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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Union und SPD einigen sich Was nicht im Sondierungspapier steht

Im Sondierungspapier bleiben einige zentrale Themen unberührt – darunter ein Ampelprojekt, das die Union unbedingt abschaffen wollte. Ein Überblick.
Es sind große Worte, mit denen das elfseitige Sondierungspapier von Union und SPD beginnt. "Deutschland steht vor historischen Herausforderungen", heißt es darin.
Noch vor der Aufnahme von Koalitionsverhandlungen haben sie Einigungen in zentralen Punkten präsentiert. So soll es etwa Verschärfungen in der Migrationspolitik und beim Bürgergeld geben. Außerdem sollen noch vor der Konstituierung des neuen Bundestags am 25. März Ausnahmen bei der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben beschlossen sowie ein milliardenschweres Sondervermögen für die Infrastruktur geschaffen werden.
Allerdings: Manche Punkte tauchen in dem Papier nicht oder nur sehr verkürzt auf. Eine Übersicht:
Einkommensteuer
Sehr unkonkret bleiben Union und SPD etwa bei den Steuern. Im Sondierungspapier heißt es lediglich: Man wolle die "breite Mittelschicht durch eine Einkommensteuerreform entlasten und die Pendlerpauschale erhöhen". Wie die Reform aber aussieht? Das bleibt offen.
Einig dürften sich Union und SPD bei dem Jahresbruttolohn sein, ab dem der Spitzensteuersatz von 42 Prozent künftig greifen soll: Denn beide hatten im Wahlkampf angekündigt, diesen zu erhöhen. Die CDU sprach von einer Anhebung auf 80.000 Euro, die SPD sogar von 93.000 Euro. Der Einkommensteuertarif soll bis dahin flacher ansteigen, so die Idee. Doch während die Sozialdemokraten diesen von 42 Prozent auf 45 Prozent anheben wollten, wehrte sich die Union dagegen.
Konfliktpotenzial dürfte auch der Reichensteuersatz bergen, der ab einem Jahreseinkommen von 278.000 Euro greift. Die SPD will ihn von 45 auf 47 Prozent anheben, die CDU dürfte das kaum mitmachen. Fraglich ist auch, ob die Union ihre Forderung einer vollständigen Abschaffung des Solidaritätszuschlags durchsetzt. Das war ein Wahlversprechen von CDU und CSU.
Der Solidaritätszuschlag wurde zwar bereits für viele Steuerzahler abgeschafft, doch hohe Einkommen sowie Kapitalerträge wie Zinsen oder Dividenden unterliegen ihm weiterhin. Die SPD wehrte sich aber bislang gegen eine vollständige Abschaffung.
Deutschlandticket
Das Deutschlandticket wird in dem Sondierungspapier als Grundlage für Koalitionsverhandlungen genannt – aber vorerst nur vage. "Wir beraten über die Fortsetzung des Deutschlandtickets sowie den Ausbau und die Modernisierung des Öffentlichen Personennahverkehrs", heißt es darin.
Die Bezuschussung des bundesweit gültigen Tickets im Nah- und Regionalverkehr durch Bund und Länder ist nur bis Ende des Jahres gesichert. Bis dahin müssen die Beratungen von SPD und Union abgeschlossen sein. Seit Jahresbeginn kostet das Deutschlandticket, das die Ampelregierung eingeführt hat, 58 Euro im Monat, im vergangenen Jahr waren es noch 49 Euro.
Heizungsgesetz
Das Heizungsgesetz – oder auch Gebäudeenergiegesetz (GEG), wie die Regelung eigentlich heißt – kommt im Sondierungspapier gar nicht vor. Dabei hatte die Verpflichtung zum energetischen Sanieren nicht nur die Ampelkoalition massiv unter Druck gesetzt und zu internen Zerwürfnissen geführt, sondern die Union hatte auch explizit dagegen Wahlkampf gemacht.
In ihrem gemeinsamen Wahlprogramm machten CDU und CSU deutlich: "Das Heizungsgesetz der Ampel schaffen wir ab." Dass davon jetzt nichts zu lesen ist, liegt wahrscheinlich daran, dass die SPD zuvor angekündigt hatte, grundsätzlich am GEG festhalten zu wollen. Das Thema könnte damit auch noch zu hitzigen Diskussionen bei den Koalitionsverhandlungen führen.
Außen- und Sicherheitspolitik
Die Welt ordnet sich neu. Russland führt seit über drei Jahren einen Angriffskrieg in Europa, und die USA brechen unter Präsident Donald Trump mit ihren traditionellen Bündnispartnern und eventuell auch mit der Nato. Diese weltpolitischen Erschütterungen ziehen Union und SPD als Begründung dafür heran, mit Blick auf die Schuldengrenze noch einmal mit dem abgewählten Bundestag eine Grundgesetzänderung beschließen zu wollen. Bemerkenswert ist derweil, dass Russland oder die transatlantischen Beziehungen im Sondierungspapier mit keinem Wort erwähnt werden.
