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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Landesregierung gerät unter Druck "Der größte Waffenskandal in der Geschichte der Republik"
Zahlreiche scharfe Schusswaffen sind in Schleswig-Holstein aus Behördenhand verschwunden. Nun belegt interne Kommunikation schwerwiegende Fehler. Das bringt die Landesregierung in Erklärungsnot.
Ein Fall von in Schleswig-Holstein beim Landeskriminalamt verschwundenen Gewehren könnte sich zum handfesten Skandal ausweiten: Entgegen anderslautender Beteuerungen der Behörden belegt interne Kommunikation nun schwerwiegende Fehler. Für die Landesregierung kommt das zur Unzeit. Sie will heute im Innen- und Rechtsausschuss des Landtags über den Fall informieren. Und könnte den Abgeordneten nun weitere peinliche Fragen zu beantworten haben.
Doch von vorn: Die Waffenbehörde Husum und das Landeskriminalamt von Schleswig-Holstein hatten im Jahr 2021 bei einem Waffensammler aus der Nähe von Husum hunderte Gewehre ausgeräumt. Der mittlerweile entkräftete Vorwurf: illegale Waffenherstellung. Es war das Ende einer hochspezialisierten und weltweit einmaligen Sammlung von Karabiner-98-Gewehren. Einer Waffe, die 1898 das erste Mal produziert wurde und in zwei Weltkriegen im Einsatz war.
Was trotz des kulturhistorischen Werts zunächst nach einem Routineeinsatz klingt, hat seitdem ein pikantes Nachspiel. Die meisten der Waffen wurden vernichtet. t-online berichtete aber immer wieder darüber, dass mehr als 100 der wertvollen und scharfen Schusswaffen verschwunden sind – aus der Hand der Behörden.
Behördenmitarbeiterin dokumentiert Fehler in E-Mail
Diese wehren sich gegen den Vorwurf und sagen, sie hätten alle Waffen dokumentiert und wüssten, wo sie sind und welche sie vernichtet haben. Doch t-online liegt nun interne Kommunikation der Waffenbehörde vor, die den offiziellen Stellungnahmen widerspricht. Darin räumt eine Mitarbeiterin unbewusst Fehler der Behörde ein.
Die Sammlung, die Peter Frank in seinem alarmgesicherten Waffenraum in der ersten Etage seines Einfamilienhauses in Schwesing bei Husum hatte, war einmalig – weltweit. Deutlich mehr als 800 Waffen bewahrte Frank dort auf. Doch er sammelte nicht wahllos, seine Leidenschaft galt einer bestimmten Waffe, dem Karabiner 98.
"Das muss nicht jedem gefallen", sagt er. "Es war einfach mein Hobby. Ich habe versucht, eine komplette Sammlung des Modells zu haben. Geschossen habe ich damit so gut wie nie." Eine Mail an die Waffenbehörde löste 2017 einen Streit aus. Er wollte von einem Sammler in Österreich eine Waffe kaufen, deswegen seine Daten an eine neue Sachbearbeiterin der Behörde übermitteln. In dem Mailverlauf jedoch sah die Behördenvertreterin Hinweise auf angeblich illegale Waffenherstellung. Es folgte eine Anzeige, der Entzug der waffenrechtlichen Erlaubnisse und schließlich die Sicherstellung der Waffen.
Vorwürfe brachen zusammen
Der Vorwurf der illegalen Waffenherstellung brach nach kurzer Zeit in sich zusammen. Vorgeworfen werden ihm noch strafrechtliche Verstöße gegen das Waffengesetz und das Kriegswaffenkontrollgesetz. Gerichtlich bestätigt ist bislang nichts davon. Das Gerichtsverfahren stockt seit Jahren, die Richterin wurde für befangen erklärt und Akten wurden nachträglich von Beamten des Landeskriminalamtes verändert.
- So ging der Streit los: "So verschwanden 150 Waffen aus Behördenhand"
Die Eskalation des Rechtsstreits zwischen Peter Frank und den Behörden begann am 4. Februar 2021. Die Waffenbehörde und das Landeskriminalamt räumten an diesem Tag aufgrund der Vorwürfe gegen Frank die Waffenkammer aus. Laut Behördenangaben gut 700 Waffen und Waffenteile. Zwei Wochen später wurden sie dann angeblich vernichtet. Doch belegen können die Behörden das nicht – zumindest nicht in allen Fällen. Denn die Listen, die zur Dokumentation erstellt wurden, sind fehlerhaft und unvollständig. t-online hat ausführlich über diverse Vorwürfe gegen die Behörden berichtet:
Außerdem sind bei der Ausräumaktion mehr als 100 Waffen verschwunden. Sie stehen auf keiner Liste der Behörden. Jetzt belegt eine interne Kommunikation innerhalb der Waffenbehörde, wie laienhaft die ausgeräumten Waffen dokumentiert wurden. Wo sie heute sind, ist demnach völlig offen. Intern schreibt eine Behördenmitarbeiterin, dass Läufe aus der Waffenkammer von Frank ausgeräumt wurden. Diese sind aber nicht mit der Seriennummer aufgeschrieben worden, und das, obwohl Läufe im Waffengesetz auch als Waffen gelten.
