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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Bald-Parteichef Dürr "Beides ist schlecht für unser Land"

Noch Fraktionschef, bald Parteivorsitzender? Christian Dürr will die FDP vor der Bedeutungslosigkeit bewahren. Was treibt ihn an?
Es stapeln sich die Kisten hinter Christian Dürr, bis Dienstag müssen er und sein Team raus sein aus dem schicken Eckbüro mit Blick auf den Reichstag. Bei der Bundestagswahl hat es die FDP nicht erneut ins Parlament geschafft, nach den jüngsten Sondersitzungen für das schwarz-rote Schuldenpaket müssen die Liberalen um ihren Fraktionschef im Eiltempo das Feld im Regierungsviertel räumen.
Dürr jedoch will sich aus Berlin nicht ganz verabschieden. Er hat seine Kandidatur für den Parteivorsitz angekündigt, könnte im Mai als einziger Bewerber zum Nachfolger von Christian Lindner gewählt werden, der nach der Wahlschlappe seinen Rückzug aus der Politik erklärt hatte. Dann säße Dürr ein paar Straßen weiter im Hans-Dietrich-Genscher-Haus und würde aus der Parteizentrale heraus am Projekt der liberalen Auferstehung arbeiten.
Wer ist der Mann, den viele in der Partei als "zugewandten Moderator" beschreiben, der jedoch stets im Schatten Lindners stand? Wie tickt er? Und was hat er mit der FDP vor? t-online hat ihn zu einem sehr persönlichen Gespräch getroffen.
t-online: Herr Dürr, Sie wollen der 15. Vorsitzende der FDP werden. Warum tun Sie sich das an?
Christian Dürr: Ich bin 1996 aus einem Interesse am Liberalismus in die FDP eingetreten, das sich zu einer echten Leidenschaft entwickelt hat. Es klingt vielleicht ein bisschen verrückt, aber ich habe gemerkt: Die FDP spiegelt meine politische DNA eins zu eins wider. Darum möchte ich gerade jetzt, in schwierigen Zeiten, der Partei das Angebot machen, für die Idee der Freiheit leidenschaftlich zu kämpfen. Ich hoffe, dafür Unterstützung zu finden, habe zugleich aber auch großen Respekt vor der Aufgabe.
Weil die Fußstapfen, die Christian Lindner als längster amtierender Parteichef hinterlässt, so groß sind?
Wir haben das mal verglichen, tatsächlich haben wir die gleiche Schuhgröße. Doch Scherz beiseite: Egal welches Amt, egal welche Funktion ich in der FDP gehabt habe, jedes Mal gab es einen, der die Position vorher hatte. Und jedes Mal habe ich es etwas anders gemacht als mein Vorgänger. Ich bin nicht Christian Lindner. Ich bin Christian Dürr. Ich bin ein Mensch, der Teamplay liebt, weil ich einfach sehr gern mit anderen Menschen zusammenarbeite. Und im positiven Sinne bin ich jemand, der ungeduldig ist, der Lust hat auf Veränderung. Langsame Politik liegt mir nicht.
Welche drei Dinge wollen Sie denn anders machen als Ihr Vorgänger?
Mit dieser Frage tue ich mich schwer und ehrlicherweise langweilt sie mich auch. Für mich ist die Frage eher: Wie sieht die FDP der Zukunft aus? Mein Ziel ist dabei klar: Die FDP muss die modernste Partei Deutschlands sein. Eine Partei, die für Generationengerechtigkeit kämpft, für eine nachhaltige Finanzpolitik. Und natürlich für die Freiheit und die Eigenverantwortung des Einzelnen. Damit unterscheiden wir uns sehr deutlich von dem, wofür inzwischen nicht nur SPD und Grüne, sondern auch CDU und CSU stehen, die einen immer größeren Staat wollen, der alles mit Geld zukleistert, das er sich von künftigen Generationen leiht.
Diese Schuldenpolitik kann aber auch funktionieren. Womöglich entsteht so neues Wachstum, die Bundeswehr wird modernisiert, mehr Menschen kommen in gute Jobs. Hätte die FDP dann ihre Existenzberechtigung verloren?
