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Jobturbo: So viele Ukrainer hat die Heil-Offensive in den Arbeitsmarkt gebracht


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Ministerium zieht Bilanz
So viele Ukrainer arbeiten jetzt in Deutschland


30.09.2024Lesedauer: 4 Min.
imago images 0756366523Vergrößern des Bildes
Arbeitsminister Hubertus Heil: Er hat im Herbst 2023 den "Jobturbo" für Flüchtlinge ausgerufen. (Quelle: IMAGO/Uwe Koch/imago)

Die Wirtschaft läuft nicht rund, der Arbeitsmarkt entwickelt sich schlechter als gedacht. Trotzdem finden zahlreiche Ukrainer in Deutschland einen Job.

Es sollte für die rund 900.000 ukrainischen Flüchtlinge im erwerbsfähigen Alter der Durchbruch auf dem Arbeitsmarkt werden. Vor bald einem Jahr, im Oktober 2023, rief Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) den "Jobturbo" aus. Das Ziel: Auch wer nur geringe Deutschkenntnisse hat, soll über die Jobcenter möglichst schnell in Arbeit kommen, Fortbildungen und Sprachkurse sollten parallel weiterlaufen.

Inzwischen ist klar: Einen echten Turbo konnten Politik, Arbeitgeber und die Jobcenter zwar nicht zünden, längst nicht alle haben Arbeit – und doch lief das Programm besser, als manche vermuten. Das geht aus einem Bericht des Arbeitsministeriums an den Haushaltsausschuss des Bundestags hervor, der t-online vorliegt. Zuvor hatte der "Spiegel" berichtet.

Darin heißt es, die Maßnahmen des "Jobturbos" zeigten ihre Wirkung. "Trotz der aktuell schwachen wirtschaftlichen Entwicklung konnte die Beschäftigung von ukrainischen Staatsangehörigen, aber auch von Menschen aus den wichtigsten Asylherkunftsländern, deutlich gesteigert werden."

Entwicklung gegen den Trend

Zugleich hält der Bericht fest, dass wohl noch mehr Flüchtlinge einen Job hätten aufnehmen können, würde die derzeit stagnierende Wirtschaft besser laufen. "Die eingetrübte konjunkturelle Entwicklung mindert für alle Arbeitslosen, einschließlich Geflüchteter, die Chancen, eine Beschäftigung aufzunehmen", heißt es in einem begleitenden Schreiben aus Heils Ministerium.

t-online fasst die wichtigsten Erkenntnisse aus der Zwischenbilanz für den Bundestag zusammen. Die Zahlen gehen dabei auf Statistiken vom Sommer zurück.

  • Von Oktober 2023 bis August 2024 sind laut dem Bericht rund 50.000 beschäftigungslose Ukrainer in Arbeit gekommen. Das waren 66 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Die Abgangsrate aus dem Grundsicherungsbezug betrug im August 2024 3,2 Prozent.
  • Im selben Zeitraum wechselten zudem weitere 96.000 Arbeitslose aus den acht wichtigsten Asylherkunftsländern (unter anderem Syrien, Afghanistan) aus der Grundsicherung in einen Job. Das waren 19 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Die Abgangsrate betrug im August 2024 4,2 Prozent.
  • Auffällig im Vergleich dazu: Bei Bürgergeldempfängern deutscher Staatsangehörigkeit sank die Abgangsrate im selben Zeitraum von 2,6 auf 2,3 Prozent. Das heißt: Während arbeitslose Flüchtlinge trotz konjunktureller Schwierigkeiten in großer Zahl einen Job fanden und relativ zur Gesamtgruppe häufiger den Weg aus der Arbeitslosigkeit fanden, gelang dies deutschen Langzeitarbeitslosen schlechter als im Vorjahr.

Insgesamt wuchs die Zahl der Ukrainer, die in Deutschland arbeiten, bis Juni 2024 damit auf 259.000 Menschen, das sind 69.000 mehr als im Juni 2023. Davon gingen 207.000 einem sozialversicherungspflichtigen Job nach, etwa 52.000 Personen waren geringfügig beschäftigt.

Zuwachs bei regulären Jobs hängt stark an Ukrainern

Bei den Staatsangehörigen aus den anderen acht wichtigsten Asylherkunftsländern waren zuletzt 695.000 Menschen in Lohn und Brot (plus 70.000 Menschen), wobei 592.000 einem sozialversicherungspflichtigen Job nachgingen und rund 103.000 einer geringfügigen Beschäftigung.

