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Kampf gegen Corona: Dieser Mann kann zum Helden werden


Was heute wichtig ist
Kampf gegen Corona: Dieser Mann kann zum Helden werden

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 07.04.2020Lesedauer: 7 Min.
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Professor Hendrik Streeck erforscht den "Fußabdruck" des Coronavirus im Blut infizierter Patienten.Vergrößern des Bildes
Professor Hendrik Streeck erforscht den "Fußabdruck" des Coronavirus im Blut infizierter Patienten. (Quelle: Federico Gambarini/dpa)

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WAS WAR?

Autorität hat man nicht, sie wird einem zugesprochen. Angela Merkel bekommt in diesen Tagen so viel Zuspruch aus der Bevölkerung wie selten zuvor. Die überwältigende Mehrheit der Bürger unterstützt ihren Kurs gegen das Coronavirus, 95 Prozent halten es für eine gute Idee, dass ihre Grundrechte und ihre Freiheit radikal beschnitten werden. Was kein Parteiprogramm, kein Wahlkampf und keine noch so lange Dauerkanzlerschaft bewirken könnten, hat die Seuche binnen drei Wochen geschafft: Im Kampf gegen den unsichtbaren Feind verblassen sämtliche politischen Differenzen und Partei-Rankünen; zwischen Flensburg und Füssen, zwischen Duisburg und Dresden steht die Mehrheit der Deutschen geschlossen hinter dem Regime der Kontaktsperre, das zu normalen Zeiten allenfalls einer Diktatur entspränge. Man muss sich diesen Widerspruch vergegenwärtigen, um zu ergründen, wie gravierend die Lage hierzulande ist. Und warum es nicht der schlechteste aller denkbaren Zustände ist, dass Angela Merkel, Olaf Scholz und Horst Seehofer gegenwärtig die Geschicke der Republik steuern. Wie heftig wurden die Groko-Chefs noch vor zwei, drei Monaten kritisiert! Und wie komplett anders stellt sich die Lage heute dar!

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Obgleich die Wirtschaft ächzt, die Südeuropäer um Milliarden betteln, die Virologen sich widersprechen und das erste Nachbarland seine Ausgangsbeschränkungen lockert: Die drei von Deutschlands oberster Dienststelle bleiben (zumindest äußerlich) gelassen und verfolgen stoisch ihren Krisenkurs: Schritt für Schritt tasten sie sich durch den Corona-Nebel, schütten Milliarde um Milliarde aus dem Steuerfüllhorn unters Volk – alles für die Gesundheit. Jedem Gedanken an eine schnelle Lockerung der Kontaktsperre hat die Kanzlerin gestern einen Riegel vorgeschoben: Die Regeln gelten bis zum 19. April, "daran wird sich nichts ändern." Und dann? Nach Ostern will sie die Lage neu bewerten, denkbar ist eine Lockerung peu à peu. Ein im Berliner Regierungsviertel kursierendes Konzeptpapier, das dort alle gelesen haben, aber keiner geschrieben haben will, könnte als Leitfaden dienen: Jene Städte und Regionen, in denen sich das Virus nur langsam verbreitet, würden als erste ihre Schulen und Unis wieder öffnen, alle Schüler würden pauschal auf Covid 19 getestet. Ähnliches könnte für Firmen gelten. Restaurants und Bars könnten wieder öffnen, müssten ihre Gästezahl aber strikt beschränken, damit die Leute einander nicht zu nahe kommen. In Fabriken, Bussen, Bahnen und öffentlichen Gebäuden würde eine Gesichtsmaskenpflicht eingeführt – was voraussetzt, dass bis dahin ausreichend von den Dingern zur Verfügung stehen (was ziemlich illusorisch ist). Ob auch selbstgeschneiderte Masken akzeptiert werden, obgleich ihre Schutzfunktion fraglich ist? Offen.

Klar immerhin ist: Die Voraussetzungen für eine Lockerung sind noch nicht gegeben, aber die Dinge entwickeln sich in die richtige Richtung. Im Schnitt steckt ein Infizierter derzeit nur noch eine weitere Person an; in den kommenden Tagen dürfte diese Reproduktionszahl auf unter 1 sinken. Auch die Zahl der täglichen Neuinfizierten sinkt seit mehreren Tagen, am Montag lag sie dem Robert Koch-Institut zufolge bei 3.700. Das ist noch keine Trendwende, weil die Erfassung volatil ist und an Wochenenden schwankt. Aber mehr als ein Hoffnungsschimmer ist es allemal.

