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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ampelkoalition Jeder gegen jeden
Nach anfänglich zelebrierter Einigkeit wird in der Ampel nun heftig gestritten: über die Corona-Regeln, über die Impfpflicht – und über den Ukraine-Krieg. Ist das Bündnis gefährdet?
Im vergangenen Herbst klang noch alles wie in einem Polit-Traum. SPD, Grüne und FDP wollten eine Regierung bilden, schon das war ziemlich außergewöhnlich. Dabei drangen fast nur wohlig-warme Worte übereinander nach außen. Und das bei den sonst so plapperanfälligen Koalitionsverhandlungen.
"Vertrauensvoll" seien die Gespräche, in einem "guten Ton" geführt und vor allem: "diskret". So formulierte es ein Spitzenpolitiker nach dem anderen und zwar so lange, bis sie es wahrscheinlich selbst nicht mehr hören konnten. Doch der Erfolg schien ihnen recht zu geben, obwohl der Ton natürlich in Wahrheit mitunter auch mal weniger gut war. Am Ende stand die Regierung in Rekordzeit.
Doch nach knapp fünf Monaten, so viel lässt sich sagen, ist von der anfänglich so friedlichen Koalition nicht mehr viel übrig. Man sei eben im Koalitionsalltag angekommen, sagen nun manche. Und wie das im Alltag so ist, gibt es bessere und schlechtere Tage.
Zuletzt waren es auffällig viele schlechte Tage. Da gab es Koalitionsabgeordnete, die öffentlich und deutlich den Bundeskanzler kritisierten. Da gab es hochrangige Politiker, die über die zerstrittenen Fraktionen lästerten – natürlich nur über die anderen. Und da gab es Koalitionäre, die sogar über die eigenen Parteifreunde schimpften.
Es hat den Anschein, als habe vielerorts in der Koalition nicht nur der Alltag, sondern mit ihm auch die große Gereiztheit begonnen. Und das große Lästern. Das liegt auch und vor allem daran, dass die Unterschiede zwischen den Parteien in der Sache nun vielerorts eben doch überdeutlich werden. Und es spricht wenig dafür, dass sich das in den nächsten Monaten ändert. Im Gegenteil.
Kein Osterurlaub für die Ampel
Als im Bundestag neulich eigentlich Osterurlaub war, braute sich abseits davon der bisher größte öffentliche Konflikt der Regierung zusammen. Es ging um den Ukraine-Krieg und die Frage, ob Deutschland genug tut. Die internationale Kritik war groß, und auch in den Koalitionsfraktionen wuchs sie nun.
An ihrer Spitze – aber eben längst nicht nur in den Fraktionen – stand eine ungewöhnliche Reisegruppe aus der Ampel. Mit Michael Roth (SPD), Anton Hofreiter (Grüne) und Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) machten sich drei Ausschussvorsitzende in die Ukraine auf. Sie verstärkten damit nicht nur die Frage danach, warum Olaf Scholz eigentlich seit Kriegsbeginn nicht dort war.
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Sie stellten auch konkrete Forderungen auf: Schärfere Sanktionen gegen Russland und endlich schwere Waffen für die Ukraine. Sogar Olaf Scholz kritisierten sie ganz unverblümt. "Das Problem ist im Kanzleramt", sagte Anton Hofreiter. Dafür gab es nicht nur von ganz oben auf den Deckel, die Grünen-Chefs distanzierten sich schnell und deutlich und zum Teil völlig ungefragt von Hofreiter. Auch in den Parteien wuchs die Kritik an dem Trio.
Das Lästern nicht nur über den Toni
Bei den Grünen lästern sie seitdem über ihren Toni, der als "Ich-AG" auf Rachefeldzug sei. In der SPD ist mancher genervt vom Mitteilungsbedürfnis ihres Michael Roths – und ebenso von Ralf Stegner, der bei den Genossen die Gegenposition einnimmt. Nur in der FDP ist Strack-Zimmermann relativ unumstritten, weil sich in der Fraktion viele über den zögerlichen Kurs der Bundesregierung ärgern. Und sich freuen, wenn man Olaf Scholz ein bisschen treiben kann.
