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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Verteidigung Jubel bis zum Volksverrat? Die Zerrissenheit der AfD

Die AfD jubelt für Donald Trump – doch seine Außenpolitik ist auch für sie eine Herausforderung. In außen- und sicherheitspolitischen Fragen ist die Partei zerrissen, Konflikte sind programmiert.
Nachdem die Sondierer unter Friedrich Merz in dieser Woche milliardenschwere Investitionen in die Landesverteidigung angekündigt hatten, wählte Tino Chrupalla deutliche Worte. "Diese Politik der Verschwendung und Kriegstreiberei haben die Bürger nicht gewählt", twitterte der AfD-Chef aus Sachsen. "Nur die AfD steht für die Zukunft!"
Ein markiges Statement, das über eines hinwegtäuscht: Wie Deutschlands Zukunft in der Außen- und Sicherheitspolitik genau aussehen soll, dafür hat die AfD bisher keinen einheitlichen, geschweige denn einen tragfähigen Plan. Seit Jahren tobt in der Partei ein Streit zwischen Russland- und Nato-Freunden, zwischen Friedenstauben-Schwenkern und Militaristen, zwischen Ideologen und Pragmatikern, zwischen Ost und West. Diese Zerrissenheit zieht sich von der Basis bis hinauf in die Parteispitze.
Das Führungsduo irrlichterte deswegen in der Vergangenheit mit widersprüchlichen Volten durch deutsche Medien: Da lehnte Parteichef Tino Chrupalla eine Wehrpflicht für Deutschland ab und machte Anspielungen, vielleicht auch ganz aus der Nato austreten zu wollen. Seine Co-Chefin und Spitzenkandidatin Alice Weidel hingegen forderte im Bundestagswahlkampf Investitionen von bis zu fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Bundeswehr und eine Wehrpflicht für junge Deutsche für zwei Jahre – Maßnahmen, wie es sie in Deutschland noch nie gab und wie sie keiner anderen Partei in Deutschland vorschweben.
An der Basis ließen die beiden den Richtungsstreit einfach gären. Wichtige programmatische Punktsiege auf Parteitagen errang so das Lager, das in der Wählergunst am höchsten stand – in den vergangenen Jahren ausschließlich: die Putin- und angeblichen Friedensfreunde aus dem Osten, die für die AfD Rekordergebnisse einfuhren. Durch zusätzliche Korruptionsskandale, Auftritte und Nebenjobs in Russland und Desinformation ganz im Sinne des Kremls erarbeiteten sich einige Abgeordnete der AfD so einen Ruf als Putins Papageien in deutschen Parlamenten.
Die unter anderem vom Höcke-Flügel propagierte "multipolare Weltordnung", also die Abkehr von der Weltordnung nach dem Zweiten Weltkrieg und von der Partnerschaft Deutschlands mit den USA, wurde so zum Programm der AfD. Nun befeuert auch der US-Präsident im Weißen Haus diese multipolare Weltordnung – allerdings mit dramatischen Folgen für Deutschland: Trump entzieht den Europäern den so wichtigen Schutz, den Beistand der USA in der Nato – oder droht zumindest damit.
Der US-Präsident, den die AfD so sehr feiert, bringt mit seinem berserkerhaften Stil daher nicht nur die Regierenden in Deutschland, sondern auch die AfD in Zugzwang in einer sehr zentralen Frage: Wie soll die Bundesrepublik sich in Zukunft verteidigen, wenn sich gleich zwei Weltmächte gegen sie wenden?
Lucassen: "Deutschland braucht eigene Atomwaffen"
Rüdiger Lucassen hat darauf eine klare Antwort: Aufrüstung – und zwar ganz ähnlich und sogar in noch größerem Stil, als es die anderen Parteien aktuell wollen. Lucassen war Oberst in der Bundeswehr, ist verteidigungspolitischer Sprecher der AfD im Bundestag und Leiter des parteiinternen Arbeitskreises Verteidigung. Der soll eigentlich Taktgeber für das verteidigungspolitische Programm der AfD sein, Lucassen für diese Marschrichtung der Sprecher. Eigentlich.
