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Anton Hofreiter und der Ukraine-Krieg: Was denkt er sich eigentlich dabei?


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Anton Hofreiter
Der Entfesselte


Aktualisiert am 24.04.2022Lesedauer: 6 Min.
Anton Hofreiter: Statt Minister ist er jetzt Regierungskritiker. Was treibt ihn an?Vergrößern des Bildes
Anton Hofreiter: Statt Minister ist er jetzt Regierungskritiker. Was treibt ihn an? (Quelle: Florian Gaertner/photothek.de/imago-images-bilder)
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Der Grüne Anton Hofreiter ist im Ukraine-Krieg zu einem der lautesten Regierungskritiker geworden. In seiner Partei löst er damit bei manchem Kopfschütteln aus. Doch er macht einfach weiter.

Es ist ein später Donnerstagabend Anfang April, als der Bilderbuch-Grüne Anton Hofreiter auf einmal klingt wie ein Soldat aus einem Antikriegsfilm. Hofreiter sitzt gerade bei Markus Lanz, und wer vor dem Fernseher kurz mal die Augen schließt, könnte denken, er hätte seine langen Haare und den Dreiteiler gegen Bürstenschnitt und Tarnfleck eingetauscht.

Hofreiter, der Biologe mit einer Doktorarbeit über die Pflanzengattung der Bomarea, redet auf einmal, als habe er in den vergangenen Wochen einen Bachelor in Wehrtechnik draufgesattelt. Als Lanz ihn fragt, welche schweren Waffen die Ukraine denn nun brauche, sagt Hofreiter, er sei ja "jetzt nicht der absolute Militärexperte". Nur um dann loszusprudeln.

"Polen hat PT91, das sind kampfwertgesteigerte T72." Deutschland habe Marder-Schützenpanzer, "die gerade für die Kriegsführung im Süden" wichtig seien, weil man "acht oder neun" Infanteristen mitnehmen könne. Schwere Scharfschützengewehre, die seien übrigens auch wichtig, "das G82, das hat 12,7 mm Projektil", damit könne man die gepanzerten Fahrzeuge der russischen Nationalgarde brechen.

Irgendwann sagt Moderator Markus Lanz: "Dafür, dass Sie keine Ahnung haben, kennen Sie sich ganz gut aus."

Hofreiter unchained

Es ist einer dieser Auftritte, die Anton Hofreiter gerade im Dutzend absolviert. Der langjährige Fraktionschef der Grünen, von dem noch vor einigen Monaten eigentlich alle in Berlin dachten, er würde bald selbst als Minister in der Bundesregierung sitzen, ist inzwischen zu einem der schärfsten Regierungskritiker geworden. Zur Opposition in den eigenen Reihen.

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Er fordert seit einigen Wochen lautstark all das ein, was die Bundesregierung und allen voran Kanzler Olaf Scholz bislang verweigert: härtere Sanktionen gegen Russland, mehr und schwere Waffen für die Ukrainer. Für die einen ist er damit einer der wenigen Politiker, der ausspricht, was nötig sei. Andere sind von ihm genervt, nicht zuletzt in seiner eigenen Partei. Als Hofreiters Kritik kürzlich besonders laut wurde, distanzierte sich sogar sein eigener Vorsitzender von ihm.

"Hofreiter unchained", schrieb jemand auf Twitter. Der Entfesselte. Was aber treibt ihn an? Einzig die Sorge um die Ukraine, um den Weltfrieden? Oder doch mehr, wie nun mancher raunt, Geltungssucht? Rachegelüste gar?

Die Demütigung und das Möwen-Shirt

Anton Hofreiter, 52 Jahre alt, hat nach der Bundestagswahl einen Rückschlag erlebt, der brutaler in der Politik kaum sein kann. Fast das gesamte politische Berlin war davon ausgegangen, dass der rührige Fraktionschef aufsteigen würde zum Minister. Er selbst auch.

