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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Wahlarena im MDR Zuschauer machen Kandidaten schwere Vorwürfe
Das politische Spitzenpersonal Thüringens muss sich im MDR Zuschauerfragen stellen. In der an Vorwürfen reichen Diskussion überwiegt am Ende der Wunsch nach Harmonie.
Wenn am kommenden Sonntag in Sachsen und Thüringen über die Zusammensetzung der Landesparlamente abgestimmt wird, ruht die politische Aufmerksamkeit der Bundesrepublik auf den beiden Freistaaten im Osten. Schließlich spricht viel dafür, dass die Ergebnisse zu Vorboten ungewohnter Koalitionen und Machtverhältnisse über die Landesgrenzen hinaus werden könnten.
Einen Vorgeschmack auf die neue Vielstimmigkeit konnten Wähler am Montagabend im MDR erhalten. Wenige Tage vor der Wahl des Erfurter Landtags konfrontierte Moderator Andreas Menzel in der Sendung "Fakt ist! – Wahlarena Thüringen" die Spitzenkandidaten der sieben aussichtsreichsten Parteien Thüringens mit den Fragen des Studiopublikums.
Die Spitzenkandidaten
- Bodo Ramelow, Die Linke
- Mario Voigt, CDU
- Björn Höcke, AfD
- Georg Maier, SPD
- Madeleine Henfling, Grüne
- Thomas Kemmerich, FDP
- Katja Wolf, BSW
Die Politikerinnen und Politiker taten, was ihnen viele nicht mehr zutrauen: Sie diskutierten in überwiegend sachlichem Ton um die besten Antworten zu Themen, die von der großen Außenpolitik bis zur lokalen Umgehungsstraße reichten.
Höcke wird von Zuschauer zurechtgewiesen
Natürlich blieb es nicht aus, dass der AfD-Landesvorsitzende Björn Höcke im Zusammenhang mit der Corona-Politik von einer "Plandemie" schwadronierte und einem Mitdiskutanten, in diesem Falle dem CDU-Politiker Mario Voigt, seinem größten Konkurrenten um den Wahlsieg, vorwarf, ihn falsch zitiert zu haben. Auch machte der AfD-Politiker ordentlich Stimmung gegen Migration, die er als "die Mutter aller Krisen" bezeichnete und für den Wohnungsmangel in Thüringen verantwortlich machte.
Dafür handelte er sich von einem Zuschauer, der eigentlich über die Pläne zum Bestandsschutz für Sozialwohnungen unterrichtet werden wollte, allerdings prompt den Vorwurf ein, eine unbefriedigende Antwort gegeben zu haben. "Ein Ausländer nimmt mir nicht die Wohnung weg, die Wohnungen gehen auch so aus dem Bestandsschutz raus, und die fehlen uns hinten und vorne", kritisierte der Studiogast.
Überhaupt war es eher das Publikum, das an diesem Abend kein Blatt vor den Mund nahm und schwere Vorwürfe erhob. So diagnostizierte eine Zuschauerin fehlende oder falsche Qualifikationen in der Politik sowie einen Mangel an Bürgernähe und gesundem Menschenverstand. Von der Grünen Madeleine Henfling wollte sie wissen, wie sie mit dem Wählerwillen umgehen wolle, wenn die AfD, wie in Umfragen prognostiziert, bei 30 Prozent lande.
"Es gibt keine Brandmauer gegen die Wählerinnen und Wähler der AfD, es gibt aber eine Brandmauer, und das zu Recht, gegen eine extrem rechte Partei wie die AfD in Thüringen", konterte die Grünen-Spitzenkandidatin.
CDU-Politiker Voigt stichelt gegen Grüne
In eine ähnliche Richtung argumentierte auch CDU-Spitzenkandidat Voigt. "Es geht nicht um Brandmauern, es geht um Prinzipien", sagte der Christdemokrat. Die Kritik an der mangelnden Qualifikation des politischen Spitzenpersonals übernahm Voigt aber teilweise. Die CDU habe ein Ministergesetz im Thüringer Landtag eingebracht, das für Kabinettsposten mindestens eine abgeschlossene Berufsausbildung vorsehe. Man wünsche sich "jemand, der im Leben schon mal bewiesen hat, etwas zu Ende zu bringen". Viele hätten momentan den Eindruck, "von Menschen geführt zu werden, die ihr eigenes Leben nicht im Blick haben, aber vorschreiben wollen, wie man sich zu ernähren, zu heizen oder sich fortzubewegen hat".
Bei dieser Äußerung handelte es sich um eine kaum verhohlene Spitze gegen die Grünen, und zwar auf Landes- wie auch auf Bundesebene. Von der Thüringer Spitzenkandidatin Henfling ist kein Studienabschluss bekannt; Ricarda Lang, die Grünen-Chefin auf Bundesebene, und ihr Co-Vorsitzender Omid Nouripour haben ihr Studium bekanntermaßen beide nicht zu Ende gebracht.
Der Christdemokrat und wahrscheinlichste zukünftige Landesvater durfte in der Studiodiskussion aber nicht nur austeilen, sondern musste auch kräftig einstecken. "Ihre Partei, die CDU, ist diejenige, die in Weimar in Verbund mit den Grünen den Fertigbau der Umgehungsstraße seit Jahrzehnten verhindert", beklagte sich eine Zuschauerin. Es liege auch an der CDU, wenn die Glaubwürdigkeit der Politik geringer und die Politikverdrossenheit umso größer werde, lautete die unmissverständliche Kritik.
BSW-Spitzenkandidatin steht in Wagenknechts Schatten
Einen schweren Stand hatte auch der amtierende Ministerpräsident Bodo Ramelow, der zwar noch immer der beliebteste Politiker in Thüringen ist, aber aufgrund der Schwäche seiner Partei, der Linken, praktisch keine Chance auf einen Verbleib im Amt hat. Katja Wolf, die ehemalige Oberbürgermeisterin von Eisenach, die erst im Februar dieses Jahres bei der Linken ausgetreten ist und nun für das in Umfragen stärkere Bündnis Sahra Wagenknecht antritt, musste sich stattdessen den Spott gefallen lassen, so sehr im Schatten ihrer Parteichefin zu stehen, dass sie nicht mal auf den eigenen Wahlplakaten zu sehen sei.
Es mangelte aber auch nicht am Wunsch nach größerer Harmonie und Appellen an die politische Vernunft. "Wenn die Wahl vorbei ist, setzen Sie sich zusammen, gehen Sie zum Teil von Ihren Ansprüchen zurück und setzen Sie in Thüringen eine vernünftige Landesregierung, die das Land vorwärtsbringt, auf die Bühne", fasste eine weitere Fragestellerin ihren Wunsch zusammen. Sie dürfte damit vielen Zuschauern in und außerhalb Thüringens aus dem Herzen gesprochen haben.
- mdr.de: "Fakt ist! – Wahlarena Thüringen" vom 25. August 2024