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Aufrüstung in Deutschland und Europa: Diese Gefahren drohen


Bedrohung durch Russland
Blockieren Abgeordnete die Aufrüstung aus Eigennutz?


22.03.2025 - 20:22 UhrLesedauer: 5 Min.
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Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) beim Besuch eines Übungsplatzes der Bundeswehr: Die Truppe soll wieder "kriegstüchtig" werden. (Quelle: IMAGO/JOERAN STEINSIEK)
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US-Präsident Trump hat die Europäer aufgeschreckt. Zig Milliarden Euro sollen künftig in die Aufrüstung fließen. Doch die Beschaffung hat viele Tücken.

Seit mehr als drei Jahren führt Russland seinen Krieg gegen die Ukraine, doch wirklich aufgeschreckt hat die Europäer erst die plötzliche Abkehr der USA von ihren Verbündeten. Jetzt soll es schnell gehen mit der Aufrüstung gegen die Bedrohung aus dem Osten: Viele Länder haben ihre Wehretats schon aufgestockt. Auch die Bundeswehr soll ohne Rücksicht auf die Schuldenbremse kriegstüchtig gemacht werden, und die EU will obendrauf fast eine Billion Euro für die Rüstung mobilisieren.

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Doch Geld allein wird die Probleme nicht lösen, da sind sich alle Experten einig. Bis Ende des Jahrzehnts sollte Europa in der Lage sein, theoretisch einen Großkrieg gegen Russland zu führen, mahnte jüngst EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei der Vorstellung eines Strategiepapiers zur europäischen Verteidigung. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die Länder Europas auf vielen Baustellen gleichzeitig vorankommen – ein Überblick.

Welche Waffen braucht Europa jetzt?

Die Zeit der gepanzerten Massenheere des Kalten Krieges ist vorbei, da sind sich praktisch alle Experten einig. "Kampfpanzer wird man zwar auch in Zukunft brauchen, um ein Territorium zu besetzen", sagt etwa der Rüstungsexperte Michael Brzoska vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Uni Hamburg t-online. "Allerdings hat sich im Ukraine-Krieg gezeigt, dass Panzer sehr anfällig für Angriffe mit Drohnen sind."

Auch Artilleriegeschütze wie die Panzerhaubitze 2000 wird es in Zukunft zwar noch brauchen, aber in geringerem Umfang, sagt Brzoska: "Die Ukrainer haben gezeigt, dass die Aufgaben der Artillerie inzwischen immer mehr von Kamikazedrohnen erfüllt werden", so der Konfliktforscher, der Ende 2023 mit seiner Studie "Arsenale, Aufträge, Amigos" über das deutsche Beschaffungswesen viel Aufmerksamkeit erregte.

Ähnlich verhält es sich mit Kampfflugzeugen. Seit Jahrzehnten komme immer wieder die Debatte auf, ob es diese in Zukunft überhaupt noch braucht, sagt Michael Brzoska. Zuletzt etwa stellte Tech-Unternehmer Elon Musk den Nutzen des US-Jets F-35 infrage – und erntete gleich Widerspruch von Fachleuten. Auch Brzoska glaubt, dass es in Zukunft noch Kampfflugzeuge geben wird: "Die haben halt den Vorteil, dass sie nicht so verwundbar sind wie Drohnen."

Angesichts der wachsenden Bedeutung von Drohnen in der Kriegsführung geht Brzoska davon aus, dass auch deutsche Firmen wie Quantum Systems oder Helsing die Automatisierung auf dem Schlachtfeld vorantreiben werden. "Das hat natürlich eine dunkle Seite, die Sorge, dass sich eine Künstliche Intelligenz irgendwie selbstständig macht", so der Forscher. "Aber das wird man wohl klären können."

Abgesehen von Kampfjets, Drohnen, Panzern und Artilleriegeschützen wird Europa vor allem Flugabwehrgeschütze, Raketen und Marschflugkörper wie den Taurus brauchen, um gegen Russland zu bestehen, so Michael Brzoska. Letztere seien vor allem wichtig, um gegnerische Verbände aufzuhalten: "Beim Aufbau offensiver Raketenarsenale muss man allerdings aufpassen, dass es nicht zu gegnerischen Präventivmaßnahmen kommt", gibt der Konfliktforscher zu bedenken.

Kann Europa auf Komponenten aus den USA verzichten?

Seit die USA Anfang März kurzzeitig die Versorgung der Ukraine mit Geheimdienstinformationen und Satellitenbildern einstellten, ist das Misstrauen in Europa groß. Kann man dem wichtigsten Verbündeten noch trauen? Mehrere Nato-Länder haben diese Frage inzwischen mit Nein beantwortet und wollen statt der F-35 aus den USA lieber andere Kampfflugzeuge beschaffen. Zu groß ist die Sorge, dass die US-Regierung die Abhängigkeit der Europäer instrumentalisieren könnte.

