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AfD streitet über Wehrpflicht: Björn Höcke schaltet sich ein


AfD streitet über Wehrpflicht
Jetzt schaltet sich auch Höcke ein


16.03.2025 - 16:28 UhrLesedauer: 6 Min.
urn:newsml:dpa.com:20090101:240901-911-019367Vergrößern des Bildes
Björn Höcke: Er wendet sich gegen eine Kernforderung seiner Partei. (Quelle: Michael Kappeler/dpa)
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Jahrelang war die Wiedereinführung der Wehrpflicht fester Teil des AfD-Programms. Nun, wo es ernst wird, bricht Chaos aus: Die einen sind dagegen, die anderen wollen noch viel mehr. Björn Höcke heizt die Debatte weiter an.

Wut, Beschimpfungen, Twitterfehden: Mit seiner Forderung nach Atomwaffen für Deutschland und einer Wehrpflicht auch für Frauen zündete der verteidigungspolitische Sprecher der AfD, Rüdiger Lucassen, eine kleine Bombe in der eigenen Partei. Während die Medien sich vor allem für die Atomwaffen interessierten, diskutiert die AfD und ihr Vorfeld seither hitzig und hart über die Wehrpflicht – und zwar nicht nur über die für Frauen, sondern auch über die für Männer.

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Wie weit soll die Vaterlandsliebe gehen? Will man Deutschland mit der Waffe verteidigen? Diese Fragen erschüttern gerade die Partei, die sich selbst patriotisch nennt.

72 Prozent der Basis sind für eine Wehrpflicht

Dabei ist die Forderung nach der Wiedereinsetzung der Wehrpflicht bereits seit 2016 fester Bestandteil des AfD-Grundsatzprogramms. Erst im Januar hat die Partei dazu erneut einen eindeutigen Beschluss gefasst. Da legte sich der Parteitag für das Programm der Bundestagswahl in einer Passage fest: Die Bundeswehr müsse materiell wie personell wieder in den Zustand der Einsatzbereitschaft versetzt werden. "Daher wollen wir die Wehrpflicht wieder einsetzen", heißt es da.

Dem Beschluss vorangegangen war eine Online-Befragung der AfD-Basis explizit zur Wehrpflicht, deren Votum deutlich ausfiel: Von 7.548 teilnehmenden AfD-Mitgliedern sprachen sich 5.400 für die Wiedereinsetzung der Wehrpflicht aus – rund 72 Prozent. Mit 1.474 Mitgliedern stimmten nur rund 20 Prozent mit "Nein". Circa 8 Prozent gaben keine Antwort. Die Auswertung liegt t-online vor.

Doch führende Funktionäre der AfD äußern sich nach Lucassens Aufschlag nun skeptisch bis ablehnend zur Wehrpflicht. Auch der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke, einflussreicher Ideologe und Programmatiker der AfD, schaltet sich in die Debatte ein: "Wehrpflicht grundsätzlich ja, aber nicht jetzt", teilte er t-online mit. Andere hingegen befürworten nicht nur eine Wehrpflicht für Männer, sondern wie Lucassen auch eine für Frauen.

Die Frage könnte sich bald im Bundestag stellen

Die Frage nach der Wehrpflicht ist von neuer Relevanz. US-Präsident Donald Trump fordert mehr Investitionen der anderen Nato-Staaten in die Verteidigung, droht mit dem Entzug der Unterstützung und sogar einem Austritt der USA aus dem Bündnis. Ein Hauptproblem der Bundeswehr aber ist mit Geld nicht zu lösen: Es fehlt ihr an Personal, wie die Wehrbeauftragte Eva Högl erst vergangene Woche warnte. Zahlreiche Dienstposten blieben unbesetzt, die Abbrecherquote sei hoch, so Högl.

Nicht nur der Vorsitzende des Bundeswehrverbands spricht sich vor diesem Hintergrund für die Wiedereinführung der Wehrpflicht aus. Auch der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Florian Hahn (CSU), fordert diese Wiedereinführung "noch im Jahr 2025".

