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Niedergang der SPD: Die Partei verkriecht sich vor einem Elefanten


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Niedergang einer Volkspartei
Die SPD verkriecht sich vor einem Elefanten

  • Johannes Bebermeier
Eine Analyse von Johannes Bebermeier

Aktualisiert am 07.12.2019Lesedauer: 5 Min.
SPD-BundesparteitagVergrößern des Bildes
SPD-Bundesparteitag (Quelle: dpa)
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Die SPD will sich auf ihrem Parteitag harmonisch zeigen. Doch die Kompromisse überkleistern nur ein Dilemma: Die Partei ist sich noch nicht mal über ihre Probleme einig.

Oft sagen leise Anspielungen und Witze mehr über die wahren Probleme aus als lautes Wehklagen. So ist das auch bei einer SPD, die zumindest für ein Wochenende beschlossen hat, Konflikte nur noch hinter vorgehaltener Hand anzusprechen.

Und so kommt es, dass am Freitag ein Delegierter auf einen Elefanten im Raum hinweist. Den sprichwörtlichen Elefanten, der da steht und den alle sehen, über den aber niemand zu sprechen wagt. Die SPD verkriecht sich vor diesem Elefanten, während er sie an die wichtigste Frage für die Partei überhaupt erinnern will: Warum steht die SPD nur noch bei 15 Prozent?

Es ist folgerichtig und folgenschwer zugleich, dass die SPD über diese Frage auf ihrem Parteitag kaum spricht. Folgerichtig, weil sie sich in der Analyse der Gründe des Niedergangs völlig uneins ist. Folgenschwer, weil sie den Niedergang ohne die richtige Analyse nicht stoppen wird. Daran erinnert nicht nur der Elefant, daran erinnern auch Kevin Kühnerts Socken.

Die Erkenntnis kommt langsam

Der Wunsch nach Harmonie ist riesig in der SPD, besonders auf diesem Parteitag, und wer könnte es ihr verübeln. Die Partei versucht seit einer gefühlten Ewigkeit, sich zu erneuern, ohne sich einig zu sein, was das überhaupt heißen soll. Sie hat in zwei Jahren sechs Vorsitzende verbraucht, und Andrea Nahles dabei besonders schäbig aus dem Amt gejagt. Und jetzt wollte sie all das mit einem Mitgliederentscheid über die neue SPD-Spitze hinter sich lassen und kommt so langsam zu der Erkenntnis, dass eine neue Führung die alten Probleme erbt.

Und das größte Erbe ist und bleibt, dass die SPD derzeit mindestens zwei Parteien ist. Es gibt die Vernunft-SPD, und es gibt die Visionen-SPD.

Die Vernunft-SPD ist die SPD der Minister, es ist die SPD der Ministerpräsidenten und der Bundestagsfraktion. Wenn man sie auf eine Person bringen will, dann ist es die SPD von Olaf Scholz. Der Vizekanzler hat den Mitgliederentscheid mit Klara Geywitz zwar verloren, aber 45 Prozent der Partei wollte eher ihn und will vermutlich nach wie vor seinen Kurs.

Die Visionen-SPD, das ist die SPD des neuen Führungsduos Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, aber es ist auch Kevin Kühnerts SPD. Sie haben ein paar mehr Mitglieder hinter sich, aber eben nur wenige der alten Immer-noch-Mächtigen. Kevin Kühnert, der neue Mächtige, deutete in seiner gefeierten Rede den berühmtesten Satz Helmut Schmidts um: Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen. Kühnert rief seiner Partei zu, das doch bitte zu tun – um im Wartezimmer und im Behandlungsraum alle von den Visionen der SPD zu überzeugen.

Vernunft-SPD versus Visionen-SPD

Wer der Vernunft-SPD zuhört, der erfährt, dass vernünftige Politik, wie Olaf Scholz sie meint und wie die SPD sie bisher macht, weiterhin das richtige ist für die SPD, also eher mittige Politik, notfalls in der großen Koalition. Woran es hapert, erklärten Olaf Scholz und andere Minister in ihren Reden: Es brauche mehr Zuversicht, mehr Mut, mehr Geschlossenheit. Und eigentlich auch beliebtere Politiker. Das sagten sie aber lieber nicht mehr, weil der derzeit beliebteste SPD-Politiker Olaf Scholz bei den Mitgliedern eben nicht beliebt genug war.

Wer der Visionen-SPD zuhört, der erfährt, dass die SPD wieder stärker die Verteilungsfrage stellen muss. Wenn ein Linksschwenk bedeute, zur SPD von Willy Brandt und Johannes Rau zurückzukehren, "dann bitte sehr, dann machen wir einen ordentlichen Linksschwenk", sagte Norbert Walter-Borjans. Und der hört auch Kevin Kühnert und sieht seine Socken, die er bei seiner Rede mit auf die Bühne gebracht hat. Mit ihnen bereitete er seine Genossen darauf vor, dass mit diesem Kurs wieder die alte Rote-Socken-Kampagne der Union droht, die Socken, auf denen angeblich mindestens Karl Marx zurückkommt, und dass man sich vor dieser Kampagne nicht fürchten dürfe.