Linke Finanzpolitik, und nichts anderes macht Friedrich Merz mit SPD und Grünen, hat noch nie nachhaltig für Wachstum gesorgt. Selbst wenn kurzfristig ein wärmendes Strohfeuer entsteht – langfristig wird unser Land nur durch mutige Reformen wieder wettbewerbsfähig.
Lassen Sie uns ein wenig über den Menschen Christian Dürr sprechen. Sie stammen aus einem kleinen Ort in Niedersachsen, wo Sie aufgewachsen sind und wo Sie noch immer mit Ihrer Familie leben. Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre Kindheit und Jugend?
Ich bin in unserem Ort, wie man so schön sagt, gut behütet aufgewachsen – zugleich aber auch super weltoffen. Meine Heimatregion hat etwas Bodenständiges, ist aber auch der weiten Welt sehr zugewandt, was vielleicht an der Nähe zu Bremen und dem Hafen liegt, von dem aus viele Menschen einst ausgewandert sind.
Was hat Sie besonders geprägt?
Als ich 16 war, durfte ich ein Jahr als Austauschschüler in den USA verbringen, das war eine sehr wichtige Erfahrung für mich. Ich kam in eine kleine Stadt in der Wüste von Arizona, anderthalb Autostunden entfernt von Las Vegas. Dort herrschte buchstäblich ein ganz anderes Klima: Alles war sehr trocken, sonnig, gleißend hell. Ein riesiger Unterschied zum teils verregneten Niedersachsen. Auch die Leute da waren ganz anders. Das weckte meine Neugier auf die Welt und auf die Perspektiven von Menschen, die anders ticken als ich. In der Rückschau würde ich sagen: Dieses Jahr hat aus mir einen politisch interessierten Menschen gemacht.
Was genau war der Auslöser dafür?
Einige der Amerikaner, die ich damals in den 90er-Jahren dort kennengelernt habe, waren, um es nett auszudrücken, sehr heimatfixiert. Die haben nicht wirklich über den Tellerrand geschaut. Einmal fragte mich tatsächlich einer, ob wir in Deutschland inzwischen Waschmaschinen haben und ob wir denn jetzt auch eine Demokratie seien wie die Vereinigten Staaten. Diese Frage nach der Demokratie hat etwas mit mir gemacht. Ich habe mich in der Folge damit beschäftigt, wie wir 80 Millionen Menschen in Deutschland zusammenleben. Was ist unser Staat eigentlich? Wie hilft er Menschen, die es nicht so leicht haben? Wo schränkt er Freiheit und Leistungsbereitschaft ein? Ich würde sagen, ich bin in diesem Jahr ein Stück weit erwachsen geworden. Als ich wieder nach Deutschland kam, habe ich dann begonnen, mich bei den Jungen Liberalen (Julis) politisch zu engagieren.
Ich mag harte Auseinandersetzungen und Streit, sosehr ich zugleich bereit bin, Brücken zu bauen.
Christian Dürr
Haben Sie sich auch andere Partei-Jugendorganisationen angeschaut?
Nein, habe ich nicht. Ich kannte in meinem Umfeld Leute, die bei den Julis und der FDP waren. Die mochte ich, deren Einstellung zum Leben und zur Politik habe ich geteilt. Ich war aber niemand, der mit Aktenkoffer zur Schule gegangen ist und eines Tages Bundeskanzler werden wollte.
Und doch sind Sie Berufspolitiker geworden. Was hätten Sie mit Ihrem VWL-Diplom angestellt, wenn Sie nicht in die Politik gegangen wären?
Vielleicht wäre es ein Beruf im Marketing geworden. Mein Studium habe ich eine Zeitlang pausiert, um für ein längeres Praktikum im Marketing von Adidas zu arbeiten, das fand ich spannend. Ich war auch einige Zeit an einer Firma beteiligt, die mit Mode, Sportkleidung, Lederwaren, Jeans gehandelt hat. Doch je mehr ich Politik gemacht habe, desto weniger Zeit blieb dafür. In meinem Leben kam oft eines zum anderen, vieles hat sich nach und nach ergeben.

