Erste Regierungserklärung des Kanzlers Scholz: "Werden uns das nicht gefallen lassen"
Es ist die Stunde des neuen Kanzlers: Olaf Scholz hielt im Bundestag seine erste Regierungserklärung. Er skizzierte die großen Leitlinien seiner Ampelkoalition – und machte beim Thema radikale Corona-Proteste klare Ansagen.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat am Mittwoch seine erste Regierungserklärung im Deutschen Bundestag gehalten. Darin machte er den Menschen in Deutschland Mut, dass die Krise überwunden werden könne. "Ja, es wird wieder besser, ja, wir werden den Kampf gegen diese Pandemie mit der größten Entschlossenheit führen, und ja, wir werden diesen Kampf gewinnen", sagte Scholz in seiner Rede. Der neue Kanzler betonte: "Wir haben keine Zeit zu verlieren."
Der Dezember schlage mit seinen dunklen Tagen ohnehin aufs Gemüt, derzeit fehlten zudem die stimmungsvollen Weihnachtsmärkte und geselligen Weihnachtsfeiern, sagte der 63-Jährige. "Mir ist bewusst, in diesen Tagen fällt es manchmal schwer, den Mut nicht zu verlieren." Niemandem gehe es in diesen Zeiten richtig gut, auch ihm selbst nicht. "Ich weiß, dass Abstandhalten und Glücklichsein schlecht zusammenpassen", sagte Scholz.
"Keinen Augenblick ruhen"
Scholz versprach den Menschen in Deutschland, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um die Corona-Pandemie zu überwinden. "Die Bundesregierung wird nicht einen einzigen Augenblick ruhen, und wir werden jeden nur möglichen Hebel bewegen, bis wir alle unser früheres Leben und alle unsere Freiheiten zurückbekommen haben", sagte der SPD-Politiker.
Dafür werde die Bundesregierung alle notwendigen Maßnahmen ergreifen. "Wir werden alles tun, was notwendig, ist, es gibt da für die Bundesregierung keine roten Linien."
Gleichzeitig appellierte Scholz erneut an die Bevölkerung, sich gegen das Coronavirus impfen zu lassen. Deutschland stünde in diesem Winter anders da, wenn mehr Menschen im Land schon geimpft und geboostert wären, erklärte er.
Widerstand gegen "enthemmte Extremisten"
Scholz kündigte außerdem an, sich Radikalisierungstendenzen in der Gesellschaft entschlossen entgegenzustellen. "Wir werden es uns nicht gefallen lassen, dass eine winzige Minderheit von enthemmten Extremisten versucht, unserer gesamten Gesellschaft ihren Willen aufzuzwingen", sagte er. Dieser "winzigen Minderheit", die mit Fackeln aufmarschiere, die Menschen "mit Gewalt und Morddrohungen" einzuschüchtern versuche, "werden wir mit allen Mitteln unseres demokratischen Rechtsstaats entgegentreten".
Der Kanzler zeigte sich besorgt, dass sich manche Menschen in der Bundesrepublik bereits von Staat und Gesellschaft abgewandt hätten. "Was es eben heute auch gibt in Deutschland, das ist Wirklichkeitsverleugnung, das sind absurde Verschwörungsgeschichten, mutwillige Desinformation und gewaltbereiter Extremismus", sagte Scholz.
"Um es klar zu sagen: Eine kleine extremistische Minderheit in unserem Land hat sich von unserer Gesellschaft, unserer Demokratie, unserem Gemeinwesen und unserem Staat abgewandt, nicht nur von Wissenschaft, Rationalität und Vernunft", sagte der Kanzler weiter.
Seine Regierung habe "Respekt vor ernst gemeinten Einwänden", sie wolle zuhören. "Wir geben auch den Versuch nicht auf, bislang noch Zurückhaltende davon zu überzeugen, dass sie sich doch impfen lassen, mit der Kraft der Fakten, der Kraft der Vernunft oder der Kraft des besseren Arguments." Aber Extremismus und Radikalisierung werde sich die Regierung nicht gefallen lassen.
Regierung des Fortschritts
Abseits der Pandemie will die Ampelkoalition nach den Worten des Kanzlers in den kommenden Jahren "ein modernes Deutschland" schaffen. "Die Bundesregierung, die jetzt unter meiner Führung ihre Arbeit aufnimmt, wird eine Fortschrittsregierung sein", kündigte Scholz an. Er stellte eine Regierung des sozialen, gesellschaftlichen und kulturellen Fortschritts in Aussicht, betonte aber vor allem den technischen Fortschritt. Nur mit ihm könne Deutschland klimaneutral werden und im globalen Wettbewerb mithalten.
Die "Kraft des Fortschritts" zeige sich gerade in der Pandemie, ergänzte der Kanzler. Der in Deutschland entwickelte Corona-Impfstoff habe weltweit Millionen von Menschen das Leben gerettet. Der Impfstoff der Firma Biontech sei damit "der beste Beweis dafür, dass kluger Fortschritt, kluge Innovation und kluge Modernisierung die Welt besser machen".
