins All gebracht. Bis wir Kontakt aufnehmen, wird es also noch dauern. Aber vielleicht kommen uns die Außerirdischen ja zuvor.


Viele Länder heben ihre Corona-Einreisebeschränkungen auf, die Mobilität in Europa nimmt wieder zu. Das spiegelt sich auch hoch oben in der Luft wider. Wie sich der Himmel über unserem Kontinent seit den Corona-Lockerungen wieder verändert, haben meine Kollegen Hanna Klein und Arno Wölk im Video dokumentiert.


WAS AMÜSIERT MICH?

In einigen Teilen Afrikas und Asiens konnten die Menschen am Sonntag eine ringförmige Sonnenfinsternis erleben. Äußerst selten so etwas. Aber was sage ich? Nicht nur Menschen haben zugesehen. Auch unsere Liebsten durften zuschauen. Wuff.

Ich wünsche Ihnen einen gesunden Wochenstart. Morgen schreibt Florian Harms wieder an dieser Stelle.

Ihr

Peter Schink
Stellvertretender Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Twitter: @peterschink

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