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Kurt Beck im Interview: "Die Menschen sagen: Die spinnen in Berlin"


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Ex-SPD-Chef Beck zur Krise
"Die Menschen sagen: Die spinnen in Berlin"

InterviewEin Interview von Jonas Schaible

Aktualisiert am 29.10.2018Lesedauer: 6 Min.
Kurt Beck: Der frühere Ministerpräsident und SPD-Chef hält nichts davon, die Brocken in der großen Koalition vorschnell hinzuwerfen.Vergrößern des Bildes
Kurt Beck: Der frühere Ministerpräsident und SPD-Chef hält nichts davon, die Brocken in der großen Koalition vorschnell hinzuwerfen. (Quelle: Thomas Imo/photothek.net/imago-images-bilder)
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Die SPD will es noch mal probieren in der großen Koalition. Kann das klappen? Der frühere SPD-Chef Kurt Beck sagt: Ja. Wenn nicht, könne die Koalition aber auch schon vor der Halbzeit platzen.

Kurt Beck hat schon viel erlebt. Er war für die SPD Landesvorsitzender, Ministerpräsident und Bundesvorsitzender. Gemütlich war das für ihn längst nicht immer. Nürburgring-Affäre in Rheinland-Pfalz, jähes Ende seines Parteivorsitzes am Schwielowsee.

Nun ist Beck Chef der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung. Und so ungemütlich wie jetzt war es für die SPD noch nie. Doch nun die große Koalition aufkündigen? Davon hält er nichts. "In Berlin die Brocken hinzuschmeißen, wäre einfach", sagt Beck im Interview mit t-online.de. Dass sie noch bis zur Halbzeit hält, darauf will er aber auch nicht wetten.

t-online.de: Die SPD hat rund elf Prozentpunkte verloren, nicht einmal 20 Prozent erreicht und ist jetzt nur noch drittstärkste Kraft in Hessen. Wie bewerten Sie das Ergebnis?

Kurt Beck: Das ist ein furchtbares Wahlergebnis für die SPD, zumal das Programm sehr gut war und mit Thorsten Schäfer-Gümbel ein sehr guter Kandidat zur Wahl stand. Es lag nicht an der hessischen SPD, die Bundespolitik hat eindeutig dominiert. Das ist schade, schon allein, weil der Föderalismus so wichtig ist. Es ist aber auch für die Sozialdemokratie ganz schlimm.

Was genau war das Problem der Bundespolitik?

Die Form, wie sich die Berliner Koalition präsentiert hat, hat den Ausschlag gegeben. Inhaltlich hat die große Koalition Beachtliches auf den Weg gebracht, wenn ich an den Schritt hin zu einer Rentensicherungsreform denke oder an das Gute-Kita-Gesetz. Aber der Auftritt hat eine ganz schlechte Wirkung hinterlassen. Die Menschen sagen: Die spinnen in Berlin. Das hat natürlich vor allem Horst Seehofer zu verantworten.

Und die SPD ist ihm wehrlos ausgeliefert? Oder hat sie auch Fehler gemacht?

Wenn man an die Personalie Maaßen denkt, hat die SPD den großen Fehler gemacht, einem völlig ungehörigen Vorschlag Horst Seehofers zu folgen. Immerhin ist dieser Fehler zumindest teilweise korrigiert worden.

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Die hessische Wahlkampagne trägt keine Verantwortung?

Sie hat jedenfalls die Themen besprochen, die den Leuten unter den Nägeln brennen. Gerade die Mieten sind in Ballungsgebieten existenziell. Normalverdiener können sich selbst in Mittelstädten keine vernünftige Wohnung mehr leisten. Nein, an den Themen der Hessen-SPD lag es nicht. Das ist alles überdeckt und weggewischt worden.

Wenn es nicht an den Inhalten in Hessen lag, nicht am Wahlkampf, nicht am Spitzenkandidaten und auch nicht an den Inhalten der Bundesregierung, die SPD aber etwas ändern muss: Wo kann sie ansetzen?

Wir müssen die Inhalte weiterentwickeln und vor allem die Werteorientierung der Sozialdemokratie betonen. Wir haben einen US-Präsidenten, der zurück zur atomaren Aufrüstung will. Die SPD war immer die Partei der Abrüstung. Wir müsse in Europa fürchten, dass das große Friedenswerk kaputt gemacht wird, durch den Brexit oder Regierungen wie in Polen, Ungarn oder zunehmend in Italien. Wir müssen verhindern, dass all das, was die Arbeiterbewegung erkämpft hat, Arbeitnehmerrechte und Sicherheiten für kleine Selbstständige, dass das der digitalen Welt und damit reinen Kapitalinteressen geopfert wird. Das muss die SPD ausformulieren. Und dabei gilt die alte Fußballer-Regel: Man kommt über den Kampf zum Spiel.

Wie kann die SPD zu kämpfen beginnen?

Sie kann kämpfen, indem sie für diese Ziele mit aller Deutlichkeit eintritt und sie auf die Agenda der Regierung setzt. Ob das die Union will oder nicht.

Überspitzt formuliert soll die SPD ihre guten Inhalte, die Sie nicht für ein Problem im Wahlkampf hielten, noch ein bisschen besser machen, um aus der Misere zu kommen?

Nein, es geht nicht darum, etwas ein bisschen besser zu machen. Frieden, Europa und die Bewahrung des Menschlichen in der digitalen Welt, das geht sehr stark in die Zukunft und weist über Einzelansätze deutlich hinaus. Da kann man stärker Profil erkennbar werden lassen.

