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Tagesanbruch – Bastian Schweinsteigers Abschied: Einmal ein Held sein…


Meinung
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Was heute wichtig ist
Einmal ein Held sein

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 09.10.2019Lesedauer: 5 Min.
Die Mannschaftsärzte flicken Bastian Schweinsteiger während des WM-Finales 2014.Vergrößern des Bildes
Die Mannschaftsärzte flicken Bastian Schweinsteiger während des WM-Finales 2014. (Quelle: imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Ein Held sein. Nur einen einzigen Tag. Ja, das wäre schön. Stattdessen: grauer Oktoberalltag. Weckerklingeln (viel zu früh), aufstehen, irgendwelche Politikersätze im Radio, Kaffee aufs Hemd geschüttet, Mist. Neues Hemd, dann los. Draußen Regen, wieder Mist. Büro. E-Mails. Endlose Meetings. Noch mehr E-Mails. Ein Kunde, der sich wohl für Dschingis Khan persönlich hält (mindestens). Dringend die Präsentation für nächste Woche machen. Der Chef wollte auch noch irgendwas. Erst mal Mittag. In der Kantine wieder nur Karottensuppe, wer will so was essen? Zurück zu den E-Mails, Meetings, Präsentationen. Abends irgendein Film, Handlung gleich wieder vergessen. Augen zu, Gute Nacht. Wieder kein Held gewesen. Mist.

Einmal ein Held sein. Nur einen Tag. Wie der unvergleichliche David Bowie im besten Popsong aller Zeiten trällerte: "Oh, wir können sie schlagen. Für alle Zeiten. Dann sind wir Helden. Nur diesen Tag." Aber Bowie ist tot. Mist, verdammter. Also ein anderer Held. Einer, der uns zum Jauchzen gebracht hat.

13. Juli 2014 in Rio de Janeiro, eine schwüle Nacht. Im Maracana-Stadion läuft die 108. Minute des WM-Endspiels. Auf dem Rasen liegt ein Held. Völlig abgekämpft. Zuckende Beine, blutende Wunde im Gesicht. Ein Argentinier hat ihn umgehauen. Aber er steht wieder auf. Er steht immer wieder auf. Er peitscht sein Team mit letzter Kraft voran. Khedira weg, Kramer weg. Also muss er es richten. Antreiben, ackern, niemals aufgeben. Den Magier Messi entzaubern. Die Tritte der Gegner wegstecken. Hinten dicht halten und vorne einen Pass nach dem anderen servieren. Noch einen Kopfball und noch einen und noch einen. Immer auf die Rübe. Sagenhafte 15,3 Kilometer flitzt er an diesem Abend über den Rasen, mehr als alle anderen. Zuletzt mit Blut im Gesicht. "Das gehört dazu, da muss man sich einfach reinhauen", wird er nach dem Abpfiff sagen. "So ein Spiel spielt man nicht so oft in seinem Leben."

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Nein, so spielt man nur ein einziges Mal. Ein Heldenspiel, an dessen Ende Mario Götze die deutsche Nationalmannschaft zum WM-Titel brustvolleyzackreinballerte. Aber der wahre Held des Abends war ein anderer. Gestern hat er seine aktive Fußballkarriere beendet. Grund genug, dass wir uns vor Bastian Schweinsteiger verneigen – selbst dann, wenn wir das Spiel mit dem Ball und den 22 Typen für die nebensächlichste Sache der Welt halten. Manchmal kreieren sogar Nebensachen Helden. Und sei es nur für einen Tag. Wenn wir das verstehen, dann geht uns der Büroalltag gleich viel leichter von der Hand. Sogar die E-Mails.

Und falls Schweinsteigers Nachfolger heute Abend in Dortmund gegen Argentinien verlieren sollten, ist das auch kein Beinbruch. Ist ja nur ein Freundschaftsspiel. Und bis zur EM bleiben noch acht Monate, um zu Helden zu reifen. Und sei es nur für einen Tag.


WAS STEHT AN?

