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Baerbock, Habeck und die Kanzlerkandidatur: So kam's zur Grünen-Entscheidung


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Vizekanzler Robert Habeck
Echt jetzt?


Aktualisiert am 11.07.2024Lesedauer: 6 Min.
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Robert Habeck vorne, Annalena Baerbock dahinter: So werden die Grünen in die Bundestagswahl gehen. (Quelle: IMAGO/Chris Emil Janssen/imago-images-bilder)
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Annalena Baerbock will doch nicht, der Weg für Robert Habeck als Grünen-Kandidat ist frei. Doch der bisherige Weg war holprig. Und viele Fragen sind weiter ungeklärt.

Die Nachricht kam aus den USA, und für viele kam sie überraschend. Annalena Baerbock verzichtet darauf, noch einmal als Kandidatin für die Grünen bei der Bundestagswahl anzutreten. Am Rande des Nato-Gipfels in Washington sagte sie der CNN, sie wolle sich auf ihr Amt als Außenministerin konzentrieren.

Baerbock will also der Welt in Zeiten der Krisen helfen. Hilft sie damit ganz nebenbei auch den Grünen in der Krise? In der Partei sehen das viele so. Und zwar nicht, weil sie so unbeliebt wäre. Sondern weil sie damit ein Problem löst, das zuletzt drohte, den Berg der grünen Probleme weiter anwachsen zu lassen: die Führungsfrage.

Nun darf Robert Habeck, der Vizekanzler. Nur was genau wird er: Spitzenkandidat? Kanzlerkandidat? Wann wird er es offiziell? Und wie kam es jetzt dazu?

Es war nicht so klar, wie viele dachten

Im Januar schien es zeitweilig so, als sei schon alles klar. Robert Habecks Unterstützerkreis gab sich selbstbewusst, dass er jetzt einfach dran sei, nachdem Baerbock sich beim letzten Mal als Kandidatin durchgesetzt hatte. Ein zweites Mal einreihen? Ausgeschlossen. Selbst Grüne, die Habeck kritisch sehen, glaubten nicht mehr daran, dass ihm die Kandidatur noch zu nehmen sei.

Der Vizekanzler hatte sich seiner Führungsrolle für die Grünen in der Regierung gerade erst erfolgreich versichert, auch Baerbock hatte sich hinter ihn gestellt. t-online berichtete damals als eines der ersten Medien über diese Entwicklung, über den Vizekanzler, der so mächtig war wie nie. Aus Baerbocks Lager war damals kein Widerspruch zu vernehmen.

Bis vor einigen Monaten. Damals stach ihr Umfeld offensichtlich an die "Bild"-Zeitung durch, dass sich Baerbock weiterhin nicht von dem Gedanken verabschiedet hatte, ein zweites Mal anzutreten. Trotz der schmerzlichen Niederlage bei der Wahl 2021. Trotz Habeck.

Es folgte aufgeregte Berichterstattung über einen möglichen neuen Wettbewerb, alles im Konjunktiv, mit viel hätte, wäre, wenn. Bis Mitte Juni. Da befeuerte Baerbock die Debatte sogar öffentlich, als sie auf die Frage der "Süddeutschen Zeitung", ob eine Kanzlerkandidatin Baerbock möglich sei, antwortete: "Als Außenministerin habe ich gelernt, dass alles möglich ist."

War das nur Koketterie? Ein etwas eitles Spiel, um die Erwartungen zu brechen? Nach allem, was man weiß: Nein.

Für Baerbock war es tatsächlich eine offene Frage, wer die Grünen in die nächste Wahl führen soll. Und zwar trotz einer Geschichte, die man sich in der Partei schon seit 2021 erzählt: Dass sich Baerbock und Habeck damals angeblich ohnehin abgesprochen hätten, dass er es 2025 versuchen darf. Mancher in der Partei glaubt daran noch heute. Baerbock nicht.

Baerbocks Gründe: Warum? Und warum jetzt?

Wenn aber Annalena Baerbock bislang wollte und jetzt verzichtet, dann muss irgendetwas passiert sein, das sie ihre Meinung hat ändern lassen. Die "dramatische Weltlage", mit der sie ihren Verzicht offiziell begründet, weil sie ihre "Kraft weiter voll und ganz" ihrer Aufgabe als Außenministerin widmen wolle – diese Weltlage gibt es ja schon länger. Und Habeck hat als Vizekanzler und Wirtschaftsminister auch nicht gerade wenig zu tun.

