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Die AfD und der schwule Deutschtürke – abschieben statt aufnehmen


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Abschieben statt aufnehmen
Die AfD und der schwule Deutschtürke


Aktualisiert am 30.11.2023Lesedauer: 8 Min.
Ali Utlu: Der 52-Jährige Ex-Muslim zeigt hier 2019 Flagge für einen Verein, der vor allem vor dem Islam geflüchteten Menschen hilft. Er wollte AfD-Mitglied werden.Vergrößern des Bildes
Ali Utlu: Der 52-jährige Ex-Muslim engagierte sich mit einem Verein, der insbesondere vor dem Islam geflüchteten Menschen hilft. Er wollte AfD-Mitglied werden. (Quelle: Screenshot twitter.com)

Der Lagerstreit in der AfD eskaliert: Beatrix von Storch hatte einen schwulen Deutschtürken vom Eintritt in die Partei überzeugt. AfD-Rechtsaußen kündigten ihm prompt die Abschiebung an.

Ali Utlu und Ronai Chaker in der AfD, das ist für einige in der AfD eine Zumutung: Der Kölner Schwule mit türkischem Migrationshintergrund wollte Mitglied werden, die Jesidin und Ehefrau des bayerischen AfD-Bundestagsabgeordneten Martin Sichert unterstützte ihn. "Ihr gehört abgeschoben", schrieb daraufhin der Vizechef der Jungen Alternative (JA) Deutschland, Nils Hartwig. Und der Schatzmeister der JA und bayerische Landtagsabgeordnete Franz Schmid erklärte die AfD zur "Partei der autochthonen [ursprünglichen, eingeborenen] Deutschen".

Mit solchen Äußerungen tritt offen zutage, was die Parteispitze stets abstreitet: Rassismus auch gegenüber eigenen Mitgliedern. Der Tenor: Richtiger Deutscher ist, wer das seit Generationen ist. Das köchelt seit Tagen auf dem Netzwerk X (vormals Twitter). Utlu berichtete nach der Ankündigung seines Beitritts von "Hunderten anonymen Trollen, die meine Mitgliedschaft torpedieren, zum Teil mit übelster homophober und rassistischer Hetze".

Und die Gegner des Paradiesvogels hatten Erfolg: Utlu hat den Plan aufgegeben, Mitglied der AfD zu werden. Er sieht durch die Reaktionen auf seine Pläne viele in der AfD "entlarvt". Er habe in einer Woche mehr Rassismus erfahren als in seinem bisherigen Leben. Und Ronai Chaker fragt: "Warum macht man diese Jugendorganisation [die JA] nicht komplett dicht?"


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Utlu war schon in diversen Parteien

Beim Fall Ali Utlu geht es um machtberauschte JA-Anhänger, die einen Abwehrkampf führen gegen jeden fremden Einfluss auf "das Deutsche" auch in den eigenen Reihen. Und es geht um eine Partei, aus der sich nur ein lokaler Funktionär hinter die Angegriffenen stellt.

Zur Vorgeschichte: Es war nicht unbedingt erwartbar, dass Utlu in der AfD würde landen wollen, Skepsis war nicht überraschend. Er hatte schon einige Parteien durch und wenig Treue gezeigt: Er trat 2013 bei der Piratenpartei aus, 2015 bei der Linken, sah da auch in der Partei der Humanisten eine mögliche neue Heimat, landete dann aber bei der FDP – und erklärte dort 2017 und erneut 2022 den Austritt. Das tat er immer auf der Plattform X.

Dort führte er vor mehr als 85.000 Followern einen Kampf gegen "Wokeness", vermeintlich überall bestimmende, übertriebene linke Ansichten. In der Vergangenheit ist er oft für AfD-Positionen angegriffen worden. Er sieht sich als "größten Albtraum und Hassobjekt von antirassistischen und queerfreundlichen Linken".

Trotzdem war es nach vielen durchaus AfD-kritischen Tweets der vergangenen Jahre eine Überraschung, als er am 12. November ein Foto von sich und Beatrix von Storch postete. Beide verbinden die extreme Ablehnung des Islam und von Gender-Anliegen. Utlu schrieb nach dem Treffen vom "tollen, langen Gespräch" – und kündigte seine Mitgliedschaft an.