Was eben auch zeigt, dass sich die Kritik am Kurs des Bundeskanzlers eben längst nicht auf das ungewöhnliche Trio beschränkt, selbst bei SPD und Grünen nicht. Vielerorts wird nun zwar beteuert, dass diejenigen, die in der Koalition Verantwortung tragen, viel geschlossener seien, als es durch das Tohuwabohu den Anschein hat. Und es gibt auch im Kabinett bei einigen die Einsicht, dass man die Fraktionen derzeit nicht so mitnehmen kann, wie das bei so schwierigen Fragen nötig wäre.
Doch der Aufruhr lässt sich wohl nicht allein durch mangelhafte Kommunikation erklären. Denn dass es auch im Kabinett unterschiedliche Meinungen dazu gibt, wie Deutschland im Ukraine-Krieg auftreten sollte, das erscheint vielen klar.
Genervt von der Russlandnähe der Genossen
Dass Scholz sich letztlich doch zur Lieferung schwerer Waffen durchringen konnte, das führen sie bei den Liberalen vor allem auf den Druck von FDP und Grünen zurück. In der SPD wiederum verweisen sie darauf, dass man schlicht in Übereinstimmung mit den internationalen Partnern handele.
Und dennoch heißt es in der FDP, es laufe ähnlich wie schon bei den Koalitionsverhandlungen: Gemeinsam mit den Grünen mache man Druck, und die SPD bewege sich erst, wenn sie wirklich muss. Zumindest in der Ukraine-Politik.
In der SPD hätten sie noch nicht verstanden, dass die Welt in dieser Krise mehr Führung von Deutschland erwarte, mosert mancher bei den Liberalen. Und genervt von der Russlandnähe in Teilen der SPD ist man auch.
Man könnte all das für ein übliches Knirschen halten, das bei schweren Entscheidungen in den besten Koalitionen mal vorkommen kann. Doch es ist eben längst nicht der erste inhaltliche Konflikt der Ampel. Und es wird wohl auch nicht der letzte bleiben.
Die FDP und ihr "Freedom Day"
Schon als es vor einigen Wochen um den richtigen Umgang mit der Pandemie ging, krachte es zwischen den Koalitionären, und zwar auf offener Bühne. Als das Infektionsschutzgesetz auslief, lagen die Meinungen zwischen den Regierungsparteien meilenweit auseinander.
SPD und Grüne wollten ebenso wie die Länder vorsichtig bleiben. Die FDP spielte Opposition – und setzte sich letztlich weitgehend durch. "Hätte mir ein deutlich anderes Infektionsschutzgesetz gewünscht", schrieb die Grünen-Fraktionsvize Maria Klein-Schmeink ganz offen auf Twitter. Und sie war längst nicht die einzige.
In den Ländern wurde es parteiübergreifend noch deutlicher. Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann von den Grünen nannte das Gesetz "grob fahrlässig", sein SPD-Kollege aus Niedersachsen, Stephan Weil, sagte: "Man wirft doch den Feuerlöscher nicht weg, wenn es noch brennt." CSU-Chef Markus Söder meckerte, so könne man doch keine "vernünftige Pandemiebekämpfung machen".
Der Verantwortliche war vielerorts schnell ausgemacht: die FDP, der ihr "Freedom Day" wichtiger sei als verantwortliches Regieren.
Jeder gegen jeden bei der Impfpflicht
Wirklich überraschend kam dieser Konflikt nicht. Spätestens als Kanzler Olaf Scholz zum Jahreswechsel zwar offensiv für eine Impfpflicht eintrat, sie aber nicht zu einem Projekt seiner eigenen Regierung machte, war klar: in der Pandemie kommen weite Teile von SPD und Grünen einfach nicht mit der FDP zusammen.
