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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Erkenntnisse aus den Wahlen Daraus wird für die AfD nichts
Die Sachsen und die Thüringer haben gewählt. Und so viele Stimmen für den extrem rechten Rand gab es noch nie. Fünf erste Erkenntnisse aus den Landtagswahlen.
Es kam wie erwartet: Die Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen haben die politische Landschaft durcheinandergewirbelt. Die AfD ist so stark wie nie, dürfte aber keine Regierungspartner finden. Die Ampelparteien sind kaum mehr vorhanden. Die CDU wird wohl zwei Ministerpräsidenten stellen können. Und das BSW wird beweisen müssen, ob es auch regieren kann.
Die ersten Erkenntnisse aus den Landtagswahlen im Überblick.
1. CDU: Einsamer Wahlsieger sucht Anschluss
Bei der CDU sind die Gefühle am Abend gemischt. Einerseits haben die Christdemokraten sowohl in Sachsen als auch in Thüringen gute Chancen, künftig den Ministerpräsidenten zu stellen. Michael Kretschmer bleibt wohl im Amt, während es Mario Voigt in Erfurt aus der Opposition in die Staatskanzlei schaffen dürfte. Gleichwohl stellt sich schon jetzt die Frage: Mit wem wird regiert?
In Sachsen bleibt die CDU stärkste Partei, verliert jedoch leicht. Die Stimmung: verhalten. Aus Parteikreisen heißt es, man hätte das Ergebnis vom letzten Mal gerne gehalten oder sich sogar ein bisschen verbessert. Erst als Kretschmer auf die Bühne tritt und ruft: "Wir haben allen Grund zu feiern", schließt seine Partei sich an, applaudiert, jubelt. Doch die Regierungsbildung kommt erst noch. Eine Koalitionsbildung dürfte nur unter Einbeziehung der BSW-Partei von Sahra Wagenknecht möglich sein. In der Partei sind die Meinungen, ob das besser als die aktuelle Keniakoalition aus CDU, SPD und Grünen sei, durchaus gemischt.
In Thüringen ist die Lage noch brenzliger. Die CDU landet hier nur auf Platz zwei und muss um Koalitionspartner bangen. Mario Voigt und sein Landesverband hatten zwar deutlich gemacht, dass sie sich sowohl mit der SPD als auch mit dem BSW eine Zusammenarbeit vorstellen können. Eine rechnerische Mehrheit ohne die AfD wäre den Ergebnissen zufolge aber nur mit CDU, BSW, SPD und einer Tolerierung der Linken möglich. Eine Minderheitsregierung ist nicht verlockend, aber im Notfall auch nicht ausgeschlossen.
2. AfD: Volle Kraft auf Blockade
Mit Abstand stärkste Partei in Thüringen, zweitstärkste in Sachsen: Für die AfD sind die Landtagswahlen ein voller Erfolg. Nach den für sie sehr erfolgreichen Kommunalwahlen im Osten kann sie ihre Macht nun in zwei Landtagen ausbauen. Gut genug sind die Zahlen wohl auch, um den zuletzt parteiintern etwas schwächelnden Björn Höcke zu stärken.
Hinter den eigenen Erwartungen bleibt die AfD dennoch zurück. Anfang des Jahres hatte sie schließlich in beiden Ländern noch bei rund 35 Prozent gelegen. Auf Regierungsmacht hatte man da kurz gehofft, damit auch bis zum letzten Tag bei ihren Wählern geworben. Daraus wird bei Weitem nichts.
Zumindest aber hat die AfD in beiden Ländern ein anderes wichtiges Ziel erreicht: die Sperrminorität, mit der sie besonders wichtige Gesetzesvorhaben und Personalentscheidungen in wichtigen demokratischen Institutionen beeinflussen und verhindern kann. Damit ist ihr Kurs klar, stärker als bisher schon: volle Kraft auf Blockade.
3. BSW: Die Entscheider
Ein großer Erfolg für die junge Partei: Es sind die ersten Landtagswahlen, an denen das BSW teilgenommen hat. Und in beiden Ländern ist es die drittstärkste Kraft geworden.