"Kluger Fortschritt" im Angesicht der Klimakrise
Dafür stimmt der Bundeskanzler die Bürgerinnen und Bürger auf den größten Umbruch von Wirtschaft und Produktion seit 100 Jahren ein. "Hinter uns liegen 250 Jahre, in denen unser Wohlstand auf dem Verbrennen von Kohle, Öl und Gas gründete. Jetzt liegen vor uns etwa 23 Jahre, in denen wir aus den fossilen Brennstoffen aussteigen müssen und aussteigen werden", so Scholz. Bis 2045 müsse Deutschland klimaneutral sein. Die Regierung sei dem Pariser Klimaabkommen verpflichtet und werde zu seinem Erfolg beitragen. "Damit liegt vor uns die größte Transformation unserer Industrie und Ökonomie seit mindestens 100 Jahren."
Scholz sagte, die neue Regierung sei eine Regierung des Fortschritts – und zwar sozial, gesellschaftlich und kulturell. Er betonte zudem: "Wir sind eine Regierung des technischen Fortschritts, weil wir nur mit technischem Fortschritt klimaneutral werden können und weil Deutschland und Europa nur so mithalten können im globalen Wettbewerb."
Viele fragten sich: "Geht das alles gut aus?" Scholz versicherte: "Wir werden neue Sicherheiten durch Wandel schaffen und für Sicherheit im Wandel sorgen." Es brauche klugen Fortschritt. "Diesen Weg des Fortschritts, der Erneuerung und Transformation wird die neue Bundesregierung auf allen Ebenen konsequent einschlagen."
Veränderung falle schwer, sagte Scholz. So sei "Made in Germany" immer ein Gütesiegel gewesen. Die Versuchung sei groß, bislang Erfolgreiches immer weiterzumachen. Doch neue Wege müssten eingeschlagen werden.
"Gelingen Europas ist wichtigstes nationales Anliegen"
In der Europapolitik will sich Scholz aufs Engste mit Frankreich abstimmen. "Die Bundesregierung wird keinen europapolitischen Vorstoß unternehmen ohne engste Konsultation mit unseren französischen Freunden", so Scholz. "Die deutsch-französische Verständigung ist die notwendige Bedingung für Fortschritt in Europa."
Der Kanzler stellte zugleich klar, dass die Zukunft Europas "weder in Paris noch in Berlin entschieden" werde. "Gerade unser Land hat eine besondere Verantwortung, auch die Interessen der östlichen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union und unserer osteuropäischen Nachbarn mitzudenken", sagte er. Das europäische Wiederaufbauprogramm als Reaktion auf die Corona-Krise sei "beispielhaft für diese neue Einigkeit Europas in Stunden der Krise".
Scholz bekräftigte sein Bekenntnis zur europäischen Einigung. "Das Gelingen Europas ist unser wichtigstes nationales Anliegen", sagte er. "Das Instrument unserer Europapolitik darf nicht die schnelle innenpolitische Schlagzeile sein. Es muss in der beharrlichen Bereitschaft bestehen, Brücken zu bauen durch beständiges Engagement und Verhandlungen", fügte der Kanzler hinzu. "So haben es meine Vorgängerinnen und meine Vorgänger gehalten, und das wird auch mein Handeln leiten."
Scholz ehrt Merkel
In seiner Rede ehrte Scholz auch seine Vorgängerin Angela Merkel. "In den Wochen des Regierungswechsels mitten in dieser schwierigen Zeit der Pandemie hat Bundeskanzlerin Merkel alles nur mögliche getan, um die Staffelübergabe an ihren Nachfolger so reibungslos wie nur irgend möglich zu gestalten", erklärte er.
"Die unaufgeregte demokratische Zivilität des Übergangs von der einen Bundesregierung zur nächsten Bundesregierung wurde weltweit mit viel Bewunderung und Respekt aufgenommen", sagte der Kanzler weiter. "Auch hierfür, genauso wie für die vertrauensvolle Zusammenarbeit und Kollegialität in den vergangenen Jahren, sage ich: Danke, Frau Doktor Merkel."
Merkel habe "der Bundesrepublik Deutschland 16 Jahre lang in eindrucksvoller Weise als Bundeskanzlerin gedient, jederzeit orientiert an der Sache und an den Tatsachen, stets völlig uneitel und ohne Allüren, immer mit Mut und mit Klugheit, mit Pragmatismus und mit Umsicht".
Scholz gibt im Bundestag seine erste Regierungserklärung ab. Darin skizziert Scholz die Leitlinien seiner vor einer Woche ins Amt gekommenen Ampelkoalition für die kommenden vier Jahre. Im Anschluss ist eine rund zweieinhalbstündige Aussprache vorgesehen, in der der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus (CDU) erstmals die Rolle des Oppositionsführers einnehmen wird.
- Scholz-Rede im Bundestag am 15. Dezember 2021
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und afp