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100 Tage Ampelkabinett: Wer überrascht, wer enttäuscht?


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100 Tage Ampelkabinett
Ein paar echte Überraschungen – aber auch viele Enttäuschungen


Aktualisiert am 17.03.2022Lesedauer: 7 Min.
Olaf Scholz (l), Annalena Baerbock (m) und Christian Lindner (r): Wie hat sich die Bundesregierung in den ersten 100 Tagen geschlagen?Vergrößern des Bildes
Olaf Scholz (l), Annalena Baerbock (m) und Christian Lindner (r): Wie hat sich die Bundesregierung in den ersten 100 Tagen geschlagen? (Quelle: IPON/imago-images-bilder)
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Keine Regierung musste so schnell so viele große Krisen lösen wie die aus SPD, Grünen und FDP. Aber wie bewältigen der Kanzler und seine Minister die historische Herausforderung? Der t-online-Check nach 100 Tagen Ampel gibt Antworten.

Für einen Aufbruch wollte sie stehen, einen neuen politischen Stil etablieren, auch sonst vieles besser machen als die Vorgängerregierungen. Das war der Plan der Ampel.

Doch jetzt?

Die Koalition steckt im Dauerkrisenmodus fest. Ohne Aussicht, schnell wieder herauszukommen. Klimakatastrophe, Corona-Pandemie und nun noch Wladimir Putins Krieg gegen die Ukraine mit all seinen unabsehbaren Folgen auch für Deutschland. Eines lässt sich bereits mit Gewissheit sagen: Keine Regierung zuvor stand so schnell vor so vielen Herausforderungen.

Aber wer in der Regierung ist unter dem Druck über sich hinausgewachsen? Wer hat in den ersten Wochen enttäuscht? Und wen würde vermutlich noch immer kaum jemand beim Einkaufen erkennen?

Nach 100 Tagen Koalition von SPD, Grünen und FDP ist es Zeit für eine Zwischenbilanz. Hier ist der t-online-Check:

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)

Dass Olaf Scholz das Regierungshandwerk beherrscht? Dass er ein Pragmatiker ist, der tut, was zu tun ist? Dass er auch andere strahlen lassen kann? All das ist nicht neu. Wer den Kanzler in früheren Jobs erlebt hat, wusste um diese Eigenschaften (auch wenn Scholz sie durchaus verbergen konnte).

Was an dem 63-Jährigen am meisten überrascht hat, ist die Fähigkeit, seinen Kommunikationsstil zu ändern: Spätestens seit Ausbruch des Ukraine-Krieges ist er nicht mehr der Politiker, der besonders emotionslos und leise in Phrasen spricht. Die Krise hat vielmehr zu seiner kommunikativen Zeitenwende geführt: Er redet Klartext, ist emotional, ja leidenschaftlich.

Fazit: Überraschung

Finanzminister Christian Lindner (FDP)

Er wollte den Posten unbedingt, jetzt muss er ihn anders ausfüllen als gedacht: Finanzminister Christian Lindner gibt – ausgerechnet als FDP-Politiker, der eigentlich gern den schlanken Staat predigt – ordentlich Geld aus: 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr, Tankrabatt für Autofahrer, weitere Hilfen zur Bewältigung des Ukraine-Krieges.

Lindner ist ganz in der Realpolitik angekommen, wo sich Krisen selten mit einem strikten Sparkurs lösen lassen. Parteiintern ist er dennoch unumstritten. Es scheint die Devise zu gelten: Besser pragmatisch regieren als ideologisch opponieren.

Fazit: Überraschung

Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen)

Es gibt eine Geschichte über Annalena Baerbock, die nett klingt und trotzdem nur halb wahr ist. Sie geht ungefähr so: Es war einmal eine glücklose Kanzlerkandidatin, die im Wahlkampf so viel Kritik und Häme aushalten musste, dass sie jetzt als Außenministerin keine Angst mehr vor niemandem hat. Nicht mal vor hinterlistigen Routiniers wie ihrem russischen Kollegen Sergej Lawrow.

