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Twitter-Alternative Gettr: Die Rolle der AfD beim US-Netzwerk


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Twitter-Alternative Gettr
Storch sucht neues Nest: Twitter für Rechte

  • Lars Wienand
  • Bastian Brauns
Von Lars Wienand und Bastian Brauns

Aktualisiert am 01.11.2021Lesedauer: 8 Min.
Gettr im Bundestag: Beatrix von Storch mit Jason Miller (rechts), Chef des Netzwerks, das zum neuen Twitter und Facebook für Rechte und Konservative werden soll. Ihn begleitet Matthew Tyrmand, früherer Breitbart-Autor.Vergrößern des Bildes
Gettr im Bundestag: Beatrix von Storch mit Jason Miller (rechts), Chef des Netzwerks, das zum neuen Twitter und Facebook für Rechte und Konservative werden soll. Ihn begleitet Matthew Tyrmand, früherer Breitbart-Autor. (Quelle: Gettr/Beatrix von Storch)
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Während Donald Trump ein eigenes soziales Netzwerk aufmachen will, trommeln Rechtsextreme in aller Welt für die Twitter-Alternative Gettr. Mittendrin: die AfD-Politikerin Beatrix von Storch und ein amerikanischer Mitarbeiter der Partei.

Der amerikanische Gast gibt sich begeistert, als er Mitte Oktober im Deutschen Bundestag plötzlich den brasilianischen Präsidenten entdeckt. Ein Foto im Büro von Beatrix von Storch zeigt den strahlenden Jair Bolsonaro, Arm in Arm mit der AfD-Politikerin und deren Ehemann Sven von Storch.

Der Gast fotografiert das Bild ab und verbreitet es später im Netz, versehen mit dem Kommentar: "Beatrix von Storch hat einen guten Geschmack!" Er postet noch weitere Devotionalien aus von Storchs Fundus, etwa eine Mütze mit einem abgewandelten Spruch von Donald Trump: "Make Germany safe again."

Von Storchs Gast aus den USA heißt Jason Miller und war einst der Kampagnensprecher des Ex-Präsidenten Donald Trump. Heute ist Miller der Chef des Unternehmens Gettr, das nach seinem Willen Twitter und Facebook Konkurrenz machen soll. Rechtskonservative und Rechtsextreme sollen dort eine neue Heimat finden, um unbehelligt von "Zensur" weiterhin ihre Inhalte verbreiten zu können. Gettr, das "Get together" der Gecancelten.

Auf anderen Netzwerken sind viele Nutzer gesperrt, etwa wegen Falschinformationen zur US-Wahl im vergangenen November, die zum Sturm aufs Kapitol am 6. Januar führten. Oder wegen des Verbreitens von Verschwörungsideologien zur Corona-Pandemie.

Längst nicht nur US-Konservative sollen sich nun auf Gettr einfinden. Miller will ein globales Netzwerk von Gleichgesinnten schaffen. Darum ist er vor Kurzem nach Deutschland gekommen. Die AfD-Politikerin von Storch unterstützt Miller bei seinem Vorhaben. In ihrem Umfeld zieht offenbar wiederum ein Deutsch-Amerikaner die Strippen für Gettr und nutzt nach Recherchen von t-online offenbar auch falsche Identitäten.

Ein Twitter-Klon in Rot

Das soziale Netzwerk ist bereits am 4. Juli an den Start gegangen. Die Plattform wird als Ort "ohne voreingenommene Diskussionen" beworben. Im Grunde sieht Gettr aus wie Twitter in Rot. Nutzer können einander folgen, Beiträge schreiben, liken und verbreiten, Hashtags vergeben und Links posten.

Unvoreingenommen scheint das Team unter der Leitung von Jason Miller allerdings nicht zu sein. Es gibt nicht nur direkte Verbindungen zu Trump, sondern auch zu vielen weiteren ehemaligen Mitgliedern aus seinem Umfeld wie Steve Bannon oder Rudy Giuliani. Der chinesische Milliardär Guo Wengui, auf dessen Yacht Bannon einst festgenommen wurde, soll angeblich viel Geld und eine Vorgängerversion in die digitale Infrastruktur von Gettr gesteckt haben.

