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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Olaf Scholz Wenn die Katastrophe zweimal klingelt
Die Corona-Realität platzt in die Ampelverhandlungen herein. Sie stellt Olaf Scholz vor seine erste Bewährungsprobe als Krisenkanzler in spe. Doch bisher scheitert er an seinen eigenen Ansprüchen.
Selbst wenn Olaf Scholz gute Nachrichten zu verkünden hat, muss er in diesen Tagen erst einmal mit den schlechten beginnen. Soll ihm ja niemand mehr vorwerfen können, er ducke sich vor den Problemen weg.
Bevor sich der Noch-Finanzminister am Donnerstagnachmittag in der Bundespressekonferenz also für seine Finanzpolitik der vergangenen Jahre feiern kann, bevor er verkünden darf, dass die Ergebnisse der Steuerschätzung "einfach erfreulich" seien und die Kassen voll, da spricht Olaf Scholz erst einmal über zwei Krisen.
Die Bilder von der polnisch-belarussischen Grenze, sagt Scholz, würden "jeden tief erschüttern". Ein "menschenverachtendes Machtspiel mit Menschenleben" betreibe der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko da. "Das muss, und das wird Konsequenzen haben."
Und Olaf Scholz wiederholt zur Sicherheit auch, was er wenige Stunden zuvor schon einmal gesagt hat, im Bundestag: Dass man in der Corona-Krise vorsichtig bleiben müsse nämlich, und sich die Leute doch bitte, bitte impfen lassen sollten. "Wir müssen weiter zusammenhalten, aber, da bin ich mir sicher, das werden wir auch."
Angela Merkel hätte wohl gesagt: "Wir schaffen das."
Und wo nun Erinnerungen an die Noch-Kanzlerin wach werden, da lässt sich auch gleich eine Frage anschließen, die sich in den vergangenen Tagen aufdrängt. In diesen Tagen nämlich, in denen mit den Krisen gewissermaßen die Wirklichkeit bei den Ampelkoalitionären anklingelte, Ding-Dong, und sie daran erinnerte, wie wenig hilfreich die schönsten Koalitionsverträge im Zweifel für die konkrete Regierungsarbeit sein können. Weil die wirklichen Probleme eben selten planbar sind.
Und die Frage lautet: Kann er das? Kann Olaf Scholz Krise, so wie die Krisenkanzlerin Angela Merkel es konnte? Idealerweise sogar noch besser?
Ich war's nicht
Wer sich einer Antwort auf diese Frage annähern will, der kann sie an zwei Stellen suchen: in der Krisenvergangenheit des Olaf Scholz und in der Krisengegenwart.
Dass Olaf Scholz Regierungserfahrung besitzt, Erfahrungen als Arbeitsminister, Hamburger Bürgermeister, Finanzminister und Vizekanzler, das war eines seiner stärksten Argumente im Wahlkampf. Und es stimmt natürlich. Doch seine Probleme waren da andere, als es die des Kanzlers Olaf Scholz sein werden. Sie waren kleiner, überschaubarer. Und leichter abzumoderieren.
Die zwei größten unter ihnen haben gemein, dass sie zwar sehr viel Geld kosteten, darüber hinaus aber vor allem ihn selbst in Bedrängnis brachten. Und zwar zu einem Zeitpunkt, als schon nicht mehr viel zu retten war: der Milliardenskandal um Wirecard und der Cum-Ex-Betrug um die Hamburger Warburg-Bank. Es waren somit am Ende eher Krisen in eigener Sache als Krisen der Allgemeinheit.
Scholz' Selbstverteidigungsstrategie bestand darin, sich angeblich nicht mehr so genau erinnern zu können. Außer daran, dass er selbst keine Schuld trage. Er baute nach dem Wirecard-Skandal zwar auch rasch die Finanzaufsichtsbehörde Bafin um, tauschte den Chef aus und organisierte ihr mehr Befugnisse. Gerne verwiesen er und seine Leute aber auch auf die Verantwortung des Wirtschaftsministers Peter Altmaier, dem die ebenfalls unrühmlich beteiligten Wirtschaftsprüfer unterstellt sind.