Ob in Behörden, Unternehmen oder auf dem Land: Deutschland ist vielerorts eine Digitalwüste, und die Regierungsparteien tragen eine große Mitverantwortung für die Dürre. Das wurde viel und oft beklagt, auch hier im Tagesanbruch. Immerhin die CDU hat das nun erkannt und in einem Strategiepapier aufgeschrieben, was sie künftig anders machen will. Die Bundeskanzlerin hat die Digitalisierung gar zur "Chefsache" erklärt und lässt sich gemeinsam mit ihren Ministern von einem Digitalrat beraten. Dessen Mitglieder sind ausgesprochen anregende Gesprächspartner, wie wir kürzlich erfahren durften. Sie erklären den Regierenden beispielsweise, wie agiles Arbeiten und modernes Projektmanagement funktionieren. Die Chefrunde, Digitalkabinett genannt, tagt heute allerdings erst zum dritten Mal – binnen anderthalb Jahren.

Merke: Das Synonym für "Chefsache" lautet hierzulande "lange Bank". Auf die schiebt man alles, was man für super wichtig hält, aber weder Lust hat, sich wirklich intensiv damit zu beschäftigen noch zulassen will, dass sich andere damit profilieren. So trottet Deutschlands Verwaltung der Digitalisierung hinterher, während andere europäische Staaten uns enteilen. Pass beantragen, Wohnung oder Auto ummelden, Steuererklärung machen, eine Firma gründen, wählen: Ginge alles mit ein paar Tippern auf dem Smartphone. Geht nicht hierzulande. Moment, bin ich zu pessimistisch? Heute will das Bundeskabinett endlich mehrere digitale "Leuchtturmprojekte" verabschieden. Meine Kollegin Laura Stresing hat die Details vorab aus dem Kanzleramt erfahren.


In der Türkei wird heute das Urteil im Prozess gegen den deutschen Menschenrechtler Peter Steudtner erwartet. Neben ihm, der inzwischen nach Deutschland zurückgekehrt ist, sind sein schwedischer Kollege Ali Gharavi, der Amnesty-International-Ehrenvorsitzende der Türkei, Taner Kilic, und neun weitere Menschenrechtler angeklagt. Allen wird "Mitgliedschaft in einer Terrororganisation" oder "Terrorunterstützung" vorgeworfen, darauf stehen bis zu 15 Jahre Haft. Eine absurde Anklage in einem Staat, der sich von einer Demo- in eine Autokratie entwickelt.


In Kopenhagen beginnt die Weltstädtekonferenz. Unter dem Motto "Die Zukunft, die wir wollen" treffen sich 90 Bürgermeister aus aller Welt und überlegen, wie sich Städte dem Klimawandel anpassen können. Die deutschen Vertreter können dort bestimmt einiges lernen. Und sei es nur, wie man eine Großstadt vom Auto- auf Fahrradverkehr umstellt.


DIE GUTE NACHRICHT

Apropos Verkehr: Wussten Sie, dass Ampeln einen Großteil der Autoabgase in Städten verursachen? Und dass die Parkplatzsuche bis zu 30 Prozent des innerstädtischen Verkehrs ausmacht? Das geht ganz anders – und Wuppertal macht es vor: In Zusammenarbeit mit KI-Forschern entwickeln die Behörden intelligente Ampeln, die den Schadstoffausstoß stark reduzieren. Daran könnten sich andere Städte ein Beispiel nehmen. Am besten gleich auf der heute beginnenden Verkehrsministerkonferenz in Frankfurt.


WAS LESEN?

Donald Trumps Ukraine-Affäre wird immer abenteuerlicher. Nun rückt der amerikanische EU-Botschafter ins Zentrum der Verstrickungen: Hat Gordon Sondland Diplomaten gedrängt, Trumps persönliche Interessen über alles zu stellen? Unser Washington-Korrespondent Fabian Reinbold erläutert Ihnen die Hintergründe.


Die Ungleichheit in Deutschland nimmt zu. Der Grund dafür sind aber nicht gierige Reiche, hilflose Arme oder gleichgültige Staatsorgane. Die Ursache wurzelt anderswo, erklärt unsere Wirtschaftskolumnistin Ursula Weidenfeld.


WAS AMÜSIERT MICH?

Falls Sie noch nicht wussten, dass Herr Oberstudienrat Professor Dr. Donald Trump mit "unübertroffener Weisheit" gesegnet ist, dann wissen Sie es jetzt. Deshalb darf er auch mit Fug und Recht ganz hoch zu Ross sitzen.

Ich wünsche Ihnen einen heldenhaften Tag. Herzliche Grüße

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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