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Klimaschutz: Der Kampf gegen Corona bietet eine große Chance


Was heute wichtig ist
Nach Corona: Wir können auch anders

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 23.04.2020Lesedauer: 7 Min.
Meinung
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

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Der Ausbau von Windrädern in Deutschland stockt derzeit.Vergrößern des Bildes
Der Ausbau von Windrädern in Deutschland stockt derzeit. (Quelle: Julian Stratenschulte/dpa-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Die Corona-Krise zeigt uns, dass es auch anders geht. Wir müssen wegen der Virusgefahr auf vieles verzichten, aber wir bekommen dafür auch einiges. Zum Beispiel die Erkenntnis, dass wir unser Gesundheitssystem aufmöbeln müssen, außerdem ein herzerwärmendes gesellschaftliches Zusammengehörigkeitsgefühl – und bessere Luft. Am Himmel jetten weniger Flugzeuge, auf dem Meer dampfen weniger Containerschiffe, auf den Straßen rasen weniger Autos. Das hat spürbare Folgen für unsere Umwelt, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit.

Nun kann es keine Lösung sein, unsere Fabriken, Handelsrouten und Transportwege dauerhaft stillzulegen, um Umwelt und Klima zu schonen. Aber der Auftakt zu einem neuen Denken kann es schon sein. Worüber wir seit Jahren viel geredet, aber wofür wir nur wenig getan haben, könnte durch einen kollektiven Erkenntnisprozess endlich verwirklicht werden: Der konsequente Schutz des Lebensraums von Zweibeinern, Vierbeinern, Vielbeinern, Flossenträgern und Gefiederschwingern, kurz: von allem, was atmet, kreucht und fleucht. Wie dringend nötig der Klimaschutz gerade jetzt ist, sehen Sie, wenn Sie bitte mal kurz Ihre Kaffeetasse abstellen und aus dem Fenster schauen. Da scheint die Sonne (oder beginnt gleich zu scheinen), da fällt seit Tagen und Wochen kaum ein Tropfen vom Himmel. Deutschland steht ein weiterer Dürresommer bevor, und zwar der dritte in Folge, und das ist nur ein kleiner Nebeneffekt der globalen Turbulenzen. Schon heute sind gravierende Folgen der Klimakrise zu beobachten, wie Ihnen meine Kollegen Hanna Klein und Nicolas Lindken zeigen.

Der internationale Tag der Erde ist gestern ziemlich lautlos an uns vorbeigegangen (oder wir an ihm?), das Werben für einen umweltbewussten Lebensstil hat derzeit keine Konjunktur. Das ist verständlich, wenn man sich vor einem unsichtbaren Virus fürchtet, in der Wohnung festsitzt, den Urlaub stornieren muss und um die Ersparnisse auf dem Konto bangt. Aber wir sollten nicht den Fehler machen, das eine Problem zu ignorieren, weil wir mit dem anderen beide Hände voll zu tun haben.

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Ökologie und Ökonomie könnten sich ergänzen, sagt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Interview mit der „Zeit“: „Stillstand ist keine Lösung. Wenn jetzt keine Flugzeuge mehr fliegen oder keine Autos mehr fahren, halten wir das nicht lange durch als Volkswirtschaft. Die Antwort muss sein, zum Beispiel durch neue CO2-freie Treibstoffe Wachstum und Klimaschutz miteinander zu versöhnen.“ Sie bleibt trotz Corona optimistisch: „Diese Krise ist auch eine gewaltige Chance: Wir haben jetzt die Möglichkeit, Milliarden in Unternehmen und Infrastruktur zu investieren. Warum dann nicht gleich in klimafreundliche Projekte, die der nächsten Generation helfen? Europa ist bei diesem Thema in einer Poleposition, und der Rest der Welt wird nachziehen müssen. Diesen strategischen Vorteil im Klimaschutz dürfen wir auf keinen Fall aufgeben.“ An anderer Stelle habe ich Frau von der Leyen hart kritisiert. Aber hier gebe ich ihr Recht.


WAS STEHT AN?

Die Corona-Pandemie ist eine Gesundheitskrise, aber sie ist auch eine Finanzkrise. Kein Staat kann sie allein bewältigen, auch das reiche Deutschland nicht. Nur wenn die EU-Länder einander unterstützen und die Schäden gemeinsam abfedern, kann Europa das Schlamassel halbwegs glimpflich überstehen. Darum geht es heute: Mehr Geld, mehr Kredite, mehr Solidarität. Um 9 Uhr gibt Kanzlerin Angela Merkel im Bundestag eine Regierungserklärung, anschließend debattiert das Parlament. Um 11:30 Uhr legt die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) neue Vorschläge für den Arbeitsmarkt und die Sozialversicherungen vor. Um 15 Uhr schalten sich die EU-Staats- und Regierungschefs zu einer Videokonferenz zusammen, und wenn sie sich einigen können, beschließen sie das von den Finanzministern der Eurogruppe ausgetüftelte Rettungspaket. Gebongt ist das noch keinesfalls, weil der Streit um eine gemeinsame Schuldenhaftung sich zuspitzt: Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte fordert vehement Corona-Bonds und wird dabei von Spanien unterstützt – Deutschland, Österreich und die Niederlande lehnen sie ab.