Doch als es ernst wurde, ging er völlig überraschend leer aus. Annalena Baerbock und Robert Habeck entschieden sich für Cem Özdemir. Hofreiter sollen sie als Trostpreis zunächst das Amt des Tierschutzbeauftragten angeboten haben, so jedenfalls kolportiert es sein Lager. Eine Demütigung, egal ob bewusst oder unbewusst.

Hofreiter war wütend, natürlich. Für eine denkwürdige Rede auf dem Parteitag, der eigentlich das grüne Regierungsteam feiern sollte, legte er den Anzug ab und warf sich in Möwen-Shirt und Lederjacke. Jetzt könnt ihr mich noch mal ganz anders kennenlernen, das so zu deuten, war naheliegend. Auch wenn Hofreiter sich seitdem öffentlich nie beklagt hat. Mit keinem Wort.

Eine "Ich-AG" auf Rachefeldzug?

Am Ende durfte sich Hofreiter den Vorsitz eines Bundestagsausschusses aussuchen, er wählte den für Europa. In der hierarchischen Welt der Politik ein klarer Abstieg für einen ehemaligen Fraktionschef. Für die Organisation des Parlamentsbetriebs ist der Posten nicht unwichtig, aber in der Regel ohne jede Wirkung in der Öffentlichkeit.

Das jedoch bedeutet für Hofreiter auch, dass er nun so frei ist wie seit Jahren nicht mehr. Als Fraktionschef musste er seit 2013 immer die Position vertreten, auf die sich alle Abgeordneten der Grünen mühevoll geeinigt hatten. Als Minister hätte er immer auch für die Bundesregierung sprechen müssen. Jetzt spricht er nur noch für sich selbst. Und das tut er viel und laut.

In seiner eigenen Partei sind deshalb gerade nicht alle gut auf ihn zu sprechen; einige sind gar nicht zu sprechen, wenn es um Hofreiter gehen soll. Es gebe etliche, die gerade den Kopf über ihn schüttelten, sagen andere aus Hofreiters linkem Flügel. Er sei als "Ich-AG" unterwegs, auf eigene Rechnung und weitgehend unabgesprochen mit dem Rest der Fraktion. Und, ja, auch einen Rachefeldzug wegen des verpassten Ministeramts hält mancher für möglich. Nach dem Motto: Alles egal jetzt.

"Dann kommen schnell die Neider"

Diese Stimmung ist auch deshalb etwas überraschend, weil es gerade bei den Grünen viele gibt, die Hofreiters Positionen eigentlich teilen. Zumindest die meisten. "Wenn ein Politiker viel Aufmerksamkeit bekommt, dann kommen auch schnell die Neider", sagt Marie-Agnes Strack-Zimmermann t-online dazu. Die FDP-Politikerin ist gerade so etwas wie Hofreiters neue Verbündete auf Zeit.

Er reiste Mitte April mit der Chefin des Verteidigungsausschusses und dem Chef des Auswärtigen Ausschusses, Michael Roth von der SPD, in die Ukraine. Was besonders deshalb viel Aufmerksamkeit erregte, weil gerade alle Welt Bundeskanzler Olaf Scholz aufforderte, dorthin zu reisen – bekanntlich ohne Erfolg.

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"Ich habe Anton Hofreiter als aufrichtig besorgt, authentisch und interessiert erlebt", sagt jedenfalls Strack-Zimmermann über den neuen Hofreiter. "Ich empfinde es als großen Gewinn, dass wir an einem Strang ziehen."

Also alles Neider? Oder steckt doch mehr hinter Hofreiters Wandlung? Strack-Zimmermann findet: "Welche Motivation eine Rolle spielt und ob überhaupt, ist doch völlig belanglos, solange er seine Aufgabe gut macht."

Die Wahrheit dazwischen

Anton Hofreiter jedenfalls wäre nicht der erste Mensch, der mehrere Motive hat für die Dinge, die er tut. Die eigene Bekanntheit zu steigern, ist für Politiker letztlich schlicht ein Mittel zum Zweck, ihre Politik durchzusetzen. Wer jemand ist, der hat Einfluss.