Es könnte also sein, dass sich die AfD im Bundestag schon bald tatsächlich zu dieser so lange von ihr allein erhobenen Forderung positionieren muss. Doch wie sie dann abstimmen wird, das ist unter den Funktionären nun hart umkämpft und scheint deswegen offen – trotz Parteitagsbeschluss, Votum der Basis und Plädoyer der Fachpolitiker in der AfD.

Höcke zeigt sich misstrauisch

Besonders groß ist die Skepsis dabei unter Funktionären im Osten, die im Wahlkampf stark auf das Thema "Frieden" gesetzt haben. "Vor der Wiedereinführung der Wehrpflicht müssen Traditionen, soldatisches Ethos und Patriotismus regeneriert werden", sagte Björn Höcke t-online. Außerdem müsse Deutschland "erst seine Souveränität wiedererlangen".

Höcke bedient mit der Behauptung, Deutschland sei kein souveränes Land, ein unter "Reichsbürgern" und Verschwörungstheoretikern weitverbreitetes Narrativ. Auch AfD-Chefin Alice Weidel verbreitete es, als sie im Wahlkampf wiederholt davon sprach, dass Deutschland ein "besiegtes Volk" und "Sklavenstaat" der USA sei.

Noch deutlicher äußerte sich Höcke auf Telegram, wo er die eigene Blase bespielt. Dort postete er nach Lucassens Aufschlag pro Wehrpflicht einen langen Textbeitrag und ein Foto von sich mit der Aufschrift "Kanonenfutter für Landesverräter? Bevor wir über die Wehrpflicht reden, muss sich noch viel ändern".

In dem begleitenden Text zeigt sich Höcke misstrauisch gegenüber der eigenen Armee, der er einen "grundlegenden Neustart" verordnet. Die Wehrpflicht könne insgesamt nur dort praktiziert werden, "wo Nation, Demokratie und Patriotismus" intakt seien. Deutschland aber sei davon weit entfernt, behauptet er.

Ostwahlen dürften Einfluss haben

Er adressiert außerdem eine Sorge, die im rechten Lager stark ist: dass deutsche Soldaten nicht nur zur Verteidigung des eigenen Landes eingesetzt werden könnten, sondern auch zur Verteidigung von verbündeten und befreundeten Staaten. So schreibt Höcke, dass "Kriegsgeschrei" herrsche und zu befürchten sei, dass "die wenigen jungen Deutschen, die es noch gibt", in einem von "EUrokraten" (sic!) forcierten Krieg gegen Russland an die Front geschickt würden – "für die Geld- und Rohstoffinteressen eines kleinen Machtzirkels".

Er schlägt damit ähnliche Töne an wie die neue US-Führung. Donald Trump sowie sein Berater Elon Musk bezeichnen den Krieg in der Ukraine immer wieder drastisch als "meat grinder", also "Fleischwolf", den es um jeden Preis zu stoppen gelte. Die Schuld am Fortsetzen des Krieges weisen sie dabei gern nicht etwa dem Aggressor Russland zu, sondern der EU oder der angegriffenen Ukraine.

Zwar hat Höcke in den vergangenen Monaten an Macht und Einfluss in der Partei eingebüßt und sitzt selbst nicht im Bundestag. Doch Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern wählen 2026 einen neuen Landtag. Die Hoffnungen der AfD für diese Wahlen im Osten sind groß – und die Inszenierung als "Friedenspartei", die nicht zuletzt Höcke früh forcierte, gilt als einer der wichtigsten Wählermagneten dort. Sein Zwischenruf dürfte zumindest Aufsehen erregen und könnte auch einiges Gewicht in der Debatte entfalten. Im Bundestagswahlkampf lobte AfD-Chefin Alice Weidel ihn mehrfach für seinen großen Erfolg bei der Landtagswahl.

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Schon jetzt klingt auch manch anderer Funktionär der Partei aus dem Osten skeptisch. Martin Reichardt, Bundestagsabgeordneter und Landesvorsitzender der AfD in Sachsen-Anhalt, betont zwar, dass die AfD zur Wehrpflicht eine "klare programmatische Position hat, die ich teile". Dennoch ist ein "Ja" zur Wehrpflicht für Reichardt offensichtlich nicht selbstverständlich: "Wie die Fraktion unter den Bedingungen der aktuellen Kriegspolitik unter Friedrich Merz entscheidet, das wird die Fraktion dann gegebenenfalls beraten und entscheiden", sagte er t-online.