Der Blick über den deutschen Tellerrand hingegen fällt widersprüchlich aus: einerseits hoffnungsvoll, andererseits niederschmetternd. In Italien ist die Zahl der täglichen Corona-Toten gestern auf 500 gesunken – der niedrigste Stand seit knapp drei Wochen. In Spanien beginnt sich die Kurve der Neuinfektionen abzuflachen. Andernorts verschlimmert sich die Lage. Die USA zählen nun schon knapp 350.000 Infektionen und mehr als 10.000 Tote. Das marode Gesundheitssystem droht zu kollabieren, viele Bestatter kommen mit dem Bestatten nicht mehr nach. Die Arbeitslosenzahlen explodieren auf einen historischen Höchststand, wie diese eindrucksvolle Grafik zeigt. Der Chef der Gesundheitsbehörden stimmt die Amerikaner auf die "härteste und traurigste Woche" ihres Lebens ein: "Das wird unser Pearl-Harbor-Moment", sagt Jerome Adams. Der Präsidentschaftswahlkampf ist längst zu Nebensache verwelkt.

Auch in Großbritannien kämpfen die Krankenhäuser mit dem Ansturm infizierter Patienten. Nun schlittert das Land auch noch in eine Führungskrise: Premierminister Boris Johnson ist gestern Abend auf die Intensivstation verlegt worden, sein Zustand verschlechtert sich. Außenminister Dominic Raab muss die Amtsgeschäfte übernehmen. Während wir uns erinnern, dass Herr Johnson einer derjenigen Politiker war, die die Gefahr des Coronavirus zu Beginn herunterspielten, schicken wir natürlich trotzdem Genesungswünsche ins Londoner St Thomas' Hospital.

Noch stärker muss uns die Lage andernorts beunruhigen: Der Notstand in den Flüchtlingslagern auf Lesbos und im syrischen Idlib sowie in vielen Elendsquartieren afrikanischer Staaten dürfte in den kommenden Tagen eskalieren. "Afrika steht allein am Abgrund", kommentiert die "Süddeutsche Zeitung" – und fügt zu Recht hinzu: "Noch lässt sich das Schlimmste verhindern, doch der Kontinent braucht die Hilfe der internationalen Gemeinschaft." Auch das sollten die Krisenmanager in Berlin, Brüssel und Paris nicht vergessen: Lassen sie die afrikanischen Staaten jetzt im Kampf gegen Corona im Stich, wird uns das Virus von dort in Zukunft wieder ereilen. Und wieder. Und wieder. Und wieder.


WAS STEHT AN?

"Ich bin mal Virologe geworden, weil ich den Film 'Outbreak' mit Dustin Hoffman so toll fand", sagt Hendrik Streeck. Der Hollywood-Kassenschlager faszinierte den 42-Jährigen, der heute zu den führenden Virologen Deutschlands zählt. Die Story: In Afrika bricht eine Ebola-Seuche aus, die sich bis nach Amerika verbreitet und das ganze Land bedroht. Am Ende findet der von Hoffman gemimte Held Colonel Daniels das Wirtstier des Virus‘ (ein Äffchen) und verhindert eine Katastrophe. Ein Heldenepos.

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Hendrik Streeck könnte der deutsche Held im Kampf gegen das Cornoavirus werden. 25 Jahre nach der Premiere von "Outbreak" kämpft er einen ähnlichen Kampf wie sein Filmvorbild. Er leitet ein 70-köpfiges Wissenschaftler-Team, das den ersten großen Ausbruch des Coronavirus‘ in Deutschland erforscht: Die 12.000-Einwohnerstadt Gangelt im Kreis Heinsberg ist das deutsche Epizentrum der Krise, in der Karnevalssitzung am 15. Februar kam es zur ersten Infektion zahlreicher Menschen.

Aber wie genau? Wer übertrug das Virus wann und wie an wen? Warum infizierten sich manche Leute, andere aber nicht? Welche Umstände begünstigen eine Ansteckung, welche sind ungefährlich? Gelingt es Streeck und seinen Leuten, diese Fragen zu beantworten, könnte das Coronavirus seinen Schrecken verlieren. Denn gefährlich ist es auch deshalb, weil wir bisher so wenig über es wissen. Wäre es berechenbar, wäre es auch besser kontrollierbar. "Es ist ein bisschen wie Detektivarbeit", sagt Streeck. Seine Ergebnisse sind relevant für ganz Deutschland, und sie könnten auch die Frage beantworten, wann und wie sich die bundesweiten Ausgangsbeschränkungen lockern lassen.

