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Rücktritt von Malu Dreyer: In der Krise liegt eine Chance


Rücktritt von Malu Dreyer
In der Krise liegt auch eine Chance


19.06.2024Lesedauer: 4 Min.
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Unruhige Zeiten in der SPD: Die langjährige Ministerpräsidentin Malu Dreyer, hier mit Kanzler Scholz, gibt ihr Amt auf. (Quelle: Pool/getty-images-bilder)

Die populäre Regierungschefin geht, der Chef des Landesverbands ebenfalls – Chaostage bei der SPD in Rheinland-Pfalz? Nicht unbedingt. Manche Genossen sehen in dem Wechsel eine Chance.

Historische Schlappe bei der Europawahl, ein unbeliebter SPD-Kanzler, eine drohende Revolte in der Fraktion: Die Sozialdemokraten straucheln so heftig wie lange nicht mehr. An diesem Mittwochmorgen kam die nächste schlechte Nachricht: Die langjährige Ministerpräsidentin Marie-Luise Dreyer gibt ihr Amt auf.

Video | Hier verkündet Malu Dreyer ihren Rücktritt
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Quelle: t-online

Am Nachmittag verkündet die beliebte SPD-Politikerin ihren Rücktritt. Auf einer Pressekonferenz sprach sie von einer "schweren Entscheidung". Im Wahlkampf habe sie gemerkt, dass ihre Kraft endlich sei: "Meine Akkus laden sich nicht mehr so schnell auf." Die 63-Jährige leidet an Multipler Sklerose und hatte diese Erkrankung bereits vor vielen Jahren öffentlich gemacht. Ihr Nachfolger wird der bisherige Landesarbeits- und Sozialminister, Alexander Schweitzer, der auch Mitglied im SPD-Präsidium ist.

Mit Malu Dreyer verliert die SPD einen wichtigen Stabilitätsanker. Noch dazu in ihrer größten Krise seit 2021. Während die Bundespartei seit Monaten bei 15 Prozent herumdümpelt, gab es zumindest in einigen der rot regierten Ländern noch stabile Mehrheiten. In Rheinland-Pfalz holte die Sozialdemokratie bei den letzten Landtagswahlen stabil über 35 Prozent. Ein Ergebnis, von dem die Parteivorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil in Berlin nur träumen können. Dreyer, die seit 2013 die Regierungsgeschäfte führt, gelang es über viele Jahre, ihre Landes-SPD von der Schwäche der Bundespartei abzuschirmen.

Doch das war mal.

Hinter den Kulissen kriselt es schon länger

In die jetzt zahlreich angestimmten Lobeshymnen auf das Lebenswerk Dreyers mischen sich auch kritische Stimmen. Denn auch in Rheinland-Pfalz ließ die SPD zuletzt Federn. Das Ergebnis der Europawahl war auch hier beklagenswert: Mit 17,5 Prozent der Stimmen erreichte die Sozialdemokratie auch in Rheinland-Pfalz ein neues, historisches Tief. Bei den zeitgleich stattfindenden Kommunalwahlen konnte sie immerhin ihr Ergebnis vom letzten Mal halten (22 Prozent).

Dass es bei den Genossen in Rheinland-Pfalz schon seit Längerem kriselt, zeigte etwa ein Treffen der rheinland-pfälzischen Bundestagsabgeordneten mit dem Vorsitzenden des Landesverbandes, Roger Lewentz, am Dienstag. Wie Teilnehmer der Runde t-online berichten, wurde dort die Wahlniederlage vom 9. Juni auseinandergenommen. "Die Plakate waren schlecht, die Botschaften fragwürdig, die ganze Organisation der Wahlkampagne unprofessionell", fasst ein Teilnehmer der Runde seine Kritik zusammen.

Zudem hätten mehrere Abgeordnete der rheinland-pfälzischen Landesgruppe klargemacht, dass sie "neue Impulse" von der SPD in Rheinland-Pfalz erwarten. Aus dem rheinland-pfälzischen Landesverband ist zu hören, Dreyer habe sich zu stark auf Themen wie soziale Teilhabe und Gleichstellung fokussiert, dafür die Industrie-, Arbeitsmarkt- und Migrationspolitik vernachlässigt.

Ein Rücktritt als Chance

In der SPD Rheinland-Pfalz wird die Frage, wie sich die Partei für die Zukunft aufstellen will, schon länger diskutiert. Dafür bleibt der Partei nicht mehr allzu viel Zeit: Im Herbst 2025 ist Bundestagswahl, nur ein halbes Jahr später wird auch der Landtag in Rheinland-Pfalz neu gewählt – eine Art Dauerwahlkampf, der im Frühjahr nächsten Jahres beginnt. Dafür will sich die SPD nicht nur strategisch neu aufstellen, sondern auch personelle Veränderungen vornehmen.