"Deutschland braucht eigene Atomwaffen und zwingend eine Wehrpflicht – auch für Frauen", sagt Lucassen t-online. "Dafür muss so schnell wie möglich das Grundgesetz geändert werden." Nichts sei mehr so wie früher – auch in der Außen- und Verteidigungsstrategie. Trump sieht Lucassen dabei nicht als Problem, sondern die Trägheit der Europäer, die sich bisher zu stark auf die USA verlassen haben. Damit müsse jetzt endgültig Schluss sein: "Neue Lagen erfordern neue Entscheidungen und den Mut dazu."
Der Verteidigungsexperte hält wenig von der Putin-Liebe vieler seiner Parteikollegen. Im April 2023, als Abgeordnete der AfD im russischen Propagandafernsehen auftraten, sagte er in der Talkshow "Markus Lanz": Man könne zu der Auffassung gelangen, "dass das so etwas wie Volksverrat ist". Die Putin-Freunde aber waren wesentlich stärker in der AfD, Lucassen geriet in Verruf und unter Druck, ihm wurden Parteiordnungsmaßnahmen angedroht. Schließlich gab er klein bei und bezeichnete seine Formulierung als Fehler.
In der Analyse der Gefahr, die durch Russland für Deutschland ausgeht, ist Lucassen aber nach wie vor deutlich: "Ich sage nicht, dass Putin uns angreifen will. Aber es ist eine Option", sagt er.
Wenn der nukleare Schutzschirm der USA wegfalle, müsse Europa selbst handeln – die Atomwaffen der Briten und Franzosen aber genügten nicht. "Deutschland muss selbst nuklear abschreckungsfähig werden – im Rahmen einer strategischen Autonomie Europas und eines Systems kollektiver Sicherheit mit einer eigenen Militär- und Kommandostruktur."
Die Nato als Notwendigkeit
Ähnlich sieht es Hannes Gnauck. Er kommt zwar aus dem traditionell Russland zugewandten Brandenburger Landesverband, auch er aber hat gedient und sitzt im Arbeitskreis Verteidigung der AfD. Vorsichtig formuliert er, wenn es um Putin geht – kommt aber zu denselben Schlüssen wie Lucassen.
Eine strategische Partnerschaft mit Russland, zum Beispiel im Handel oder in der Energieversorgung, sei notwendig, sagt Gnauck dem AfD-Programm folgend. "Man darf aber dabei nicht vergessen: Dieses Russland ist nicht unser Freund, aber eben auch nicht unser Feind."
Einen Nato-Austritt der USA hält er für unwahrscheinlich, auch wenn er propagiert werde. Sollte es aber dazu kommen, müsse Deutschland die führende Rolle im Bündnis übernehmen. Die Nato sei "das Beste, was uns gerade zur Verfügung steht". Und auch den maximalen Schritt will Gnauck gehen: "Deutschland braucht einen eigenen nuklearen Schutzschirm."
Marketingerfolg im Osten: AfD als "Friedenspartei"
Nichts davon klingt wie die AfD der letzten Jahre. Lanciert durch den Thüringer Parteichef Björn Höcke und die rechtsextreme Denkfabrik von Götz Kubitschek in Schnellroda frönte die Partei da Antiamerikanismus und Putin-Liebe wie nie zuvor, heftete sich aber das wohlklingendere Label "Friedenspartei" ans Revers. Ein Marketingerfolg, gerade im Osten: Bei Wahlkampfveranstaltungen der AfD sieht man inzwischen so viele Friedenstauben wie früher wohl nur bei den Grünen. Trommler und Fußgruppen für den Frieden kommen zuhauf.
Mit diesem vor allem gegen die Unterstützung der angegriffenen Ukraine gerichteten Kurs fuhr die Partei historische Erfolge im Osten ein: zweitstärkste Kraft in Sachsen und Brandenburg, stärkste im Höcke-Land Thüringen. Im nächsten Jahr soll es so weitergehen – dann stehen in Sachsen-Anhalt Landtagswahlen an.
Dass die Partei einen grundlegenden Kurswechsel in der Außenpolitik hinlegt, ist deswegen unwahrscheinlich. Im Osten und im Pro-Putin-Lager kommt man schließlich immer noch zu gänzlich anderen Schlüssen als die Verteidigungsexperten im Bundestag, wenn es um die Sicherheitslage Deutschlands und die Gefährlichkeit von Putins Russland geht.