In Thüringen sind "die Neuen" im Landtag gleich auch "die Entscheider". Ohne das BSW gibt es hier wohl keine Mehrheit. Das Bündnis aus CDU, SPD und BSW dürfte die einzige realistische Koalition sein. Doch ein Selbstgänger ist auch das nicht. Wagenknecht und ihre Vertreter im Land hatten die SPD und ihre Leistung in Berlin häufig deutlich kritisiert. Möglicherweise droht dem BSW da ein Glaubwürdigkeitsproblem.
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In Sachsen ist das Ergebnis zwar schlechter, doch auch hier dürfte das BSW nun wichtig werden – weil es am Ende nicht für eine Keniakoalition aus CDU, SPD und Grünen gereicht hat.
4. Linke: Im Überlebenskampf
Betroffene Gesichter bei der Linken: Die Partei konnte sich in Sachsen durch zwei Direktmandate in den Landtag retten. In Thüringen verliert mit Bodo Ramelow eines ihrer wenigen verbliebenen prominenten Mitglieder das Amt des Ministerpräsidenten.
Wahlanalysen werden nun folgen. Klar ist bereits: Viele Wähler hat sie an die Linken-Auskopplung BSW verloren. Das Ergebnis drückt die Linke weiter in die politische Bedeutungslosigkeit, bei der Bundestagswahl 2025 wird sie um ihr Überleben kämpfen. Viel wird sich ändern müssen, möchte sie das abwenden.
5. SPD, Grüne, FDP: Die Ampel macht sich überflüssig
Die SPD? Mächtig gerupft. Die Grünen? In Thüringen fliegen sie aus der Regierung in die außerparlamentarische Opposition. In Sachsen bleiben sie gerade noch drin. Und hat jemand die FDP gesehen? In Sachsen waren sie schon bisher nicht im Parlament, in Thüringen sind sie jetzt auch raus.
Die drei Ampelparteien waren in Sachsen und Thüringen schon länger nicht mehr stark. Aber so schwach? Daran dürfte die ewig streitende "Übergangskoalition" (Zitat Grünen-Chef Omid Nouripour) in Berlin einen großen Anteil haben.
Für die SPD ist es ein schwerer Abend. Auch wenn sich die sächsische SPD wohl leicht verbessern konnte, sind die Zahlen für eine Kanzlerpartei eine Klatsche. Mit lediglich 6,1 Prozent in Thüringen und 7,3 Prozent in Sachsen erreicht die SPD ihre schlechtesten Ergebnisse bei Landtagswahlen. Bisher lag der Negativrekord bei 7,7 Prozent (Landtagswahl Sachsen 2019).
Die Sozialdemokratie im Osten droht weiter zur Randnotiz zu werden. Und: Mit Olaf Scholz als Ampelchef kann die SPD offenbar keine Wahlen gewinnen. Die Parteispitze wird sich jetzt kritischen Fragen stellen müssen. Warum erreicht die SPD immer weniger Menschen? Was tut sie gegen den Ampelfrust? Zumindest in einer Frage gebe es Klarheit, heißt es im Willy-Brandt-Haus: An Scholz als Kanzlerkandidat will die SPD-Spitze trotz allem festhalten.
Auch für die Grünen ist der Abend bitter. In der Regierung in Thüringen machten sie weniger mit Erfolgen und mehr mit Personalquerelen Schlagzeilen. Nun fliegen sie aus dem Landtag. In Sachsen erklärte sie der eigene Regierungschef Michael Kretschmer zum größten Gegner. Die Grünen keilten zurück ("apokalyptischer Reiter", Zitat Fraktionschefin Franziska Schubert), nur um ein paar Sätze später zu sagen, dass sie trotzdem weiter mit Kretschmer regieren wollen. Verlockend war das nicht.
Die Wahlkampagnen zielten in beiden Ländern auf die Kernklientel. Ihre Hauptargumente: Klimaschutz und: "Wir, oder die AfD wird noch mächtiger". In Sachsen könnten sie sich damit noch gerettet haben, weil hier im Zweifel auch zwei Direktmandate für den Einzug reichen. Immerhin.
- Eigene Recherchen und Eindrücke in Sachsen und Thüringen