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Peter Altmaier zu Corona-Krise: Deutschland wird am Ende stärker dastehen


Interview
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Wirtschaftsminister Altmaier
"Dürfen nicht zulassen, dass einzelne Firmen dem Land Schaden zufügen"


Aktualisiert am 23.06.2020Lesedauer: 8 Min.
Peter Altmaier: Er rechne mit starken Verlusten für die Wirtschaft, so der Bundeswirtschaftsminister im Interview mit t-online.de.Vergrößern des Bildes
Peter Altmaier: Er rechne mit starken Verlusten für die Wirtschaft, so der Bundeswirtschaftsminister im Interview mit t-online.de. (Quelle: imago-images-bilder)
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In die Amtszeit von Wirtschaftsminister Peter Altmaier fällt die größte Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten. Ein Gespräch über Arbeitsplätze und die Frage, wann die konjunkturelle Krise in Deutschland wieder abflacht.

Wirtschaftsminister Peter Altmaier ist spät dran, als er am Montagmittag vor der Kamera zum vereinbarten Videointerview erscheint. Nur wenige Augenblicke zuvor saß er noch mit Finanzminister Olaf Scholz und dem Lufthansa-Großaktionär Heinz Hermann Thiele zusammen zum Krisengespräch: Die Bundesminister wollten Thiele überzeugen, auf der Hauptversammlung der Airline am Donnerstag für den Deal mit dem Staat zu stimmen.

Zwar heißt es später, dass die Gespräche ohne ein Ergebnis endeten, Thiele den Einstieg des Staates bei der Lufthansa weiterhin kritisch sehe. Dennoch wirkt Altmaier vor der Kamera gelöst. Das Jacket hat er abgelegt, aus einer silbernen Kanne schenkt er sich Kaffee ein. Wie hat er die vergangenen Wochen in der Corona-Krise erlebt, wie groß sind seiner Ansicht nach die Chancen auf eine Rettung der Lufthansa – und wie rechtfertigt er die Beteiligung des Bundes am Corona-Impfstoffentwickler Curevac? Im t-online.de-Interview gibt Altmaier Antworten.

t-online.de: Herr Altmaier, im ersten Halbjahr 2020 ist die deutsche Wirtschaft so stark geschrumpft wie nie zuvor. Wären Sie gern zu einer anderen Zeit Wirtschaftsminister geworden?

Peter Altmaier: Das kann man sich nicht aussuchen. Aber gerade jetzt muss Politik verantwortungsvoll handeln: Wir haben sehr schnell und unbürokratisch geholfen, damit Unternehmen die schwere Zeit überstehen und Tausende Jobs gerettet werden. Mit dem größten Konjunkturprogramm in der Geschichte Deutschlands schaffen wir die Voraussetzungen für einen raschen und nachhaltigen Aufschwung. Dazu investieren wir 130 Milliarden Euro, davon allein 50 Milliarden in Zukunftstechnologien. Wir müssen leider davon ausgehen, dass die Wirtschaft dieses Jahr um rund 6 Prozent schrumpfen wird. Dennoch zeigen sich erste Silberstreifen am Horizont: Wir tun alles, damit es ab dem letzten Quartal 2020 eine Trendumkehr geben wird. Es wird aber aller Voraussicht nach noch bis ins Jahr 2022 dauern, bis wir die Verluste kompensiert und die alte wirtschaftliche Stärke erreicht haben. Es ist ein langer Weg, bei dem es auch zu Rückschlägen kommen kann, aber Deutschland wird am Ende stärker dastehen als zuvor.

Wann wurde Ihnen klar, wie dramatisch die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie werden?

Das war Anfang April. Damals wurde deutlich, dass die Pandemie und ihre Folgen nicht nur China betreffen würden. Mit der Ausbreitung des Virus in ganz Asien und dann in Europa musste jedem klar sein, dass wir es mit einem weltweiten Vorgang mit dramatischer Wirkung zu tun hatten. Das zeigte damals schon der Blick nach Italien und Spanien.