Die entscheidende Person heißt aber nicht Conte und auch nicht Merkel, sondern Scholz: Der deutsche Finanzminister hat den exakten Überblick über die Bilanzen, nicht nur über das Haben, sondern auch das Soll. Er hat einen Kompromiss angebahnt und sich dabei an einem einfachen Prinzip orientiert: Bevor man pauschal Riesensummen fordert, sollte man erst einmal genau wissen, wie viel Geld zur Bekämpfung der Krise wirklich gebraucht wird.

Wie gut also, dass Olaf Scholz seine Strategie heute Morgen erklären kann: Im Exklusiv-Interview mit t-online.de, das nicht nur in Berlin, sondern auch in Rom, Paris, Madrid und Brüssel aufmerksam gelesen werden dürfte, wirbt der deutsche Vizekanzler dafür, die Integration der Europäischen Union voranzutreiben: Wenn man "weiter zusammen solidarisch handeln" wolle, "dann braucht es auch weitere Integrationsschritte in der EU". Er fordert, weiter auf eine Fiskalunion hinzuarbeiten: Der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) müsse weiterentwickelt werden, es brauche endlich die Bankenunion, eine Kapitalmarktunion – und ein eigenes Budget: "Die EU braucht dann auch gemeinsame Einnahmen." Dafür sei es hilfreich, wenn sich "viele Staaten an der Besteuerung von Finanztransaktionen beteiligen" – vielleicht sogar alle. Corona-Bonds aber werde es jetzt nicht geben: "Diskussionen sollten nicht um Instrumente geführt werden, sondern darüber, ein Problem zu lösen." Erst einmal müsse geschaut werden, "wie viel Geld konkret benötigt wird und wofür es eingesetzt werden soll." Dann müsse die Finanzierung geklärt werden. "Das geschieht am sinnvollsten in der Debatte um den künftigen mehrjährigen Finanzrahmen, den EU-Haushalt."

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Es war ein aufschlussreiches Telefoninterview, das mein Kollege Johannes Bebermeier und ich mit dem Bundesfinanzminister geführt haben – und am Ende hat er uns auch noch verraten, worauf er sich am meisten freut, wenn die Kontaktsperre nun weiter gelockert wird. Sie lesen alles hier.


Politik und Behörden kehren langsam in den Alltag zurück:

In Hamburg beginnen SPD und Grüne endlich ihre Koalitionsverhandlungen, wegen der Corona-Krise waren sie wochenlang verschoben worden. Man trifft sich am Mittag mit gebührendem Abstand im Großen Festsaal des ehrwürdigen Hamburger Rathauses. Entscheidend wird sein, ob trotzdem die Chemie zwischen Bürgermeister Nummer eins Peter Tschentscher (SPD) und Bürgermeisterin Nummer zwei Katharina Fegebank (Grüne) stimmt.

In Koblenz beginnt der Prozess gegen zwei Schergen des syrischen Geheimdiensts. Anwar R. soll einer von Assads mächtigsten Folterknechten gewesen sein. Er ist wegen 58-fachen Mordes und Folter in mindestens 4.000 Fällen angeklagt. Die Aussagen der Zeugen lesen sich wie Protokolle aus der Hölle. Es ist weltweit der erste Strafrechtsprozess wegen syrischer Staatsfolter – also ein Musterverfahren, das hoffentlich weitere Prozesse initiiert.

Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg urteilt in einem wegweisenden Fall zur Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung: Ein italienischer Anwalt wurde verklagt, weil er in seiner Kanzlei keine homosexuellen Mitarbeiter einstellen wollte. Das Urteil kann europaweit Folgen haben.

In Washington werden die neuesten Arbeitslosenzahlen veröffentlicht. Zu den bereits 22 Millionen Menschen, die aufgrund der Corona-Krise ihren Job verloren haben, dürften Tausende hinzukommen. Amerika stürzt in die größte Beschäftigungskrise seit fast 100 Jahren. Ob sie Trump schadet oder hilft, ist noch unklar.