Viel entscheidender ist etwas anderes: Baerbock kommt vom Völkerrecht, sie beschäftigt sich seit Beginn ihrer Laufbahn mit Außenpolitik. Und sie bereitet sich akribisch vor, was gerade bei den Lawrows dieser Welt unheimlich wichtig ist. Sie ist in dieser Regierung Frau Tacheles. Eine willkommene Abwechslung, gerade in der Außenpolitik.

Fazit: Überraschung

Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen)

Er hat sich von Anfang an die gewaltigste Aufgabe in dieser Regierung ausgesucht. Robert Habeck muss die Energiewende organisieren, und ist damit der wichtigste Klimaschützer im Kabinett. Durch den Ukraine-Krieg muss er diese Aufgabe nun noch schneller bewältigen, als es seine ohnehin ambitionierten Pläne ursprünglich vorsahen. Und er muss angesichts der sich abzeichnenden Wirtschaftskrise auch sein, wonach er sich nie wirklich gesehnt hat: Wirtschaftsminister.

Fazit: Überraschung

Innenministerin Nancy Faeser (SPD)

Die Innenministerin war eine der personellen Überraschungen im Kabinett. Die SPD bedachte sie mit vielen Vorschusslorbeeren: Endlich eine Kämpferin gegen den Rechtsextremismus! Mit einem "Aktionsplan" will sie ihre unbestrittene Expertise bei dem Thema nun untermauern.

Allerdings bleibt sie in der akuten Krise seltsam blass – obwohl Europa die größte Fluchtbewegung seit Jahrzehnten erlebt. Anfangs tat Faeser lange so, als würde das Thema vor allem die direkten Nachbarn wie Polen betreffen. So lange, bis die Bundesländer nervös wurden und Vorbereitungen des Bundes einforderten. Nun läuft es alles andere als glatt: Wie schon 2015 bleibt wieder vieles an Freiwilligen hängen.

Fazit: Enttäuschung

Justizminister Marco Buschmann (FDP)

Marco Buschmann plant einen grundsätzlichen Umbau der Gesellschaftspolitik im Land. Erste Reformen hat er dazu bereits angestoßen, wie die Abschaffung des Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche. Buschmann will die Verwaltung digitalisieren und sogenannte Verantwortungsgemeinschaften einführen. Er glaubt: Die Gesellschaft habe sich weiterentwickelt, das Recht sei stehen geblieben. All das will er ändern. Und kaum jemand zweifelt daran, dass ihm das auch gelingt.

Fazit: Überraschung

Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD)

Hubertus Heil ist der einzige Minister in der Regierung, der seinen Posten schon vor dem Amtsantritt der Ampel innehatte: Der 49-Jährige war bereits in der Großen Koalition Arbeits- und Sozialminister. Dass er den Posten erneut bekam, liegt daran, dass er in der Partei als loyal und im Ministeramt als erfolgreich gilt.

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In der vergangenen Wahlperiode setzte er die Einführung der Grundrente durch, für diese Legislatur steht die Reform von Hartz IV an. Stattdessen soll es ein Bürgergeld geben. Angesichts von Pandemie und Ukraine-Krieg stehen Heils Themen derzeit aber nicht im Fokus.

Fazit: Unsichtbar

Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD)

Bereits vor ihrem Amtsantritt sorgte Christine Lambrecht für schlechte Stimmung: Sie ließ mehreren Mitarbeitern ihrer Vorgängerin brüsk mitteilen, sie müssten ihre Büros räumen. Durch den Ukraine-Krieg ist das Verteidigungsministerium beinahe über Nacht zu einem der wichtigsten Ressorts geworden. 100 Milliarden Euro extra soll es nun für die Bundeswehr geben, damit sie endlich wieder eine schlagkräftige Armee wird.

