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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Einfluss der AfD auf die Justiz "Dann wird es noch ernster"
Wenn die AfD in Regierungsverantwortung kommen sollte, könnte die Unabhängigkeit der Gerichte in Gefahr sein. Aber auch in der Opposition könnte die Partei schon Einfluss nehmen, sagt Jurist Bijan Moini.
Eine Wahlwiederholung in Berlin, ein mögliches Parteiverbot der AfD oder ein Klimaschutzgesetz, das nicht weit genug geht – das Bundesverfassungsgericht wacht darüber, wie die Politik arbeitet, und urteilt, wenn sie Fehler macht. Die Unabhängigkeit des höchsten deutschen Gerichts ist daher unabdingbar. Doch Verfassungsrechtler warnen davor, dass diese in Gefahr ist, je mehr Zustimmung die AfD bekommt.
Bundespolitiker diskutieren nun, wie das Bundesverfassungsgericht vor parteipolitischer Einflussnahme geschützt werden kann. Im Gespräch mit t-online erklärt der Jurist Bijan Moini von der Gesellschaft für Freiheitsrechte, wo das größte Gefahrenpotenzial liegt und welche konkreten Maßnahmen die Politik jetzt ergreifen muss.
t-online: Herr Moini, welchen Einfluss hat die AfD aktuell auf das deutsche Justizsystem?
Bijan Moini: Das hängt von den jeweiligen gesetzlichen Regelungen in den Ländern ab. Vor ein paar Tagen ist der Einfluss aber schon zum Tragen gekommen, als in Bayern bei der Wahl neuer ehrenamtlicher Verfassungsrichterinnen und -richter auch zwei AfD-Kandidaten gewählt wurden.
In Staaten, in denen rechtspopulistische Parteien an der Regierung sind, zeigt sich immer wieder, dass sie relativ schnell nach der Regierungsübernahme politisch Einfluss auf die Justizsysteme nehmen. Sehen Sie diese Gefahr auch für Deutschland?
Dafür muss die AfD nicht einmal an der Regierung sein. Wenn die jetzigen Regelungen bleiben, wie sie sind, und die AfD in Zukunft mehr als ein Drittel der Mandate im Bundestag erhält, ist ein solcher Einfluss programmiert. Aktuell benötigen Verfassungsrichter, um vom Bundestag gewählt zu werden, eine Zweidrittelmehrheit. Hat die AfD als Opposition über ein Drittel der Mandate, müssten die Regierungsparteien mit ihr verhandeln, um eine neue Verfassungsrichterin zu wählen. Dadurch könnte die AfD möglicherweise einzelne, ihr nahestehende Richterinnen und Richter durchsetzen.
Zur Person
Dr. Bijan Moini ist Rechtsanwalt und leitet das Legal Team der Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. (GFF). Die GFF führt strategische Klagen zur Durchsetzung von Grund- und Menschenrechten und hat einige Grundsatzurteile erstritten. Moini ist auch Autor und schreibt regelmäßig zu gesellschaftspolitischen Themen. Zuletzt erschien von ihm "Unser gutes Recht. Was hinter den Gesetzen steckt" (2021).
Und wenn die AfD an einer Bundesregierung beteiligt wäre?
Dann wird es noch ernster. Die AfD könnte das Bundesverfassungsgerichtsgesetz selbst ändern, denn dafür bräuchte sie nur eine einfache Mehrheit. Sie könnte das Gesetz dann beispielsweise so anpassen, dass es für die Besetzung von Richterinnen und Richtern keine Zweidrittelmehrheit mehr bräuchte. So könnte die AfD im Bundesverfassungsgericht nach und nach bis zu vier Richterinnen- und Richterposten pro Senat einfacher mit eigenen Leuten besetzen – das wäre die Hälfte der jeweiligen Senate. Die andere Hälfte bestimmt der Bundesrat.
Es gäbe ja für die AfD – im Falle einer Regierungsbeteiligung – auch noch die Möglichkeit, einen dritten Senat im Bundesverfassungsgericht zu schaffen.
