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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kanzlerkandidat nach der Katastrophe Laschets Wahlkampf: Der Einschnitt ist gewaltig
Die CDU wollte einen unaufgeregten Wahlkampf. Dann kam die Flutkatastrophe. Nun stellen sich zwei unangenehme Fragen: Welche Klimapolitik will die Partei? Und was kann Armin Laschet wirklich?
Am Montagmittag, als sich das Wasser langsam zurückzieht, sitzt Günter Krings im Fond seines Dienstwagens und ringt um Worte. Er sagt: "Es ist bedrückend zu sehen, was dieses Unwetter angerichtet hat." Krings ist Parlamentarischer Staatssekretär im Innenministerium und mit seinem Chef Horst Seehofer im Rheinland unterwegs.
Gemeinsam wollen sie die Folgen des Hochwassers besichtigen. Krings schildert am Telefon, was er gesehen hat: "Weggespülte Brücken, unpassierbare Straßen, beschädigte oder unbewohnbare Häuser voller Schlamm und Berge von zerstörtem Hausrat."
Das Hochwasser bestätige, "wie wichtig der Klimaschutz ist." Dann setzt der CDU-Mann hinzu: "Doch gleichzeitig dürfen wir nicht nur die in Deutschland ausgestoßenen Tonnen CO2 zählen, sondern erforderlich ist ein umfassendes Klima-Konzept."
Eine besonders große Herausforderung für die Union
Der Kampf um dieses Klima-Konzept könnte der entscheidende Punkt werden, an dem der Bundestagswahlkampf kippt. Und es spricht vieles dafür, dass dieser Punkt jetzt erreicht ist – denn der Einschnitt ist gewaltig: Binnen zwei Tagen haben Sturzfluten ganze Landstriche hinweggerissen. Mindestens 156 Menschen starben, Hunderte werden noch vermisst.
Unter Klimaforschern herrscht weitgehend Einigkeit, dass die Katastrophe ein Produkt der menschengemachten Klimakrise ist. Und dass sie bei Weitem nicht die letzte sein könnte. Deutschland redet so viel über den Klimawandel wie seit Jahren nicht.
Besonders für die Union stellt sich damit eine neue Herausforderung. Denn in der Partei hatte man sich darauf eingestellt, einen unaufgeregten Wahlkampf bis zur Wahl am 26. September zu führen. Im "Schlafwagen" solle Armin Laschet ins Kanzleramt einrollen, so lautete eine Frotzelei im politischen Berlin. Doch mit der Ruhe ist es jetzt vorbei, die Katastrophe ist da. Und wie sie gemeistert wird, das wird sofort bewertet.
Vertrauen ihm die Menschen?
Am Montag wurde bekannt: Nur 26 Prozent der Deutschen sprechen Armin Laschet eine Krisenkompetenz im Falle von Naturkatastrophen zu, wie das Umfrageinstitut "Civey" für den "Spiegel" ermittelte. Es ist ein mieser Wert für den Ministerpräsidenten des größten Bundeslandes, der gerade die größte Flutkatastrophe seit vielen Jahren bewältigen muss. Und der gern Kanzler werden würde.
Der Umgang mit der Krise wird damit zur Nagelprobe für den Kanzlerkandidaten und für seine Partei. Regelmäßig betont man in der Union, CDU und CSU stünden auf drei Säulen: konservativen Positionen, liberalen Einflüssen und dem sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft. Das Wort "Klimaschutz" stand bislang selten in großen Buchstaben in den Hochglanzbroschüren. Intern hat man bereits Sorge, dass die eigene Leerstelle zu groß sei angesichts der tödlichen Flut.
Es stellen sich damit zwei Fragen: Kann die Union die Klimakrise bewältigen? Und, wenn ja: Kann dann ihr Kanzlerkandidat Armin Laschet diese Politik so vermitteln, dass ihm die Menschen dabei vertrauen?
Laschet versucht es zumindest. Er tut in diesen Tagen alles, um als aktiver Bekämpfer der Krise wahrgenommen zu werden. Bereits am letzten Donnerstag, einen Tag nach dem Anschwellen des Hochwassers, tat er, was viele Politiker bei Hochwasser machen: Er zog sich Gummistiefel an. Dann stellte er sich ins überflutete Gebiet und versprach: Man werde die Menschen nicht alleinlassen, es werde bald Unterstützung kommen. Sehr konkret sollte das alles wirken.
Politik ohne übergroße Konkretisierung, das Erfolgsmodell des Kandidaten
Denn Laschet kämpft gegen die eigenen, eher unkonkreten Politikansätze seiner Partei an. Vor drei Wochen hat die Union das Wahlprogramm zur Bundestagswahl vorgestellt. Damals waren die Fluten noch weit entfernt, das Thema Klima taucht in dem 140 Seiten starken Papier erst weit hinten auf. Und es bleibt reichlich vage. So wird dort unter anderem kein fester CO2-Preis genannt, auch am Kohleausstieg 2038 soll festgehalten werden. Vorher eingeleitete, weitreichendere Schritte finden sich nicht.
Grüne Aktivisten kritisieren das bereits seit Wochen als zu unambitionierte Haltung. Jetzt, angesichts des Hochwassers, könnten die Vorhaben der Union auch von der breiten Mehrheit der Bevölkerung als zu zögerlich ausgelegt werden.