Bei dem Dienst tummeln sich bislang vor allem Rechtskonservative und Rechtsextreme aus der ganzen Welt. Zu den ersten Nutzern gehört der frühere Pressesprecher von "Querdenken", der Reichsbürger Stephan Bergmann, aber auch "Der Wendler" Michael Wendler, der bereits auf Telegram mit haarsträubendem Unsinn aufgefallen ist, ist schon hochoffiziell begrüßt worden.

Knapp drei Millionen Nutzer insgesamt meldete Gettr vor wenigen Tagen und 200 Millionen insgesamt abgesetzte Postings. Das ist noch sehr wenig, so viele werden bei Twitter an einem Abend verschickt. Aber Gettr rühmt sich, das am schnellsten wachsende soziale Netzwerk aller Zeiten zu sein. Die meisten Nutzer, etwa jeder zweite, kommen aus den USA, alle namhaften Influencer der amerikanischen Konservativen sind dort, darunter auch der frühere US-Außenminister Mike Pompeo.

Millers Reise zu den Rechten

Aber Jason Miller will ja ein globales Netzwerk. Als er Beatrix von Storch vor Kurzem besuchte, machten sie Selfies auf dem Dach des Reichstages. Von Storch schrieb begeistert: "Wir sprachen über die Freiheit im Internet und die internationale Vernetzung der Konservativen." Und sie kritisierte, die Big Tech-Giganten würden Social Media missbrauchen "für Totalüberwachung und politische Zensur". Es sei Zeit für echten Wettbewerb.

Deutschland war nicht die erste Station auf Millers Werbetour. Den brasilianischen Präsidenten Bolsonaro konnte er schon vorher von der Idee der Twitter-Alternative überzeugen. Nach dem Ausscheiden von Trump gilt Bolsonaro als der wichtigste Politiker der Neuen Rechten.

Von Brasilien reiste Miller auch zu Trumps engem britischen Verbündeten Nigel Farage, zu Marine Le Pens Nichte Marion Maréchal – und zu Eric Zammour, der potenzielle Kandidat für die französische Präsidentschaft, der selbst Marine Le Pen rechts außen überholt und mehrere Vorstrafen wegen Verbeitung von Rassenhass hat.

In Deutschland traf Miller weitere verurteilte Straftäter, den Gründer der rechtsextremen English Defense League, Tommy Robinson, und Pegida-Gründer Lutz Bachmann. Von Storch wollte auf Anfrage von t-online nicht kommentieren, in welcher Gesellschaft sie sich da bei der Werbetour befindet.

Werbung für Gettr durch AfD-Politiker und Aktivisten

Ihre Antwort auf einen Fragenkatalog beschränkte sich darauf, die marktbeherrschende Stellung von Twitter, Facebook und Google zu kritisieren: "Wenn neue soziale Netzwerke wie Gettr entstehen, dann schafft das mehr Wettbewerb, mehr Pluralismus und mehr Optionen für die Nutzer." Sie verfolge deshalb die Entwicklung alternativer Plattformen wie Gettr mit "großem Interesse".

Die Rolle von Storchs geht aber offenbar darüber hinaus, mit Miller nur nette Fotos im Bundestag zu machen. Gettr ist ein Baustein beim Versuch, länderübergreifend Rechte und Konservative zusammenzubringen. Als das Foto der von Storchs bei Bolsonaro entstand, sagte sie: "Wir müssen uns auch international vernetzen, um konservative christliche Werte weltweit zu verteidigen." Brasilien sei dabei ein wichtiger globaler strategischer Partner, "mit dem wir die Zukunft gestalten werden – neben den USA und Russland".

Und sie wirbt auf "freiewelt.net" für Gettr. Das ist eine Seite, die von einem Verein betrieben wird, der wiederum Teil des Kampagnennetzwerks der Eheleute von Storch ist.

Die Seite wirft eine brisante Frage auf: Beschäftigen sie dort einen Mann in der Redaktion, der als Assistent eines AfD-Europaabgeordneten arbeitet und unter einem zweiten Namen auch noch sehr fleißig ist? Nach Informationen von t-online spricht viel dafür, dass der Mann unter einem falschen Namen in Deutschland Verantwortung für Gettr trägt und unter diesem Pseudonym auch Texte für "alternative" Medien in Deutschland und den USA liefert. Es gibt keine Bestätigung, aber eine Fülle starker Indizien.

