Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch Was heute Morgen wichtig ist
Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,
wir gründen bei t-online.de einen Leserbeirat – und Sie sind herzlich eingeladen, uns mit Anregungen und Kritik dabei zu unterstützen, unser publizistisches Angebot weiterzuentwickeln. Geht ganz einfach.
Und hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:
WAS WAR?
Montag, der 17. Dezember 2018: Der Tag, an dem Deutschland schwarz auf weiß bescheinigt bekommen hat, dass sein wichtigster Wirtschaftszweig von gestern ist. Schluss mit Diesel, Benzinern, Vergaser, Auspuff, PS-Keulen – ab jetzt heißt es: Wer in Europa in die Zukunft mitfahren will, muss auf alternative Antriebe setzen. Und zwar nicht so alibi-verschämt, wie es die Herrschaften in Wolfsburg, Stuttgart, München und Ingolstadt bisher zu tun pflegten, sondern mit Vollgas.
Die Unterhändler der EU-Staaten und des Europaparlaments haben gestern Abend beschlossen: Autos in Europa müssen bis 2030 sehr viel klimaschonender herumbrausen als jetzt. Der Kohlendioxid-Ausstoß von Neuwagen soll um 37,5 Prozent im Vergleich zu dem für 2021 prognostizierten Wert sinken. Für leichte Nutzfahrzeuge – all die Lieferwagen und Sprinter, die durch unsere Innenstädte und über die Autobahnen gondeln – um 31 Prozent.
Was nach Paragrafenhuberei klingt, ist de facto eine Mobilitätsrevolution. Und je nachdem, wie man’s nimmt, entweder eine krachende Niederlage oder ein Motivationsschub für alle deutschen Autoapostel in Konzernen, Ministerien, Kanzleramt. Denn die Vorgaben sind deutlich schärfer, als Industrie und Bundesregierung sie gern gehabt hätten. Aber nur so hat die EU eine Chance, ihre ambitionierten Klimaversprechen einzuhalten.
Schaffen die Autohersteller das? Die neuen Zielwerte sind nur erreichbar, wenn VW, Mercedes, BMW, Audi und Co. künftig sehr, sehr viele Karossen ohne Emissionen verkaufen. Genau: Ganz. Ohne. Emissionen. Also zum Beispiel reine Elektroautos. Problem: Sie wissen noch gar nicht, wie sie das machen sollen. Weil die Batterien nicht so lange halten. Weil sie zu wenig Know-how haben. Weil sie den Kunden jahrelang vorgegaukelt haben, dass mehr PS mehr Glück bedeuten. Jetzt sehen sie nur noch die Rücklichter von Tesla. Wer zu spät kommt, den bestraft die EU.
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Der Himmel: grau. Die Luft: kalt. Die Stimmung: wahlweise Hektik oder Vorfreude. Klarer Fall: Weihnachten steht vor der Tür. Auch die Politik gleitet langsam in den Feiertagstakt, bei den Bundesligaspielen sehen wir Schneeflocken über den Platz wehen, dafür glänzen die Lichter im Showbiz noch etwas heller als sonst.
Borgen wir uns das Licht also für einen Moment und richten es auf den Politikbetrieb, um eine kleine Bilanz des ausklingenden Regierungsjahres zu ziehen und einen Ausblick zu wagen. Was für ein Jahr war 2018? Ein stürmisches, da werden Sie mir wohl zustimmen. Die turbulente Regierungsbildung im Winter und der Asyl/Chemnitz/Maaßen-Streit im Sommer, Merkels vollzogener und Seehofers ungefähr siebenundzwanzigfach angekündigter Abtritt als Parteiboss. Dazu Streit mit Erdogan, Streit mit Putin, Streit mit den Italienern, Streit mit den Briten, den Polen, den Ungarn, den Österreichern auch irgendwie, Aufruhr in Frankreich, und jeden zweiten Tag irgendwas Wildes aus Washington. Die Schweizer und die Luxemburger immerhin waren uns in diesem Jahr unauffällige Nachbarn, sieht man von den weinseligen Einlagen des prominentesten Luxemburgers in Brüssel ab. Ein stürmisches Jahr, in dem der Gurkenfußball von Jogis WM-Jungs auch nicht gerade zur Beruhigung beitrug.
Und nun? Geht das jetzt so weiter mit einer Krisenkoalition, die eher die Angst vor dem Abstieg als die Lust aufs gemeinsame Gestalten zusammenhält? Im Frühherbst hätte ich gesagt: So kann das nicht weitergehen. Heute sage ich: Wir sehen, wie diese große Koalition, die sich in den vergangenen Monaten so oft klein gemacht hat, sich nun ächzend aufrichtet.