Die Atmosphäre im Bendlerblock, dem Sitz des Ministeriums, hat sich trotzdem nicht verbessert. Interne Kritiker werfen Lambrecht vor, sich mit SPD-Getreuen zu umgeben, die viel Ahnung von der Partei, aber wenig von Sicherheit und Verteidigung hätten. In der Truppe, also an der Basis, ist die Ministerin nicht beliebt. Hinzu kommen Pannen wie Lambrechts Ankündigung im Januar, der Ukraine nur 5.000 Helme zu liefern (statt der erbetenen Defensivwaffen). Dafür erntete die Ministerin nicht nur in Sicherheitskreisen viel Spott.

Fazit: Enttäuschung

Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD)

Manchmal hat es den Anschein, als gebe es Karl Lauterbach inzwischen gleich zweimal. Es stimmt ja: Manch einer fragt sich schon seit Längerem, wie es der studierte Epidemiologe schafft, neben seinen unzähligen Talkshow-Auftritten auch noch Politik zu machen, außer mit einem Doppelgänger. Von einem Lauterbach-Zwilling ist bislang allerdings nichts bekannt.

Dafür gibt der Gesundheitsminister ein zwiespältiges Bild ab: Er ist hin- und hergerissen zwischen seinem wahren Ich, dem obersten Corona-Warner der Nation, wodurch ihn die öffentliche Meinung quasi per Direktwahl ins Amt beförderte. Und dem Amtsinhaber Lauterbach auf der anderen Seite, der dem Koalitionsfrieden zuliebe Vieles mitträgt, was ihm eigentlich zuwider ist. Entsprechend dürfte für kaum einen Minister der Realitätsschock des Regierens in den ersten Wochen so groß gewesen sein wie für ihn.

Fazit: So lala

Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen)

Kaum eine Personalie im Kabinett sorgte für so viel Aufregung wie die Berufung von Cem Özdemir zum neuen Landwirtschaftsminister. Viele Bauern waren geradezu entsetzt, dass nun ein bekennender Vegetarier ohne vorherigen agrarwirtschaftlichen Sachverstand für sie zuständig ist. Wie man Schlagzeilen macht, weiß der ehemalige Grünen-Chef dagegen gut: Mit seiner Forderung nach einer deutlichen Preissteigerung für Fleisch entfachte er gleich zu Beginn eine Debatte.

Zu nichts weniger als einer grundlegenden Ernährungswende will Özdemir die Deutschen überzeugen. Und Umweltschutz, Nachhaltigkeit und eine tiergerechtere Haltung sollen sich auch für die Landwirte lohnen. Ob Özdemir das ambitionierte Ziel erreicht, ist allerdings offen.

Fazit: So lala

Familienministerin Anne Spiegel (Bündnis 90/Die Grünen)

Die Familienministerin arbeitet mit dem Justizminister beharrlich daran, Deutschland gesellschaftspolitisch in die Moderne zu führen. Das ist nicht wenig, weil es eines der wenigen Politikfelder ist, in denen SPD, Grüne und FDP wirklich das Gleiche wollen: den vielzitierten Aufbruch.

Allerdings holt Anne Spiegel gerade ihre Zeit als Umweltministerin in Rheinland-Pfalz ein. Es ist der Eindruck entstanden, dass sie die Flutkatastrophe anfangs heillos unterschätzte und eher um ihr eigenes Image als um die Menschen vor Ort besorgt war. Würde der Ukraine-Krieg Politik und Öffentlichkeit gerade nicht völlig vereinnahmen, hätte Spiegel wohl ihr erstes großes Problem in eigener Sache.

Fazit: Enttäuschung

Verkehrsminister Volker Wissing (FDP)

Volker Wissing produziert wenige Schlagzeilen, die Pandemie und der Ukraine-Krieg betreffen vor allem andere Ressorts. Eigentlich wollte er vor allem endlich für die Verkehrswende in Deutschland sorgen, hin zu einer grüneren Mobilität. Das war eines der wichtigsten Ziele dieser Legislaturperiode. Im Moment muss der Verkehrsminister neu priorisieren und sich vor allem um Züge für Flüchtlinge kümmern. Und danach darauf hoffen, dass noch ausreichend Geld für seine Projekte vorhanden ist.