Musterung von allen Deutschen ab 17

Die Verteidigungspolitiker der AfD hingegen vertreten die Haltung des AfD-Programms, ihr "Ja" zur Wehrpflicht ist deutlich. "Nur eine Wehrpflicht deckt den Personalbedarf bei der Bundeswehr und schafft den Freiraum, um echte Spezialisten auszubilden", bekräftigt Rüdiger Lucassen im Gespräch mit t-online. Ihm schwebt vor, so auch ein Reservistenkorps "für die Landesverteidigung und den Katastrophenfall" aufzubauen.

Konkret wollen die Verteidigungspolitiker der AfD, dass jeder Deutsche ab 17 Jahren angeschrieben und gemustert wird. Wer für geeignet befunden wird, soll ab der Volljährigkeit für 12 Monate im Dienst an der Waffe ausgebildet werden. Alternativ soll ein Ersatzdienst möglich sein.

Prominente Schützenhilfe erhielt Lucassen zuletzt auch von Bernd Baumann, dem Parlamentarischen Geschäftsführer der AfD im Bundestag. "Deutschland muss jetzt selbst wieder wehrfähig werden", sagte er in der vergangenen Woche "Welt TV". Im Notfall könne Deutschland ohne Schutz der Nato "nicht einmal eine Zahnbürste nach Pakistan exportieren". Grundlinie der gesamten Partei sei: "Ohne Wehrpflicht geht's nicht." Auch AfD-Chefin Alice Weidel sprach sich im Wahlkampf pro Wehrpflicht aus und forderte sie gleich für zwei Jahre.

Kleinschmidt: "Frauen wollen Gleichberechtigung"

Doch auch Lucassen weicht vom AfD-Programm ab: Er fordert neben einer einfachen Wiedereinführung der alten Wehrpflicht auch eine (neue) Wehrpflicht für Frauen und die Änderung des Grundgesetzes dafür. Zwar könnten Frauen "nicht vollumfänglich" alle Dienste an der Waffe wie Männer leisten, so Lucassen. "Doch wir brauchen sie." Mit Israel und Schweden gebe es außerdem erfolgreiche Vorbilder für eine solche Pflicht.

Und Lucassen ist mit dieser Meinung nicht allein. Kurt Kleinschmidt, AfD-Landeschef von Schleswig-Holstein, war lange Berufssoldat und in Afghanistan wie im Kosovo stationiert. Er wird als Abgeordneter neu in den Bundestag einziehen und strebt wie für Soldaten oft üblich in den parteiinternen Arbeitskreis Verteidigung. Überrascht zeigt er sich zwar, dass die Wehrpflicht für Frauen jetzt schon Thema ist. Doch er persönlich befürworte den Schritt – und das "liebend gern", so Kleinschmidt: "Die Frauen wollen die Gleichberechtigung, dann sollen sie sie auch haben."

Im Gegensatz zu Lucassen sieht er auch keinen Grund, Frauen von bestimmten Waffengattungen per se auszuschließen. Schließlich gebe es unterschiedliche Leistungstests, die Soldaten bestehen müssten. "Wenn die Frau diese Tests schafft, wenn sie die Physiologie dafür hat, dann schafft sie es."

Höcke hingegen lehnt eine Wehrpflicht für Frauen ab, wie er t-online mitteilte. Martin Reichardt, der auch frauen- und familienpolitischer Sprecher der AfD im Bundestag ist, sagte: Er glaube nicht, dass es für den Vorstoß "innerparteilich eine Mehrheit gibt".

AfD-Chef Tino Chrupalla hat gerade angekündigt, dass seine Partei in den nächsten Wochen einen Fahrplan für eine autonome Sicherheitspolitik Deutschlands erarbeiten wolle. Klar ist: Seine Partei hat einiges zu besprechen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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