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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Speed-Dating mit Kanzlerkandidaten Bürger zu Weidel: "Haben Sie Angst vor mir?"

Beim "Bürger-Speed-Dating" (ProSieben, Sat.1) gingen drei Spitzenkandidaten auf Tuchfühlung mit zehn Bürgern – und antworteten mit Versprechungen, Eigenlob und Gegenfragen.
Als nach mehr als zwei Stunden Bürgergesprächen das Moderatoren-Duo Linda Zervakis und Paul Ronzheimer ein kurzes Resümee von den drei Kanzlerkandidaten hören wollten (Friedrich Merz hatte seine Teilnahme aus Termingründen abgesagt), waren sich Robert Habeck, Alice Weidel und Kanzler Olaf Scholz zumindest in einem einig: Das Speeddating mit den Bürgern war ein ergiebiger und interessanter Abend.
Habeck erklärte, es sogar interessanter als Gespräche mit Journalisten gefunden zu haben, da die Fragen "lebensweltlicher" gewesen seien, so der Grünen-Chef. Dabei war es gerade Habeck, der diese lebensweltlichen Fragen oft nicht beantworten konnte.
Die Gäste
Teil des Schlussgesprächs war es auch, dass die Moderatoren Beobachtungen und Kritikpunkte über die einzelnen Kandidaten abgaben. So attestierte Ronzheimer etwa, Weidel hätte in erster Linie etliche Versprechungen gemacht, die laut Experten aber gar nicht finanzierbar und einhaltbar seien (Weidel konterte mit dem Spruch, man solle keinen Statistiken trauen, die man nicht selber gefälscht habe, und erklärte, keine Expertenmeinungen zu brauchen).
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Zervakis hingegen merkte an, Habeck habe sehr oft nachgefragt – mit der angehängten Frage: "Weil Sie selber keine Lösung hatten?" (was dieser verneinte). Bundeskanzler Scholz wiederum, so Ronzheimers Einschätzung, habe sehr oft beschrieben, was er und seine Regierung alles bereits gemacht hätten – und das, obwohl in der Bevölkerung eine Unzufriedenheit herrsche (Scholz schmetterte dies ab und betonte die Leistung seiner Regierung in Krisenzeiten).
Bürger über Habeck: "Persönlich wenig weitergeholfen"
In dem Speeddating-Format wurden die Kandidaten mit einer Reihe von Bürgeranliegen konfrontiert. Den Anfang machte die 31-jährige Liska, eine alleinerziehende Mutter, die Lösungsvorschläge zur Entlastung bei der Kinderbetreuung haben wollte. Hier konnte Weidel bei ihr punkten, wie die Fragestellerin in ihrer Schlussanalyse erklärte. "Jetzt hat sie ja eine ganze Menge versprochen. Klingt das realistisch für dich?", so die Moderatorenfrage. "Schon", antwortete sie. Generell zog sie das positive Fazit, dass man Vertrauen in die Politik haben könne. Am wenigsten konnte sich bei der Frau Robert Habeck profilieren. Dieser, so die Teilnehmerin der Fragerunde, sei zu sehr auf Zahlen fixiert. "Das hat mir persönlich wenig weitergeholfen."
Beim Thema Asylpolitik klopfte sich Scholz zum ersten Mal auf die eigene Schulter. Jörg, ein 54-jähriger Polizist, wollte die Lösungsansätze der Politiker zur Reduzierung der irregulären Migration wissen. Scholz verwies unter anderem auf den einzigen bereits vollzogenen Abschiebeflug und erklärte, man müsse an weiteren arbeiten. Habeck erklärte, er wolle, dass die Kontrollen an den Außengrenzen hochgefahren werden, Schleusertätigkeiten müssten unterbunden werden. Der Polizist fragte auch, ob es Gespräche mit den Taliban wegen Abschiebungen bedürfe.
Weidel war die einzige, die dies klar bejahte. Habeck und Scholz gaben sich zögerlicher, erklärten, man würde das "indirekt" machen – Habeck möchte die Taliban nicht dadurch adeln, sie als "anerkannt" dastehen zu lassen. Das Fazit des Bürgers: Weidel habe "sehr krasse Forderungen" erhoben, auch dass sie meinte, Schengen sei nicht in Kraft getreten, empfand er als fragwürdig.