Wie am Mittwoch ebenfalls bekannt wurde, betrifft das nicht nur die Regierungschefin, sondern auch die Führung des Landesverbandes: Roger Lewentz, der sich tags zuvor noch den Frust der Abgeordneten anhören musste, gibt ebenfalls sein Amt ab. Neue Landesvorsitzende wird Sabine Bätzing-Lichtenthäler, die SPD-Fraktionschefin im Landtag. Lewentz war erst im November 2023 als Vorsitzender für die nächsten zwei Jahre bestätigt worden, er sollte die Partei auf den Übergang vorbereiten.

Nun ist schon nach sieben Monaten Schluss. Neben der Regierungschefin nimmt auch der Chef des Landesverbandes seinen Hut – Chaostage bei der SPD in Rheinland-Pfalz? Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD und rheinland-pfälzische Bundestagsabgeordnete, Verena Hubertz, widerspricht. "Der Übergang wurde gemeinsam orchestriert", sagt Hubertz t-online. Die Schlappe bei der Europawahl sei "desaströs" gewesen, habe aber den Rücktritt Dreyers nicht beschleunigt.

"Respekt", aber auch "Erleichterung"

Doch ob der Übergang tatsächlich so wohl orchestriert wurde, ist fraglich. Bei der SPD Rheinland-Pfalz heißt es intern, dass die Diskussion um Malu Dreyer und ihre Konzepte für die Zukunft schon seit Monate laufe. Ein Mitglied des rheinland-pfälzischen Landesverbands sagt etwa, Dreyers Rücktritt verdiene "Respekt", man habe es aber auch mit "Erleichterung" aufgenommen. Nun gelte es, die Partei fit für die nächsten Wahlkämpfe zu machen.

Auch die Äußerungen des noch amtierenden SPD-Landeschefs nach der Europawahl weisen darauf hin, dass die herben Verluste der SPD den Übergang beschleunigt haben könnten. Lewentz hatte für mächtig Wirbel gesorgt, als er sich nach der Wahl als scharfer Kritiker der eigenen Reihen hervortat: Die Europawahl sei "ein Desaster für die deutsche Sozialdemokratie", so Lewentz. Man habe die Bevölkerung "stark verunsichert", die Wahlkampagne sei schlecht vorbereitet gewesen.

Der ehemalige Landesinnenminister von Rheinland-Pfalz, der damals infolge der Ahrtal-Flut zurücktrat, schob die Schuld für die Wahlschlappe jedoch nicht nur auf die Ampel. Zwar müsse sich in Berlin "Gewaltiges ändern", doch Lewentz sprach nicht zufällig auch von einem "schweren Sonntag für die rheinland-pfälzische Sozialdemokratie". Er rate seiner SPD dazu, bei den Wählern jetzt "ganz genau hinzuhören". Ein Lob für die Politik der langjährigen Landeschefin Malu Dreyer klingt anders.

Wer ist "der Neue"?

Der rheinland-pfälzische Bundestagsabgeordnete Joe Weingarten sieht dem Wechsel an der Spitze positiv entgegen. Alexander Schweitzer sei "genau der richtige Mann zur richtigen Zeit", so Weingarten. Als bisheriger Arbeitsminister bringe er die Kompetenz und Glaubwürdigkeit mit, den Fokus wieder stärker auf die "arbeitende Mitte" zu legen. "Wir müssen uns grundlegend neu aufstellen. In Rheinland-Pfalz, aber auch in der Berliner Parteizentrale. In der Verfassung, in der sich das Willy-Brandt-Haus derzeit befindet, können wir nicht in den Bundestagswahlkampf."

Der 50-jährige Schweitzer stammt aus dem südpfälzischen Landau und ist derzeit Vizevorsitzender im rheinland-pfälzischen SPD-Landesverband. Als Arbeitsminister legte er unter anderem den Schwerpunkt auf die Transformation der rheinland-pfälzischen Wirtschaft zur Klimaneutralität, Digitalisierung und den Fachkräftemangel. Mit dem Projekt "Jobcoach24+" sollen etwa Bürgergeld-Bezieher gezielter in den Arbeitsmarkt integriert werden. Parteifreunde nennen ihn "bodenständig" und "sturmerprobt".

Ob Schweitzer den Sturm in der rheinland-pfälzischen SPD überlebt? Das muss sich zeigen. Das Vertrauen seines Landesverbands genießt er offenbar: Der sprach sich nämlich für ihn als neuen Ministerpräsidentin aus, und nicht für den Favoriten Malu Dreyers, Innenminister Michael Ebling. Die stille Machtübergabe hat hinter den Kulissen offenbar schon länger stattgefunden.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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