Christian Dürr, Jahrgang 1977, kam in Delmenhorst bei Bremen zur Welt und wuchs im nahen Ort Ganderkesee auf, wo er bis heute mit seiner Frau und zwei Kindern lebt. Dürr ist Diplom-Volkswirt. Schon während seines Studiums zog er 2003 für die FDP in den niedersächsischen Landtag ein, wurde dort später Fraktionsvorsitzender, ehe er 2017 in den Bundestag wechselte. Die vergangenen dreieinhalb Jahre führte er die Bundestagsfraktion an, jetzt bewirbt er sich um das Amt des Bundesvorsitzenden der FDP.
Haben Sie jemals gezweifelt, dass der Job des Politikers der richtige ist?
Nein, tatsächlich nie. Dieser Beruf ist ein großes Privileg, weil er so vielfältig ist. Jeder Tag ist anders als der vorherige und jedes Amt, jede Funktion bietet neue Perspektiven. Das liebe ich an der Politik. Und: Ich mag harte Auseinandersetzungen und Streit, sosehr ich zugleich bereit bin, Brücken zu bauen.
Gibt es einen Film oder ein Buch, das Sie nachhaltig beeindruckt hat?
Ich bin nicht die größte Leseratte, aber wenn dann lese ich gern packende Romane. Wirklich beeindruckt hat mich "Die Säulen der Erde", das große Werk von Ken Follett und all seine Fortsetzungen. Bei Filmen bin ich eher der Typ Netflix: Klar, "House of Cards" war cool, viel Spaß hat mir aber auch "Suits" gemacht.
Wenn Sie sich entscheiden müssten, was würden Sie wählen: Bier oder Wein?
Bier. Ich trinke zwar tatsächlich gern auch mal einen Weißwein, aber wenn ich irgendwo hinkomme, bestelle ich am ehesten ein Bier. In meiner Heimat ist das natürlich – ja, ich weiß, sehr vorhersehbar – Beck's.
Oper oder Kino?
Kino. Allerdings war ich vor ein paar Monaten auch mal wieder bei einer großen Opernaufführung: Die Meistersänger von Nürnberg, fünf Stunden, da taucht man echt in eine völlig andere Welt ein. Total toll!
Selber kochen oder Restaurant besuchen?
Spät abends, wenn ich nach Hause komme und kein Lieferservice mehr liefert, stelle ich mich schon mal in die Küche. Ein großer Koch bin ich aber nicht, dann gibt's auch mal einfach ein paar Fischstäbchen aus der Pfanne. Darum ist die ehrliche Antwort wohl doch eher: Restaurantbesuch – der nicht teuer sein muss. Aber ich mag es, wenn andere, die das besser können, das Kochen übernehmen.
Rock oder Rap?
Eher Pop, wenn ich ehrlich bin.
E-Auto oder Verbrenner?
Hybrid! Das beste aus zwei Welten.
Karl Hermann Flach oder Otto Graf Lambsdorff?
Flach ist großartig, ich ziehe wirklich meinen Hut vor dem intellektuellen Scharfsinn dieses großen Liberalen. Aber natürlich geht bei mir beim Namen Lambsdorff das Ökonomen-Herz auf. Deshalb: Lambsdorff.
Haben Sie politische Vorbilder?
Ja, zwei sogar. Den einen kennen alle: Guido Westerwelle. Ich habe ihn Ende der 90er-Jahre kennengelernt, er war für mich eine wahnsinnig beeindrucke Persönlichkeit und natürlich jemand, der die FDP sehr stark geprägt hat. Der andere ist auch ein FDP-Politiker, den vermutlich aber kaum einer kennt. Bei ihm handelt es sich um einen Ratsherrn aus meiner Heimat, Ernst-August Bode. Von ihm habe ich gelernt, was es heißt, Politik im Ehrenamt machen, für die Menschen vor Ort. In seinem Fall vor allem auch: für die Kinder und Schüler. Ihm waren vor allem Schulsanierungen und die Bildungspolitik wichtig, ein Feld also, in dem zwei liberale Kernthemen zusammenkommen, nämlich das individuelle Aufstiegsversprechen und Leistungsbereitschaft.