Kurz darauf sprachen Sie dann zum ersten Mal von einer "Rezession" – dramatischeres Vokabular gibt es kaum in einer Wirtschaftskrise.

Das stimmt, doch das war richtig und angemessen. Und ich habe dazugesagt, dass es schlimmer werden könnte als die Bankenkrise 2009, was sich leider als zutreffend erwiesen hat. Zuvor ging es zehn Jahre lang der deutschen Konjunktur wirklich gut – Corona traf viele Unternehmen und Beschäftigte wie ein Blitz aus heiterem Himmel.

Zu Beginn der Krise sagten Sie über die Regierung: "Wir haben so viele Reserven, dass wir versprechen können, dass wir alles tun werden, damit kein Arbeitsplatz wegen Corona verloren gehen muss und kein gesundes Unternehmen schließen muss." Nun schnellen die Arbeitslosenzahlen in die Höhe. Hat die Bundesregierung versagt?

Mitnichten. Ich habe zum Ausdruck gebracht, dass wir helfen und dass wir um jeden Arbeitsplatz kämpfen, und genau das tun wir mit Erfolg: In fast allen anderen Industrieländern ist der Anstieg wesentlich höher als bei uns! Der Staat entscheidet nicht über einzelne Arbeitsplätze, das ist in der Marktwirtschaft Sache der einzelnen Unternehmen. Durch die großzügigen Regelungen zur Kurzarbeit haben die Unternehmen aber die Möglichkeit, ihre Jobs zu erhalten, bis der Aufschwung wieder einsetzt.

Dazu haben Sie unter anderem einen Beteiligungsfonds aufgelegt, mit dem der Staat bei konjunkturell schlingernden Großunternehmen einsteigen kann. Ist das Ihr Verständnis von idealer Wirtschaft – ein starker Staat, der im Zweifel auch in die Unternehmen eingreift?

Der Staat muss sich raushalten, wo es immer möglich ist. Aber bei einer so dramatischen Lage, wie sie sich aktuell für viele Unternehmen darstellt, müssen wir von staatlicher Seite mithelfen, Stabilität zu erhalten. Wir brauchen in der aktuellen Krise einen verantwortungsvollen Staat und dafür stehe ich mit meiner Wirtschaftspolitik. Übrigens auch aus dem Grund, weil unsere Unternehmen sonst weltweit allein dastehen.

Inwiefern?

In Asien und Amerika werden die Unternehmen auch durch staatliche Hilfen unterstützt. Deshalb ist es nur klug, dass wir nicht aus prinzipieller Sicht auf jede Hilfe verzichten, sondern da helfen, wo es nötig ist, aber natürlich so wenig wie möglich. Die Unternehmen bleiben selbst verantwortlich, auch wenn sie teilweise durch die Krise hart getroffen werden und wir mischen uns auch nicht in unternehmerische Entscheidungen ein.

Besonders hart trifft die Krise gerade die Kette von Galeria Karstadt Kaufhof. Nicht nur im Unternehmen selbst gehen viele Arbeitsplätze verloren, auch der Einzelhandel in der Umgebung der 62 Kaufhäuser, die geschlossen werden, wird leiden. Was ist Ihr Plan, damit diese Händler jetzt nicht pleitegehen?

Wir haben im Konjunkturprogramm bereits eine wesentliche Maßnahme beschlossen, nämlich die zeitlich befristete Senkung der Mehrwertsteuer. Damit wollen wir auch den Konsum ankurbeln, damit Menschen langfristige Anschaffungen vorziehen. Der Handel erkennt das ausdrücklich als wichtigen Beitrag zur Unterstützung an. Bei manchen Veränderungen, die die Corona-Krise gebracht hat, müssen wir aber auch anerkennen, dass sie womöglich von dauerhafter Natur sein werden.