Ein dubioser Mitarbeiter

Der Mann, um den es geht, heißt Collin McMahon. Bei ihm könnte die enge Vernetzung von Teilen der AfD in die Trump-Bewegung ihre Anfänge genommen haben. McMahon ist einer der wenig bekannten Strippenzieher in der AfD. Einst hatte er eine "Konferenz der freien Medien" im Bundestag maßgeblich mitorganisiert. Dabei waren Seiten wie "Journalistenwatch", "PI-News" und andere Portale, die Texte von ihm veröffentlichen.

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McMahon arbeitet mindestens seit Februar auch für den deutschen AfD-Europaabgeordneten Joachim Kuhs, Vater von zehn Kindern, Laienprediger einer anglikanischen Gemeinde und vom fundamental-christlichen Rand der AfD. Diese Szene, in der auch die von Storchs agieren, ist international vernetzt. Kuhs ist Vorsitzender der "Christen in der AfD". Collin McMahon wird auf Kuhs offizieller Webseite des Europäischen Parlaments als sein Assistent geführt.

Collin McMahon tritt aber offenbar auch unter Pseudonym auf, als "Richard Abelson". Unter diesem Namen scheint McMahon für Gettr zu arbeiten. Am 1. Oktober stellte Miller "Abelson" als den neuen Mitarbeiter von Gettr für Deutschland vor.

Unter "Richard Abelson" erschienen auf Blogs vom rechten Rand in Deutschland zahlreiche Texte: Auf "Sezession" etwa huldigte er Steven Bannon, er veröffentlichte auf "PI-News".

Versteckspiel auf zahlreichen Plattformen

Inzwischen bucht Gettr die größten Werbeplätze auf dem Portal sowie bei "Journalistenwatch" und "Unser Mitteleuropa": Trump-Unterstützer pumpen also Geld in deutsche islamfeindliche und rechtsgerichtete Medien. Und die Geschichte des Collin McMahon und Richard Abelson zeigt eindrucksvoll, wie die Vernetzung der Konservativen aus den USA Richtung Deutschland läuft.

Richard Abelson macht eigentlich das, was Collin McMahon auch gemacht hat: Er schreibt Texte, in denen die rechten Arbeitgeber von McMahon besonders gerne zu Wort kommen. So hat es der Europaabgeordnete Kuhs vielfach auf die Seite des "Gateway Pundit" geschafft, eine sehr bekannte und für Falschmeldungen verschriene Pro-Trump-Seite.

"Richard Abelson" wird auf "Gateway Pundit" als "International Correspondent" geführt und schrieb dort etwa über das Treffen von Gettr mit Pegida und dem englischen Rechtsextremisten Tommy Robinson. Zuvor wurde dort McMahon als Gastautor und als Auslandskorrespondent genannt. Die Autorenseite von "Abelson" ist verräterisch: Sie hat die Internet-Adresse "...collinm" – wie Collin McMahon.

Und auch im Storch-Imperium gibt es Verbindungen, die nahelegen, dass der Gettr-Mann Abelson der AfD-Mann McMahon ist: Wenn auf freiewelt.net "Abelson"-Texte erschienen, zeichnete meist "Redaktion cmm" verantwortlich. Dies wiederum verknüpft mit einer E-Mail-Adresse von McMahon. Rund 150 Beiträge waren es bei "cmm" seit Jahresanfang, in den vergangenen Wochen auch solche, in denen es um Gettr ging.

Weder die von Storchs noch McMahon haben beantwortet, aus welchem Grund hier die Identität verschleiert wird. Aber nach der t-online-Anfrage wurde plötzlich Abelsons Profil-Seite geändert: McMahons E-Mail-Adresse und "cmm" sind verschwunden.

Vom Kinderbuchautor zum AfD-Strippenzieher

Mit dem Kürzel "cmm" kam McMahon einst in die Politik, als er "Internationaler Pressesprecher" für den bayerischen AfD-Bundestagsabgeordneten Petr Bystron war. Dabei lässt McMahons Vergangenheit eine solche Karriere nicht vermuten. Er war Pressesprecher des Filmfests München, Übersetzer unter anderem von Kinderbüchern und Autor. 2014 rief er bei der "Ice Bucket Challenge" noch zu Spenden für die Münchner Flüchtlingshilfe auf. Dieses Engagement wirkt heute sehr weit weg.

