Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Was heute wichtig ist Achten Sie auf den Algorithmus
Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,
wie Florian Harms schon erwähnte, kommt der kommentierte Überblick über die Themen des Tages heute von mir:
WAS WAR?
Europa interessiert offenbar nur wenige. Wir treffen die Entscheidung mit den Füßen: Nicht einmal 50 Prozent der Wahlberechtigten gingen bislang hierzulande zur Europawahl. Zum Vergleich: Bei der Bundestagswahl waren es nie weniger als 70 Prozent. Zu weit weg fühlt sich die europäische Politik an, zu bürokratisch, zu abgehoben. Dass ein Parlament im fernen Straßburg über unser Leben entscheidet, ist ja auch reichlich abstrakt.
Bis zum 26. Mai haben die Parteien die schwierige Aufgabe, für das Thema zu werben. Klassisch geht das in Wahlkämpfen so: Den Gegner kritisieren, eigene Erfolge herausstellen, Emotionen hervorrufen. Und für die Wahl zum EU-Parlament? Schwierig. EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber wirbt damit, aus dem "wirtschaftlichen Giganten auch einen politischen Giganten zu machen". Und beschreibt somit eine zentrale Schwäche Europas. Katarina Barley fragt am Anfang des SPD-Spots: "Was ist eigentlich dieses Europa?". Sie bringt damit zum Ausdruck, dass viele Menschen sich genau diese Frage stellen. Europa reformieren, auf diese Formel haben sich alle Parteien verständigt. Nach einem guten Wahlkampf-Motto sieht das noch nicht aus.
Die Populisten tun sich leichter, das Thema Europa emotional aufzubereiten. Im AfD-Spot sind die entsprechenden Reizworte allesamt verbaut: Regulierungswut, Superstaat, Bürokratie. Und: Die Scharia sei unvereinbar mit den europäischen Grundwerten. Wie bitte? Stört offenbar nicht, dass noch nie jemand erwogen hat, die Scharia in der Europäischen Union einzuführen. Warnen darf man ja mal.
Wie immer werden die Spots auch im Fernsehen ausgestrahlt. Proportional zum Ergebnis der vergangenen Wahlergebnisse erhalten die Parteien Sendezeit. Jeder Wähler darf und soll sich selbst eine Meinung über Sinn und Unsinn des politischen Angebots bilden. "Für den Inhalt des Spots ist ausschließlich die jeweilige Partei verantwortlich", heißt es dann.
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Doch diesmal beschäftigt der Spot einer Partei das Bundesverfassungsgericht. Am Samstag bestätigten die Richter in Karlsruhe im Eilverfahren die Einschätzung von ARD und ZDF: Der NPD-Werbespot erfülle den "Straftatbestand der Volksverhetzung" (wegen Formulierungen wie "Migration tötet", "Messermänner" und "Schutzzonen" für Deutsche). Die Frage, ob in Wahlkämpfen möglicherweise strafbare Inhalte in TV-Spots geduldet werden müssen, beschäftigte Karlsruhe damit schon zum zweiten Mal. Im Europawahlkampf 1984 urteilten die Richter, ein "robusterer Sprachgebrauch" sei in Wahlkämpfen durchaus zumutbar. Die NPD ging über "robust" aber deutlich hinaus. Das Verfassungsgericht hat nun klar benannt, wo in Wahlkampfzeiten die Grenze der Meinungsfreiheit überschritten ist.
Wenn Sie nun wissen wollen, worum es in dem Werbespot der NPD eigentlich ging, werden Sie vermutlich anfangen zu googeln. Oder gleich auf Facebook oder YouTube nachsehen, ob sie den Spot finden können. Und damit sind sie natürlich nicht allein. Im Netz ist ja alles immer nur einen Klick weg. Im Fernsehen wäre der Spot lediglich zweimal zu sehen gewesen. Im Netz dürfte er sich nun deutlich größerer Beliebtheit erfreuen.
Unsere Meinung über Parteien bilden wir uns schon längst nicht mehr mit wohlproportionierter TV-Wahlwerbung. Während im Fernsehen die Sendezeit nach Abschneiden bei den letzten Wahlen verteilt wird, wird die Aufmerksamkeit bei Facebook dem gegeben, der die meisten Likes und Kommentare erhält. Solche Beiträge sortiert Facebook weiter nach oben. Wer schreit, gewinnt. Facebook interessiert das Urteil des Verfassungsgerichts erst einmal nicht.
