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Wachsende Ungleichheit in Deutschland: Der Denkfehler der Regierungskritiker


Meinung
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Debatte um Wohlstand und Armut
Das ist der Denkfehler der Regierungskritiker

MeinungEine Kolumne von Ursula Weidenfeld

Aktualisiert am 09.10.2019Lesedauer: 3 Min.
Eine Frau bettelt: Eine Untersuchung des Hans-Böckler-Instituts zeigt, dass die Ungleichheit in Deutschland zuletzt stark gestiegen ist.Vergrößern des Bildes
Eine Frau bettelt: Eine Untersuchung des Hans-Böckler-Instituts zeigt, dass die Ungleichheit in Deutschland zuletzt stark gestiegen ist. (Quelle: Future Images/t-online)

Die Ungleichheit ist gestiegen. Der Grund dafür sind aber nicht gierige Reiche, hilflose Arme – oder dass der Staat gleichgültig wäre. Der Grund liegt woanders.

Kaum ein Thema regt die Deutschen so auf wie die Ungleichheit. Mehr noch als um das Klima oder die eigene Gesundheit sorgen sich die Menschen, dass die Ungleichheit wachsen könnte. Sie fürchten den eigenen sozialen Abstieg – oder den ihrer Kinder. Es ist also kein Wunder, dass die neue Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung für große Aufregung sorgt. Nach Jahren des Stillstands ist die Ungleichheit in Deutschland zuletzt stark gestiegen. Ungleicher als heute waren die Menschen seit dem Mauerfall nicht.

Was die Ungleichheit wachsen lässt

Ein Grund für Sorge? Genauer hinschauen schadet auch nicht. Denn dann finden sich für die Nachricht weniger alarmierende Gründe.

Große Ungleichheit ist nicht nur ein individuelles Problem. Je ungleicher die Gesellschaft eines Landes ist, desto brüchiger wird der Zusammenhalt. Das Wirtschaftswachstum lässt nach, die gesellschaftlichen Schichten kapseln sich ab, der Aufstieg wird immer schwieriger. Begabte Kinder kommen nicht weiter, wenn sie im falschen Milieu groß geworden sind. Politische Spannungen nehmen zu. Deshalb ist es richtig und wichtig, sich mit dem Thema zu beschäftigen.

Doch die gewachsene Ungleichheit, die die Hans-Böckler-Stiftung nun festgestellt hat, ist nicht durch die Raffgier der Reichen, die Hilflosigkeit der Armen oder die Tatenlosigkeit eines gleichgültigen Staates entstanden. Sie hat vor allem einen Namen: Migration. Nach Deutschland sind in den vergangenen Jahren rund eine Million Menschen zugewandert – von 2010 bis 2016 insgesamt drei Millionen.

Wann die Ungleichheit zum Skandal wird

Niemand würde erwarten, dass sie heute reiche Leute sind. In der Regel haben sie kein großes Vermögen mitgebracht und die wenigsten von ihnen arbeiten heute als Chefärzte oder Studienräte. Die meisten sind in den ersten Jahren entweder auf staatliche Unterstützung angewiesen, arbeiten in Helferberufen – oder beides. Dass diese Menschen arm sind, ist kein Skandal. Es ist normal.

Skandalös würde die Tatsache gewachsener Ungleichheit erst, wenn auch die Kinder dieser Migranten – sofern die Familie dauerhaft in Deutschland bleibt – arm blieben. Wenn sie von den Bildungsmöglichkeiten eines Wohlstandslandes abgeschnitten würden und keinen Berufsabschluss machen könnten. Wenn die Frauen und Mädchen dieser Familien keine Berufsausbildung erhielten und nicht arbeiten dürften. Erst dann wäre der Anstieg der Ungleichheit ein Grund, sich Sorgen zu machen.

Integration der Flüchtlinge läuft gut

Davon aber ist nicht auszugehen. Die Integration der Flüchtlinge von 2015 in den Arbeitsmarkt läuft einigermaßen erfreulich. Die Kinder und Jugendlichen aus Migrantenfamilien besuchen die Schule, viele sind bereits in einer Ausbildung. Es gibt also keinen Grund anzunehmen, dass die gewachsene Ungleichheit in Deutschland ein gesellschaftlicher Dauerzustand wird. Wenn sich die Vorzeichen auf dem Arbeitsmarkt nicht ändern, ist sie ein Übergangsstadium.

Für die meisten deutschen Staatsbürger waren die vergangenen zehn Jahre eine Zeit der erfreulichen Lohnentwicklung, des wachsenden Wohlstands und der besseren Lebensbedingungen. Dazu passen die Aussagen von mehr als 90 Prozent der Deutschen, dass sie mit ihrem Leben sehr zufrieden oder mindestens ziemlich zufrieden sind.

Was wirklich gegen die steigende Ungleichheit helfen würde

Nur in wenigen Bereichen lohnt es sich, bei der mehr als erfreulichen Einkommens- und Vermögensentwicklung der Reichen genauer hinzuschauen:

  • Immobilieneigentümer, die ihre Wohnungen oder Geschäftshäuser vermieten, haben in jüngster Vergangenheit deutlich höhere Einkommen erzielt als zuvor.
  • Vermögende profitieren immer noch davon, dass die Vermögensteuer nicht mehr erhoben wird.
  • Die Erbschaftsteuer belastet Vermögen so ungleich, dass Familienunternehmer im Vergleich mit anderen Reichen beim Erbübergang seit einigen Jahren deutlich besser gestellt sind.

Doch dieser Entwicklung kommt man mit der Kur, die die Hans-Böckler-Stiftung empfiehlt, nicht bei. Die Reichen würden nicht gerechter zur Finanzierung des Gemeinwohls herangezogen, wenn es mehr Tarifbindung, ein höheres Existenzminimum, oder einen deutlich höheren Mindestlohn gäbe. Die Forderung für sie müsste heißen: Gleiches steuerlich gleich zu behandeln. Das bedeutet zum Beispiel, die Abgeltungsteuer abzuschaffen. Oder eine einheitliche Erbschaftsteuer für alle einzuführen.


Darüber muss man vernünftig diskutieren. Doch dafür braucht man zuerst eine vernünftige Armutsdebatte. Und keine, in der eine irrationale Angst vor sozialem Abstieg geschürt wird.

Ursula Weidenfeld ist Wirtschaftsjournalistin in Berlin. Ihr neuestes Buch heißt: "Regierung ohne Volk. Warum unser politisches System nicht mehr funktioniert."

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