Grundlage der Studie sind rund 1.000 Bürger aus 500 Heinsberger Familien, die sich nun akribisch untersuchen lassen müssen: Blutuntersuchung, Rachen-Abstrich, lange Fragebögen ausfüllen, das ganze Programm. Dass die Leute sich darauf einlassen, ist nicht selbstverständlich. Deshalb sollten wir ihnen heute Morgen ein beherztes Dankeschön zurufen – und darauf hoffen, dass Herr Streeck tatsächlich zum Helden wird. Ob das klappt, berichten Ihnen meine Kollegen Nicole Sagener und Manfred Schäfer: Sie werden über die heutige Vorstellung der Heinsberg-Studie und ihren Verlauf in den kommenden Tagen berichten.


ZITAT DES TAGES

"Ich will sagen, dass die Europäische Union vor der größten Bewährungsprobe seit ihrer Gründung steht. (…) Deutschland wird es auf Dauer nur gut gehen, wenn es Europa gut geht. (…) Es wird darum gehen zu zeigen, dass wir bereit sind, unser Europa zu verteidigen, es zu stärken. Auch da ist Deutschland bereit, seinen Beitrag zu leisten."

Angela Merkel zu den Bitten Italiens und Spaniens nach mehr Geld aus Brüssel. Die Bundeskanzlerin will den EU-Staaten günstige Kredite aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus, Bürgschaften und Geld für Kurzarbeitmodelle gewähren – aber gemeinsame Staatsanleihen ("Eurobonds" oder "Coronabonds") verhindern. Vizekanzler Olaf Scholz soll die Linie in der heutigen Runde der Euro-Finanzminister vorgeben, Merkel selbst will sie dann in der Videoschalte der EU-Staats- und Regierungschefs voraussichtlich am Donnerstag durchsetzen. Das klingt nach einem klugen Kompromiss: Solidarität zeigen, ohne alle finanziellen Dämme einzureißen.


WAS LESEN, HÖREN UND ANSCHAUEN?

Wer sich mit dem Coronavirus angesteckt hat, ist anschließend immun: Die Antikörper im Blut schützen ihn fortan. Können auch neu erkrankte Covid-19-Patienten davon profitieren? Professor Rainer Blasczyk, Leiter des Instituts für Transfusionsmedizin an der Medizinischen Hochschule Hannover, ist Experte auf dem Gebiet und hat es meinen Kollegen Sandra Sperling und Axel Krüger erklärt.


Der Physiotherapeut Uwe Eisner sieht mit Bestürzung, wie hart die Corona-Krise seinen Berufsstand trifft. Im Interview mit meiner Kollegin Sandra Simonsen prophezeit er: Gibt es nicht schnell einen Rettungsschirm für seine Branche, wird es bald kaum noch Therapeuten geben, die Patienten nach einem Klinikaufenthalt versorgen können.


So wie ich arbeiten derzeit auch Millionen andere Berufstätige von Zuhause. Das hat Vorteile, bringt aber auch Probleme mit sich. Der Arbeitspsychologe Jan Digutsch vom Leibniz-Institut für Arbeitsforschung in Dortmund gibt uns in unserem heutigen Podcast Tipps, wie das Homeoffice am besten funktioniert: Er verrät, wie wir die nötige Ruhe bekommen – und erklärt, warum es überhaupt nicht verkehrt ist, sich auch zu Hause adrett zu kleiden, statt im Schlabberpulli vor dem Laptop zu hocken. Muss ich mir unbedingt anhören.


Die deutsche Hauptstadt ist in diesen Tagen kaum wiederzuerkennen: Wo normalerweise das Leben tobt, herrscht gähnende Leere; Straßen und Plätze liegen verlassen da. Auch der renommierte Fotoreporter Lutz Jäkel erkennt seinen Arbeitsalltag derzeit kaum wieder: Normalerweise reist er rund um die Welt, fotografiert in Amerika, Afrika, Asien, Arabien und veröffentlicht preisgekrönte Bücher und Reportagen. Nun sitzt er wie wir alle zu Hause fest. Also hat er sich seine Kamera geschnappt und ist losgezogen, um Berlin abzulichten. Seine Bilder zeigen uns eine Metropole, die plötzlich ganz anders aussieht, als wir sie kennen:


WAS AMÜSIERT MICH?

Dieses Virus hat ja auch sein Gutes.

Ich wünsche Ihnen einen liebreizenden Tag.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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