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Ist "Putins Mann im Kanzleramt" Olaf Scholz' wichtigster Berater?


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Diplomat Jens Plötner
Ist der wichtigste Scholz-Berater "Putins Mann im Kanzleramt"?


Aktualisiert am 05.07.2022Lesedauer: 7 Min.
Seit Dezember 2021 ist Jens Plötner (li.) der außen- und sicherheitspolitische Berater von Kanzler Olaf Scholz (hier am Donnerstag am Rande des Nato-Gipfels in Madrid).Vergrößern des Bildes
Seit Dezember 2021 ist Jens Plötner (li.) der außen- und sicherheitspolitische Berater von Kanzler Olaf Scholz (hier am Donnerstag am Rande des Nato-Gipfels in Madrid). (Quelle: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Missverständliche Aussagen zur Ukraine machten Jens Plötner bekannt. Aber ist der Diplomat wirklich ein Mann des Kremls, wie viele ihm vorwerfen?

Olaf Scholz war zuletzt im extremen Gipfel-Modus: Er traf sich mit den anderen Staats- und Regierungschefs der EU, war Gastgeber der G7 in Elmau und beim Nato-Treffen in Madrid.

Die meiste Zeit an der Seite von Scholz war auch ein Mann, den bis vor Kurzem nur Berlin-Insider kannten. Sein Name: Jens Plötner. Sein Titel: außen- und sicherheitspolitischer Berater des Bundeskanzlers.

Plötner bemühte sich in den hektischen Gipfeltagen, bloß nicht aufzufallen. Denn eher unfreiwillig erhöhte sich der Bekanntheitsgrad des Beamten jüngst drastisch. Und sowohl der Kanzler als auch Plötner selbst hätten auf diesen Promi-Schub wohl gern verzichtet.

Am 20. Juni war Kanzlerberater Plötner bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin eingeladen, einem traditionsreichen Thinktank. Hier sollte der 54-Jährige Einblicke in die Außenpolitik von Olaf Scholz geben. Die Gäste: überwiegend Mitglieder der DGAP, meist frühere Diplomaten oder Außenpolitikexperten, die bei solchen Veranstaltungen gern in kleinen Ko-Referaten ihre eigene Expertise unter Beweis stellen.

So weit. So üblich. Doch dann liefen die Dinge ziemlich schief für Plötner. Weil die Veranstaltung öffentlich war, twitterte einer der Zuhörer, Noah Barkin, bereits während des Auftritts sein Befremden über Plötners Aussagen. Der Amerikaner Barkin war früher Deutschlandchef der Agentur Reuters, arbeitet inzwischen für das US-Forschungsinstitut Rhodium Group.

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So hatte Plötner die Frage nach einem beschleunigten EU-Beitritt der Ukraine mit den Worten "Nur weil man angegriffen wird, wird man nicht automatisch ein besserer Rechtsstaat" quittiert. Dies sei eine "ziemliche unsensible Antwort" ("a rather tone deaf response"), kommentierte Barkin live auf dem Kurznachrichtendienst.

Aufruf zur Diskussion über die zukünftige Beziehung zu Russland

Auch Plötners Ausführungen zum Verhältnis zu China, stießen bei ihm auf Kritik. Plötner hatte davor gewarnt, China und Russland "in einen Topf" zu werfen. Völlig vorbei war es bei Barkin, als der Kanzlerberater dann auch noch die Debatte um die Zahl der gelieferten Marder in den deutschen Medien als von "Fiebrigkeit" betrieben bemängelte und dazu aufrief, man solle auch einmal der Diskussion über das künftige Verhältnis zu Russland Raum geben.

"Entlarvend" nannte Barkin den Berater-Auftritt, sprach von "Plötner-Gate". Dieser habe einen Einblick in das Denken des Kanzlers gegeben: "Es ist eine alte SPD-Vision der Welt, von der manche zu hoffen gewagt hatten, dass sie am Aussterben sei. Sie ist lebendig."

Barkins Kommentare sorgten für Aufsehen. Mehr als das: Sie waren Auftakt für eine Welle der Empörung in den sozialen Netzwerken und eine Flut von kritischen Berichten über Plötner. Oppositionschef Friedrich Merz (CDU) twitterte, dies seien Äußerungen, "die Zweifel an der Entschlossenheit der deutschen Bundesregierung nähren".