Tillschneider: "Von Putin geht keinerlei Gefahr für Deutschland aus"
Putins Propagandisten drohen zwar regelmäßig mit Panzern und Atombomben auf Berlin und zeichnen ein Bild von der weiteren Eroberung Europas. Hans-Thomas Tillschneider, stellvertretender Landeschef der AfD in Sachsen-Anhalt, aber sagt im Gespräch mit t-online: "Von Putin geht keinerlei Gefahr für Deutschland oder Europa aus, solange die Altparteienregierungen nicht durch offensive Unterstützung des Selenskyj-Regimes die Konfrontation mit Russland suchen."
Trump dürfte der erste US-Präsident sein, der Tillschneider gefällt. Bislang nämlich, sagt er, sei die Forderung nach einem Nato-Austritt Deutschlands eine "zwar in weiten Teilen der Partei populäre, aber auf Parteitagen noch nicht durchsetzungsreife Forderung" gewesen. Das habe immer wieder zu Konflikten geführt. "Wenn nun Trump höchstselbst die Nato entwertet oder gar durch Austritt der USA obsolet machen sollte, entspannt sich dadurch auch dieser Konflikt." Der neue, alte US-Präsident scheine "in jeder Hinsicht befriedend zu wirken".
Die neue Einigkeit in der AfD zwischen "Transatlantikern und Eurasiern durch die neue amerikanisch-russische Zusammenarbeit", die Tillschneider bereits feiert, dürfte allerdings ein Wunschtraum bleiben. Beide Lager mögen zwar nun die USA loben, die Transatlantiker sich notgedrungen inzwischen auch mit Russland arrangiert haben. Doch grundunterschiedlich bleiben die Positionen, geht es um die deutsche und europäische Verteidigungsstrategie.
Aus Tillschneiders Sicht nämlich braucht es jetzt nicht mehr Nato, Atomwaffen oder eine deutsche Wehrpflicht. Sondern lediglich: eine "andere Außenpolitik", wie er sagt. "Ein Land, das eine auf Diplomatie, Frieden und Verständigung fokussierte Außenpolitik betreibt, muss sich nicht bis an die Zähne bewaffnen." Tillschneider also fordert nicht wie die AfD-Verteidigungsexperten Aufrüstung und Abschreckung, im Gegenteil: Er klingt wie schon in den vergangenen Jahren nach Abrüstung, trotz russischer Aggression und verschärfter Sicherheitslage.
Keine Schulden für Verteidigung, auch nicht in dieser Lage
Die Zerrissenheit der AfD also wird auch der Kitt Donald Trump nicht heilen. Stattdessen dürfte er durch Druck auf internationaler Bühne dafür sorgen, dass der Riss immer wieder deutlich zutage tritt, wenn sich die Partei nicht um eine gründliche Positionsbestimmung bemüht.
Welches Lager dabei im Bundestag den Takt angibt, dürfte sich schon in den nächsten Wochen zeigen. Dann wird die AfD ihre Arbeitskreise neu besetzen und neue Sprecher wählen. Neben dem Arbeitskreis Verteidigung wird auch der Arbeitskreis Außen neu besetzt – ein bisher vor allem prorussisch ausgerichtetes Gremium. Als Vorsitzende lösten zunächst Petr Bystron, dann Matthias Moosdorf, mit Reisen zum Aggressor und mit besten Kontakten nach Moskau immer wieder Skandale aus.
Zum Parteifrieden allerdings könnte beitragen, dass die AfD in Gänze das staatliche Schuldenmachen ablehnt. Der Parteikonsens über alle Lager heißt: keine Sondervermögen, keine Ausnahmen von der Schuldenbremse – auch nicht für Verteidigung, auch nicht in dieser Lage.
"Ohne Taschenspielertricks wie Sondervermögen sind aktuell circa 80 Milliarden Euro pro Jahr für die Bundeswehr möglich", sagt Rüdiger Lucassen. Sogar etwas mehr als das hat Deutschland zuletzt in die Bundeswehr investiert, knapp über den verlangten zwei Prozent des BIPs als Nato-Ziel ist die Bundesregierung so gelandet. "Mehr ist volkswirtschaftlich derzeit nicht zu schaffen", so Lucassen.
Fünf Prozent vom BIP in die Bundeswehr, Atomwaffen anschaffen, die Wehrpflicht wieder einführen? Das bleibt so nichts als Illusion.
- Eigene Recherchen