Ich war's nicht, aber schaut doch mal bei dem nach, der hat doch auch nicht alles richtig gemacht – mit dieser Strategie wird Olaf Scholz als Regierungschef mit den größeren Kanzlerkrisen und im Kanzlerscheinwerferlicht nicht mehr durchkommen. Allein schon, weil er dann für alles verantwortlich ist.
Sein Lieblingswort
Lehrreicher ist also, sich anzuschauen, wie Olaf Scholz als Fast-Kanzler mit den aktuellen Krisen umgeht. Vor allem mit der Corona-Lage, die selbst die krisenerprobte Angela Merkel als eine ihrer größten bezeichnet.
Und da droht er gerade, seine selbstgesteckten Ziele zu verfehlen.
Es gibt einen Satz von Olaf Scholz, der wie kein zweiter seinen Anspruch an sich als Kanzler beschreibt, und an dem er sich deshalb messen lassen muss: "Wer bei mir Führung bestellt, der bekommt sie auch." Das englische "Leadership", ein Schlagwort aus der Wirtschaft, das ein irgendwie modernes Führungsverständnis beschreibt, ist eine seiner Lieblingsvokabeln.
Es ist auch die häufigste Antwort seiner Leute auf die Frage, wie Scholz denn eigentlich dieses oder jenes besser machen wolle als Angela Merkel. Mit "Leadership" eben, anders als es die Trippelschritt-Merkel gemacht hat.
Davon allerdings war erst überraschend lange gar nichts zu sehen, und so richtig viel mehr ist es mit seinem Auftritt im Bundestag an diesem Donnerstag auch nicht geworden.
Ein Anliegen der anderen
Als sich die Ampelkoalitionäre vor etwa zwei Wochen aufmachten, die epidemische Lage nationaler Tragweite durch eine Novelle des Infektionsschutzgesetzes zu ersetzen, da hielt sich Olaf Scholz zumindest öffentlich komplett raus.
Einem Bericht des "Spiegel" zufolge wunderten sich selbst die Grünen intern darüber, wie sehr er sich raushält. Aus der SPD ist hingegen zu hören, dass er sich selbstverständlich eingeschaltet habe.
So oder so: Das Ende der epidemischen Lage, gewissermaßen des Corona-Ausnahmezustands, der der Bundesregierung viel Macht verliehen und das Parlament entmachtet hat, war vor allem immer ein Anliegen der einstigen Opposition: der Grünen, aber vor allem der FDP.
Auch die SPD begründet den Schritt nun damit, dass die Novelle alle Maßnahmen rechtssicher mache, weil die Voraussetzungen für den Ausnahmezustand nicht mehr gegeben seien. Ob Gerichte ihn wirklich kippen würden, dazu gibt es aber mindestens zwei Rechtsauffassungen – besonders angesichts der aktuellen, dramatischen Situation.
Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann jedenfalls kritisierte die künftige Ampelkoalition jetzt in der "FAZ" deutlich dafür – und damit auch seine Grünen. Das Ende der epidemischen Lage hält er für falsch. Beim neuen Gesetz fehlt ihm die Möglichkeit, notfalls Kontaktbeschränkungen zu verhängen, sprich: Lockdowns. Auch der Virologe Christian Drosten und andere Experten halten sie für nötig. Schon vorher hatte Kretschmanns Regierung zudem mehrfach eine Impfpflicht für sensible Berufe wie die Pflege gefordert.
Doch besonders die FDP feiert sich gerade dafür, dass genau diese beiden Dinge nicht im neuen Gesetz stehen.
Bund-Länder-Runde? Nächste Woche mal
Über Sinn und Unsinn einzelner Einschränkungen lässt sich natürlich streiten. Und die Ampelkoalition will das im Gesetzgebungsprozess auch tun, wie alle betonen. Sie will die Länder anhören und die Experten und so das Gesetz womöglich noch nachbessern. Die Vorsichtigeren unter ihnen hoffen, dass am Ende schärfere Maßnahmen herauskommen.