Die SPD scheint in Hessen durchaus populäre Themen gesetzt zu haben, sie galt als einigermaßen kompetent in diesen Fragen, trotzdem hat sie an alle Parteien und an Nichtwähler verloren. Offensichtlich glauben viele Menschen nicht, dass die SPD ihre Ideen umsetzen kann. Was macht Sie so zuversichtlich, dass sich das durch neue gute Ideen ändern lässt?

Es wird ein harter Kampf, man kann nicht einfach einen Schalter umlegen. Wir müssen Vertrauen zurückerobern. Das dauert. Was wir sagen und wie wir uns verhalten, das muss wieder zusammenfallen. Das wird ein zäher Prozess. Aber es gibt dazu keine Alternative. In Berlin die Brocken hinzuschmeißen, wäre einfach. Aber dann? Wir müssen wieder als Sachwalter der normalen Bürger in der Mitte verstanden werden. Und wenn das nicht überlagert wird durch ein solches Theater wie zuletzt in Berlin, haben wir eine Chance, wieder zu guten Wahlergebnissen zu kommen.

Aber es ist nicht nötig, aus der Regierung auszusteigen?

Das muss man sehen. Andrea Nahles hat ja angekündigt, dass wir eine klare Agenda vorlegen werden, im Einklang mit dem Koalitionsvertrag. Dann muss man sehen, was wir in dieser Regierung umsetzen können. Dazu müssen wir mit den Koalitionspartnern sprechen. Wenn es geht, dann gut. Die Republik braucht eine handlungsfähige Regierung. Aber wenn es nicht geht, müssen wir bereit sein, die Konsequenzen zu ziehen.

Auch schon vor der Evaluation nach der Hälfte der Legislaturperiode?

Wenn es so weitergeht mit dem Zirkus wie bisher, kann man auf jeden Fall nicht ausschließen, dass man schon vor Ablauf der zwei Jahre zur Erkenntnis kommt, dass es nicht mehr geht. Man muss aber das Ziel haben, den Vertrag einzuhalten.

Thorsten Schäfer-Gümbel hat in Hessen drei Wahlen als Spitzenkandidat verloren. Wäre es da Zeit, jemand anderen vorzulassen?

Das wird die hessische SPD zur gegebenen Zeit entscheiden. In der Enttäuschung nach personellen Konsequenzen zu rufen, ist mir aber zu wohlfeil. Und ich frage: Wer soll denn kommen?

Hat die SPD in Hessen keine talentierten Leute?

Die hat sie schon, aber Schäfer-Gümbel ist ja noch jung, hat die SPD geeint, macht gute politische Arbeit, den schickt man nicht einfach vom Feld. Im Bund haben wir das häufig gemacht, es hat zu nichts geführt, außer zum schrittweisen Niedergang.

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Die SPD begann, in den Umfragen zu verlieren, als die Entscheidung bekannt wurde, dass Hans-Georg Maaßen zum Staatssekretär im Innenministerium befördert werden soll. Andrea Nahles hat später unter Druck eine Korrektur erzwungen, aber die Entscheidung zuerst mitgetragen. Lässt sich das jemals vergessen machen?

Der Fehler ist gemacht, eingestanden und teils korrigiert. Der schlechte Eindruck muss durch gute Taten korrigiert werden.

Ist das für Andrea Nahles zu schaffen? Kann sie also an der Parteispitze bleiben?

Natürlich kann sie. Es ist nicht sinnvoll, die Vorsitzende zum Sündenbock zu machen. Damit ist gar nichts gewonnen. Damit macht man sich nur selber etwas vor. Wir müssen die Themen, die ich angesprochen habe, in den Vordergrund stellen.

Das ist ein rationaler Ansatz. Wie gewinnt die SPD nicht nur die Köpfe, sondern auch die Herzen? Wie gewinnt sie selbst die Lust an der Politik zurück?

Ich habe ja gesagt, über den Kampf zum Spiel. Wenn man Bälle erobert, kommt auch der Spaß zurück. Wenn wir Menschen überzeugen, kommen Erfolge, dann kommt die Freude wieder.


Das alles braucht Zeit. Kurzfristig fordern Sie keine Veränderungen?

Ich fordere schon, dass die Partei schnell handelt. Es geht nicht darum, lang und vertieft nachzudenken, sondern die Dinge anzupacken. Aber dabei dürfen wir nicht die Solidarität über Bord schmeißen. Wir kämpfen für Solidarität in der Gesellschaft, für Zusammenhalt, für Miteinander, das muss man auch in den eigenen Reihen leben. Sonst wird man unglaubwürdig. Das haben wir ja auch schon erlebt.

Die Landtagswahl in Hessen war die zweite Wahl in Folge, bei der die SPD hinter den Grünen gelandet ist. Wieso sollte eigentlich jemand die SPD wählen und nicht die Grünen? Wegen welcher Inhalte?

Wir haben viel mehr zu bieten als Grünen, wenn es um die Versöhnung von Arbeit und Umwelt und um soziale Themen geht. Ich habe mit allen demokratischen Parteien außer der CDU koaliert und weiß, dass die soziale Ausrichtung Deutschlands am Ende allein von der Sozialdemokratie wirklich vertreten wird. Das war den Grünen nie wirklich ein Anliegen. Daran hat sich nichts geändert.

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