Michael Brzoska hält diese Sorge allerdings für übertrieben. "Die USA beliefern seit Jahrzehnten alle möglichen Länder mit Waffen und sind dabei nicht als unzuverlässig aufgefallen", argumentiert er. "Und auch Donald Trump hat ein Interesse daran, dass die US-Rüstungsindustrie weiterhin Waffen nach Europa verkaufen kann." Auch Deutschland hat 35 F-35 in den USA bestellt.

Zudem könne es zu "Riesenproblemen" kommen, wenn die Europäer jetzt zwanghaft versuchen würden, sich komplett unabhängig zu machen. "Viele Komponenten in europäischen Waffensystemen kommen aus den USA und lassen sich nicht von heute auf morgen ersetzen. Wer garantiert, dass nicht auch Eurofighter und Rafale einen 'kill switch' eingebaut haben?", sagt Brzoska mit Blick auf die jüngsten Gerüchte um den F-35, denen zufolge die USA jeden dieser Kampfjets aus der Ferne einfach lahmlegen könnten.

Was muss bei der Beschaffung beachtet werden?

Wenn die geplante Aufrüstung Europas ein Erfolg werden soll, muss bei der Waffenbeschaffung vieles besser werden, da sind sich Fachleute einig. In der Vergangenheit seien häufig viel zu komplizierte Systeme bei der Industrie bestellt worden. "Da wurde das Wünschbare zu oft vor das Machbare gestellt", sagt Michael Brzoska. Die seit 2022 eingeleiteten Reformen hätten aber schon dazu beigetragen, dass nun eher günstige und verfügbare Waffen gekauft werden.

Ein weiteres Problem sieht Brzoska in den Begehrlichkeiten von Abgeordneten, in deren Wahlkreisen Rüstungsbetriebe angesiedelt sind. Für diese Politiker sei es oft wichtiger, dass "ihre" Firmen von der Beschaffung profitieren, als dass die Truppe das bestmögliche Material erhält. In diesem Zusammenhang mahnt Brzoska beispielsweise Reformen im Bewilligungsausschuss des Bundestags an. "Es brauchte eine langfristige Planung für die Bedarfe der Bundeswehr und gleichzeitig klare Vorgaben an die Industrie", so Brzoska.

Auch bei der Beschaffung auf europäischer Ebene sieht Brzoska mögliche Probleme: "Frankreich macht Druck, dass Waffen und Ausrüstung möglichst innerhalb der EU gekauft werden", erklärt der Forscher. "Aber es wäre falsch, Länder wie Großbritannien aus der gemeinsamen Beschaffung auszuschließen."

 
 
 
 
 
 
 
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Grundsätzlich sei es aber vorteilhaft, dass im Rahmen der EU größere Mengen zu günstigeren Preisen beschafft werden könnten. Im Übrigen spricht er sich dafür aus, dass in der EU Waffen und Rüstungsgüter auch über gemeinsame Anleihen beschafft werden, damit auch Länder mit weniger Spielraum im Haushalt wie Frankreich und Italien bei der Aufrüstung mitziehen.

Ist das Beschaffungswesen in Deutschland so schlecht wie sein Ruf?

Die häufige Kritik am Beschaffungsamt der Bundeswehr in Koblenz (BAAINBw) hält Michael Brzoska für unangemessen. Das Amt mit knapp 12.000 Mitarbeitern sei immer noch deutlich unterbesetzt.

Zudem würden die Beamten dort nach gesetzlichen Vorgaben arbeiten und hätten komplexe Aufgaben zu erfüllen: "Die müssen ja auch prüfen, ob ein von der Industrie geliefertes System tatsächlich alle Anforderungen erfüllt. Und wenn dabei Fehler passieren, fällt das auf die Beamten zurück."

Gibt es genügend Fachkräfte, um die Aufrüstung zu stemmen?

Vor kurzem warnte die Personalberaterin Eva Brückner, die als "Headhunterin" gezielt Mitarbeiter für Rüstungsfirmen wie Rheinmetall anwirbt, vor einem "jetzt schon erheblichen Fachkräftemangel" in der Branche. Dieser Mangel werde durch die geplanten Rüstungsausgaben noch einmal deutlich verschärft, berichtete Brückner. Rüstungsexperte Brzoska ist allerdings zuversichtlich, dass die Industrie das Problem in den Griff bekommen wird.

"In den kommenden drei, vier Jahren wird es beim Personal einen Engpass geben, weil die Industrie Zeit braucht, um Menschen auszubilden", erklärt Brzoska. Allerdings brauche es für die Rüstung heute keine Massen an Menschen mehr, sondern eher Spezialisten. Vor allem Ingenieure und IT-Experten würden mit Blick auf die Automatisierung von Waffensystemen gebraucht. Seiner Einschätzung nach dürften jetzt auch viele Beschäftigte aus der kriselnden Autoindustrie den Weg in die Rüstungsindustrie finden.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche

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