Angekommen im Team des AfD-Abgeordneten Petr Bystron lieferte McMahon Beiträge für diverse rechte Portale: Bystron beim rechtsextremen Tommy Robinson, Bystron bei rassistischen Bürgerwehren in Südafrika, Bystron mit Steven Bannon beim tschechischen Präsidenten Miloš Zeman.

Kurz vor dem Treffen mit Zeman gab es im September 2018 einen möglichen Schlüsselmoment für die transatlantische Vernetzung: Bei einer Veranstaltung der bei Gettr meistverlinkten "Nachrichten"-Seite "Gateway Pundit" erhielt Bystron als erster Deutscher den sogenannten "Eagle Award". Es ist die Ehrung einer rechten Stiftung, die unter anderem auch schon an Bannon ging.

Der Türöffner in die Trump-Welt

Bystron wurde bejubelt für den Satz in seiner Rede "Wir sind die konservative Bewegung, wir sind die konservative Revolution". Beklatscht wurde auch sein Mitarbeiter McMahon, der ihn filmte. "Collin ist meine Verbindung in die USA", sagte Bystron. Insider aus seinem Umfeld sagen, McMahon habe Bystron Türen zu den rechten Netzwerken in den USA geöffnet.

Ist McMahon als "Richard Abelson" nun die zentrale Verbindung von Gettr nach Deutschland? Auf einen Fragenkatalog von t-online reagierte das US-Unternehmen zwar, verweigerte aber mit einer absurden Begründung die Beantwortung.

Der AfD-Europaabgeordnete Joachim Kuhs antwortete immerhin. Ihm sei nichts bekannt von weiteren Pseudonymen oder Aufgaben seines Assistenten McMahon. Er werde das aber prüfen. Assistenten müssten unterschreiben, dass es durch andere Beschäftigungen nicht zu Interessenkonflikten komme. Aus der Verwaltung des Europäischen Parlaments heißt es, wenn entsprechende Hinweise beim Präsidenten eingingen, werde ihnen nachgegangen.

Für Gettr geht es nun um andere Fragen: Werden sich die zahlreichen Reisen des CEOs Jason Miller am Ende auszahlen? Das Engagement seines Deutschland-Verantwortlichen "Richard Abelson" alias Collin McMahon? Das Versteckspiel um ihn und die Selfies von Beatrix von Storch?

Gettr konnte sich freuen, dass es den bereits bestehenden alternativen rechten Netzwerken wie Gab oder Parler gute Beziehungen zu Donald Trump voraushatte. Der Chef des Netzwerks, Jason Miller, propagierte in den vergangenen Wochen immer wieder, der Ex-Präsident warte nur noch auf den richtigen Zeitpunkt für seinen Beitritt. Doch dann kündigte Trump plötzlich an, bald mit einem eigenen Netzwerk zu starten. "Truth Social" soll es heißen.

Keine Einigung mit "Dealmaker" Trump?

Millers Reaktion? "Wir konnten uns auf keinen Deal einigen", sagte er kurz nach Trumps Ankündigung. Es wirkte fast kleinlaut für einen Mann, der eigentlich so Großes vorhat: Twitter vom Thron zu stoßen.

Zunächst hat Trumps Ankündigung Gettr aber geholfen, stärker ins Gespräch zu kommen. Angeblich schnellen die Anmeldezahlen seither in die Höhe. Jason Miller vermeldete umgehend: "Die Neuanmeldungen sind heute 70,47 Prozent hochgegangen!" Kurz darauf berichtete er sogar von einem fast 90-prozentigen Plus.

Nette Fotos mit Beatrix von Storch in Berlin werden für Jason Miller jedenfalls nicht ausreichen, um mit Gettr erfolgreich zu sein. Am Ende kommt es eben nicht nur auf Nutzerzahlen an, sondern darauf, ob die Nutzer Gettr wirklich als ihre neue Heimat annehmen. Und das kann auch ein Collin McMahon nicht mal eben herbeischreiben. Auch nicht als "Richard Abelson".

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