Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Europa im Umbruch Dafür hat der Springteufel Trump gesorgt

Im Geschwindschritt verwandelt sich die EU in eine Verteidigungsunion. Gelingt es ihr wirklich, Drohnen, Panzer oder Luftverteidigung gemeinsam zu bauen?
Gut möglich, dass US-Präsident Donald Trump scheitert, weil sein wildes Hin und Her dazu führt, dass die Wall Street ihm das Vertrauen entzieht, dass die Preise wegen seiner Zoll-Orgien in die Höhe schnellen und die Massenentlassungen lebenswichtige Adern des Staates schwächen.
Ohnehin ist es ja so, dass die Welt vermutlich nur vier Jahre Trump überstehen muss, kein besonders langer Zeitraum. Bei seinem Abschied wird dieser merkwürdigste aller neuzeitlichen US-Präsidenten 82 Jahre alt sein und wenn das Gesetz der Serie weiterhin zutreffen sollte, wird das exakte Gegenteil vom Typus Trump zu seinem Nachfolger gewählt werden.

Zur Person
Gerhard Spörl interessiert sich seit jeher für weltpolitische Ereignisse und Veränderungen, die natürlich auch Deutschlands Rolle im internationalen Gefüge berühren. Er arbeitete in leitenden Positionen in der "Zeit" und im "Spiegel", war zwischendurch Korrespondent in den USA und schreibt heute Bücher, am liebsten über historische Themen.
Natürlich müssen wir davon ausgehen, dass in dieser Zeitspanne sein Zerstörungswerk weit gediehen sein kann. Nicht alles wird sich rückgängig machen lassen. Vor allem an der strategischen Blickrichtung wird sich nichts ändern.
China ist der Zielpunkt amerikanischer Strategie
Egal, wer auf Trump folgt, und auch egal, wie zivilisiert er oder sie auftreten mögen, an der grundsätzlichen Entscheidung zur Abkehr von Europa wird sich wohl nichts ändern. China ist der Zielpunkt amerikanischer Strategie und bleibt es auch. Der Antagonismus zwischen der alten und der neuen Supermacht wird den Rest dieses 21. Jahrhundert beherrschen.
Europa gehört ab jetzt den Europäern. Deshalb tut Europa auch gut daran, im Eiltempo das Versäumte aufzuholen. An Geld mangelt es nicht. Die Europäische Union stellt 150 Milliarden Euro bereit, damit sich auch hoch verschuldete Länder wie Italien einigermaßen günstige Kredite beschaffen können, um ihre Aufrüstung zu finanzieren. Insgesamt 800 Milliarden Euro will die Kommission durch gelockerte Schuldenregeln mobilisieren.
Auf nationaler Ebene blüht die Rüstungsindustrie schon länger. Händeringend suchen Konzerne wie Rheinmetall Entwicklungsleiter, It-Experten oder Produktionsprofis. Der Taufkirchener Sensorik- und Radar-Spezialist Hensoldt baut seine Produktion aus, ebenso wie der Hersteller des Luftverteidigungssystems Iris-T-SLM der Diehl Defence Gruppe oder der Drohnen-Hersteller Quantum Systems.
Rüstungsindustrie könnte 760.000 Fachkräfte brauchen
In Deutschland und wohl auch bald in Europa entsteht auf dem Rüstungssektor eine Kriegswirtschaft. Das ist die Folge der Notwendigkeit, kriegstaugliche Armeen für den Fall der Fälle aufzubauen. Die Frage ist nur, ob es Europa gelingt, Panzer, Drohnen und Flugabwehr in konzentrierter Aktion zu bauen.
Zeit wird es. Momentan sind in Europa mehr als 150 verschiedene Waffensysteme in Gebrauch. Dabei wird viel Zeit und Geld verschwendet, wie man seit vielen Jahren weiß. Deshalb gibt es so keine Alternative zu gemeinsamen Verteidigungsprojekten.
Es sieht danach aus, dass in den nächsten Jahren Hunderttausende Stellen in der europäischen Rüstungsbranche besetzt werden müssen. Die Unternehmensberatung Kearney hat ausgerechnet, dass bei einer Steigerung der Verteidigungsausgaben auf 3 Prozent 760.000 Fachkräfte gebraucht werden.
Kommt jetzt die europäische Armee?
"Vor allem da, wo sich konventionelle Rüstung und technologische Schlüsseldisziplinen wie Künstliche Intelligenz treffen, wo es um autonome Waffensysteme, elektronische Kriegsführung und die digitale Vernetzung an der Front geht, könnte es sehr eng werden – dort fehlen die Leute", beschreibt die "Süddeutsche Zeitung" die Lage.
Die ökonomisch bestimmte Europäische Union baut sich zu einer Verteidigungsunion um. So etwas gab es übrigens schon einmal, als Idee und als Projekt, lang ist’s her, im Jahr 1950 war das. Auch damals ergriff Frankreich die Initiative und schlug vor, eine europäische Armee zu schaffen. Sie sollte aus den Benelux-Staaten, Italien, Deutschland und Frankreich bestehen.
Der Zweck bestand darin, weitere Kriege unter europäischen Nationen zu verhindern und den europäischen Gedanken zu stärken. Aus der Verteidigungsunion wurde nichts, weil im französischen Parlament keine Mehrheit dafür zustande kam. Kurz darauf, 1955, wurde Deutschland Teil der Nato.
Frankreich will Europa nicht nur als ökonomische Macht
Der Sinn des Bündnisses sei es, so lautete damals ein Bonmot, Amerika drin, die Sowjetunion draußen und Deutschland unten zu halten. Das Trump-Amerika möchte jetzt nicht mehr drin sei, umwirbt Russland und signalisiert Europa: Macht euren Dreck doch alleine.
Frankreich denkt schon länger über Alternativen nach. Emmanuel Macron zauberte nichts aus dem Hut, als er vor wenigen Jahren die Gründung einer europäischen Armee vorschlug. Er stand in einer langen Tradition. Frankreich fühlt sich dazu berufen, mehr aus Europa zu machen als nur eine ökonomische Macht. Macron geht heute noch weiter, indem er anbietet, Frankreichs Atommacht auf Europa auszudehnen.
Nicht jeder Vorschlag ist golden. Aber es lohnt sich, darüber zu diskutieren. Der Status quo lässt sich ohnehin nicht mehr halten.
Trump bringt Europa in Bewegung
Unter dem Joch der Geschichte formiert sich Europa politisch neu. England und Frankreich gehen voran, gut so. Dazu gesellt sich Polen als stärkste Armee Osteuropas. Fehlt nur noch Deutschland, das unter Olaf Scholz an Bedeutung verlor. Friedrich Merz muss den Verlust schnell wettmachen. Auch Italien zählt unter Giorgia Meloni erstaunlicherweise zu den zuverlässigen Ländern.
Diese Staaten könnten ihre Außen- und Sicherheitspolitik bündeln "und damit ein Schwergewicht in der EU schaffen", schlägt der Historiker Herfried Münkler vor. Damit würde ein Kerneuropa entstehen, von dem schon früher immer mal geredet worden war.
Viel ist nötig, was vor Kurzem noch undenkbar erschien. Dafür hat der Springteufel Trump gesorgt, dem eine machtbasierte Ordnung vorschwebt, keine regelbasierte wie dem alten Westen. Von ihm wird bleiben, dass Europa sich selbst in Verantwortung nehmen musste – vielleicht gerade noch rechtzeitig und hoffentlich mit aller Konsequenz.
- Eigene Beobachtungen