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Hungerkrise im Südsudan – das Elend darf uns nicht kaltlassen


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Was heute wichtig ist
Wahre Heldinnen

MeinungFlorian Harms

Aktualisiert am 13.11.2019Lesedauer: 6 Min.
Diese Mütter im Flüchtlingslager Wau füttern ihre Babys mit Wasser und Erdnusspaste.Vergrößern des Bildes
Diese Mütter im Flüchtlingslager Wau füttern ihre Babys mit Wasser und Erdnusspaste. (Quelle: F. Harms)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Es gibt schlimme Orte auf der Welt, an denen Menschen leben müssen, die aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Die syrischen Flüchtlingscamps in der Türkei, im Libanon und in Jordanien, die Elendsquartiere im Kosovo und die Lager in Nordafrika. Und es gibt Wau. Nordwestlicher Südsudan, anderthalb Flugstunden von der Hauptstadt Juba entfernt. Eine Siedlung inmitten roten Staubs und grüner Sümpfe. Vor den Toren der Stadt liegt die Schutzzone für geflohene Zivilisten. Neben den aufgeschütteten Erdwällen halten Blauhelme aus Bangladesch und Polizisten aus der Türkei Wache. Sie beschützen mehr als 10.000 Menschen, überwiegend Frauen mit ihren Kindern. Viele ihrer Männer kämpften in den Reihen der Rebelleneinheiten von Oppositionsführer Riek Machar – und weil dessen Kontrahent, Staatspräsident Kiir, derzeit die Oberhand hat, können sie nicht in ihre Dörfer zurück. Ihre Häuser sind zerstört oder es wohnen nun Anhänger des Präsidenten darin. Mindestens zwei Drittel der Frauen haben sexuelle Gewalt erlitten, vermutlich sind es noch viel mehr. Vor marodierenden Soldatenbanden haben sie sich hierher gerettet, viele leben schon seit drei Jahren in der Schutzzone.



Aber was heißt schon leben? Es ist eher ein Vegetieren, das man bei einem Besuch in dem Lager sieht, selbst wenn man von den Stimmen feixender Dreikäsehochs umschwirrt wird. In Hütten aus Holz und Zelten aus zusammengeflickten Plastikplanen hausen die Menschen, schlafen im Staub, besitzen meist nicht viel mehr als die Kleider auf dem Leib. Manche Kinder haben nicht einmal die. Sie hocken nackt im Dreck. In der Regenzeit, die hier ein halbes Jahr dauern kann, verwandelt sich der Boden in ein Inferno aus knietiefem Matsch, in dem Malariamücken, Würmer und anderes Viehzeug gedeihen. Es ist ein Elend, von dem wir in Mitteleuropa kaum etwas erfahren.

Unter einfachsten Bedingungen hausen die Menschen in Zelten und Hütten:

Zwischen den Hütten liegt vielerorts Müll:

Mittendrin in diesem Elend liegt die Mutter-Kind-Station des UN-Kinderhilfswerks Unicef. Gemeinsam mit Nichtregierungsorganisationen wie beispielsweise den Johannitern kümmern sich die Helfer hier um die Frauen und deren hungernde Babys. Sie wiegen und vermessen die Kinder, statten die Mütter mit Erdnusspaste aus und erklären ihnen, wie sie die Kleinen damit füttern. Akribisch wird Woche für Woche der Oberarm-Umfang der Kinder vermessen. Manche Ärmchen sind dünn wie Zweige. Hier gibt es Einjährige, die weniger als fünf Kilo auf die Waage bringen und mit apathischem Blick in die Ferne starren. Während das Leben in Europa, Amerika und auch vielerorts in Asien ein Vergnügen ist, ist es hier eine Qual. Wem könnte man es verdenken, wenn er hier wegwill, am liebsten nach Europa, falls er je davon erfahren hat? Aber hier kommt niemand so weit; den meisten fehlt ja schon das Geld fürs Nötigste. Die Menschen sind gezwungen, im Elend zu verharren.

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Immerhin laufen sie in der Schutzzone nicht mehr Gefahr, misshandelt, vergewaltigt oder ermordet zu werden. Immerhin können die Frauen hoffen, dass ihre Babys überleben. Neun von zehn Kindern im Lager schaffen das – dank der humanitären Hilfe. Und dank ihrer zähen Mütter. "Die Frauen sind die wahren Helden dieses Landes", sagt eine Helferin. "Sie ziehen die Kinder auf, ackern im Haushalt und auf dem Feld, schleppen das Wasser heran – aber werden von den Männern oft wie Menschen zweiter Klasse behandelt." Das ändert sich auch nicht dadurch, dass Kinderreichtum im Südsudan als Statussymbol und Altersvorsorge gilt.