Weil keine Mehrheit in Sicht war, hofften die Impfpflicht-Befürworter auf eine Gewissensentscheidung im Bundestag, was wortgewaltig als demokratische Sternstunde überhöht wurde. Wenig glamourös warfen sich die unterschiedlichen Gruppen dann jedoch vor allem vor, Kompromisse zu blockieren.
Es wurde zeitweise zu einem Jeder-gegen-jeden. Am Ende scheiterte selbst ein eilig herbeiverhandelter Kompromiss – und mit ihm das erste offensiv angekündigte Projekt des Kanzlers Olaf Scholz. Was in normalen Zeiten Anlass zur ersten großen Regierungskrise hätte sein können. Aber die Zeiten waren da schon länger nicht mehr normal. In der Ukraine herrschte Krieg.
Und was kommt als Nächstes?
Dass es in der Koalition in Zukunft ruhiger wird, damit rechnen hinter vorgehaltener Hand nicht wirklich viele Koalitionäre. Zu groß sind die Probleme, zu unterschiedlich die Herzensprojekte der Koalitionäre.
Mehr denn je dürfte es künftig um eines gehen: das Geld. Und die Frage: Wofür geben wir es aus? Der Ukraine-Krieg, so erwarten es die meisten, wird auch die deutsche Wirtschaft noch härter treffen als bisher ohnehin schon. Dieses Jahr macht die Koalition auch deshalb inklusive Sondervermögen Bundeswehr knapp 240 Milliarden Euro Schulden.
Nächstes Jahr aber soll die Schuldenbremse schon wieder eingehalten werden. Ob das wirklich funktioniert, weiß natürlich noch niemand, weil niemand weiß, wie sich Krieg und Wirtschaft wirklich entwickeln. Aber dass gespart werden muss, ist eigentlich klar.
Der FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai spricht im Interview mit t-online schon davon, dass man die Projekte der Ampel nun "nüchtern priorisieren" müsse, und man die "Vorhaben in der neuen Lage nur Schritt für Schritt und nicht gleichzeitig erreichen" könne. Das klingt so allgemein formuliert logisch, wird aber im Detail noch zu harten Konflikten führen.
Streng genommen haben die Konflikte längst begonnen. Hochrangige Grüne etwa sind sauer, dass die Kindergrundsicherung erst mal verschoben wurde. Und zwar auch auf die SPD, die nicht so sehr dafür kämpfe, wie man denken müsse, heißt es. Immerhin stand die Kindergrundsicherung nicht nur im grünen, sondern auch im sozialdemokratischen Wahlprogramm.
Die Wahlen – und wieder Corona
Die anstehenden Landtagswahlen in Schleswig-Holstein am 8. Mai, aber vor allem im wichtigen Nordrhein-Westfalen eine Woche später, könnten die Gereiztheiten noch mal verstärken, glaubt mancher. Wer als Verlierer vom Platz geht, wird sich auf Bundesebene noch stärker profilieren wollen. Womöglich ohne größere Rücksicht auf die Partner.
Und dann ist da ja auch noch Corona. Das von vielen wenig geliebte Infektionsschutzgesetz läuft am 17. September aus, ein Ersatz muss her für den Herbst und Winter. Schon jetzt heißt es aus der SPD, diesmal müssten die Verhandlungen geordneter ablaufen und nicht im Schnelldurchlauf.
Doch ob das auch heißt, dass die Verhandlungen mit der FDP über das richtige Maß bei den Maßnahmen diesmal reibungsloser ablaufen? Sicher ist man sich da noch lange nicht.
Es wird also wohl nicht leichter. Auch wenn all das natürlich nicht heißt, dass die Ampel vor dem Aus steht. "Ja, es ruckelt natürlich manchmal", sagt ein FDP-Abgeordneter. "Aber wir reden auch über unglaublich schwerwiegende Entscheidungen, deswegen hat die Koalition noch lange keinen tiefen Risse."
Aber dass es Risse gibt, und dass diese Risse noch zahlreicher und tiefer werden könnten – das hat sich schon jetzt gezeigt.
- Eigene Recherchen