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Wenn man mit Hofreiter selbst über seine neue Rolle spricht, speziell über die Vorwürfe, er sei auf einem Rachefeldzug, dem gibt er im persönlichen Gespräch ausführlich Auskunft. Seine Erwiderung will er dann aber lieber doch nicht als Zitat im Text lesen. Besser einfach drüberstehen, denkt er sich wahrscheinlich.

Man kann aber wohl das Naheliegende verraten, nämlich dass er das natürlich ganz anders sieht und den Vorwurf wohl schlicht unlogisch findet. Er muss sogar lachen. Aus Hofreiters Sicht nämlich, das hat er schon oft gesagt, ist in der Bundesregierung Kanzler Olaf Scholz der Bremser – und nicht Baerbock und Habeck, die ihn ums Ministerium brachten.

"Das Problem ist im Kanzleramt", ist eines der berühmtesten Hofreiter-Zitate der vergangenen Wochen. Grünen-Chef Omid Nouripour distanzierte sich anschließend von ihm. Und auch Vizekanzler Habeck betonte, dass die Regierung gemeinsam handele.

Ob Habeck das nur gesagt hat, weil man das als Regierungsmitglied eben so sagen muss oder aus Überzeugung, dazu gibt es verschiedene Interpretationen. In der Grünen-Fraktion, aber auch in Regierungskreisen, ist durchaus zu hören, dass die Grünen-Minister derzeit näher bei Scholz als bei Hofreiter seien.

Hofreiter sieht das offensichtlich anders. Die Wahrheit könnte irgendwo dazwischen liegen. Und die Geister könnten sich letztlich vor allem an der Frage der Lautstärke scheiden.

Nutzt der Druck?

Manche in seiner Partei sind nämlich skeptisch, ob Hofreiter seiner Sache mit der ständigen polternden Kritik wirklich nützt. Kommt er seinem Ziel, der Ukraine besser zu helfen, so wirklich näher? Er selbst glaubt das. "Ich habe einige Wochen versucht, meine Kritik intern zu äußern", sagt Hofreiter t-online. "Als ich bemerkt habe, dass das nicht funktionierte, habe ich öffentlich Druck gemacht. Und ich habe das Gefühl, dass er wirkt."

Umso mehr ärgert ihn die Kritik, die Berlins früherer Regierender Bürgermeister Michael Müller von der SPD kürzlich in der "Berliner Zeitung" formuliert hat. Die drei Ausschussvorsitzenden Hofreiter, Strack-Zimmermann und Roth seien "voller Emotionen" aus der Ukraine zurückgekommen, die Reise sei "nicht hilfreich" gewesen, sagte Müller da. Zu viele Tränen, zu wenig Analyse?

"Was ist daran emotional zu versuchen, einen Vernichtungskrieg zu stoppen und die Demokratie zu verteidigen? Das ist eine billige Parole", sagt Hofreiter. "Meine nüchterne Schlussfolgerung ist schlicht, dass die Strategie von Olaf Scholz nicht funktioniert. Und deshalb kritisiere ich sie."

Er fordert einfach weiter

Und das tut Hofreiter bislang weiter, unbeirrt von aller Kritik. Nicht nur mehr Waffen will er für die Ukraine, sondern auch mehr Sanktionen gegen Russland. Für die ist bei der Energie im Übrigen Wirtschaftsminister und Parteifreund Robert Habeck zuständig – und der bremst eher.

"Der Importstopp für Öl und Kohle muss jetzt schnell kommen. Und auch beim Gas können wir noch ambitionierter sein", fordert Hofreiter. Und wenn er schon mal dabei ist, fordert er gleich noch mehr. "Bei den Sanktionen können wir insgesamt noch nachlegen", sagt er. "Wir sollten bei einer weiteren Eskalation auch noch mehr Banken aus Swift ausschließen."

Anton Hofreiter wird sich damit mal wieder längst nicht bei allen beliebt machen. Aber das, so sieht er es wohl, ist gerade auch nicht seine Mission.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Persönliches Gespräch mit Anton Hofreiter in Berlin, Telefonate mit Marie-Agnes Strack-Zimmermann und anderen
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