Nachdem ich mich im Flüchtlingslager in Wau mit einigen Müttern unterhalten habe, habe ich denselben Eindruck gewonnen: Diese Frauen sind Heldinnen, und es ist empörend, welches Schicksal sie und ihre Kleinen erdulden müssen. Also widme ich den Tagesanbruch heute diesen Heldinnen und stelle Ihnen einige von ihnen vor:

Das ist Yisma Kamis, sie ist 22 Jahre alt. Ihr einjähriger Sohn Issedé ist unterernährt:

Coleta Marcelo ist erst 17 Jahre alt. Ihre sechsmonatige Tochter Nashrah ist stark unterernährt, was man erst erfährt, wenn man ihren Oberarm vermisst:

Asunta Kelemi ist 33 Jahre alt und hat vier Kinder. Als vor drei Jahren in ihrem Dorf Kämpfe ausbrachen, musste sie fliehen. Seither lebt sie in der Schutzzone. Ihr Sohn Samuel ist ein Jahr alt und unterernährt:

Die Zwillinge Salama und Sarah sind zehn Monate alt und wiegen beide weniger als fünf Kilogramm. Eines der Kinder hat heftigen Durchfall. Ihre Mutter Monica macht sich große Sorgen, ob es überleben wird:

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Das ist Liva mit ihrem sechs Monate alten Jungen Salman:

Schon die Kleinen bekommen Wasser aus Bechern zu trinken:

Erst werden Mutter und Kind gemeinsam, dann nur die Mutter gewogen. So erfährt man das Gewicht der Babys. Moderne Babywaagen gibt es nicht:

Die Entwicklung der Babys wird akribisch verzeichnet:

Jedes dieser Erdnusspaste-Päckchen enthält 400 Kalorien. Ein Kind braucht drei davon pro Tag:


Gäste werden in der Mutter-Kind-Station herzlich aufgenommen:

800 Mutter-Kind-Stationen haben Hilfsorganisationen im Südsudan errichtet, trotzdem schlagen sie Alarm: Der Hunger nimmt nicht ab, sondern zu. Unicef rechnet damit, dass in den kommenden zwei Jahren mehr als 1,3 Millionen Kinder unter fünf Jahren unterernährt sein werden. Die Ungewissheit, ob der Frieden hält, die egoistische Ignoranz der Politiker in der Regierung, in der Opposition, aber auch in den Nachbarstaaten, die von der Schwäche des Südsudan profitieren, die zunehmenden ethnischen Konflikte und vor allem die verheerenden Überschwemmungen machen das Leben für Millionen Menschen hier zur Pein (mein Kollege Patrick Diekmann hat die Lage in einem Überblicksartikel zusammengefasst). Als ich darüber mit einer der Helferinnen sprach, rief sie empört aus: "Das ist doch ein Skandal! Warum interessiert das die Menschen in Europa so wenig? Fände so eine Hungerkrise dort statt, gäbe es einen Aufschrei. Die Welt darf es nicht zulassen, dass hier so viele Kinder leiden und sterben!"

Dem habe ich nichts hinzuzufügen.


WAS STEHT AN?

Das Europaparlament in Brüssel gedenkt heute des Mauerfalls, Hauptredner ist Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble. Da er ein sehr guter Redner ist, dürfen wir einiges erwarten.

Die Mitglieder des Bundestags-Rechtsausschusses wollen ihren Vorsitzenden Stephan Brandner abwählen. Der AfD-Mann hatte sich mehrfach mit höhnischen Sprüchen gegen Ausländer und Juden hervorgetan. Beschämend.

In Brasilia treffen sich die Chefs der aufstrebenden BRICS-Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika. Sie wollen bei Wirtschaftsinnovationen und dem Kampf gegen die organisierte Kriminalität enger kooperieren.

Israels Sicherheitskräfte haben gestern den Militärchef des Islamischen Dschihad im Gazastreifen, Baha Abu Al Ata, getötet. Als Reaktion feuerte die militante Palästinensergruppe Raketen auf Israel, in Tel Aviv heulten die Sirenen. Israel holte zum Gegenangriff aus – mindestens acht weitere Palästinenser starben. Die Lage ist auch heute angespannt – sowohl in den israelischen Städten als auch im Gazastreifen, dem größten Gefängnis der Welt.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan besucht heute US-Präsident Donald Trump. Der eine hat Nordsyrien von den Kurden erobert, der andere hat ihm Platz gemacht, indem er die Kurden im Stich ließ. Da haben sich zwei gefunden.

Zeitgleich beginnt in Washington die erste öffentliche Anhörung im Zuge der Ermittlungen für ein mögliches Amtsenthebungsverfahren gegen den US-Präsidenten. Trump soll vom ukrainischen Staatschef verlangt haben, dass er gegen den Sohn seines demokratischen Rivalen Joe Biden ermittelt. Als Zeuge ist unter anderem der geschäftsführende US-Botschafter geladen.


WAS LESEN?

Russische Spione in Deutschland haben jahrelang über YouTube-Kanäle mit ihrer Zentrale in Moskau kommuniziert. Kurz nach ihrer Haftentlassung sind neue Videos aufgetaucht. Mein Kollege Jonas Müller-Töwe ist den Spuren gefolgt.


Die VW-Marke Skoda ist in den vergangenen Jahren einen weiten Weg gefahren: steil nach oben. Die Verkaufszahlen der Tschechen wuchsen genauso wie ihr Ansehen in der Autowelt. Längst nimmt man sie auch bei der Konzernmutter Volkswagen als Rivalen wahr. Das liegt auch an einem besonderen neuen Modell, erklärt unser Autoredakteur Markus Abrahamczyk.


WAS AMÜSIERT MICH?

Wie steht es eigentlich um die Diskussion in der SPD, ob sie weiterregieren will?

Ich wünsche Ihnen einen zuversichtlichen Tag.

Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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