"Damit entfallen 79 Prozent des gesamten Wachstums der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zum Vorjahr auf Staatsangehörige der Ukraine und Asyl TOP 8", heißt es in dem Bericht. Was wiederum bedeutet: Der Arbeitsmarkt insgesamt läuft derzeit alles andere als rund – und trotzdem gelingt es den Jobcentern, Flüchtlinge in Arbeit zu vermitteln. Und zwar so gut, dass sie den Löwenanteil des Zuwachses an Menschen ausmachen, die neu in reguläre Jobs gekommen sind.

Das lässt sich auch in weiteren Zahlen ausdrücken, die der Bericht aufführt: So sei allein seit offiziellem Start des "Jobturbos" Anfang dieses Jahres die Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Ukrainer um rund 41.000 Menschen gestiegen, ein Plus von 25 Prozent. Die Zahl derer aus den Top-8-Herkunftsstaaten wuchs im selben Zeitraum um immerhin 26.000 (plus 5 Prozent) – während die Beschäftigung in Deutschland insgesamt um 1 Prozent (minus 264.000 Jobs) sank.

Herbstbelebung schwächer als sonst

Zuletzt zeigten auch die jüngsten Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA), dass der Arbeitsmarkt nach der üblichen Sommerflaute kaum in Schwung kommt. Die sogenannte Herbstbelebung bleibt wegen der schwachen Konjunktur weitgehend aus.

Im September sank die Zahl der Arbeitslosen im Vergleich zum Vormonat nur leicht um 66.000 auf 2,806 Millionen Menschen. Das sind 179.000 mehr als zum gleichen Zeitpunkt des Vorjahres, teilte die BA Ende vergangener Woche mit. Die Arbeitslosenquote sank im September im Vergleich zum August um 0,1 Punkte auf 6,0 Prozent. BA-Chefin Andrea Nahles erwartet deshalb, dass die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland schon bald die Schallmauer von 3 Millionen durchbrechen könnte.

Angesichts dessen wirkt es fast verwunderlich, dass der "Jobturbo" überhaupt große Wirkung entfaltet. Zugleich gilt: Sollte sich die Lage am Arbeitsmarkt nicht wider Erwarten doch noch spürbar aufhellen, ist kaum mit einem deutlichen Abschmelzen der Kosten für den Bürgergeldbezug der Ukrainer zu rechnen. Auf diesen Effekt hatte die Bundesregierung nicht zuletzt mit Blick auf den auf Kante genähten Bundeshaushalt gehofft, den in diesen Wochen die Abgeordneten des Bundestags verhandeln.

Der Staat spart beim Bürgergeld – und muss doch mehr ausgeben

Auch zu den finanziellen Auswirkungen des "Jobturbos" versucht das Arbeitsministerium mit dem Bericht an den Haushaltsausschuss Antworten zu liefern, wobei es sogleich einschränkt: "Ausgaben für das Bürgergeld können weder in den Finanzsystemen der BA noch des Bundes einzelnen Personengruppen zugeordnet werden."

Für eine Schätzung der durch den "Jobturbo" eingesparten Kosten musste das Ministerium deshalb Annahmen darüber treffen, wer bereits zu Beginn des Programms in Deutschland war und wer nicht, man habe mit unterschiedlichen Kohorten gearbeitet. Auf dieser Basis, so heißt es in dem Bericht, erwarte das Ministerium einen Rückgang der Zahlungsansprüche von rund 1,1 Milliarden Euro für das Gesamtjahr 2024 – wovon 854 Millionen Euro auf Einsparungen bei Zahlungen an Ukrainer entfielen, die einen Job aufgenommen haben, und rund 261 Millionen Euro auf Menschen der anderen acht häufigsten Asylherkunftsländern.

Das klingt nach viel Geld. Und tatsächlich entspräche diese Summe in etwa dem, was die Bundesregierung für das laufende Haushaltsjahr 2024 an Minderausgaben beim Bürgergeld eingeplant hat. Was die Zahlen aber nicht direkt vermitteln, führt der Bericht derweil in einer Fußnote auf: Die Abgänge aus der Grundsicherung, die "positive Entwicklung" bei der Zahl der Bürgergeldbezieher, werde durch "die anhaltend hohe Zahl der Neuzugänge überkompensiert".

Zu früh freuen dürfen sich die Haushaltspolitiker im Bundestag damit also noch nicht. Im Gegenteil: Stagniert die Wirtschaft weiter, bewahrheiten sich die schwachen Konjunkturprognosen, wächst das Bruttoinlandsprodukt nicht, werden trotz Fachkräftemangel voraussichtlich noch mehr Menschen ihren Job verlieren und weniger Menschen bald eine Arbeit aufnehmen können. Die Zahl der Anspruchsberechtigten für Bürgergeld dürfte dann eher noch steigen als weiter fallen – allen positiven Effekten unter den Ukrainern zum Trotz.

Verwendete Quellen
  • Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und Reuters
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