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Entscheidende Tage bei der SPD: Ist sie bereit für die politische Sabotage?


Entscheidende Tage in der SPD
Ist die Partei bereit für die politische Sabotage?


Aktualisiert am 31.10.2018Lesedauer: 5 Min.
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SPD-Fahne vor dem Willy-Brandt-Haus: In der Koalition bleiben oder nicht, wie entscheidet die SPD?Vergrößern des Bildes
SPD-Fahne vor dem Willy-Brandt-Haus: In der Koalition bleiben oder nicht, wie entscheidet die SPD? (Quelle: Paul Zinken/dpa)

Die SPD will sich mit einem Fahrplan aus der Krise bringen. Die Gegner einer Koalition fordern einen politischen Sabotageakt. Doch ihnen läuft die Zeit davon.

Am Montag nach der Hessenwahl kam in Bayern die SPD-Spitze zusammen, um zwei verheerende Wahlen aufzuarbeiten. Teilnehmer berichten von gedrückter Stimmung. Auch von Ratlosigkeit. Die SPD ist bei den Landtagswahlen in Bayern unter zehn und in Hessen unter 20 Prozent gefallen. Sie hat jeweils rund zehn Prozentpunkte verloren. Sie wurde beide Male von den Grünen überholt. Irgendetwas muss sie ändern.

Nur was?

Drei Möglichkeiten werden in der Partei diskutiert. Personelle Veränderungen an der Spitze. Inhaltliche Neuaufstellung. Oder ein Bruch der schwarz-roten Koalition. Nicht alle sind gleich wahrscheinlich. Aber vor allem die Diskussion um die Koalition hat wieder Brisanz gewonnen – und die kommenden Tage können dafür entscheidend sein.

Keine Rücktrittsforderung

Andrea Nahles ist als Partei- und Fraktionschefin hauptverantwortlich für die Position der SPD. In den vergangenen Tagen hat sie auffällig wenig direkte Unterstützung bekommen, auch ihr langjähriger politischer Partner, der Vizekanzler Olaf Scholz, ist wieder auffallend still. Aber Forderungen nach ihrer Absetzung sind ebenfalls nicht zu hören. Im Parteivorstand sei das kein Thema gewesen, berichten mehrere Teilnehmer.

Öffentlich und im Vertrauen argumentieren die Genossen, man habe eine Weile nach jedem Zank den Parteichef ausgetauscht, das habe auch nichts geholfen. Natascha Kohnen versucht offenbar, sich in Bayern zu halten. Thorsten Schäfer-Gümbel ist in Hessen immer noch unangefochten. Auch Nahles wird wohl erst einmal bleiben.

Daseinsberechtigung der Partei neu begründen

Einig sind sich die Genossen, dass die Partei sich inhaltlich ändern muss. Die Parteilinken und Gegner der Regierungskoalition wollen das schon lange. Schäfer-Gümbel fordert eine klare Ausrichtung auf wenige Themen, wie in seinem Wahlkampf. Nahles sagt, „die sozialdemokratischen Antworten auf die großen Fragen unserer Zeit gehen noch nicht weit genug.“ Generalsekretär Lars Klingbeil schrieb in einem Grundsatztext auf t-online.de, es gebe „eine Notwendigkeit, die Daseinsberechtigung der SPD neu zu begründen. Sie muss sich radikal verändern.“

Strittig ist aber, welche Positionen die SPD annehmen sollte – vor allem aber ist die inhaltliche Debatte zunehmend mit der Frage nach der Fortsetzung der Koalition verknüpft. Sie ist in diesen Tagen noch strategischer als sonst.

Entscheidend wird sein, wie die SPD ihre konkreten Ziele für die kommenden Monate in der Regierung formuliert – die Parteispitze spricht von einem Fahrplan. Am Montag wird der Vorstand auf einer Klausurtagung wohl darüber entscheiden.

Kein Koalitionsbruch ohne inhaltlichen Grund

Die Kalkulation in der Partei lautet nämlich schon lange so: Die SPD ist in die Koalition eingetreten, weil sie das Land verantwortlich regieren und etwas verändern wollte. Deshalb kann sie die Regierung nicht kaputtmachen, nur weil sie keine Lust mehr hat, oder wegen schlechter Wahlergebnisse und mieser Umfragewerte. Schon lange ist die Parteispitze überzeugt, dass sie, wenn überhaupt, nur aus der Koalition austreten könnte, wenn es dafür einen triftigen inhaltlichen Grund gibt. Und, das ist die strategische Komponente, wenn die SPD in der Geschichte nicht die Böse ist. Nur sind solche Gelegenheiten rar.

Horst Seehofers Theaterstück im Sommer war so eine Gelegenheit. Viele SPD-Sympathisanten hätten es gut verstanden, vielleicht sogar begrüßt, hätte die Partei argumentiert, mit diesem erratischen Innenminister könne man nicht mehr arbeiten, mit einer derart zerstrittenen Union auch nicht, und eine Politik der Grenzkontrollen trage man nicht mehr mit.