Thorsten Frei, Vizechef der Unionsfraktion im Bundestag, sagt t-online trotzdem: "Deutschland übernimmt eine Vorreiterrolle: Es gibt kein anderes Industrieland dieser Größenordnung, das aus den fossilen Brennstoffen und gleichzeitig der Atomenergie aussteigt." Maß und Mitte sollen gehalten werden. Marie-Luise Dött, die umweltschutzpolitische Sprecherin der Unionsfraktion, sieht das ähnlich. Sie sagt t-online: "Die Menschen wissen, dass sich die Rettung des Klimas langfristig nur realisieren lässt, wenn man – wie die Union – einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz verfolgt."
Wenn man so will, ist Politik ohne übergroße Konkretisierung bislang das Erfolgsmodell von Armin Laschet. Er gilt als jemand, der praktisch die personifizierte politische Mitte ist. So hat er es in seinem Kabinett in Nordrhein-Westfalen gehandhabt, dort finden sich CDU-Hardliner genauso wie Parteifreunde, die so weit links stehen, dass der Weg zur SPD nicht mehr weit ist. Laschet war damit lange sehr erfolgreich.
Es geht auch um die Macht der Bilder
Und Teil seiner Strategie ist auch, dass er zwar gern erklärt, man werde bald noch mehr Personen seines Teams kennenlernen (gemeint ist wohl eine Art Schattenkabinett). Doch vorgestellt wurde bislang nur Friedrich Merz, der sich Hoffnung auf einen Kabinettsposten machen kann. Ansonsten bleibt Laschet gern vage.
In der Union wird diskutiert, ob man jetzt nicht Klimaexperten der CDU in der Vordergrund rücken könnte. Das einzige Problem ist: Die Partei hat kaum welche. Bis auf den Vize-Fraktionschef Andreas Jung und die umweltpolitische Sprecherin der Fraktion Marie-Luise Dött sind keine Umweltpolitiker bekannt. Deshalb konzentriert sich die Aufgabe der Verwandlung der Union zu einer Klimakrisen-Partei vor allem auch auf den Kanzlerkandidaten. Er soll es richten, auch wenn noch nicht so ganz klar ist, wie.
Doch es geht nicht nur um die inhaltlichen Aspekte. Es geht auch um die Macht der produzierten Bilder.
Eine harte, zynische Wahrheit im Politikbetrieb lautet: Katastrophen sind immer gut für diejenigen, die an der Macht sind. Je größer die Gefahr, desto mehr wächst die Zustimmung für die aktuellen Entscheider. Beobachten ließ sich das unter anderem beim Ausbruch der Corona-Pandemie. Die Umfragewerte der Bundeskanzlerin legten deutlich zu, auch die von Ministerpräsidenten wie Markus Söder.
Er schlingert einmal, er schlingert zweimal
Nur bei Armin Laschet funktioniert das bislang nicht recht. Trotz Gummistiefeln. Er rückt zwar besonders in den Vordergrund, das schon. Doch in den letzten Tagen macht er vor allem mit seinen Fehlern Schlagzeilen.
Da war zum Beispiel ein Fernsehinterview im WDR, direkt nachdem die Flüsse über die Ufer getreten waren. Laschet sagte einen Satz, der noch Tage später nachhallt: "Weil jetzt so ein Tag ist, ändert man nicht die Politik." Es war zu der Zeit, als das Ausmaß der Katastrophe von Stunde zu Stunde sichtbarer wurde. Und Laschets Botschaft war: Es braucht keine grundsätzliche Kurskorrektur. Selbst in der eigenen Partei heißt es, dass dies mindestens unangemessen wirkte. Obwohl man sich intern einig ist, dass er in der Sache recht hat.
Das war der erste Moment, in dem der Kanzlerkandidat in dieser Krise schlingerte. Der zweite Moment folgte kurz darauf, als Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ins Hochwassergebiet kam. Während Steinmeier sprach, stand Laschet hinter ihm und wusste offenbar nicht, dass auch er im Fernsehbild zu sehen war. Steinmeier referierte mit ernsten Worten über die Katastrophe, während Laschet hinter dem Rücken des Bundespräsidenten lachte. Er kringelte sich, biss sich auf die Zunge, er juxte und feixte.
Es war ein Bild, das bleibt: Dutzende Menschen sterben, der Bundespräsident drückt seine Bestürzung aus — und der Kanzlerkandidat der Union lacht sich währenddessen scheckig. Laschet sah seinen Fehler ein, er schrieb auf Twitter, er bedauere "den Eindruck, der durch eine Gesprächssituation entstanden ist. Dies war unpassend und es tut mir leid."
In diesem Moment bröckelte das staatsmännische Image, das sich Laschet gerade dabei war, zu erarbeiten. Es war eine Ungeschicklichkeit, doch Politik hat viel mit Vertrauen zu tun. Dieses Vertrauen bröckelt durch solche Szenen. Denn sie werfen die Frage auf, ob Laschet dem Amt des Bundeskanzlers gewachsen ist.
Natürlich kommt sofort der Vergleich zu Angela Merkel auf: Die war immer korrekt in ihrem Auftreten, solch ein Fauxpas ist Merkel in 16 Jahren Kanzlerschaft nicht passiert. An diesem Dienstagmittag um 13.50 Uhr steht ein gemeinsames Pressestatement von Laschet mit Angela Merkel an, die das Katastrophengebiet in NRW besucht. Und im Lager von Armin Laschet hofft man, dass es heute bessere Bilder gibt.
- Eigene Recherche