Fazit: Unsichtbar

Umwelt und Verbraucherschutzministerin Steffi Lemke (Bündnis 90/Die Grünen)

Vor den steigenden Spritpreisen waren es blockierte Autobahnen, die viele Autofahrer erzürnten. Da kommt Steffi Lemke ins Spiel: Die Umweltministerin hatte Protestaktionen von Klimaschützern (etwa auf der Berliner Stadtautobahn) für "absolut legitim" erklärt. Für diesen Fauxpas gab es von den Kabinettskollegen kräftig Schelte.

Und sonst? Blieb es ausgesprochen still um die neue Ministerin. Die wohlwollende Interpretation lautet, dass Lemke ein Amt bekleidet, das viele Kompetenzen abgeben musste – etwa an das um Klimaschutz erweiterte Wirtschaftsministerium.

Fazit: Unsichtbar

Bildungs- und Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP)

Die neue Ministerin wurde mit vielen Vorschusslorbeeren bedacht. Doch sie erlebt, was bereits die Tragik fast jeder ihrer Vorgänger war: Auf die konkrete Bildungspolitik hat man kaum Einfluss, weil sie ganz überwiegend Ländersache ist. Und Forschung ist zwar spannend, aber kein Thema für die Massen. Stark-Watzinger versucht nun, mit ersten Vorstößen in ihre neue Rolle zu finden: Sie ist für vorsichtige Corona-Lockerungen an den Schulen und will geflüchtete Lehrer aus der Ukraine integrieren. In der öffentlichen Debatte findet sie jedoch bislang eher wenig Beachtung.

Fazit: Unsichtbar

Entwicklungshilfeministerin Svenja Schulze (SPD)

Als Umweltministerin unter Angela Merkel wurde sie von vielen als zu blass, zu harmlos, nicht durchsetzungsstark genug für den Klimaschutz bewertet. Auch im neuen Amt dürfte Svenja Schulze es schwer haben, zu glänzen. Was vor allem am Amt liegt. Vielen gilt es als Restposten unter den zu verteilenden Kabinettsposten. Seit Jahren schon wird immer wieder über die Auflösung des Entwicklungshilfeministeriums diskutiert. Neben der Frage, wie erfolgreich das Ministerium ist, geht es dabei immer um die noch grundsätzlichere Debatte: Nützt Entwicklungshilfe wirklich denen, denen sie helfen soll? Die Bundesentwicklungsministerin jedenfalls will 2022 zum "Jahr des Aufbruchs" in der Entwicklungspolitik machen und sich unter anderem für globale Impfgerechtigkeit und das Schließen der Finanzierungslücke bei der weltweiten Coronavirus-Krisenreaktion einsetzen.

Fazit: Unsichtbar

Bauministerin Klara Geywitz (SPD)

Klara Geywitz muss eines der großen Versprechen von Olaf Scholz einlösen: Hunderttausende neue Wohnungen zu bauen. Dafür hat sie sogar ein eigenes Ministerium bekommen. Das musste allerdings erst einmal selbst aufgebaut werden. Geywitz ist zudem eher keine Showpolitikerin. Das führte dazu, dass die Bauministerin bislang eher wenig von sich hören ließ. Nur lassen sich Wohnungen ohnehin nicht in wenigen Tagen aus dem Boden stampfen. Abgerechnet wird später.

Fazit: Unsichtbar

Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt (SPD)

Der langjährige Vertraute des Kanzlers war früher immer so etwas wie die rheinische Ausgabe von Olaf Scholz: Inmitten von Menschen fühlte er sich besonders wohl, war notorisch fröhlich – und konnte im Zweifel bis tief in die Nacht erzählen. Selbst als Scholz in der vergangenen Legislaturperiode Finanzminister war, diente Wolfgang Schmidt immer als Interpretationshilfe für die Aussagen der Sphinx auf dem Ministersessel.

Als Kanzleramtschef ist Schmidt bislang wenig präsent. Was auch daran liegen dürfte, dass dieses Amt schon zu normalen Zeiten einer 24/7-Aufgabe gleicht. Damit gerechnet haben wohl aber die wenigsten.

Fazit: Überraschung

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