Zum Teil waren diese angeblichen Läufe wohl auch sogenannte ausgeschäftete Waffen. Also Gewehre, bei denen lediglich der Holzschaft am Ende entfernt war, die aber trotzdem schussfähig und damit scharf waren. Die Behörde erkannte das offensichtlich nicht. Frank hatte diese Schäfte laut eigener Aussage abgenommen, weil sie beschädigt waren oder historisch nicht zu der Waffe passten.
In der E-Mail steht wörtlich, dass die Waffen bei der aufwendigen Ausräumaktion irgendwann nicht mehr mit Seriennummern notiert wurden. Lediglich "gezählt". Welche Waffen also ausgeräumt wurden, weiß die Behörde nicht. Und kann somit auch nicht belegen, wo die Waffen und Läufe sind. Der Anwalt des Kreises Nordfriesland und der Waffenbehörde fasst in der Mail die Situation knapp mit folgenden Worten zusammen: "Ich verstehe nur Bahnhof."
Dass Läufe irgendwann tatsächlich nicht mehr wie vorgeschrieben erfasst wurden, geht auch aus den Ausräumlisten hervor. 697 Waffen wurden mit Seriennummern und Herstellerdaten erfasst. Viele zwar fehlerhaft, wie aus den Daten, die Frank selbst über seine Waffen angelegt hat, hervorgeht. Aber immerhin wurde versucht zu dokumentieren. Bei den fraglichen anderen Läufen und Waffen wurde einfach auf einem losen Blatt Papier eine Strichliste gemacht.
"Das ist ein desaströses Vorgehen der Behörden", sagt Ralph Herrmann, ein Waffensachverständiger, der auch Mitglied der Kriminologischen Gesellschaft, einer wissenschaftlichen Vereinigung ist. Er hatte durch die Berichterstattung von t-online von dem "Fall Frank" erfahren und hat sich mittlerweile ein eigenes Bild machen können, Akten gelesen und Fotos der Waffen angeschaut.
"Dass Läufe und Waffen einfach so abtransportiert wurden, ohne die Seriennummer zu notieren, entspricht nicht den Vorschriften und wirft ein schlechtes Bild auf die Ermittler und die Waffenbehörde." Es gehe nicht um Briefmarken, so der Waffenexperte, "hier geht es um schussfähige Waffen, die jetzt einfach weg sind. Niemand weiß, wo sie sind." Das sei bei der Menge an verschwundenen Waffen "der größte Waffenskandal in der Geschichte der Bundesrepublik". Herrmann sagt, er kenne keinen vergleichbaren Fall.
Thema im Innen- und Rechtsausschuss
Heute ist der Fall des Waffensammlers Thema im Innen- und Rechtsausschuss des Schleswig-Holsteinischen Landtages. Keine Oppositionspartei hat das beantragt, die Regierung selbst unterbreitete den Abgeordneten das Angebot nach der Berichterstattung von t-online und einer daraufhin gestellten Kleinen Anfrage der FDP. Denn die Vorwürfe gegen die Behörden wiegen schwer, im Ausschuss hat die Landesregierung die Möglichkeit, ihre Sicht der Dinge ausführlich darzulegen.
Damit hat sie in der Antwort auf die Kleine Anfrage auch schon begonnen. Darin betont sie, dass gegen Frank ein Prozess wegen diverser Verstöße gegen das Waffengesetz und das Kriegswaffenkontrollgesetz laufe und spricht von einer möglichen Mindestgefängnisstrafe von einem Jahr. Was sie nicht erwähnt: Dass der Prozess sich schon seit mehreren Jahren hinzieht. Und dass die Beweislage mittlerweile so dünn zu sein scheint, dass die Staatsanwaltschaft bei einem Geständnis schon eine Strafe von sechs Monaten angeboten hatte. Frank will darauf nicht eingehen – er will den Freispruch.
Innenministerium reagiert
Auf Nachfrage von t-online schreibt eine Sprecherin des Ministeriums: "Das Landeskriminalamt Schleswig-Holstein ist in Amtshilfe für die Waffenbehörde Husum tätig geworden. Es war nicht Aufgabe des LKA, die Arbeit der Waffenbehörde zu beaufsichtigen oder zu kontrollieren."
Auch bezichtigt die Landesregierung Frank, Nazidevotionalien besessen zu haben. Dabei handelt es sich aber wohl eher um Uniformteile seines verstorbenen Großvaters, die er in einer Art Futtersack auf dem Dachboden gelagert hatte. Auf der Uniform waren keine Hoheitssymbole aus der Nazizeit zu sehen – nichts Verbotenes. "Ich hatte in diesen Futtersack nur einmal hineingeschaut, ihn aber nicht durchgesehen", sagt Frank. "Die Behörden wollen, dass ich in einem schlechten Licht dastehe." Fotos von angeblichen Nazidevotionalien sind in der Akte nicht zu finden. Frank prüft jetzt rechtliche Schritte gegen die Behörden wegen möglicher Verleumdung.
Peter Frank sieht auch noch eine ganz andere Gefahr: dass mit den verschwundenen Waffen Straftaten begangen werden könnten – für die er dann verantwortlich gemacht werde.
- Eigene Recherchen
- Kleine Anfrage der FDP, Drs. 20/1913
- Anfrage Innenministerium