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Hass im Netz: Politik und Justiz aus der Ohnmacht holen


Meinung
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Strafrecht
So können wir die Trolle im Netz bekämpfen

MeinungGastbeitrag von Konstantin Kuhle, Jürgen Martens

01.10.2019Lesedauer: 5 Min.
Die Bundestagsabgeordnete der Grünen Renate Künast hält bei einer Protestaktion ein Schild gegen Hassrede hoch: Ein Gericht hatte krasse Beleidigungen gegen sie als sachliche Auseinandersetzung gewertet.Vergrößern des Bildes
Die Bundestagsabgeordnete der Grünen Renate Künast hält bei einer Protestaktion ein Schild gegen Hassrede hoch: Ein Gericht hatte krasse Beleidigungen gegen sie als sachliche Auseinandersetzung gewertet. (Quelle: Bernd von Jutrczenka/dpa-bilder)
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Der Staat ist überfordert damit, Beleidigungen und Drohungen im Internet zu bestrafen. Meinungsfreiheit ist nichts für Weicheier. Aber es ist trotzdem Zeit für ein neues Verfahren.

Wer im Internet sichtbar ist, wer politisch aktiv wird oder Texte veröffentlicht, wird häufig schwer beleidigt, immer wieder auch bedroht. Dagegen vorzugehen, ist schwer.

Die Innen- und Rechtspolitiker der FDP-Fraktion im Bundestag, Konstantin Kuhle und Jürgen Martens, wollen das nicht hinnehmen. In einem Gastbeitrag schlagen sie eine Möglichkeit vor, die Strafverfolgung zu verbessern.

Konstantin Kuhle,coremedia:///cap/blob/content/84345552#data geboren 1989, ist Mitglied des deutschen Bundestags und dort innenpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion.

"Die Antragstellerin […] muss […] als Politikerin in stärkerem Maße Kritik hinnehmen. […] Der Kommentar 'Drecks Fotze' bewegt sich haarscharf an der Grenze des von der Antragstellerin noch hinnehmbaren." – So lauten Zitate aus dem Beschluss des Landgerichts Berlin vom 9. September, mit dem der Politikerin Renate Künast versagt wird, Auskunft über die IP-Adresse einer Person zu erhalten, die sie in einem Sozialen Medium unter anderem in der oben zitierten Weise angegangen hatte.

Viele Menschen, etwa aus Kommunalpolitik, Zivilgesellschaft und Presse, werden täglich über das Internet in übelster Weise beschimpft. Auch der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke war im Vorfeld seiner Ermordung krassen Anfeindungen, Drohungen und Beleidigungen in den sozialen Netzwerken ausgesetzt. Erst kürzlich machte der bayerische SPD-Innenpolitiker Uli Grötsch eine Nachricht öffentlich: "Tötet Uli Grötsch! Genickschuss! Wie Lübcke!"

Jürgen Martens ist rechtspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag.

Meinungsfreiheit ist nichts für Weicheier

Der Künast-Beschluss des Landgerichts Berlin nimmt auf einen etablierten Grundsatz bei der Abwägung zwischen Persönlichkeitsrechtsschutz und Meinungsfreiheit Bezug. Übersetzt bedeutet er: "Wer austeilt, muss auch einstecken können." Keine Politikerin und kein Politiker gibt sich der Illusion hin, dass das exponierte Vertreten einer bestimmten Haltung nicht auch krasse Gegenreaktionen auslösen kann.

Ob "Soldaten sind Mörder" oder "Politiker sind Volksverräter" – mit solchen ungerechtfertigten Pauschalisierungen muss und kann man als Politiker leben. Sie gehören im Meinungskampf der Demokratie dazu – ein Begriff, der vom Bundesverfassungsgericht als elementarer Grundsatz der Demokratie hervorgehoben wird. Meinungsfreiheit ist nichts für Weicheier.

Richterschelte gehört sich nicht, aber an die Entscheidung im Fall Künast sollte man gleich mehrere juristische Fragezeichen machen. Der Ausdruck "Drecks Fotze" hat mit einer politischen Auseinandersetzung schlichtweg nichts zu tun. Doch nicht nur im Einzelfall findet eine Verschiebung dessen statt, was Menschen hinzunehmen haben. Offenbar müssen Menschen in Zeiten der Digitalisierung mehr und schärfere Anwürfe aushalten können als zuvor.

Wer tut noch etwas fürs Gemeinwesen, wenn er ausgeliefert ist?

Diese Entwicklung ist aber geeignet, das Diskussionsklima in der Gesellschaft, aber auch die Bereitschaft der Menschen, sich für das Gemeinwesen zu engagieren, nachhaltig zu beeinträchtigen.

Wer soll sich noch ehrenamtlich für das Gemeinwesen betätigen, wenn man ständig mit Hassbotschaften konfrontiert wird, gegen die man sich nicht wehren kann?

Wann die Schwelle zur Straftat überschritten wird, hat der Gesetzgeber längst geregelt. Ein Aufruf zum Mord, eine Beleidigung oder Verleumdung ist bei Facebook genauso strafbar wie in der analogen Welt. Das Hauptproblem ist aber: Die Vielzahl der Taten überfordert gegenwärtig die Behörden.

Die Masse an Kommentaren sowie die Möglichkeit, Kommentare anonym abzusetzen, führen zur Ohnmacht bei Politik und Justiz.