Vorwurf: "Putins Mann im Kanzleramt"

Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Agnes Strack-Zimmermann (FDP), warf Plötner ein "Denken" vor, "das uns in den letzten Jahrzehnten in diese furchtbare Situation gebracht hat". Der Ökonom Jens Schnellenbach verstieg sich auf Twitter gar zu der Behauptung, Plötner sei "Putins Mann im Kanzleramt". Bild-Chefreporter Paul Ronzheimer twitterte, Plötner werde in der Ukraine als "Architekt von Steinmeiers Putin-Politik" gesehen und fragt rhetorisch: "Wie soll DER Berater, der Putin immer lieben wollte, ihn jetzt bekämpfen können?"

Doch was ist dran an den Vorwürfen? Ist Jens Plötner wirklich ein Russlandversteher, der deshalb keine echte Zeitenwende einleiten kann? Und welche Rolle spielte er als enger Berater des damaligen Außenministers Frank-Walter Steinmeier bei dessen Haltung zu Russland?

Fakt ist: Russland war lange kein beruflicher Fokus von Jens Plötner. Der 54-Jährige Jurist und Politologe studierte zunächst in Hamburg, Bordeaux und Paris (unter anderem auch Völkerrecht), bevor er 1994 in den diplomatischen Dienst eintrat. Seine erste Auslandsstation: die Deutsche Botschaft in Tel Aviv. Nach seiner turnusgemäßen Rückkehr in die "Zentrale" war er für den Mittleren Osten und die Vereinten Nationen zuständig. Unter dem einstigen Außenminister Joschka Fischer profilierte er sich als Vizesprecher. Schwerpunkte damals: die Weiterentwicklung der EU und der Konflikt im Nahen Osten.

Mehrere Stationen als Botschafter im Ausland

Klug, ehrgeizig, fleißig – mit diesen Eigenschaften machte Plötner im Auswärtigen Amt Karriere, stieg unter Fischer-Nachfolger Frank-Walter Steinmeier 2008 zum Hauptsprecher auf. Es folgten zwei Auslandsstationen in Sri Lanka und Tunesien als Botschafter, bevor Plötner 2014 – im Jahr der Krim-Krise – als Leiter des Leitungsstabs in den inneren Zirkel von Steinmeier zurückkehrte.

Hier entstand Steinmeiers Russland-Strategie. Plötner wirkte an ihr mit, das vielbeschworene Mastermind war er trotz seiner einflussreichen Position allerdings nie.

Denn zum einen war der Sozialdemokrat Steinmeier selbst zutiefst davon überzeugt, dass der einst vom SPD-Übervater Egon Bahr ausgegebene Glaubenssatz "Wandel durch Annäherung", also der Dialog mit Autokratien als Mittel der Veränderung, auch in der Krim-Krise der richtige Weg sei.

Zum andern gehörten zum Team von Steinmeier unter anderem der damalige Leiter des Planungsstabs, Markus Ederer (heute EU-Botschafter in Russland), der jetzige Frankreich-Botschafter Hans-Dieter Lucas als politischer Direktor und der damalige Staatssekretär Stephan Steinlein. Im Gegensatz zu Plötner sprechen alle drei Russisch und hatten bereits an der Botschaft in Moskau Erfahrungen gesammelt. So war es denn auch Ederer und nicht Plötner, der das Minsker Abkommen von 2015 entscheidend in Geheimmissionen vorbereitete.

"Plötner war nie ein Ideologe"

"Plötner war eher Transatlantiker und nie ein Ideologe", sagt ein Kollege aus der damaligen Zeit im Auswärtigen Amt. Aber auch einer, der seine Aufgabe darin sah, seinen Chefs nicht zu widersprechen, sondern sie in ihren Überzeugungen zu bestärken und bei der Umsetzung optimal zu unterstützen. Die Haltung, Russland durch Verhandlungen wieder einzubinden, war damals Konsens im Auswärtigen Amt – wie auch in der deutschen Bevölkerung. Die Grünen-Politikerin Marieluise Beck war eine der wenigen, die den Kurs der Bundesregierung immer wieder kritisierte.

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Als Steinmeier 2017 als Bundespräsident ins Schloss Bellevue wechselte, ging Plötner erneut ins Ausland – als Botschafter nach Griechenland. Dort waren die Deutschen nach Merkels harter Linie in der Eurokrise nicht eben wohlgelitten. Plötner wurde trotzdem beliebt, auch weil er öffentlich die deutschen Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg in Griechenland ansprach. Wie auch schon in Tunesien, wo sein guter Ruf nach seiner Amtszeit nachhallte. "Plötner war immer offen, wollte andere Meinungen hören", sagt ein diplomatischer Wegbegleiter: "Er war nicht beratungsresistent."

