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Gesundheitsminister Karl Lauterbach: Der Ohnmächtige


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Gesundheitsminister Lauterbach
Der Ohnmächtige


Aktualisiert am 06.04.2022Lesedauer: 6 Min.
Lauterbach bei einer Pressekonferenz: Auch der Unmut in der Ampel wächst.Vergrößern des Bildes
Lauterbach bei einer Pressekonferenz: Auch der Unmut in der Ampel wächst. (Quelle: IMAGO / Political-Moments)
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Zum Start der Ampelkoalition war er der Star im Kabinett. Doch Karl Lauterbach kann sein wichtigstes Projekt, eine Impfpflicht, nicht durchsetzen und verwirrt zusehends mit seiner Corona-Politik.

Wer beobachten will, wie eine Überzeugung nach der anderen erodiert, kann das Twitter-Profil von Karl Lauterbach verfolgen. Denn der Gesundheitsminister nutzt den Account als Schaufenster seiner Politik: Wann immer er etwas Wichtiges verkünden möchte, twittert er.

So war es auch am Montag. Lauterbach schrieb, dass es im Bundestag einen neuen Vorstoß bei der Impfpflicht gebe. Der einstige Corona-Mahner selbst war für eine Pflicht ab 18 Jahren. Doch dafür gibt es im Parlament keine Mehrheit. Der neue Vorschlag, der möglichst viele Bundestagsabgeordnete überzeugen sollte, sah zunächst nur eine Impfpflicht ab 50 Jahren vor.

Lauterbach unterstützte diesen Vorschlag. Für knapp 24 Stunden.

Dann kam der Dienstagabend. Wieder ein Tweet, wieder ein Nachgeben. Denn auch für eine Impfpflicht ab 50 Jahren gab es offenbar keine Mehrheit im Bundestag. Der neue Versuch: 60 Jahre. Dieser Kompromissvorschlag habe "eine hohe Wahrscheinlichkeit", ließ Lauterbach wissen.

Von 18 erst auf 50, dann sogar auf 60 Jahre – und das alles binnen weniger Stunden. Zuweilen wirkt es, als würde Lauterbach seine eigenen Ideale zermalmen wie einen weichen Keks.

Und manchmal auch gleich zwei an einem Tag: Am Dienstagabend kündigte Lauterbach bei "Markus Lanz" überraschend an, die von ihm geplante freiwillige Isolation von Corona-Infizierten werde es nun doch nicht geben. Er sprach von einem "Fehler" und verkündete kurzerhand: "Das werde ich morgen wieder einkassieren". Und kurz danach twitterte er auch, natürlich.

Seit knapp vier Monaten ist Lauterbach jetzt Gesundheitsminister. Er wollte diesen Job unbedingt – und viele Bürger wollten auf jeden Fall, dass er ihn macht. Olaf Scholz und die SPD, die noch nie große Fans von ihm waren, gaben dem öffentlichen Druck nach.

Und so ist Lauterbach auch ein Beispiel dafür, wie es ist, wenn große Erwartungen auf den harten politischen Alltag treffen: Auf der einen Seite ist da der Minister Lauterbach, der im Kabinett den Entschluss mitträgt, die Maskenpflicht in Innenräumen aufzuheben. Vor allem dem Wunsch der FDP muss er sich bei solchen Entscheidungen beugen. Auf der anderen Seite ist da der Gesundheitspolitiker Lauterbach, der gleichzeitig die einzelnen Bundesländer ermutigt, bloß die Maskenpflicht in Innenräumen beizubehalten.

Was man Lauterbach anrechnen muss: Im Gegensatz zu vielen anderen Politikern verbirgt er sein Unbehagen mit Entscheidungen nicht, er gesteht ein, dass er etwas für falsch hält. Das Problem ist nur, dass dadurch umso offensichtlicher wird, dass der Mann, der noch im Dezember der Star des Kabinetts war, eben nicht besonders durchsetzungsstark ist.

