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FDP-Parteitag: Gegen den Rest der Welt – eine Analyse


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Parteitag der Liberalen
Gegen den Rest der Welt

Eine Analyse von Jonas Schaible

Aktualisiert am 27.04.2019Lesedauer: 5 Min.
Linda Teuteberg, die FDP-Generalsekretärin, und Christian Lindner, der Parteichef: Wirtschaftspolitik? Soll die Wirtschaft machen, nicht die Politik.Vergrößern des Bildes
Linda Teuteberg, die FDP-Generalsekretärin, und Christian Lindner, der Parteichef: Wirtschaftspolitik? Soll die Wirtschaft machen, nicht die Politik. (Quelle: Britta Pedersen/dpa)
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FDP-Chef Christian Lindner beginnt seine Rede auf dem Parteitag mit einer Warnung. Es müsse sich etwas ändern. Dabei hält die Partei aber an ihren Überzeugungen fest.

Christian Lindner begann seine Parteitagsrede am Freitag in Berlin auf Chinesisch. Vor allem aber begann er seine Rede mit einer Warnung. "Die Gesellschaft und die Wirtschaft ändern sich beständig. Wir müssen mit den Zeiten Schritt halten", so übersetzte er seinen Versuch einer chinesischen Begrüßung. Hinter ihm auf der Leinwand waren zu diesem Zeitpunkt chinesische Schriftzeichen zu sehen. Sie bedeuten: Wirtschaftspolitik.

Dieses Wort tauchte immer wieder auf. Es stand auf der Wand neben der Bühne: "Wer soll unsere Wirtschaftspolitik machen?" Lindner selbst formulierte es so: "Die Chinesen verfolgen ihre Interessen strategisch, zielgerichtet und bisweilen auch aggressiv." Er sage das nicht, um Angst zu schüren, sondern damit das Land endlich aus seiner Bequemlichkeit aufwache. "Wenn wir nicht wieder beginnen, Wirtschaftspolitik zu machen, dann werden es andere für uns tun." Das klingt nach Systemkampf.

Nach "Innovation Nation", dem Motto des Parteitags vor einem Jahr, das nach Startup-Welt klang, ist das ein beinahe altmodisches Leitmotiv – und doch eines, das in die Zeit passt. Denn aktive, steuernde, selbstbewusste Wirtschaftspolitik scheint momentan wieder attraktiver zu werden. Der starke Staat erwacht. Auch und gerade wegen China.

Das große Erwachen des starken Staates

Zuvorderst ist es nämlich China selbst, das beweist, dass ein gelenkter Staatskapitalismus, der systematisch und strategisch vorgeht, immens erfolgreich sein kann. Unternehmen für Unternehmen, Straße für Straße, Hafen für Hafen baut China seinen Einfluss in anderen Staaten aus; zeitgleich zum FDP-Parteitag sind Vertreter von rund 100 Staaten nach Peking gekommen, um dort an der zweiten Konferenz für die so genannte Neue Seidenstraße teilzunehmen. Darunter mehr als 30 Staats- und Regierungschefs. Mit der Förderung von Elektroautos forciert das Land einen Technologiesprung: Anstatt die überlegene Verbrennungsmotortechnik etwa Deutschlands zu imitieren, will China in einer neuen Technik an die Weltspitze.

Aber nicht nur in China wächst die Bereitschaft, selbstbewusst in die Wirtschaft einzugreifen. Donald Trump setzt auch auf einen starken Staat, sogar auf Protektionismus durch Zölle. Unter anderem begann er einen Handelskrieg mit China, das auch er als Konkurrenten beschreibt. Zugleich beleben seine Gegnerinnen und Gegner vom linken Flügel der US-Demokraten mit ihrem Green New Deal ein sehr altes Konzept neu: klassische Steuerung durch den Staat, Innovationsförderung durch Industriepolitik. Zumeist seien in der Geschichte der USA so Innovationen entstanden. Ökonomen, die von den neuen Demokraten gelesen werden, vergleichen das mit der Wirtschaftspolitik der Gründervätergeneration.

Auch der Wirtschaftsminister hat eine Strategie vorgelegt

Und dann gibt es auch noch die Industriestrategie des CDU-Wirtschaftsministers Peter Altmaier, die er kürzlich vorgelegt hat und in der er unter anderem vorschlägt, gezielt die Schaffung von Weltmarktführern zu betreiben. Altmaier schreibt: "Industriepolitische Strategien erleben in vielen Teilen der Welt eine Renaissance, es gibt kaum ein erfolgreiches Land, das zur Bewältigung der Aufgaben ausschließlich und ausnahmslos auf die Kräfte des Marktes setzt."