Das mag man witzig finden oder auch nicht, es steht aber für etwas sehr Ernstes und Wichtiges. Nämlich dafür, dass anders als bei der Vernunft-SPD der Hauptgegner der Visionen-SPD eindeutig definiert ist: die Union.

Zugekleisterte Konflikte

Diese fundamentalen Unterschiede in der Analyse der Probleme sind auf dem Parteitag mit allerhand Kompromissen zugekleistert worden. Eigentlich wollte die Partei die Zahl der Vizevorsitzenden auf drei beschränken, um Geld zu sparen, was wichtig für die geschrumpfte SPD ist, aber auch um die Führungsstrukturen zu verschlanken. Weil es dadurch aber zu einer Konkurrenz zwischen der Visionen-SPD in Person von Kevin Kühnert und der Vernunft-SPD in Person von Arbeitsminister Hubertus Heil gekommen wäre, entschied die Partei, doch fünf Vizes zu wählen. Kühnert und Heil sind nun beide dabei.

Als es um das Sozialstaatskonzept der SPD geht, das die Partei schon lange als Abkehr von Hartz IV feiert, das aber noch offiziell von einem Parteitag beschlossen werden musste, kommt es am Samstag ebenso zum Ausgleich zwischen Vernunft-SPD und Visionen-SPD. Ein Vorschlag der Jusos die Hartz-IV-Sanktionen komplett abzuschaffen, bekommt keine Mehrheit. Dafür schärft die Spitze für einen Kompromiss mehrfach ein bisschen nach. Der Beschluss betont nun, dass trotz Sanktionen das Existenzminimum jederzeit gesichert sein müsse, und dass der Beschluss ohnehin nur "als erster Schritt" verstanden werden solle. Daraus kann jeder machen, was er will.

Jeder pickt sich heraus, was ihm passt

Am deutlichsten wird die Kompromiss-Sehnsucht bei gleichzeitig fehlender gemeinsamer Problem-Analyse in der Haltung zur großen Koalition. Der Beschluss des Parteitags sieht im Kern vor, dass die SPD mit der Union über neue Projekte verhandelt und danach der Parteivorstand entscheidet, ob das reicht, um die große Koalition fortzuführen. Und schon in der Debatte wird deutlich, dass sich aus diesem wenig konkreten Plan jeder das herauspickt, was ihm in seine eigene Problem-Analyse passt.

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Die Vernunft-SPD betont, wie viel Lob für sie in dem Beschluss steht und dass sie auch künftig alles geben werde, um in der Regierung das Beste für die SPD und die Menschen herauszuholen. Mutig und zuversichtlich. Es sei "Großes geleistet worden" in der großen Koalition, "und das stellen wir hier gemeinsam fest", sagte Scholz.

Die Visionen-SPD hingegen betont, dass die Zustimmung zum Beschluss ein Vertrauensvorschuss an die neuen Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans sei und dass die schon machen würden, was sie vorher angekündigt haben, nämlich hart verhandeln und im Zweifel rausgehen, auch wenn das so nicht mehr klar im Beschluss steht. Der Leitantrag sei nicht Pulitzerpreis-verdächtig, sagte Kühnert. Aber da unten säßen eben "Saskia und Norbert", und den beiden vertraue er.

Der Konflikt um die große Koalition ist nicht gelöst

Schon jetzt ist also abzusehen, dass der Konflikt um die große Koalition nur vertagt und nicht gelöst ist. Spätestens wenn es darum geht, wie der Parteivorstand das bewertet, was er bei der Union rausgeholt hat, wird wieder gestritten werden, ob das denn nun reicht oder nicht. Denn im Leitantrag wurden allzu konkrete Kriterien dafür vermieden, damit der Konflikt zumindest auf dem Parteitag nicht ausbricht. Das wird es dann aber auch besonders schwer machen, eine Entscheidung zu akzeptieren, und diese Entscheidung muss es eben irgendwann geben.


Wenn der Parteitag am Sonntag endet, wird es also vielleicht ein paar Tage Ruhe geben in der SPD, immerhin steht Weihnachten bevor. Aber im nächsten Jahr geht der Streit weiter. Und solange die SPD Angst vor dem Elefanten im Raum hat, solange sie sich nicht darauf einigen kann, was eigentlich ihre Probleme sind, wird sich das auch nicht ändern.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen und Beobachtungen vor Ort
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