In der CDU bläst die Wahl von Annegret Kramp-Karrenbauer frischen Wind durch den eingerosteten Betrieb. Wenn sie und ihr General Paul Ziemiak keine allzu großen Fehler machen und vor allem die Parteibasis weiterhin systematisch einbinden, könnten wir im kommenden Jahr die Renaissance der CDU als Debattenpartei und eine ganze Reihe interessanter Initiativen sehen. Dabei wird die neue Chefin darauf achten, dass zwischen ihr und Kanzlerin Merkel trotz kleiner Differenzen die Harmonie gewahrt bleibt: ein bisschen christlich, ein bisschen sozialdemokratisch, ein bisschen konservativ, ein bisschen irgendwas. Um sich dazwischen auch noch als progressive Kraft zu inszenieren, muss Kramp-Karrenbauer Herausforderungen wie die Digitalisierung und den Kampf gegen die Klimakrise allerdings sehr viel ernster nehmen, als ihre Vorgängerin im Parteivorsitz es getan hat.
Im CSU-Tipi wird im Januar mit großem Tamtam der Abschied von Häuptling Horst zelebriert: Minister darf er noch bleiben, aber im Parteizelt hat er nichts mehr zu sagen. Zugleich können wir dem neuen Häuptling Markus I. dabei zusehen, wie er seine Macht durch Milliardengeschenke festigt und zugleich versucht, mit Sachpolitik wieder mehr Bürger von seiner Herrlichkeit zu überzeugen.
Die AfD beginnt sich zu wandeln. Alexander Gauland lässt plötzlich vernehmen, wie "blöd" er Rechtsradikale finde, Alice Weidel hat ihr Gezeter seit der Parteispendenaffäre auf Zimmerlautstärke runtergedimmt, und obwohl die Partei weiterhin Rechtsextremisten wie Björn Höcke in ihren Reihen duldet: Erste Anzeichen zeigen, dass die Führung offenbar beabsichtigt, einen etwas gemäßigteren Kurs einzuschlagen. Zugleich macht die AfD den altgedienten Parteien vor, wie erfolgreiche Kommunikation über soziale Medien heute funktioniert. Das ist oft perfide und manchmal verlogen, aber immer wieder trifft es auch einen Punkt, vor allem aber ist es: äußerst erfolgreich. Wohl noch nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik hat eine Partei mit vergleichsweise geringen Mitteln so große Effekte erzielt. Im kommenden Jahr wird sich trotzdem die Frage stellen, ob die AfD bereit ist, sich konstruktiv in den demokratischen Diskurs einzuklinken – oder ob sie eine keifende Protestpartei bleiben will. Im ersten Fall kann sie dauerhaft mit einem erklecklichen Wählerpotenzial rechts von der Union rechnen. Im zweiten Fall ist sie irgendwann weg vom Fenster, was dann auch nicht schade wäre.
Auf der anderen Seite des Parteienspektrums steht die Linke ebenso am Scheideweg: Klassenkampf oder Kompromissbereitschaft, Luftschlösser oder Bodenständigkeit, Wagenknecht oder Bartsch?
Die Grünen werden sich im kommenden Jahr wohl von Wahl zu Wahl siegen und langsam daran gewöhnen müssen, dass mit wachsendem Erfolg auch die Last der Verantwortung wächst. Dank des gefühligen Gute-Laune-Kurses ihrer Parteiführung, dank ihrer programmatischen Unverbindlichkeit und vor allem dank der Schwäche ihrer Mitbewerber haben sie das Herz vieler Wähler erobert und sich zu einem begehrten Koalitionspartner von rechts bis links gemausert. Ausgenommen die AfD, würden die Grünen sich wohl mit jeder anderen Partei ins Koalitionsbettchen legen. Vorwerfen kann man ihnen das schwerlich, regieren ist halt spaßiger als opponieren.
Die Liberalen wiederum wollen auch unbedingt, unbedingt, unbedingt!!! regieren, allerdings AUF GAR KEINEN FALL!!! mit Frau Merkel. Den Ziehsöhnen Westerwelles und Solms’ sitzt noch immer der Kater der schwarz-gelben Krachkoalition aus den Jahren 2009 ff. in den Gliedern. Wenn die FDP in den vergangenen Jahren eines gelernt hat, dann dass man in einer Ehe mit Merkel nur eines kann: verlieren.
Womit wir bei der SPD wären. Doch, die gibt es noch. Auch wenn es oft nicht einfach ist, sie zwischen verhärmten Genossengesichtern und frustrierten Ex-Vorsitzenden, die wieder mal irgendwas besser wissen, aufzustöbern. Wer aber suchet, der findet sie, die wahre SPD. Die Partei der jugendlichen Dynamik, der gesellschaftlichen Solidarität und der sozialen Gerechtigkeit. Die Partei des wirtschaftlichen Ausgleichs und des Strebens nach Freiheit. Es gibt sie noch, diese durchaus wählbare Truppe, aber sie befindet sich im Überlebenskampf. Wo sie sich hingegen nicht befindet, das ist das Willy-Brandt-Haus. In der Parteizentrale in Berlin herrscht ein notorisch miesepetriger, erschreckend einfallsloser und atemberaubend unorganisierter Typus betagter Parteisoldaten, die noch jeden Spitzenkandidaten und jede Vorsitzende klein gekriegt haben. "Mittelbau" hat ein Grüppchen schlauer Köpfe diese Herrschaften in ihrer Analyse der Probleme in der SPD genannt.