Welche meinen Sie?

Mit Blick auf den Handel werden möglicherweise nicht alle, die zuletzt aufs Onlineshopping ausgewichen sind, wieder automatisch in die Geschäfte zurückkehren. Deshalb müssen wir den Handel ermuntern, attraktive Angebote zu entwickeln, das kann auch für die Geschäfte in der Nähe der zu schließenden Kaufhäuser gelten, die vielleicht auch online mehr Angebote machen müssen. Ich beispielsweise würde gern meine Hemden und Krawatten bei einem mittelständischen Herrenausstatter online kaufen. Dafür müssten Onlineshops aber auch bei solchen Läden erst einmal verbreiteter sein.

Nicht nur die Art, wie wir einkaufen, könnte sich ändern, sondern auch unser Flugverhalten. Wie erklären Sie den Bürgern, dass die größte deutsche Airline finanzielle Hilfe vom Staat bekommt, die wichtigste Kaufhauskette derweil aber zahlreiche Geschäfte schließen muss?

Es gilt im konkreten Fall, was ich eben schon darlegte: Wir haben uns weder bei der Lufthansa noch bei Galeria Karstadt Kaufhof eingemischt. Wir haben Hilfsangebote bereitgestellt, die für die Unternehmen je nach Betroffenheit hilfreich sein können. Die Lufthansa hat sich für einen Weg entschieden, bei dem sie staatliche Hilfen in Anspruch nehmen wollen, Galeria Karstadt Kaufhof hat einen anderen Weg gewählt. Diese Entscheidung bleibt den wirtschaftlichen Akteuren überlassen.

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In Anspruch nehmen müssen die Hilfen auch die Lufthansa-Aktionäre auf der Hauptversammlung am Donnerstag. Scheitern könnte der Deal dabei am Großaktionär Heinz Hermann Thiele, der die Staatsbeteiligung kritisch sieht. Vor diesem Interview haben Sie mit ihm gesprochen. Konnten Sie Herrn Thiele von staatlichen Hilfen überzeugen?

Das war ein Gespräch, bei dem Vertraulichkeit vereinbart wurde. Deshalb verbietet sich jede Kommentierung. Ziel aller Beteiligten ist, dass die Lufthansa als wettbewerbsfähiges Unternehmen erhalten bleibt, und ich glaube, dass wir mit der Vereinbarung zwischen der Lufthansa und der Bundesregierung dieses Ziel erreichen können.

Sie schließen also aus, dass die Vereinbarung platzen könnte?

Die Lufthansa-Aktionäre sind für diese Woche zu einer Hauptversammlung eingeladen, bei der sie über die Zukunft der Airline entscheiden. Sowohl der Vorstand als auch der Aufsichtsrat haben die klare Empfehlung ausgesprochen, dem Rettungspaket zuzustimmen. Ich glaube nicht, dass es darüber hinaus irgendwelcher Kommentare aus der Politik bedarf.

Viele Verbraucher ärgern sich gerade über die Lufthansa. Sie warten seit Wochen auf die Rückzahlung stornierter Reisen. Warum setzen Sie sich nicht bei Lufthansa-Chef Carsten Spohr für die Kunden ein? Er bekommt doch wahrscheinlich Geld vom Staat.

Wir haben das Problem adressiert und auch die Lufthansa hat sich bereits selbst dazu geäußert und in Aussicht gestellt, die berechtigten Ansprüche seiner Kunden zu erfüllen. Das ist eine Selbstverständlichkeit und ich habe keinen Zweifel, dass das auch so umgesetzt wird. Das Problem stornierter Buchungen und Tickets hat die Lufthansa ja aber nicht allein. Es betrifft genauso Hotels, Konzertveranstalter und andere Firmen. Ich gehe davon aus, dass jedes Unternehmen daran arbeitet, gute Vereinbarungen mit seinen Kunden zu treffen. Das wird in vielen Fällen die Erstattung des Kaufpreises sein. In anderen Fällen kann ich mir Gutscheine und Rabattaktionen vorstellen. Der Verbraucherschutz, der durch die europäischen Verordnungen gewährleistet wird, ist jedenfalls sehr umfassend.