Vielleicht hatte Storch damit eine Provokation für die Partei vor Augen, auf Fragen von t-online zu der Causa hat sie nicht geantwortet. Die Enkelin von Hitlers Reichsfinanzminister Johann Ludwig Graf Schwerin von Krosigk ist ein Dinosaurier in der AfD: Alle prominenten Gesichter der Anfangsjahre, die so ähnlich wie sie zu ticken schienen, haben die Partei längst unter Warnungen vor einer zunehmend völkisch-nationalistischen Ausrichtung verlassen oder dürfen mehr oder weniger bedeutungslos noch Diäten einstreichen.

"Netzwerk aufrechter Patrioten"

Als der damalige Parteichef Jörg Meuthen Anfang 2022 die AfD verließ, warnte er vor "ganz klar totalitären Anklängen" und dem "immer enthemmteren" Kurs der Partei. Abschiebungen von Deutschen mit Migrationshintergrund forderte da aber noch niemand so ungehemmt, nicht einmal aus dem rechtsextremen Lager. Nun gibt es dort wenig Zurückhaltung.

Storch wird von dieser Seite als transatlantische und israelfreundliche "LibKon" gesehen, als liberalkonservative Internationalistin, die in der Partei nichts mehr zu sagen hat. Und Stimmen wie ihre oder Utlus kann das andere Lager im Netz leicht übertönen. Es rühmt sich auch mit seiner Mobilisierungsfähigkeit und Schlagkraft: Nachdem Utlu den Rücktritt vom Eintritt verkündet hatte, freute sich der bayerische Landtagsabgeordnete Franz Schmid: "Rechtstwitter wirkt". Damit meine er "ein Netzwerk aufrechter patriotischer User, die Unkonstruktiven eine Mitgliedschaft in unseren Reihen ausreden".

Franz Schmid ist 23, gelernter Kinderpfleger und zweitjüngstes Mitglied im bayerischen Parlament. Jünger ist dort nur Daniel Halemba, von dem jetzt bekannt ist, dass in seinem Zimmer ein Himmler-Befehl mit SS-Runen über dem Bett hing. Vom gleichen Netzwerk um die JA sind sie in den Landtag gespült worden, t-online berichtete über den "Putsch der Burschen".

Dort spielt das "Vorfeld" eine große Rolle – Rechte und Rechtsextreme, die sich zu Teilen schon seit Jahren aus einer im Netz hierarchisch organisierten, rechtsextremen Gruppe namens "Reconquista Germanica" kennen –, das der AfD zur Bundestagswahl 2017 half. Sie hängen an den Lippen von Martin Sellner, dem österreichischen Vordenker aus der Identitären Bewegung, und sind Schnittstelle zum Institut für Staatspolitik von Götz Kubitschek in Schnellroda und Organisationen wie "EinProzent". All diese Organisationen werden vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft. Die Szene vermittelt es als cool und großen Spaß, rechts zu sein. Anhänger wenden viel Zeit und Kreativität auf, um in dem Netzwerk X möglichst gegen alles und jeden die Deutungshoheit zu behalten.

Vom "Stolzmonat" zum Abschiebeflieger "Düsi"

Ein Beispiel, das die Wirkung und Durchschlagskraft des losen rechten Netzwerks zeigt, ist der "Stolzmonat". Er ist eine Erfindung der Rechten – aus Unmut über den "Pride Month", den Monat zur Solidarität mit der LGBTQ-Szene, der mit Regenbogenfarben gefeiert wird.

Statt der Regenbogenfarben-Kombination nutzen die Rechten ein in sieben Farbabschnitte zerlegtes Schwarz-Rot-Gold. So viele Accounts wie noch nie beteiligten sich dabei an einer rechten Aktion, sie einte Aktivisten der früheren NPD mit AfD-Verbänden, auch Björn Höcke stieg in die Diskussion sofort mit "Stolzmonat"-Profilbild ein.