In dieser Situation sagte die neue Generalsekretärin Linda Teuteberg am Samstag in ihrer Rede, die Liberalen setzten auf einen handlungsfähigen Staat, "der gestaltet und ermöglicht und den Menschen Freiheit und Sicherheit schafft". Und in dieser Situation begann auch schon Lindners Rede auf eine Art, die erwarten ließ, dass die FDP in diese weltweite Auseinandersetzung einsteigt und eine neue, eine eigene, eine spezifisch liberale Form von aktiver Wirtschaftspolitik eines starken Staates entwickeln würde.

Altmaier, der Planwirtschaftsminister?

Wenn der handlungsfähige Staat schon wiederkommt, wer, wenn nicht die Partei, die sich selbst als Wirtschaftspartei versteht, sollte diesen Trend auf eine Art aufgreifen, die der Wirtschaft Raum lässt? Der Parteichef versuchte es nicht. Die neue Generalsekretärin versuchte es nicht. Beide verteidigten stattdessen die Grundüberzeugungen der Liberalen.

So griff Lindner Altmaier besonders scharf an: "Was Herr Altmaier vorgelegt hat, das trägt die Signaturen der Planwirtschaft". Altmaier hatte ein Papier vorgelegt, in dem als Bekenntnis steht: "Die Mittel der Wahl zur Erreichung der Ziele sind grundsätzlich marktwirtschaftlich, privatwirtschaftlich und eigenverantwortlich. Staatliches Handeln kann nur ausnahmsweise, nur vorübergehend und nur in Fällen von grundlegender Bedeutung in Betracht kommen, wenn sich alle anderen Optionen als unzureichend erwiesen haben."

Platz frei für den Einzelnen

Schon das hat für die FDP den Ruch des Sozialismus. Das Chinesisch, das sei ein Gruß an Altmaier, sagt ein Delegierter, weil der Wirtschaftsminister die Freiheiten der Unternehmer einschränken wolle. Lindner sagte in seiner Rede, die FDP wolle nicht das chinesische Modell kopieren. "Eine starke Wirtschaft ist Mittel und Weg, damit diese Gesellschaft ihre Ziele erreichen kann", kein Selbstzweck, sagte Lindner, aber diese starke Wirtschaft, dieses Bild zeichnete Lindner, braucht keinen starken Staat. "Man muss dir nicht helfen. Man darf dich nur nicht verhindern", steht auf einem Plakat.

"Stattdessen müssen wir auf die Kraft der Freiheit setzen und dem Wettbewerb vertrauen", sagte Teuteberg. Oder, in Lindners Worten: "Es ist die Weisheit der vielen, die Zukunft schafft." Das Motto des Parteitags heißt: "Ein Land wächst mit seinen Menschen". Forderungen lauten so: Der Staat müsse Bildung fördern, jede Berufsschule müsse genauso gut ausgestattet sein wie ein Spitzeninstitut. Der Staat müsse Steuern senken, um die Kaufkraft zu fördern, am besten direkt den Solidaritätszuschlag für alle. Er müsse bürokratische Hürden senken. Es brauche mehr Zuversicht.

Konzentrierte Diskussion

Zudem stimmte der Parteitag einem Antrag zu, der sich dafür ausspricht, den Grundgesetzartikel 15 abzuschaffen; der ermöglicht bisher theoretisch die Vergesellschaftung von Eigentum und ist die Grundlage für die Initiative in Berlin zur Enteignung von Wohnungsbauunternehmen. Lindner behauptete gar, dieser Grundgesetzartikel widerspreche dem "Geist des Grundgesetzes". Mindestens symbolisch wird damit die Handlungsfähigkeit des Staates gemindert.

Die Delegierten befassten sich auch mit einem Klimaschutzantrag, in konzentrierter und konstruktiver ausführlicher Diskussion. Im Ursprungsantrag wird gefordert, die 1,5-Grad-Ziele des Pariser Klimaabkommens ernst zu nehmen. Damit ist er ambitionierter als die Klimaschutzziele der Bundesregierung. Er setzt im Kern auf den Emissionshandel und spricht sich klar gegen staatliche Vorgaben für Einsparziele in bestimmten Bereichen aus. Forderungen nach Sektorvorgaben verglich Fraktionsvize Michael Theurer mit der DDR-Planwirtschaft. Auch im Angesicht der Menschheitsaufgabe Klimawandel hält die FDP an ihrer Überzeugung fest, dass die Konsumenten entscheiden sollten und die Technik die Lösung bringen muss.


Während Politiker weltweit mit dem Gedanken spielen, dass der Staat mehr tun könnte, als nur aus dem Weg zu treten, bleibt die FDP bei ihrem alten Selbstverständnis. Man kann auch sagen: Sie bleibt sich treu. Wirtschaftspolitik? Soll am besten die Wirtschaft machen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen vor Ort
  • Nationale Industriestrategie
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