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Tagesanbruch – Brexit-Drama in London: Neuwahlen abgeschmettert


Meinung
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Was heute wichtig ist
Die Selbstzerstörung

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 10.09.2019Lesedauer: 5 Min.
Premierminister Boris Johnson bei der Abfahrt aus dem Parlament letzte Nacht.Vergrößern des Bildes
Premierminister Boris Johnson bei der Abfahrt aus dem Parlament letzte Nacht. (Quelle: Hannah McKay/reuters)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Selbstzerstörung, die: "Zerstörung der eigenen psychischen, physischen Existenz". So definiert der Duden den Begriff. Im Englischen kommt er ebenso handfest daher: self-destruction klingt nicht minder martialisch – doch vermögen die Briten das düstere Wort mit ganz besonderer Leidenschaft aufzuladen.

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Wie oft das Brexit-Drama im Tagesanbruch wohl schon Thema war? Ich habe aufgehört zu zählen, und mir fehlen, offen gestanden, langsam die Worte. Doch irgendwie schaffen es die Exzentriker in Westminster dann doch immer wieder, dem Irrwitz noch mal eine neue Krone aufzusetzen. Welche Wörter beginnen eigentlich noch mit "selbst-"? Ah ja, selbstherrlich zum Beispiel, selbstmörderisch auch. Wie eine ganze Nation jahrelang um sich selbst kreisen kann, während sie bei jeder Umdrehung an Einfluss, Autorität und Ansehen verliert, wie Millionen Menschen sehenden Auges ins politische Chaos rennen, darauf passen wohl wirklich nur noch die Wörter aus den martialischen Spalten des Duden.

Ja, natürlich gibt es auf der Insel auch Millionen Bürger, die über das Drama ebenso bestürzt sind wie unsereins. Und noch mal ja, das Parlament hat auf den allerletzten Metern doch noch versucht, vor dem Abgrund die Handbremse zu ziehen. Und auch zum dritten Mal ja: Natürlich nötigt uns das Ringen eines Landes um seine politische und wirtschaftliche Zukunft Respekt ab, solange es im Rahmen der demokratischen Regeln stattfindet. Jetzt das Aber: Die Demokratie ist angewiesen auf die Kompromissbereitschaft der Entscheidungsträger, sie ist verletzlich, sie verkümmert, wenn man sie nicht hegt und pflegt.

Während Sie (vermutlich) schliefen, hat das Unterhaus um 1:30 Uhr in der Nacht den Antrag des Premierministers auf Neuwahlen abgeschmettert. Damit treten wir in die kritische Phase ein. Zwar ist auch das Gesetz gegen einen ungeregelten Brexit in Kraft getreten – doch den Premier scheint das nicht zu jucken, und ab heute müssen die Abgeordneten zwangsweise zu Hause bleiben. Parlamentssprecher John Bercow (der mit den Oooooorder!-Rufen) hat gleich mal seinen Rücktritt angekündigt, aber das ist ja nur noch ein Detail in der langen Liste der britischen Absurditäten.

Belogen von der Boulevardpresse, aufgestachelt von machtversessenen Politikern, instrumentalisiert von einem skrupellosen Strippenzieher und berauscht von einem fadenscheinigen Hurra-Patriotismus, ist cool Britannia drauf und dran, sich ins Fegefeuer des No-Deal-Brexits zu stürzen – und nimmt dabei in Kauf, dass auch die EU-Wirtschaft Feuer fängt. Big Boris, hemmungslos und ab heute unbeaufsichtigt, pustet derweil fröhlich in die Flammen. "Wahnsinn bei Großen darf nicht ohne Wache gehen", hat der größte englische Dramatiker einst notiert. 400 Jahre nach seinem Tod geben sich die Nachgeborenen allergrößte Mühe, Shakespeares Mahnung zu ignorieren. Sic transit gloria mundi.


Das Entsetzen über den schweren Verkehrsunfall in Berlin-Mitte hat die Debatte über SUVs neu angefacht. Grünen-Politiker fordern eine Obergrenze für die aufgeplusterten Autos, andere wollen sie gleich ganz aus Innenstädten verbannen. FDP-Leute fauchen zurück und werfen den Grünen "AfD-Logik" vor. Logisch ist weder das eine noch das andere.