Diskussion um Hautfarbe
Emotionaler wurde das Asylthema beim nächsten Gast. Kevin, ein junger Berliner Content Creator mit nigerianischen Wurzeln, fragte Alice Weidel recht provokant: "Haben Sie Angst vor mir?" Weidel verneinte vehement: "Nein, wieso?" und lobte das "coole Outfit" ihres Gegenübers. "Es gibt Menschen in Ihrer Partei, die haben verrückte Dinge gesagt", konstatierte der Mann. "Wie kann es sein, dass man mir versucht abzusprechen, dass ich deutsch bin?" Weidel lachte nervös. "Wenn das jemand gesagt haben soll, ist er nicht mehr in meiner Partei."
"Hautfarbe spielt überhaupt keine Rolle. Um Hautfarben geht es gar nicht. Ich finde sogar, dass Sie supergut aussehen. Meine Kinder sind auch etwas dunkler", meinte Weidel und lachte erneut etwas nervös.
Wenn es nach der AfD ginge, würde es ihn gar nicht geben, stellte Kevin, dessen Vater illegal von Nigeria nach Deutschland gekommen war, in den Raum. Hier versuchte Weidel sowohl klare Kante zu zeigen, den Vorwurf aber gleichzeitig abzuschwächen "Ich werde die illegale Migration stoppen", meinte sie einerseits, stellte aber auch in den Raum, dass sein Vater auch auf legalem Wege hätte einreisen könnnen.
Weidel: "Sie sind doch schon Teil dieses Landes"
"Wenn Ihr Vater arbeitsfähig ist, sich positiv einbringen will und in Deutschland leben will, dann hätte er sich auch ganz normal einen Job suchen können. Dann ist er herzlich willkommen." Auf den Vorwurf "Ihre Partei wird von Leuten gewählt, die mich nicht als Teil ihres Landes sehen", antwortete Weidel: "Sie sind doch schon Teil dieses Landes, und ich finde es großartig."
Olaf Scholz hingegen beharrte einmal mehr auf seinen Leistungen. Die Frage, ob er nicht denke, dass er als Kanzler Mitschuld an dem Hass, der Menschen mit Asylhintergrund oft widerfahre, habe, verneinte er: "Nein, das glaube ich nicht."
Robert Habeck hatte immer wieder keine konkreten Antworten parat, sondern fragte – manchmal verwundert – nach. Etwa bei einem 43-jährigen Gastronom im Flutgebiet Ahrtal, der mit bürokratischen Hürden zu kämpfen hat. "Ich wusste nicht, dass die Gelder immer noch nicht geflossen sind", gab er sich verwundert. Oder bei einer 31-jährigen Ärztin, die es Habeck positiv anrechnete, zugegeben zu haben, dass er sich beim Thema Gesundheit nicht auskennt und nachfragte (allerdings gab sie sich auch enttäuscht, dass das Thema bei ihm offenbar nicht präsent sei).
Schülerin: Habeck hat Frage nicht verstanden
Weidel indes zeigte sich oft auf Augenhöhe mit den Bürgern und versprach drastische Verbesserungsmaßnahmen – etwa den Bürokratieabbau – oder einer 70-jährigen Rentnerin, die eine Rente unter der Armutsgrenze bekommt und immer noch arbeiten muss, eine indexierte Mindestrente und keine zusätzliche Versteuerung. Es war eben jene Rentnerin, bei der die AfD-Chefin deutlich punkten konnte. Scholz und Habeck verwiesen auf das Rentenbeitragssystem. Besonders Scholz habe die Rentnerin enttäuscht, erklärte diese später.
Bei Fragen über den Klimawandel kam Weidel weniger gut an– sie beharrte auf der Position, Deutschland könne dieses Problem (sollte es denn de facto existieren) nicht alleine lösen. "Wäre es ein echtes Date gewesen, hätte ich vorzeitig beendet. Die AfD hat in Sachen Klimaschutz gar nichts anzubieten, im Gegenteil", attestierte der Fragesteller.
Eine 19-jährige Schülerin und Erstwählerin, die Lösungen für den Lehrermangel wissen wollte, zeigte sich skeptisch: Scholz habe mit Problemlösungen überzeugen können, Weidel habe ebenfalls einige Punkte gebracht, mit denen sie übereinstimme. "Bei Herrn Habeck hatte ich das Gefühl, dass er alles auf die Länder abwälzen wollte und er meine Frage gar nicht verstanden hat, sondern über sein Leben geredet hat."
- prosieben.de: "Bürger-Speed-Dating" vom 22.2.2025