Was ihn mit Scholz verbindet

Im Dezember 2021 holte ihn Olaf Scholz als sicherheitspolitischen Chefberater ins Kanzleramt. Plötner soll dabei nicht erste Wahl gewesen sein. Es heißt, man habe erst nach einer Frau für den Posten gesucht. Inhaltlich und menschlich passte es aber. Der außenpolitisch nicht versierte Kanzler brauchte einen erfahrenen und renommierten Diplomaten. Im gebürtigen Schleswig-Holsteiner Plötner fand er zudem einen, der wie er eher kühler Analytiker als Mann der Gefühle ist. Die Art, wie in Deutschland Debatten oft atemlos und hoch emotionalisiert geführt werden, befremdet beide.

Für beide ist Pragmatismus die Leitlinie. Deshalb reiste Plötner im späten Frühjahr nach Indien, obwohl sich die dortige Regierung auch nach Putins Angriffskrieg nicht von Russland distanzierte. Im Kanzleramt ist man der Überzeugung, dass man in der neuen Weltordnung und mit China als kommender Supermacht auf Indien als Verbündeten angewiesen sein wird.
Deshalb versucht Scholz eine zweigleisige China-Politik. Und deshalb ist man im Kanzleramt überzeugt, dass Friedensverhandlungen mit Moskau am Ende der einzige Ausweg aus dem Ukraine-Krieg sind.

Verbindungen zu früherer Russland-Strategie

Doch hier holen Plötner immer wieder die Schatten der Vergangenheit ein. Die heutige Situation ist untrennbar mit der früheren Russland-Strategie der großen Koalition verbunden. Von der er sich nicht lossagen kann, nicht lossagen will.

Bis heute herrscht bei Steinmeier und seinem früheren Team die Überzeugung vor, dass man in der Krim-Krise nicht nur nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt hat. Sondern damit auch Schlimmeres verhindert hat, etwa einen Einmarsch der russischen Armee, dem die Ukraine damals in keiner Weise gewachsen gewesen wäre. Und dass es eben kein deutscher Sonderweg war, sondern ein Schulterschluss mit den Verbündeten erfolgte.

Der frühere Außenminister Joschka Fischer hat über diese Unwägbarkeit, ob man die richtigen Entscheidungen trifft, einmal gesagt: Manchmal müsse man sich hinterher die Hände waschen und die Seife reiche dafür nicht aus. Dieser Spruch hat auch seinen damaligen Vizesprecher geprägt. Wer politisch Verantwortung trägt, macht sich auch schuldig. Weil man ins Offene entscheidet. Den Vorwurf, man habe es damals besser wissen müssen, wird entsprechend als ungerechtfertigt und wohlfeil empfunden.

Das nicht erkannte Problem der Kommunikation

Was weder Scholz noch sein Chefberater aber verstanden haben: Welche Rolle Kommunikation in einer Zeit spielt, in der Grundgewissheiten wie das Ende des Kalten Krieges von den Ereignissen zermalmt wurden und das entstandene Vakuum Raum für Angst und Unsicherheit lässt.

Nur so lässt sich der Auftritt von Plötner bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik erklären. Dass die Ukraine noch Jahre von einem EU-Beitritt entfernt ist, bestreitet kein Experte. Zu sagen, dass sie kein besserer Rechtsstaat ist, nur weil sie sich im Krieg befindet, ist aber nicht nur undiplomatisch. Es klingt zynisch in einer Zeit, in der täglich Ukrainer und Ukrainerinnen beim Versuch sterben, ihr Land gegen den russischen Aggressor zu verteidigen.

Folgen drohen Plötner keine – vorerst

Auch mit seiner Aussage, dass Deutschland schon jetzt über sein künftiges Verhältnis zu Russland nachdenken sollte, hatte Plötner inhaltlich recht. Aber weil er im selben Atemzug die Debatte um Waffenlieferungen abwertete, irritierte auch dieser Satz.

Konsequenzen muss Plötner nicht fürchten. Für Scholz ist er noch wichtiger, als er es für Steinmeier war. Zumal der Kanzler und sein außenpolitischer Berater eine weitere Eigenschaft teilen: je stärker der Druck, umso geringer die Bereitschaft, von der eigenen Position abzurücken.

Dass der Chefberater nun derart im Fokus steht, ist indes für beide von Nachteil. Statt diskret im Hintergrund agieren zu können, wird der 54-Jährige nun für längere Zeit unter Beobachtung stehen. Und unter dem Generalverdacht, zu viel Verständnis für Putin aufzubringen. Dass ihm das fernliegt und seiner Strategie nicht gerecht wird, geht dabei unter.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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