Allerdings erinnert das Ganze damit eben doch wieder an Merkels Trippelschritte und nicht an "Leadership".
Genauso wie die Tatsache, dass das Bund-Länder-Treffen zu Corona erst für nächsten Donnerstag angesetzt ist. Das Scholz-Lager führt Termingründe an, wobei fraglich ist, was gerade wichtiger sein könnte. Zumindest sofern man ein solches Treffen überhaupt sinnvoll findet. Die SPD-Länder wollten es lange Zeit gar nicht, wohl auch in Absprache mit Scholz.
Und noch immer zweifelt er offenbar am Sinn eines solchen Treffens. Es sei unklar, was dort eigentlich beschlossen werden solle, was nicht auch im Bundestag mit dem Gesetz möglich sei, ist aus seinem Umfeld zu hören. Die Länder könnten doch auch jetzt schon alles selbst beschließen, ist ein anderes Argument der SPD.
Das ist alles nicht falsch und Bund-Länder-Treffen sind wahrlich nicht perfekt. Allerdings haben sie den Charme, dass sie idealerweise einheitlichere Regeln hervorbringen können und damit die Länderchefs von unbequemen Entscheidungen entlasten: Führe ich 2G nur bei mir ein auf die Gefahr hin, dass mich meine Gastronomen verteufeln, weil wenige Kilometer entfernt im Nachbarland kein 2G gilt? Mancher wird nun hoffen, dass er solche unangenehmen Fragen mit dem Treffen nicht mehr stellen muss.
Doch weil es jetzt erst so spät stattfindet, könnte damit mehr als eine Woche verloren gehen, bis die härteren Regeln wirklich greifen. Dabei ist Geschwindigkeit in der Corona-Krise bekanntlich fast das Wichtigste.
Führung bestellt – Trippelschritte bekommen?
Fast genauso wichtig ist die Kommunikation. Das hat sich schon zu Beginn der Corona-Krise gezeigt, als die Menschen schon längst vorsichtig waren, bevor die strengen Beschränkungen der Politik überhaupt offiziell galten.
Und Kommunikation war bisher nicht gerade die Stärke des Olaf Scholz.
Das öffentliche Signal, das mit dem Ende der epidemischen Lage entstanden ist, finden selbst Ampelkoalitionäre inzwischen durchaus schwierig. Auch Scholz dürfte das so sehen. Bei seiner Rede im Bundestag am Donnerstag, seiner ersten öffentlichen Äußerung zur eskalierenden Krise überhaupt, thematisiert Scholz das Ende der epidemischen Lage jedenfalls gar nicht.
Stattdessen sagt er in typischer Scholz-Manier eher ungerührt ein paar gute und wesentlich mehr schwache Sätze. "Das Virus ist noch unter uns", gehört schon zu den besseren. Der Höhepunkt ist: "Wir müssen unser Land gewissermaßen winterfest machen."
Bei der Frage, wie das gehen soll, referiert er dann aber vor allem den Ampelgesetzentwurf – und appelliert, sich impfen zu lassen. Seine Sympathien für eine 2G-Regel formuliert er so zurückhaltend, dass es fast komisch wirkt. "Ich habe das so verstanden, dass viele Länder sich auf den Weg gemacht haben", sagt Scholz. Er halte das "für einen guten Fortschritt, dass das überall gemacht wird".
Nun war auch Angela Merkel keine mitreißende Rednerin und darüber hinaus für ihren Trippelschritt-Führungsstil berühmt-berüchtigt. Aber wer "Führung bestellt", wie Scholz sagt, der erwartet vermutlich etwas anderes.
Vielleicht also sollte er langsam damit beginnen, Führung auch zu liefern. Damit seine erste Kanzlerkrise nicht gleich zur ersten Katastrophe wird.
- Eigene Recherchen
- "FAZ": Grüne sind nicht mehr Teil des "Team Vorsicht"
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