Von einer Klarnamenpflicht träumen autoritäre Regime

Bisherige Versuche der Politik, die Verfolgung von Straftaten im Internet zu vereinfachen, waren entweder ungeeignet oder ein Tropfen auf den heißen Stein. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, mit dem die Betreiber sozialer Netzwerke dazu verpflichtet werden, strafbare Inhalte selbst zu bewerten und dann zu löschen, führt bisher lediglich zur Löschung eines Bruchteils der problematischen Inhalte. Außerdem wird das NetzDG zurecht wegen der Verlagerung der Strafverfolgung vom Staat auf private Akteure kritisiert. Es ist ein Armutszeugnis, dass die Politik der Justiz nicht zutraut, Straftaten im Internet selbst als solche zu bewerten.

Auch die immer wieder vorgeschlagene Klarnamenpflicht in sozialen Netzwerken hilft nicht weiter. Sie käme autoritären Regimen gelegen, die Oppositionelle nur zu gerne im Internet anhand ihrer Klarnamen verfolgen möchten.

Betroffene haben schon jetzt die Möglichkeit, vor Gericht auf die Herausgabe der IP-Adresse und des Namens des Schädigers zu klagen. Auch Renate Künast hatte dies versucht, war aber gescheitert, weil das Gericht keine Beleidigung feststellen konnte. Verändert der Gesetzgeber die bestehenden Ansprüche, so wäre Renate Künast vor dem Landgericht Berlin trotzdem gescheitert. Die Politik trägt aber eine Verantwortung dafür, dass künftige Opfer ein besseres Verfahren zur Verfügung gestellt bekommen, um sich zu wehren.

Das Urheberrecht als Vorbild

Hilfreich ist hier der Blick ins Urheberrecht. Stellt ein Künstler oder Wissenschaftler im Internet fest, dass sich eine andere Person sein urheberrechtlich geschütztes Material zu eigen macht oder dies anderen zur Verfügung stellt, steht ihm die Möglichkeit zur Verfügung, mit Hilfe eines Auskunftsanspruches und einer richterlichen Anordnung, die IP-Adresse des Schädigers zu erfahren. Sodann kann der Geschädigte anhand der IP-Adresse und nötigenfalls einer weiteren richterlichen Anordnung erfahren, welche Person hinter der Urheberrechtsverletzung steckt.

Ein vergleichbares Verfahren wie im Urheberrecht gibt es bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen nicht. Der Urheber kann einen Schädiger als rechtssicher abmahnen, wenn dieser ein vom Urheber komponiertes Lied bei Facebook teilt. Aber jemand, der bei Facebook beschimpft und beleidigt oder gar mit dem Tod bedroht wird, kann nicht rechtssicher dagegen vorgehen.

Dieser Wertungswiderspruch ist schwer erträglich, der Bevölkerung nicht zu vermitteln und muss dringend aus der Welt geschafft werden.

Schwammige Generalklauseln

Auch bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen bejaht die Rechtsprechung einen Auskunftsanspruch hinsichtlich der IP-Adresse. Doch während für den Bereich des Urheberrechts ein etabliertes Verfahren mit einem speziellen Anspruch besteht, sind die Opfer einer Beleidigung oder gar Todesdrohung auf schwammige Generalklauseln und wohlwollende Gerichte angewiesen.

Der Gesetzgeber sollte auch für die Verletzung von Persönlichkeitsrechten einen eigenen Auskunftsanspruch und am besten ein spezielles Verfahren schaffen.

Dieses Verfahren könnte so aussehen: Die Schaffung eines klaren und eng umrissenen Anspruchs, mit dem Betroffene nach einer richterlichen Anordnung von dem Dienstanbieter die Speicherung und Herausgabe der IP-Adresse des Schädigers verlangen können – um anschließend von einem Internet Access Provider die Herausgabe der zu der IP-Adresse gehörenden Kundendaten verlangen zu können. Das würde den Opfern von Hasskommentaren einen zusätzlichen Schutz bieten.

Eine massenhafte Speicherung von Verkehrsdaten nach dem Vorbild der verfassungs- und unionsrechtswidrigen Vorratsdatenspeicherung wäre für ein solches Verfahren nicht notwendig, denn im Urheberrecht erfolgt eine Verfolgung von Rechtsverletzungen auch ohne ein solches Instrument.

Unternehmen als Hilfssheriffs des Staates

Die Pläne des Bundesjustizministeriums, den Ansatz des gescheiterten Netzwerkdurchsetzungsgesetzes noch auszubauen und die Betreiber sozialer Netzwerke zu Hilfssheriffs des Staates zu machen, geht in die falsche Richtung. Der Staat darf die Verfolgung von Persönlichkeitsrechtsverletzungen auch nicht allein den Geschädigten aufbürden. Die Verfolgung von Straftaten ist die Aufgabe von Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichten.

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Deswegen ist eine bessere Ausstattung und Professionalisierung der Behörden zum Schutz der Persönlichkeitsrechte im Internet notwendig. So erzielen etwa die von einigen Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen eingerichteten Sonderdezernate bei den Staatsanwaltschaften erste Erfolge. Die Opfer strafbarer Handlungen im Internet dürfen jedoch erwarten, dass der Staat ihnen zugleich die Möglichkeit eröffnet, sich gegen Hass und Hetze selbst zu verteidigen.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten spiegeln die Meinung der Autoren wider und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online.de-Redaktion.

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