Schon richtig, die dicken Wagen können bedrohlich wirken, sie nehmen in Städten viel Platz weg, sie sind besonders klimaschädlich – und es werden trotzdem immer mehr davon verkauft. Das ist paradox. Doch schon die Debatte um ein Tempolimit auf Autobahnen hat gezeigt: Deutsche mögen Verbote nicht, wenn es um ihr heiligs Blechle geht, und gegen große Teile der Bevölkerung lässt sich keine Politik machen. Der Schlüssel zu einer klimaschonenden und sichereren Mobilität in deutschen Städten liegt eher in einer Kombination aus mehreren Schritten: viel mehr Tempo-30-Zonen, viel mehr Ladestationen für E-Autos, eine faire Innenstadt-Maut, der massive Ausbau des öffentlichen Nah- und Regionalverkehrs sowie eine konsequente Umgestaltung des Straßenverkehrs gemäß dem Prinzip "Radler haben Vorrang". Kopenhagen hat gezeigt, wie das geht. Deutsche Städte können viel davon lernen.

Und wer jetzt sagt: Den Unfall in Berlin hätte all das aber auch nicht verhindert, der Fahrer soll doch einen epileptischen Anfall gehabt haben – dem entgegne ich: aber viele andere Unfälle womöglich schon.


WAS STEHT AN?

Im Bundestag beginnt die Haushaltswoche, Finanzminister Olaf Scholz (SPD) stellt seinen Etatentwurf für 2020 vor. Hinter vielen Posten steht allerdings ein Fragezeichen. Die geplante Grundrente, der geplante Breitbandausbau, die geplanten Extras für die Bundeswehr, die geplante Digitalisierung der Schulen: Ja, die Regierung hat eine ganze Menge geplant, von dem sie noch nicht genau weiß, wie sie es bezahlen soll. Und dann kommen am 20. September ja auch noch all die Ideen für den Klimaschutz hinzu. Da das Steuergeld derzeit nur so hereinprasselt, lässt sich das Meiste mit ein paar buchhalterischen Tricks womöglich ohne Neuverschuldung finanzieren. Trotzdem darf man fragen, ob es nicht auch anders geht.


Die OECD stellt heute ihre neue Studie vor: Sie hat in 46 Ländern untersucht, wovon der Bildungserfolg abhängt. Dabei ahnen wir das doch schon.


DIE GUTE NACHRICHT …

... ist heute eine gute Idee. Ganz neu ist sie nicht, und die Details müssen noch hinterfragt werden. Aber die Richtung stimmt: Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) plant eine Bundesstiftung, über die sich jeder Bürger am Klimaschutz beteiligen und dabei auch noch Geld verdienen kann. Mehr dazu erfahren wir in der "Süddeutschen Zeitung".

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WAS LESEN?

Wir erleben turbulente politische Zeiten, die Extreme erstarken – nicht nur rechts, auch links. Nach den AfD-Erfolgen in Sachsen und Brandenburg halten es manche Publizisten für angemessen, alle AfDler als "Nazis" und "Faschisten" zu brandmarken. Unser Kolumnist Gerhard Spörl erklärt, warum das Unsinn ist.


Kann man noch lieben, wenn man sein Gedächtnis verliert? Was passiert mit einer Familie, wenn die heile Welt von einer auf die andere Minute zerbricht? Und was macht eine prominente Britin, die vom Brexit-Chaos die Nase voll hat? Drei von fünf Geschichten in spannenden Büchern, die unsere Literaturexpertin Alexandra Schlüter Ihnen hier vorstellt.


Kaum ein Wirtschaftszweig belastet die Umwelt so stark wie die Textilindustrie. Die Bundesregierung hat deshalb gestern den "Grünen Knopf" eingeführt: Das Siegel soll Konsumenten beim sozialen und nachhaltigen Kleiderkauf unterstützen. Aber was taugt es wirklich? Meine Kollegin Ana Grujic hat genauer hingeschaut.


WAS SCHREIBEN DIE LESER?

Im gestrigen Tagesanbruch ging es um China. Dazu kommentiert ein Leser im Forum: "Das von Herrn Harms beschriebene China wurde doch unter gütiger deutscher Mithilfe zu dem, was es heute ist. Massenweise ließen deutsche Firmen in China produzieren, weil dort die Profite höher waren als hier. Sogar unsere Hochtechnologien wurden dorthin verkauft, weil die Profitgier der Aktionäre und Unternehmer eben keine Grenzen kennt. Und jetzt fürchtet man, dass Europa und insbesondere Deutschland von den Chinesen wirtschaftlich aufgefressen werden."


WAS AMÜSIERT MICH?

Daumen hoch, Victory-Zeichen, Vogel zeigen: Man kann ganz schön viel rüberbringen mit einer kleinen Geste der Hand. Geht übrigens auch ohne Hand, Pfote tut’s auch. Bitte befolgen Sie die Anweisungen Ihres Präriehunds. Danke.

Ich wünsche Ihnen einen behaglichen Tag. Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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