Aber der Streit kam nach wenigen Wochen in der Regierung, viel zu früh für alle, die immer für die Koalition waren.

Der Streit um den Diesel, sagen einige in der SPD, hätte eine Gelegenheit sein können. Das Thema ist emotional. Man hätte argumentieren können, die SPD lehne eine Politik ab, die vor den Großunternehmen einknickt. Aber seit dem gemeinsam ausgehandelten Dieselkompromiss ist auch diese Gelegenheit vorbei.

"Tagespolitische Tretminen"

Die Frage ist jetzt, wann eine solche Gelegenheit wiederkommt. Oder ob sie sich möglicherweise künstlich erzeugen lässt.

Ob also der Fahrplan so gestaltet wird, dass die Koalition ihm folgen kann, oder ob die Forderungen so formuliert werden, dass die Union nicht mitgehen kann. Kevin Kühnert, der Juso-Chef und bekannteste Kritiker der Koalition, möchte über den Vertrag hinausgehen. Die bekannten Forderungen aus dem Koalitionsvertrag „sollten klugerweise durch tagespolitische Tretminen wie den Umgang mit Automobilkonzernen im Dieselskandal und einen restriktiveren Umgang mit Waffenexporten ergänzt werden“, schreibt er im „Handelsblatt“.

Das Ziel in dieser Metapher: die gezielte Sprengung der Koalition. Die Mehrheit der Anhänger hätte Kühnert einer aktuellen Umfrage zufolge auf seiner Seite.

Wer setzt sich durch?

Ganz anders klingt der Entwurf von Andrea Nahles. Auf sechs Seiten nennt sie eine Reihe von Gesetzen, die verabschiedet oder durchs Kabinett gebracht werden sollen. Es handelt es sich um eine Auswahl von Projekten aus dem Koalitionsvertrag. Mehr könne man auch nicht fordern, sagen Unterstützer der Koalition. Ein solcher Plan dürfte mit der Union problemlos umsetzbar zu sein.

Setzt sich am kommenden Montag Nahles durch, könnte die SPD auf absehbare Zeit die große Koalition kaum beenden. Sie hätte sogar Probleme, nach der Hälfte der Legislaturperiode während der vereinbarten Überprüfung einen Schnitt zu machen – denn wenn der neue Fahrplan eingehalten würde, welches Argument sollte sie anführen?

Setzen sich dagegen die Gegner einer Koalition durch, wird die SPD irgendwann Konsequenzen ziehen müssen, wenn die Koalition dem Fahrplan nicht folgt.

Wie diese Agenda genau formuliert werden wird, ist deshalb von großer Bedeutung. Umso mehr, als die Zeit knapp wird für die Gegner einer Koalition.

Selbst in Bremen sieht es schlecht aus

Am 26. Mai stehen die nächsten Wahlen an. Die Europawahl, bei der sich die SPD mit der Spitzenkandidatin Katarina Barley zumindest ein respektables Ergebnis erhofft, aber in der jüngsten Umfrage bei nur 16 Prozent steht. Und die Bürgerschaftswahl in Bremen, wo die SPD seit dem Zweiten Weltkrieg immer stärkste Partei war, meist mehr als die Hälfte der Stimmen holte, zuletzt aber auch nur noch 32 Prozent, und wo sie in Umfragen zuletzt mit 26 Prozent gleichauf mit der CDU liegt. Schon im Frühjahr könnte die SPD also in einer der letzten Hochburgen massiv verlieren. Diese beiden Wahlen sind aber noch eher aussichtsreich.

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Im Herbst stehen dann Wahlen in drei ostdeutschen Bundesländern an: In Brandenburg steht die SPD immerhin noch bei 23 Prozent, in Sachsen bei 11, in Thüringen bei 10. In den beiden südlichen neuen Ländern war sie immer schon extrem schwach, dort ist die Linke die stärkste linke Partei.

Wenn es dabei bleibt, wird der Frust in der Partei immens sein. Der Druck, die Koalition zu beenden, wird wachsen.

Parteitag schon im Frühjahr?

Nur wird dann jede positive Erzählung fehlen. Ein Koalitionsbruch würde allein als Reaktion auf die Wahlen verstanden werden, nicht als souveräne Entscheidung einer Partei, die ihre inhaltlichen Forderungen nicht umsetzen kann. Wenn sie die Koalition so verlassen will, dass sie davon profitieren kann, hat die SPD wahrscheinlich nur bis zum Frühjahr Zeit.

Die Jusos scheinen das erkannt zu haben. Nahles fordert in ihrem Entwurf für den Fahrplan, man müsse „die Erneuerung der SPD beschleunigen“. Kühnert reagierte sofort, sagte, das sei im Sinne der Jusos. Wenn der Erneuerungsprozess beschleunigt werde, müsse aber auch der Parteitag aus dem Winter 2019 ins Frühjahr vorgezogen werden, auf dem die Partei über den Prozess befinden soll.

Das wäre dann wohl vor den Wahlen. Gerade noch rechtzeitig für einen selbstbestimmten Rückzug.

Verwendete Quellen
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