Sogar in seiner eigenen Partei fragen sie sich inzwischen: Was kann er überhaupt noch durchbekommen? Wie soll das die nächsten dreieinhalb Jahre weitergehen? Diese Fragen belasten mittlerweile auch das Regierungsbündnis zwischen SPD, Grünen und FDP.

Nirgendwo zeigt sich die politische Ohnmacht des Karl Lauterbach in diesen Tagen stärker als bei der Debatte um die Impfpflicht. Am Donnerstag soll im Bundestag darüber abgestimmt werden, der neueste Kompromiss, der eine Pflicht ab 60 Jahren vorsieht, beinhaltet auch eine Art verpflichtendes Aufklärungsgespräch für alle Bürger ab 18. Worauf sich die Parlamentarier am Ende einigen, ist noch völlig offen.

Sein Einfluss wirkte damals fast größer als heute

Eigentlich braucht es die Unterstützung der Union für den Vorschlag. Die müsste sich zumindest enthalten, damit der Antrag eine einfache Mehrheit bekommt. Doch Friedrich Merz scheint nicht daran zu denken. Man wolle lieber den eigenen Vorschlag umsetzen, der vorsieht, erst im Herbst über die Impfpflicht zu entscheiden, heißt es aus der CDU.

Damit wackelt die Impfpflicht insgesamt. Selbst wenn sich doch noch der Vorschlag mit einer Altersgrenze ab 60 Jahren durchsetzt, ist er meilenweit von Lauterbachs ursprünglicher Idee einer allgemeinen Pflicht für alle Volljährigen entfernt. Da half dem Gesundheitsminister nicht einmal, dass sich der Kanzler hinter seine Idee stellte. Aber Lauterbach will keine Konfrontation, er will gern weiter regieren.

Vor einem guten halben Jahr war er für noch für seine politisch klare Kante bekannt. Lauterbach galt damals als eine Stimme der wissenschaftlichen Vernunft. Der promovierte Mediziner saß während dieser Zeit noch öfter in Talkshows als heute.

Er erklärte präzise die Übertragungsart des Virus und wie verschiedene Mutationen entstehen. Es war fast egal, welche Position die Große Koalition vertrat, Lauterbach war es stets zu wenig. Zu wenig Bekämpfung der Ausbreitung des Virus, zu wenig Schutz der Bevölkerung, zu wenige Regeln. Und vieles von dem, was er in Bezug auf das Coronavirus prognostizierte, trat ein.

Oftmals war Lauterbach eine Art Korrektiv, sein Einfluss auf die Politik schien manchem damals größer als heute. Damals war er noch einfacher Abgeordneter, kein Gesundheitsminister. Gerade deshalb wirkt sein abwägender Kurs auf viele heute seltsam.

"Was ist denn die Idee dahinter?"

In der Ampelkoalition wird der Streit über die Corona-Politik der Regierung offen ausgetragen. Als es Mitte März um das neue Infektionsschutzgesetz ging, mit dem fast alle Maßnahmen beendet wurden, verbargen viele Abgeordnete von SPD und Grünen ihren Frust gar nicht mehr.

Sie twitterten und erzählten munter, dass sie ja gerne wesentlich vorsichtiger gewesen wären. Doch es sei eben nicht gegangen. Leider, leider. Ja, die FDP habe das zwar so gewollt, hieß es zunächst. Doch dann geriet auch der Gesundheitsminister immer stärker in die Kritik der kritischen Ampelpolitiker.

Und so wird der ehemals Vorsichtigste unter den Vorsichtigen zunehmend von seinen einstigen Verbündeten kritisiert. Etwa am Montag, als es der Grünen-Bundestagsabgeordneten Sara Nanni reichte. Lauterbach hatte gerade die freiwillige Isolation von Corona-Infizierten ab Mai verkündet.

Ausgerechnet Lauterbach setze nun auf "Eigenverantwortung", eigentlich das Lieblingsschlagwort der FDP. "Ich bin so sauer einfach. Was ist denn die Idee dahinter?", schrieb sie auf Twitter.