Die Beteiligung an der Lufthansa ist nicht die einzige dieser Tage. Auch bei der Biotech-Firma Curevac sind Sie als Bund eingestiegen. Wie geht Ihre Shoppingtour weiter?

Zunächst einmal: Die staatliche Beteiligung an Unternehmen kann nie der Regelfall sein, sie muss der Ausnahmefall bleiben. Im Falle der Lufthansa ist eine zeitlich begrenzte Minderheitsbeteiligung des Staates vorgesehen, was angesichts der enormen Höhe von neun Milliarden Euro auch notwendig war, um die getroffene Vereinbarung gegenüber Parlament und Öffentlichkeit zu rechtfertigen. Bei Curevac ging es um ein Unternehmen, das eine starke Position in einem der innovativsten Felder, der Biotech-Branche, erarbeitet hat. Dieses Unternehmen forscht nicht nur an einem Corona-Impfstoff, sondern an einer ganz neuen Impfmethode, die man bei vielen Bedrohungen einsetzen kann. Deshalb war es richtig und wichtig, ein klares Signal zu setzen, dass dieses Unternehmen weiter in Deutschland tätig sein wird.

Es ging also allein darum, einer Übernahme aus den USA vorzubeugen?

Wir wollten zeigen, dass wir entschlossen sind, Übernahmen durch Investoren aus anderen Ländern zu verhindern. Und genau dieses Signal haben wir gesendet. Aber das ist und bleibt ein Ausnahmefall. Jede Entscheidung einer staatlichen Beteiligung muss genau überprüft werden. Bei Curevac haben wir eine solche Beteiligung in Übereinstimmung mit dem Unternehmen und seines Miteigentümers Herrn Hopp geregelt. Das war ein klar umgrenzter Fall. Ein Automatismus lässt sich daraus nicht ableiten.

Sie haben also keine konkreten Pläne, um mit staatlichen Hilfen die nächste Firma zu unterstützen?

Nein, das ist aktuell nicht geplant.

Wie wäre es mit Wirecard, ein weiterer großer Dax-Konzern in großen Schwierigkeiten?

Mit Verlaub: Wirecard ist derzeit erst einmal verpflichtet, aufzuklären und etwaige Missstände abzustellen. Es muss ermittelt werden, wie es dazu kommen konnte, dass sich offenbar Milliardenbeträge in Luft aufgelöst haben, oder möglicherweise nie da waren. Und es muss herausgefunden werden, ob die bestehenden gesetzlichen Bestimmungen eingehalten wurden – oder ob jemand dafür auch juristisch zur Rechenschaft gezogen werden muss. Ich halte diesen Vorgang für alles andere als banal. Es ist mir ganz wichtig, dass sich ein solcher Fall mit Blick auf das Vertrauen in den Bankenstandort Deutschland so schnell nicht wiederholt. Wir hätten eine solche Situation überall erwartet – nur nicht in Deutschland. Deshalb müssen wir, wo notwendig, hart durchgreifen.

Wie stark schadet der Wirecard-Skandal schon jetzt dem Wirtschaftsstandort Deutschland?

Vorkommnisse dieser Art sind natürlich ein Problem. Das gilt nicht nur für Wirecard, sondern auch für die Vorkommnisse in der Fleischindustrie. Deutschland hat einen guten Ruf, sowohl wenn es um Finanzdienstleistungen, aber auch wenn es um die Erzeugung und Verarbeitung von Lebensmitteln geht. Deshalb ist klar: Wir dürfen nicht zulassen, dass einzelne Firmen das Ansehen einer ganzen Branche zerstören und damit dem Land Schaden zufügen.

Herr Altmaier, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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