Auf genau dieses Einsortieren und Schubladendenken habe ich keinen Bock.
Christian Dürr
Innerhalb der FDP gibt es viele, die sagen, Ihnen fehle es an Profil, Sie ließen sich keinem Flügel der Partei zuordnen, die "Wirtschaftswoche" bezeichnete Sie zuletzt als "Liberaler ohne Eigenschaften". Wo würden Sie sich selbst einsortieren, wenn Sie müssten?
Ich kenne all diese Erzählungen, aber wissen Sie was? Auf genau dieses Einsortieren und Schubladendenken habe ich keinen Bock. Ich bin nicht der Wirtschaftsfuzzi der FDP, ich bin aber auch nicht ihr Sozialfuzzi. Wir verteilen in der Politik und auch in der FDP zu häufig Etiketten. Für mich gibt es weder den einen noch den anderen Bindestrich-Liberalismus, gab es noch nie. Und ich wüsste nicht, weshalb ich jetzt mit solchen Kategorien anfangen sollte.
Die Frage, die sich damit verbindet, lautet ja: In welche inhaltliche Richtung wollen Sie als wahrscheinlich nächster Parteikapitän das Schiff FDP steuern?
Die Frage ist verständlich und doch will ich die Antwort bewusst offenlassen, auch um der Analyse und den Ableitungen aus der Bundestagswahl nicht vorwegzugreifen. Klar ist, dass wir ein breites Angebot an Themen und Inhalten brauchen, die sich auch mit einzelnen Köpfen verbinden lassen. Auch deshalb bin ich für eine Teamlösung an der Parteispitze.
Es gibt nicht wenige in der FDP, die sagen, die Nische der Partei sei jetzt – speziell nach dem gemeinsamen Schuldenpaket von Union, SPD und Grünen – zwischen der CDU und der AfD. Wie denken Sie darüber?
Ich bin kein Freund solcher Verortungen und auch nicht von Nischen. Für mich ist allerdings klar: Es gibt einen sehr großen Bedarf an vernünftiger Politik, eine Sehnsucht nach wirtschaftlicher Stabilität – die die anderen Parteien so nicht bieten. Auf der einen Seite klammern sich Union, SPD und Grüne wie nie zuvor an den Staat, die Staatsquote wird ersten Schätzungen zufolge nächstes Jahr auf über 51 Prozent steigen. Helmut Kohl hat mal gesagt: Alles über 50 Prozent ist Sozialismus. Zugespitzt wird Friedrich Merz also der erste sozialistische Kanzler. Auf der anderen Seite steht die AfD, die den Staat ablehnt, die ihn lächerlich macht, die ihn zerstören will. Beides ist schlecht für unser Land. Wir dagegen bekennen uns zum Staat, gern zu einem, der stark ist in seinen Kernaufgaben – der sich zugleich aber dort zurückhält, wo es ihn nicht braucht.
Zuletzt haben Sie gesagt, die FDP solle ein "sympathisches Lebensgefühl" ausstrahlen. Wie kann das gelingen, wie soll der Liberalismus wieder sympathisch werden?
Für mich ist ein sympathisches Lebensgefühl die Idee der Freiheit, die sich auf fast alle Bereiche des Lebens anwenden lässt. Und ich glaube, dass diese Idee bei den allermeisten Menschen grundsätzlich positiv besetzt ist. Allerdings gibt es eben auch einige, denen Freiheit Angst macht, weil Freiheit auch Veränderung bedeutet. Hier können wir ansetzen: Wir müssen den Menschen klar machen, dass Veränderungen nicht per se schlecht sein müssen, sondern dass sie auch gut sein können, gewinnbringend. Wenn wir dazu auch in unserem Auftreten noch sympathischer werden, können wir viele Menschen von uns überzeugen.
Herr Dürr, vielen Dank für dieses Gespräch.
- Persönliches Gespräch mit Christian Dürr am 20. März 2025