"Massendauerinfektion? Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Lungenärzt:innen? Wie viele Menschen werden im Gesundheitssystem jedes Jahr dann als neue chronisch Kranke zu Buche schlagen? Ich verstehe es nicht."

Viele Fragen, wenige Antworten. Und: viel Verwirrung.

Es ist gerade einer der größten Kritikpunkte am Gesundheitsminister, der selbst von Leuten erhoben wird, die ihm in der Corona-Politik eigentlich nahestehen. "Karl Lauterbach kommuniziert extrem unsensibel", sagt Sara Nanni t-online. "Er erklärt seine Politik nicht, obwohl sie sehr erklärungsbedürftig ist." Und: "Das Problem ist, dass die Leute mit diesen Gedanken von ihm komplett alleingelassen werden."

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Im Zweifel definiert die FDP die roten Linien

Wie Nanni klingen einige Abgeordnete der Grünen und der SPD. Lauterbach sei ja vor allem wegen seiner Expertise Minister geworden und handle nun oft konträr zu seiner wissenschaftlichen Haltung. Das tue auch der Koalition insgesamt nicht gut – und unklar sei, wie er sich künftig überhaupt durchsetzen solle, sagen die Kritiker. Nur in der FDP heißt es von manchen: Nein, so schlimm wie man sich das Regieren mit Lauterbach vorgestellt habe, sei es dann nicht gekommen.

Es braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass Karl Lauterbach selbst mit vielem nicht einverstanden ist, was er da gerade als Minister vertreten muss. Doch die Ampelkoalition hat eben ihre eigenen Gesetze, und eines scheint zumindest in der Corona-Politik derzeit zu lauten: Im Zweifel definiert die FDP die roten Linien.

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Oft tut das bei den Liberalen derzeit Justizminister Marco Buschmann. Mit ihm hat Lauterbach das Infektionsschutzgesetz ausgehandelt, das ihm jetzt auf die Füße fällt. Denn auch Lauterbach unterstützt nun die Eindämmung der Maßnahmen.

Doch benutzt Lauterbach Buschmann auch gerne, um seinen erklärungsbedürftigen Kurswechsel zu begründen. "Es gibt keine rechtliche Grundlage für nationale Regelungen mehr, wenn es keine nationale Überlastung mehr gibt", hatte Lauterbach zuletzt zum Infektionsschutzgesetz gesagt. So sehe es eben das Ressort von Buschmann. Und das sei für ihn maßgeblich.

Es wirkt fast tragisch

Andere Verfassungsrechtler sehen das zwar anders. Aber für Lauterbach ist die Begründung erst mal relativ bequem. Nicht er selbst ist schuld daran, dass er nicht tut, was er gern machen würde. Sondern Buschmann. Nur heißt das im Umkehrschluss eben auch, dass sich Lauterbach in den Verhandlungen nicht gegen seinen FDP-Kollegen durchsetzen konnte. Denn wo ein politischer Wille ist, ist eigentlich immer auch ein Weg. Gerade bei unklarer Rechtslage.

Nun war das Infektionsschutzgesetz eine der Kernforderungen der FDP. Auch innerhalb der Ampelkoalition war bereits vor Monaten bekannt, dass die Liberalen ihren Wählern den Freiheitswillen auch in Gesetzestexten beweisen wollen.

Für Lauterbach stellt sich jedoch die Frage, wo er künftig hinsteuern möchte. Seine Situation wirkt fast tragisch: Da ist einer, der eine große fachliche Expertise hat, doch im Kleinklein des Alltags wird er ständig ausgebremst.

In der SPD kursiert bereits die Idee, ob Lauterbach nicht ein eigenes gesundheitspolitisches Projekt bräuchte. Eines, wo er mal zeigen könnte: Ich kann es ja, wenn ihr mich lasst. Doch wie dieses aussehen soll? Da herrscht noch allgemeines Schulterzucken.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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