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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Streit um ARD und ZDF Es brodelt
Den Bruch seiner Regierung hat Reiner Haseloff in Sachsen-Anhalt erst einmal abgewendet. Doch nun brodelt es bei CDU, SPD und Grünen – und das längst auch in Berlin.
Es ist kurz vor 11 Uhr, als am Dienstag in Sachsen-Anhalt der riesige Streit um 86 Cent mit einem Machtwort beendet werden soll, das eigentlich eine persönliche Niederlage ist. CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff kann seine eigenen Parteifreunde im Landtag nicht davon überzeugen, für die Erhöhung des Rundfunkbeitrags zu stimmen. Also zieht er den Gesetzentwurf kurzerhand einfach ganz zurück.
Die Regierungskrise in Sachsen-Anhalt hat Haseloff damit entschärft, erst einmal. Doch das war's dann auch schon. Der Zoff um den Rundfunkbeitrag bleibt und landet wohl vorm Bundesverfassungsgericht. Und in der CDU verschwindet der Streit um die Frage nicht, wie viel Abgrenzung zur AfD nötig und möglich ist. Ein neuer Vorsitzender wird ihn erben, ob er nun Armin Laschet, Friedrich Merz oder Norbert Röttgen heißt. SPD und Grüne freut das – zumindest bis es ernst wird.
Es ist kompliziert
In Sachsen-Anhalt hatte die Regierung aus CDU, SPD und Grünen seit Tagen darüber gestritten, ob sie der Erhöhung des Rundfunkbeitrags zustimmt – so wie die anderen 15 Landesregierungen es getan haben. SPD und Grüne sind dafür, die Landtagsfraktion der CDU inzwischen recht geschlossen dagegen. Genau wie die AfD.
Der Streit schaukelte sich so hoch, dass SPD und Grüne im Land sogar mit Koalitionsbruch für den Fall drohten, dass CDU und AfD den Vertrag mit ihrer gemeinsamen Mehrheit stoppen. Weil Innenminister und CDU-Landeschef Holger Stahlknecht diesem Weg recht unverhohlen etwas abgewinnen konnte, feuerte Haseloff ihn am Freitag. Der Ministerpräsident gilt selbst nicht als größter Fan der Erhöhung, aber mit der AfD wollte er eben auch nicht. Es ist kompliziert.
Besonders die Grünen, aber auch die SPD haben dem Streit dann auch noch bundespolitisch maximale Bedeutung beigemessen. Grünen-Chef Robert Habeck schaltete sich gleich mehrfach persönlich in die Debatte ein. Noch am Montag sah er im Fall Sachsen-Anhalt eine Auseinandersetzung um das "Verständnis von freier Presse und freiem Wort und freier Sprache in Deutschland".
Größer geht es kaum.
Zugleich erklärten Grüne und SPD die Haltung der Christdemokraten in dem Bundesland immer wieder zu einer Prüfung dafür, wie ernst es die CDU insgesamt mit der Abgrenzung zur AfD meint. Das kommt den beiden Parteien im aufziehenden Bundestagswahlkampf natürlich durchaus gelegen.
Dass sie damit deshalb in der Sache aber nicht falsch liegen müssen, zeigt der Umstand, dass auch der mögliche neue CDU-Bundeschef Armin Laschet den Fall zur Identitätsfrage für seine Partei erklärt hat. "Es gibt Momente, in denen eine klare Haltung gefragt ist", sagte er am Freitag. Die AfD könne "niemals politischer Partner sein".
Streit um den Kurs in der CDU
Ganz anders sieht das Friedrich Merz. Was zeigt, dass in der CDU tatsächlich um den Kurs gerungen wird. Der Ex-Fraktionschef der Union, der ebenfalls für den Parteivorsitz kandidiert, hatte signalisiert, dass er die Haltung der CDU-Landtagsfraktion in Magdeburg durchaus nachvollziehen könne.
In der Partei wächst die Sorge, dass die Lager innerhalb der CDU immer weiter auseinanderklaffen könnten. Wenn Laschet und Merz schon bei einer solchen Frage so unterschiedliche Meinungen vertreten, wie soll die CDU dann nach der Wahl des neuen Vorsitzenden Mitte Januar geeint werden? Es gärt in der Union, der Streit überschattet aktuell das Rennen um den Vorsitz.