Man kann sie nennen wie man will, aber solange die SPD es nicht schafft, ihre Funktionäre und ihren Parteiapparat zeitgemäß zu organisieren, helfen das ausgefeilteste Programm, die kampfeslustigsten Chefs und noch so viele politische Erfolge (allein seit März: Rentenpaket, Brückenteilzeit, höheres Kindergeld, Hilfen für Langzeitarbeitslose, Parität in der Krankenversicherung, Musterfeststellungsklage für Dieselfahrer, Gute-Kita-Gesetz, verschärfte Mietpreisbremse): nichts. Aber habe ich oben nicht geschrieben, dass es Hoffnung gibt? Ja, habe ich. Meine ich auch so: Die größte Dynamik in der SPD entfaltet seit Monaten nicht die Parteichefin, sondern der Juso-Chef. Rastlos tingelt Kevin Kühnert durch Ortsverbände, redet, argumentiert, streitet, überzeugt. Von ihm werden wir noch einiges hören.
Ende der Analyse, Licht aus.
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WAS STEHT AN?
Heute Morgen soll die zwischen den jemenitischen Konfliktparteien ausgehandelte Waffenruhe in der strategisch wichtigen Hafenstadt Hudaida beginnen. Es könnte das Pflänzchen der Hoffnung für Millionen Menschen sein.
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Diese Bilder hier sorgten vor zwei Jahren für Entsetzen. Jetzt werden die Krawalle auf der Hamburger Elbchaussee während des G20-Gipfels in einem Prozess aufgearbeitet. Angeklagt sind vier junge Männer aus Hessen und ein 23-Jähriger aus Frankreich.
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In Washington wird heute das Strafmaß gegen Donald Trumps ehemaligen Sicherheitsberater Michael Flynn verkündet. Er hat sich selbst schuldig bekannt, bei FBI-Verhören über Kontakte mit dem damaligen russischen Botschafter gelogen zu haben.
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In London feiert heute der weltbeste, lässigste, launigste und überhaupt großartigste lebende Gitarrist seinen 75. Geburtstag. Sie wissen schon, wen ich meine.
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"Wusstet ihr, dass der an Silvester entstehende Feinstaub 17 Prozent der jährlich im Straßenverkehr rausgeblasenen Menge entspricht?" Dieser Satz einer Kollegin in unserer Redaktionskonferenz ließ uns aufhorchen. Schnell waren sich alle einig: Die Böllerei zu Silvester muss nicht sein. Sie ist teuer, sie verursacht jede Menge Müll, sie ist gefährlich. In anderen Ländern haben die Menschen ohne Böllerei trotzdem Spaß – warum sollte das hierzulande nicht auch gehen? Mit dem Geld lässt sich Sinnvolleres anstellen. Deshalb rufen wir Sie auf, " Ja" zu sagen zu #BesserOhneBoeller. Stimmen Sie mit uns und tragen Sie die Aktion weiter. Wir wollen bis zum 31. Dezember 100.000 Stimmen sammeln. Falls Sie noch zweifeln oder Argumentationshilfe in der Familie, im Freundeskreis, auf der Arbeit benötigen: Mein Kollege Henning Seelmeyer hat hier die wichtigsten Argumente zusammengefasst.
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WAS LESEN?
Nach dem Migrationspakt haben die Vereinten Nationen nun also auch noch einen Flüchtlingspakt gebilligt – was steht drin, warum ist er notwendig, ist er rechtlich bindend und was unterscheidet die beiden Pakte? Mein Kollege David Ruch klärt Sie auf.
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Die Grünen-Politikerin Claudia Roth fordert, dass während des Ramadan in Deutschland kein Alkohol verkauft werden darf. Angela Merkel hat angeordnet, dass Flüchtlinge bei der Verteilung von kostenlosem Essen durch Tafeln bevorzugt werden. Kommen Ihnen diese "Nachrichten" bekannt vor? Kein Wunder, sie gehörten in diesem Jahr zu den meist geteilten Postings auf Facebook. Der Haken: Sie sind Lügen – genau wie Hunderte andere "Meldungen", die systematisch in dem sozialen Netzwerk verbreitet werden. Der Buzzfeed-Redakteur Karsten Schmehl hat acht der erfolgreichsten Falschmeldungen des Jahres nachrecherchiert. Das Ergebnis ist haarsträubend. Falls Sie trotzdem weiterhin Facebook nutzen, dürfte Sie außerdem das hier interessieren.
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WAS AMÜSIERT MICH?
Entscheidend für den Erfolg ist eine geniale Idee – oder? Reicht das vielleicht nicht? Sind die Details am Ende sogar viel wichtiger? Zum Glück weiß ich, wie wir das herausfinden. Mit einem Headset. Ein Headset ist ein Telefon zum Festklemmen am Kopf. Brillant einfache Erfindung! Hier nun zur Ausführung. Sie müssen jetzt sehr tapfer sein.
Ich wünsche Ihnen einen praktisch veranlagten Tag.
Ihr Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de
Mit Material von dpa.
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