Der Schwule Utlu war auch deshalb nicht dabei. Er warnte aber vor "Framing", der "Stolzmonat" werde nur von Rechten und Rechtsextremisten unterstützt: "Ich sehe auch viele Homosexuelle, die da mitmachen. Sie sind nur von der Queer-Agenda genervt wie ich auch", twitterte er.

Utlu bekam zu der Zeit bereits einmal eine volle Breitseite aus der JA: Reimond Hoffmann, früherer Bundesvize, schrieb dem in Hessen aufgewachsenen Utlu, er solle das mit Genderpropaganda "lieber in der Heimat" tun. Hoffmann ist jemand, der sich mehrfach im Verfassungsschutzgutachten zur AfD findet. Zitiert wird etwa sein Satz aus dem Jahr 2018: "Wir brauchen dringend konsequente Remigration".

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2023 ist so etwas allgemeiner Sprachgebrauch in der JA. Nach dem "Stolzmonat" im Sommer wurde im Oktober "Düsi" erfunden, ein niedlich erscheinendes Comic-Flugzeug, das der Abschiebeflieger sein soll. Es gibt Bilder der "AfD Airlines", die Björn Höcke als Kapitän und Alice Weidel als Stewardess zeigen – das demonstriert auch, wer bei dem Kurs ganz vorne sitzt.

Nachricht an Politiker und Journalisten: #PackdeinenKoffer

Höcke erklärte passend dazu, er wolle den Flughafen Erfurt als "Drehscheibe der Remigration" nutzen. Mit Bezug darauf forderte ein wegen Hitlergrußes frisch verurteilter "Querdenker" deshalb auch den Personenbeförderungsschein öffentlich zurück, es gebe bald massenhaft Busse zu den Abschiebefliegern zu fahren.

Mit Memes empfahlen AfDler, wer alles auf Abschiebelisten gehöre. Vorgeschlagen wurden viele deutsche Politiker und Journalisten mit Migrationshintergrund, die dann Nachrichten mit #PackdeinenKoffer bekamen. In der AfD und im Umfeld ist also Abschiebeeuphorie ausgebrochen.

Für den aktuellen JA-Bundesvorsitzenden Nils Hartwig, früher bei der Identitären Bewegung aktiv, war deshalb vielleicht sein Tweet an Utlu und Ronai Chaker gar nicht so ungewöhnlich. Er gehöre in die AfD, schrieb Hartwig über einen Gegenspieler der beiden, "und ihr abgeschoben".

Mit "er", der in die Partei gehöre, meinte Hartwig einen weiteren führenden JA-Mitstreiter: Marvin T. Neumann war JA-Bundesvorsitzender und kam 2021 einem Parteiausschluss zuvor, nachdem er unter anderem gesagt hatte: "Es gibt keine 'Schwarze Deutsche und Europäer’. Sie sind bestenfalls Teil der Gesellschaft und besitzen bestimmte Staatsbürgerschaften, aber sie sind nicht Teil einer tradierten, authentischen 'europäische(n) Identität'."

Nach erzwungenem Abgang für JA-Bundesvorsitzenden tätig

Neumann sieht einen "inneren Kampf des Westens unter US-Führung gegen die ethnischen Stammgruppen seiner Gesellschaften", spricht von einer "Autoimmunkrankheit der westlichen Zivilisation" und sieht da Anknüpfungspunkte zum Islamismus. Nach seinem AfD-Austritt landete er bald als Mitarbeiter beim Bundestagsabgeordneten Hannes Gnauck, vom Militärischen Abschirmdienst als Rechtsextremist eingestuft und seit dem vergangenen Jahr Bundesvorsitzender der Jungen Alternative.

Mit Neumanns Äußerung wurde eine weitere Bruchlinie in der AfD sichtbar: Es geht nicht nur um Westbindung oder Russland-Freundschaft. In der Partei gibt es Leute, die durchaus Bewunderung für den autoritären und völlig illiberalen Islam haben und dort Mitstreiter sehen. Maximilian Krah beispielsweise, Spitzenkandidat der AfD für die Europawahl, lobte die Eroberung der afghanischen Hauptstadt Kabul durch die islamistischen Terroristen der Taliban als "einzig richtige Antwort" auf die Schwulenbewegung.