Ja, auch dieses Risiko ist ernst zu nehmen. Bislang ist im Grundgesetz nicht geregelt, wie das Bundesverfassungsgericht eigentlich aufgebaut ist. Aktuell gibt es zwei Senate mit verschiedenen Kompetenzen. Wenn die AfD mit einfacher Mehrheit das Bundesverfassungsgerichtsgesetz ändert, könnte sie einen solchen neuen Senat installieren. Der wäre dann komplett neu zu besetzen und zumindest bei der Hälfte der Sitze könnte die AfD dann mitbestimmen.
Was würde ein solcher neuer Senat bedeuten?
Die AfD könnte diesem Senat dann die wichtigsten Aufgaben zuordnen – beispielsweise die Überprüfung von neuen Sicherheitsgesetzen auf ihre Verfassungskonformität.
Gibt es für die AfD denn unabhängig von der Richterpostenbesetzung noch Möglichkeiten der Einflussnahme?
Durchaus. Auch die Gesetzeskraft der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, dank der es zum Beispiel verfassungswidrige Gesetze wirklich für nichtig erklären kann, ist aktuell im Bundesverfassungsgerichtsgesetz geregelt und nicht im Grundgesetz. Die AfD könnte diese Gesetzeskraft ebenfalls mit einfacher Mehrheit aushebeln. Um das Bundesverfassungsgericht "AfD-fest" zu machen, müsste dieser Punkt auch beachtet werden.
Wie könnten solche Szenarien verhindert werden?
Die Bundesregierung könnte jetzt durch eine Zweidrittelmehrheit gemeinsam mit der Union Regelungen aus dem Bundesverfassungsgerichtsgesetz in das Grundgesetz schreiben – wie beispielsweise den Aufbau des Bundesverfassungsgerichts. Dann bräuchte es für Änderungen an diesen Regelungen wiederum eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und im Bundesrat. Für die AfD wäre das zumindest in absehbarer Zeit nicht erreichbar. Dann hätte man das Gericht sozusagen abgesichert gegen solche Einflussnahmen.
Das ist auch die Option, die aktuell politisch diskutiert wird.
Ja, diese Diskussion ist wichtig. Es gibt aber auch noch eine zweite Option, bei der das Bundesverfassungsgericht selbst Änderungen am Bundesverfassungsgerichtsgesetz zustimmen müsste. Das wäre eine Art Vorabkontrolle von Änderungen. Die Option wird aktuell noch nicht breit diskutiert. Ich halte diese Möglichkeit allerdings für eleganter, denn das Grundgesetz müsste dafür nur minimal angepasst werden und das Bundesverfassungsgericht könnte so auch künftig leichter reformiert werden, weil für Reformen eine einfache Mehrheit im Bundestag genügt.
Und wie kann verhindert werden, dass die AfD schon als große Oppositionspartei Einfluss auf die Wahl der Richterinnen und Richter nimmt?
Dafür könnte beispielsweise die Regelung eingeführt werden, dass die Spitzen der Bundesgerichte eine neue Richterin bestimmen, falls es im Bundestag zu einer Blockade kommt.
In Polen versucht die neue Regierung derzeit, die Eingriffe in die Justiz zurückzudrehen, doch leicht hat sie es nicht. Angenommen, das passiert in Deutschland: Ließen sich solche Eingriffe schnell rückgängig machen?
Wenn es wirklich einen dritten Senat mit neuen Richterinnen und Richtern gäbe, würde man den kurzfristig schwerlich wieder abschaffen können. Diese Richterinnen und Richter wären bis zum Ende ihrer Amtszeit von zwölf Jahren benannt. Damit müsste der Staat zurechtkommen. Die Zuständigkeiten der einzelnen Senate könnten zwar wieder anders verteilt werden, ein Selbstläufer ist das aber nicht.
Herr Moini, vielen Dank für das Gespräch.
- Telefongespräch mit Bijan Moini
- eigene Recherche