Die Noch-CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer sagte t-online am Dienstag, es sei gut, "dass die Koalition in Sachsen-Anhalt eine Lösung gefunden hat und sich nun weiter auf die Bekämpfung der Pandemie konzentrieren" könne. Zugleich kritisierte sie die Haltung der Landtagsfraktion.
Mancher sieht bereits die sorgsam geschmiedeten Bündnisse wackeln. Dass Grüne und SPD die CDU dermaßen scharf kritisieren, sehen viele in der Partei gewissermaßen als Unverschämtheit an. Jemand aus dem Fraktionsvorstand sagte t-online: "Grüne und SPD haben den Koalitionsvertrag zur Beitragsstabilität in Magdeburg mit unterschrieben, jetzt entscheiden die sich um, wollen ihr Wort brechen – und wir sind die Bösen, weil die AfD zufälligerweise auch dagegen ist? Das kann nicht ganz wahr sein."
Es werde jetzt mit härteren Bandagen gekämpft, manche sehen den Wahlkampf durch die Attacken bereits eröffnet. Uneins sind sich die Unions-Vertreter nur in der Antwort: Die Sachsen-Anhaltiner unterstützen und die Eskalation des Streits mit SPD und Grünen in der Öffentlichkeit vorantreiben? Oder beidrehen und dafür von der eigenen Position abrücken? Viele verweisen gern darauf, dass die CDU in Sachsen-Anhalt schon seit zehn Jahren gegen zu viel Geld für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk sei – damals habe es die AfD noch gar nicht gegeben.
"Am Ende bleibt die Besorgnis"
Der Zank in der CDU ist für SPD und Grüne erst einmal von Vorteil. Schon bisher versuchen beide Parteien, sich als geschlossene und sortierte politische Kräfte zu inszenieren – im Kontrast zur CDU.
Und so wird auch nach Haseloffs Rückzieher der desaströse Zustand der CDU betont. Von einem "Führungsvakuum der Bundes-CDU" spricht der SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese. "Ob sich an der fehlenden Autorität mit einem neuen CDU-Vorsitzenden etwas ändert, ist fraglich, besonders wenn er nur mit knappem Ergebnis gewählt wird", sagte Wiese t-online. Auch Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt nannte es im Gespräch mit t-online "höchst alarmierend", dass es "der Bundes-CDU nicht gelingt, hier Führung zu zeigen".
Der SPD-Chef Norbert Walter-Borjans warnte sogar ganz explizit vor ähnlichen Fällen in der Zukunft. "Am Ende bleibt die Besorgnis, dass der nächste Fall, bei dem die CDU vor der AfD einknickt, nicht lange auf sich warten lassen wird", sagte er t-online.
Eine bequeme Strategie
Es sind harte Vorwürfe. Und sie lassen fast automatisch die Frage aufkommen, ob man mit so einer CDU dann im Bund überhaupt noch zusammenregieren kann. Oder will. Immerhin nehmen SPD und Grüne für sich in Anspruch, im Kampf gegen rechts niemals Zweifel aufkommen zu lassen. Für die SPD stellt sich diese Frage in der großen Koalition akut, für die Grünen mit einiger Wahrscheinlichkeit nach der Bundestagswahl im nächsten Jahr.
Und wenn man sich bei SPD und Grünen umhört, fällt auf: Hinter vorgehaltener Hand wird zwar glaubhaft versichert, dass man das Problem der CDU mit ihrer Führung und der Abgrenzung nach rechts in den Ländern für sehr ernst halte. Doch zugleich wird auch immer wieder betont, man habe an der klaren Haltung der Abgeordneten in der CDU-Bundestagsfraktion eigentlich keine Zweifel.
Gewissermaßen: Im Bund hui, im Osten manchmal pfui.
Das mag nicht ganz falsch sein, es ist aber zugleich recht bequem für SPD und Grüne. Denn folgt man der Argumentation, hat im Bund derzeit einzig die CDU ein Problem, und zwar vor allem eines in der Außendarstellung: Chaos und Führungslosigkeit. Würden SPD und Grüne die CDU ernsthaft als Partner in Frage stellen, würde das Problem schnell auch zu ihrem. Es ginge ihnen schlicht eine realistische Machtperspektive verloren.
Und ganz so ernst ist die Lage für sie dann offenbar doch noch nicht. Oder wie es ein CDU-Abgeordneter aus Sachsen formuliert: "Die Position von Grünen und SPD gleicht einem Lied, das man aufnimmt, um bekannter zu werden. Doch ob sie es damit wirklich in die Charts schaffen, ist noch völlig offen."
- Eigene Recherchen