Im Jemen endet die zweiwöchige Waffenruhe, weil das saudische Militärbündnis weiterbomben möchte. UN-Vermittler Martin Griffiths arbeitet trotzdem unermüdlich für einen anhaltenden Waffenstillstand – und macht offenbar Fortschritte. "Es hat sich die Chance ergeben, Frieden in den Jemen zu bringen", sagt er. Es wäre die beste Nachricht seit Jahren. Wie die Lage an den Krisenherden der Welt ist, zeigt Ihnen unser Außenpolitikredakteur Patrick Diekmann.


ZITAT DES TAGES

"Die Krise trifft unsere Gesellschaft hart, und sie wird noch eine ganze Weile dauern. Wir dürfen Risiken nicht ignorieren und zu erwartende Schwierigkeiten nicht kleinreden. Jetzt ist nicht die Zeit, um die Lage schönzureden. Aber es ist auch nicht die Zeit für schwärzeste Katastrophenszenarien. Wahr ist, die Zeit wird nicht spurlos an uns vorbeigehen. Wir werden einiges von dem gemeinsam erarbeiteten Wohlstand preisgeben. Aber wir sind und wir bleiben eine starke Volkswirtschaft – mit Millionen Menschen, die weiter anpacken oder wieder loslegen wollen. So wie wir das Virus gemeinsam besiegen werden, so werden wir uns mit Fleiß und Klugheit auch aus dem wirtschaftlichen Tal gemeinsam wieder herausarbeiten."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in einer Videobotschaft zur Corona-Pandemie.


DIE GURKE DES TAGES…

…kommt heute von der Deutschen Fußball-Liga. 150 Millionen Euro TV-Geld würden die Bundesligavereine gerne noch einsacken – aber dafür müssten ihre Kicker wieder kicken dürfen. Also hat die DFL einen Plan ausgeheckt: Statt Fans sollen maximal 300 Vereinsfuzzis in die Stadien, und die Gladiatoren, Pardon: Spieler, sollen fortlaufend auf das Coronavirus getestet werden. Bis zu 20.000 der begehrten Labortests wären dafür bis Saisonende nötig. 20.000 Tests, die ebenso gut Krankenschwestern, Altenpflegern und Ärzten zugutekommen könnten – also jenen Menschen, die sich seit Wochen unter gefährlichen Bedingungen abrackern und Menschenleben retten. Gesundheitsminister Jens Spahn findet den Plan der DFL trotzdem okay, das Robert Koch-Institut hingegen gar nicht. Ich sage es mal so: Wenn die DFL-Bosse auf ihrer Mitgliederversammlung heute um 11 Uhr grünes Licht bekommen, verstehe ich jeden, der Bundesliga-Fußball im Fernsehen ab sofort boykottiert.


WAS LESEN UND HÖREN?

Informationen zum Coronavirus gibt es viele, aber viele sind leider falsch – und manche Leute haben ein Interesse daran, dass das so ist. Ein Report dokumentiert, wie Russland und China systematisch Verschwörungstheorien verbreiten, um das Vertrauen in die EU und die Wirksamkeit der Schutzmaßnahmen gegen Covid-19 zu unterminieren. Die "Süddeutsche Zeitung" weiß mehr.


Die Ausgangssperre soll überflüssig gewesen sein, meinen erstaunlich viele Menschen und fühlen sich dabei ausgerechnet durch eine Zahl des Robert Koch-Instituts bestätigt: Das RKI hat errechnet, dass schon zu Beginn der Maßnahmen die Reproduktionsrate bei 1 gelegen haben könnte. Und die Zahl ist ja entscheidend: Bleibt sie beständig unter 1, haben wir das Virus im Griff, bei einem Wert über 1 drohen explodierende Fallzahlen. Was ist also dran? Unser Rechercheur Lars Wienand kann die Sache aufklären.


Wer ist bereits immun gegen Covid-19, wer nicht? Antikörper-Schnelltests aus der Apotheke versprechen bequeme Gewissheit. Doch die Ergebnisse sind unzuverlässig. Meine Kollegin Laura Stresing erklärt Ihnen, warum.


Corona-Angst kann Menschen in eine existenzielle Krise stürzen, aber werden sie deshalb eher gläubig? "Ich glaube nicht, dass Menschen jetzt religiöser werden", sagt die Religionshistorikerin Irene Dingel in unserem Podcast "Tonspur Wissen". Trotzdem könne Religion und Glaube Menschen in der Krise helfen – allerdings nicht mehr so, wie in früheren Jahrhunderten. Was heutzutage anders ist und was das (auch) mit Greta Thunberg zu tun hat, hören Sie hier.


WAS AMÜSIERT MICH?

Wie überaus sinnvoll, dass wir endlich wieder shoppen gehen können!

Ich wünsche Ihnen einen vergnügten Tag.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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