"Patrioten sind niemals Feinde", hat Maximilian Krah gerade mit Blick auf den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan erklärt. Krah hat auch schon beklagt, dass die "linksliberale Schickeria den Islam demütigt", und den Friedenspreis des Buchhandels für Salman Rushdie kritisiert.

Neumann schrieb: "Es gibt schon Alis, die die AfD wählen. Nur sind das die, gegen die Utlu jeden Tag postet." Der Westen unter US-amerikanischer Führung betreibe quasi einen inneren Kampf gegen die ethnischen Stammgruppen seiner Gesellschaften.

Utlu twittert gegen Islamisten und türkische Nationalisten; Teile der AfD haben mit türkischen Nationalisten weniger Probleme als mit dem schwulen Deutschtürken oder Ronai Chaker, der selbstbewussten Stimme der von Islamisten verfolgten Jesiden.

Neumanns Äußerung hatte Ronai Chaker auf den Plan gerufen, sie sprang mit ihren 30.000 Abonnenten Utlu bei: "Freue mich über jede islamkritische Person, die der AfD beitritt und einem Marvin zeigt, wo er hingehört." Es folgte die bekannte Antwort von Hartwig – und es folgten zahllose Angriffe auf die beiden und wenige, die sich solidarisierten.

Die inzwischen aus der AfD ausgetretene Bundestagsabgeordnete Joana Cotar, mit fünf Jahren als Flüchtling vor dem rumänischen Ceaușescu-Regime nach Deutschland gekommen, schrieb, sie bekomme gerade Nachrichten wie "Verpiss dich zurück nach Rumänien". "Ich kenne das alles", antwortete sie Chaker.

"Niemand hat mich in Schutz genommen"

Chaker bekam die Unterstützung ihres Mannes, des AfD-Bundestagsabgeordneten Martin Sichert. Ansonsten hielten sich prominente AfDler heraus. "Es gab massenhaft Threads, ob der Ali zum deutschen Volk gehört", beklagte sich Utlu am Dienstag in einem Space, einem Live-Gespräch auf der Plattform X. "Diese Leute akzeptieren nur autochthone Deutsche" – also solche ohne Migrationshintergrund. "Und niemand sonst hat mich in Schutz genommen."


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Zumindest in Utlus lokalem Umfeld gibt es aber noch Unterstützer: Sascha Ulbrich, Kreisvorstand in Bonn, Büroleiter der NRW-Abgeordneten Sebastian Jacobi* und Jochen Haug, bat Utlu in dem Live-Gespräch, den Rückzug noch einmal zu bedenken und lud ihn zum Kaffee ein. "Ich gehe tausendmal lieber mit Dir einen Kaffee trinken als mit denen, denen würde ich auf den Teller scheißen." Das Ausmaß sei für ihn erschreckend, es sei aber auch nicht klar, wie viele Beteiligte wirklich in der AfD und wie viele Mehrfach-Accounts beteiligt seien.

Zu t-online erklärte der lokale AfD-Funktionär: "Die Leute, die gegen Menschen wie Roni und Chaker hetzen, gehören nicht in diese Partei." Er forderte Utlu und Chaker auf, ihm Screenshots der heftigsten Postings zu senden. Er leite das an den Landesvorstand weiter. "Und ich hoffe, dass es dann heftige Reaktionen gibt."

Signale dafür gibt es bisher nicht. Die Bundespartei teilte auf Anfrage lediglich mit, in der "Alternative" seien "alle deutschen Bürger – ob mit oder ohne Migrationshintergrund – herzlich willkommen, welche unser Grundsatzprogramm und die Satzung anerkennen und für die freiheitlich-demokratische Grundordnung Deutschlands eintreten", dazu wurde aufs Grundsatzprogramm verwiesen. Zu möglichen Parteiordnungsverfahren wollte die Partei nicht Stellung nahmen, weder sie noch Hartwig kommentieren, ob in anderer Sache ein Ausschlussverfahren läuft.

*Wir hatten an dieser Stelle Fabian Jacobi falsch "Jacoby" geschrieben.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • netzpolitik.org: Wir veröffentlichen das Verfassungsschutz-Gutachten zur AfD
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