Außen- und sicherheitspolitisch bleibt das Papier allgemein sehr vage. Die mögliche nächste Bundesregierung möchte die Verteidigungsfähigkeit Europas erhöhen, aber lässt politische Maßnahmen komplett offen. Die europäische Koordinierung bei der Beschaffung von Rüstungsgütern wird ebenso wenig erwähnt wie ein europäischer Nuklearschirm. Die Europäische Union erwähnen Union und SPD lediglich einmal in der Einleitung.
Ukraine
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine wird in dem Sondierungspapier nur kurz genannt. Deutschland stehe weiterhin an der Seite der Ukraine, schreiben Union und SPD. Es ist klar, dass die mögliche künftige Bundesregierung in den aktuellen Verhandlungen noch keine genauen strategischen Leitlinien festlegen konnte. Immerhin ändert sich die Ukraine-Politik aktuell maßgeblich durch US-Präsident Trump. Es ist völlig unklar, wie es in den kommenden Wochen weitergehen wird.
Doch in jedem Fall werden künftig Deutschland, Frankreich und Großbritannien mit Blick auf die Unterstützung der Ukraine noch größere Verantwortung bekommen. Das findet sich in dem Sondierungspapier nicht wieder. Auch eine zentrale Forderung von CDU-Chef Friedrich Merz, den deutschen Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine zu liefern, hat es nicht ins Papier geschafft.
Wehrpflicht
Union und SPD schreiben in ihrem Sondierungspapier, dass sie Deutschlands Verteidigungsfähigkeit erhöhen möchten. Das soll zwar durch ein neues Sondervermögen mit viel Geld unterfüttert werden, aber wofür genau das Geld ausgegeben werden soll, bleibt unklar.
So hat es zum Beispiel die Debatte zur Wiedereinführung einer Wehrpflicht gar nicht in das Sondierungspapier geschafft. Das ist eine entscheidende Frage: Denn die Wehrpflicht würde die deutsche Volkswirtschaft Milliarden kosten, die Bundeswehr benötigt derweil mehr Personal. Einige Unionspolitiker hatten die Wiedereinführung der Wehrpflicht im Vorfeld der Bundestagswahl zur Bedingung für eine Koalition gemacht. Deswegen ist es nun eine Überraschung, dass sie mit keinem Wort erwähnt wird.
Rechtsextremismus
Im Jahr 2024 haben rechtsextremistische Straftaten einen neuen Höchststand erreicht. Beinahe 34.000 Delikte registrierte die Polizei bundesweit allein in den ersten elf Monaten des Jahres, ein Plus von 17 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Im Sondierungspapier von Union und SPD kommt die Gefahr von Rechtsaußen allerdings mit keinem Wort vor.
Im Wahlkampf stellte sich die SPD noch als Verteidigerin des Staates gegen den Rechtsextremismus dar. "Wir kämpfen gegen Menschenfeindlichkeit in all ihren Formen", heißt es im Wahlprogramm. Außerdem wollten die Sozialdemokraten den Volksverhetzungsparagrafen dahingehend anpassen, wovon im Sondierungspapier keine Rede mehr ist.
Der Paragraf 130 im Strafgesetzbuch regelt, dass mit einer Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft werden kann, wer zum Hass oder zu Gewalttaten gegen religiöse, ethnische oder nationale Gruppen aufruft. Laut Wahlprogramm der SPD sollten künftig auch rechtsextreme Äußerungen von Amtsträgerinnen und Amtsträgern sowie in Schulen darunterfallen.
Wahlreform
Im Sondierungspapier heißt es nur kurz: "Wir prüfen eine erneute Reform des Wahlrechts." Was damit gemeint ist? Auch das bleibt offen. Womöglich wollen Union und SPD noch einmal an die Wahlrechtsreform der Ampelregierung ran.
Kritisiert hatte die Union bei der Reform zur Verkleinerung des Bundestags, dass mehrere Kandidaten nicht ins Parlament einzogen – obwohl sie ihren Wahlkreis gewonnen haben. Denn die Sitzverteilung richtet sich mit der Reform ausschließlich nach dem Zweitstimmenergebnis der Parteien. Mit dieser Stimme wählen die Wählerinnen und Wähler die Kandidatinnen und Kandidaten, die auf den jeweiligen Landeslisten der Parteien aufgestellt wurden. Direktmandate (aus der Erststimme) müssen im künftigen Bundestag immer durch Zweitstimmen gedeckt sein.
Zur Kritik bei Juristen führte auch das Wahlrecht für Auslandsdeutsche. Aufgrund der verkürzten Frist bei der vorgezogenen Wahl konnten Tausende Bürger, die im Ausland leben, de facto nicht an der Wahl teilnehmen (t-online berichtete). Verfassungsrechtler haben daher mehrfach eine Reform des Auslandswahlrechts gefordert.
- Eigene Recherche
- Sondierungspapier von Union und SPD
- Bundestagswahlprogramm der CDU
- Bundestagswahlprogramm der SPD
- Handelsblatt: "3000 Euro mehr – So will die SPD die Steuerzahler entlasten"
- smartsteuer.de: "Die Steuerpläne der CDU/CSU"
- rsw.beck.de: "Wahlprogramm-Check I: Was planen die Parteien bei Strafrecht, innerer Sicherheit und Migration?"
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und AFP