Wir sind also im Wahlkampf nun gefordert, nicht nur Inhalte von Parteien und deren Personal miteinander zu vergleichen. Wir müssen auch darauf achten, wessen Facebook-Posting uns angezeigt wird und warum. Wer sinnlose emotionale Debatten auf Facebook entfacht, wird vom Algorithmus belohnt. Die Meinungsbildung vor Wahlen macht das nicht gerade einfacher. Wir müssen darauf achten, wer gerade etwas sagt, weil er vor allem unsere Aufmerksamkeit erkaufen will. Wäre ja mal eine Variante für einen Wahlaufruf: "Gehen Sie am 26. Mai zur Wahl und geben Sie acht auf den Algorithmus!"
WAS STEHT AN?
In Kabul beginnt am heutigen Montag eine dreitägige Loja Dschirga, eine große Ratsversammlung. Sie soll beratschlagen, wie mit den Taliban über einen Frieden verhandelt werden kann. Spannend wird sein, wo die Afghanen die roten Linien ziehen werden.
In Straßburg berät der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte über einen schwierigen Fall. Ein Algerier saß wegen Terrorunterstützung sechs Jahre in Haft und sollte anschließend abgeschoben werden. Vor einem Jahr war seine Abschiebung bereits vorläufig gestoppt worden, weil ihm in seinem Heimatland womöglich Folter droht. Das Gericht urteilt voraussichtlich heute, wie in solchen Fällen zu verfahren ist.
Vor Gericht steht heute auch Cathy Hummels. In München muss sich die Sportler-Gattin wegen Schleichwerbung auf Instagram in 15 Fällen verantworten. Es ist nicht der erste Prozess dieser Art, aber wohl der prominenteste Fall. Möglich auch, dass er mit einem Vergleich endet.
Weniger spannend, aber doch wichtig: Emmanuel Macron reist nach Berlin, um gemeinsam mit Angela Merkel die Regierungschefs von Bosnien-Herzegowina, Kroatien, dem Kosovo, Montenegro, Serbien und Slowenien zu empfangen. Es geht um eine Perspektive für den Westbalkan. Und um einen neuen Anlauf, um die Beziehungen zwischen dem Kosovo und Serbien zu normalisieren.
WAS LESEN?
Weltweit erlebt der "starke Staat" eine Renaissance. "Es gibt kaum ein erfolgreiches Land, das zur Bewältigung der Aufgaben ausschließlich und ausnahmslos auf die Kräfte des Marktes setzt", sagt Wirtschaftsminister Peter Altmaier. Unser Kollege Jonas Schaible hat analysiert, wie die FDP auf ihrem Parteitag den Staat als handelndes Subjekt inzwischen sieht. Und kommt zu einem interessanten Schluss. Die Überschrift: Gegen den Rest der Welt.
China ist das Paradebeispiel für wirtschaftlich gelenkten Erfolg. Und wenn Sie sich näher dafür interessieren, wie das geht, empfehle ich Ihnen wärmstens diesen Text über Schanghai zu lesen (auf Englisch). Die Stadt hat 24 Millionen Einwohner. Deren Zahl wird sich in den nächsten dreißig Jahren voraussichtlich fast verdoppeln.
Nach knapp 25 Jahren endet bei der Deutschen Bahn demnächst eine Ära. Nämlich das des Schönen-Wochenend-Tickets. Ich erinnere mich noch, wie ich in Nahverkehrszügen fast einen Tag damit verbracht habe, von München nach Chemnitz zu reisen, um Freunde zu besuchen. Als Gruppe haben wir damals schlappe 15 Mark für das Ticket gezahlt. Die Kollegen der "SZ" sind der Frage nachgegangen, warum das Angebot abgeschafft wird.
Von früheren Zeiten als Spitzenklub in Deutschland und Dauergast im Europapokal ist der 1. FC Köln seit Jahrzehnten kilometerweit entfernt. Als Tabellenführer der zweiten Liga steht der "Effzeh" aber zumindest mal wieder vor dem Aufstieg in die Bundesliga. Alles bestens also? Von wegen. Trotz Platz eins feuerte der Verein nach der achten Saisonniederlage und exakt 300 Tagen seinen Trainer, ausgerechnet den gebürtigen Kölner Markus Anfang. Richtige Entscheidung, urteilt Heiko Ostendorp im "Zweikampf der Woche". Florian Wichert dagegen argumentiert: "Anfang wurde um den Aufstieg betrogen – Köln hat den Falschen entlassen."
WAS AMÜSIERT MICH?
Schon lange nichts mehr vom Brexit gehört? Die BBC hat beim London-Marathon am Sonntag einen, ähm, symbolträchtigen Moment eingefangen. Big Ben scheitert. Obwohl er es immer und immer wieder versucht. Großartig.
Ihr
Peter Schink
Stellvertretender Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de
Twitter: @peterschink
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