Das bedeutet nicht, dass das keine Rolle gespielt haben kann. Aber eine andere Überlegung hat genauso eine Rolle gespielt: Schadensbegrenzung, so könnte man sie nennen. Die Parteispitze hatte die Grünen aus der Not heraus in eine heikle Lage gebracht: Für den Fall, dass sich Baerbock und Habeck nicht einigen können, hatte sie angekündigt, dass die Mitglieder in einer Urwahl entscheiden sollten.

Allerdings immer in der verzweifelten Hoffnung, dass es nie dazu kommt. Denn einen parteiinternen Wahlkampf, in dem sich beide hätten voneinander abgrenzen müssen und der dadurch schnell verletzend bis schmutzig werden kann, den wollte niemand. Gerade jetzt nicht, da die Grünen bei der Europawahl nur 11,9 Prozent erreicht haben. Eine Krise genügt.

Das hat dem Vernehmen nach auch Baerbock so gesehen. In den vergangenen Wochen seit der Wahl soll es vermehrte Gespräche der beiden mit dem Parteivorstand gegeben haben. Man kann sagen: Sie waren auch ein Teil der Aufarbeitung des Ergebnisses. Das fiel aus Sicht vieler aus Habecks und Baerbocks Realo-Flügel auch deshalb so schwach aus, weil die Führungsfrage nicht eindeutig geklärt gewesen sei.

Noch am Wochenende soll sich Baerbock intern jedoch eine Kandidatur offengehalten haben. Bevor sie die Entscheidung am Mittwoch in den USA verkündete, hat sie die Spitzen der Partei, der Fraktion und auch Habeck informiert, ist nun zu hören. Der Fraktion selbst schrieb sie kurz danach eine Nachricht.

Hat Baerbock letztlich schlicht eingesehen, dass sie dieses Mal die schlechteren Karten hat gegen den Vizekanzler Habeck? Auch diese Deutung gibt es jetzt in der Partei. Eine zweite Chance für sie, bevor Habeck es wenigstens ein Mal versuchen darf? Es scheint tatsächlich nicht leicht zu sein, das schlüssig durchzuargumentieren.

Jetzt Habeck: Nur wann wird's offiziell?

Nun ist der Weg frei für Robert Habeck. Und er lässt keinen Zweifel daran, dass er will. Nur kann er das so deutlich noch nicht sagen, weil seine Wahlkampagne dann sofort beginnen würde. Das bedeutet traditionell, dass die Öffentlichkeit ihn noch genauer durchleuchtet. Parteien sind deshalb geneigt, damit möglichst lange zu warten. Außerdem ist schlicht noch zu wenig vorbereitet.

Nur wann macht man es am besten offiziell? Aus Parteikreisen heißt es, die Entscheidung werde in diesem Jahr fallen, vieles spreche für den Herbst. Entschieden ist das aber noch nicht. Denn manche halten den Zeitpunkt für durchaus wichtig.

Im Herbst sind am 1. September in Sachsen und Thüringen und am 22. September in Brandenburg Landtagswahlen. Die Grünen stehen überall nicht gut da, um es vorsichtig zu sagen. Mancher wünscht sich deshalb, dass die Personalie Habeck zumindest möglichst vor der Wahl in Brandenburg verkündet wird. Um den Wahlkämpfern damit Rückenwind zu verschaffen.

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Andere Grüne argumentieren genau andersherum: Die Landtagswahlen würden so oder so nicht toll laufen, eher im Gegenteil. Wenn Habeck vorher offiziell gekürt würde, werde das Ergebnis noch stärker ihm angelastet als vermutlich jetzt schon, da die Führungsfrage zumindest inoffiziell geklärt ist.

Ein Datum dürfte immerhin feststehen: Ab dem 15. November treffen sich die Grünen in Wiesbaden zum Parteitag. Es wäre die größtmögliche Bühne, auf der die Partei ihren Kandidaten noch einmal offiziell küren und sich hinter ihm sammeln könnte.

Kanzlerkandidat – echt jetzt?

Nur welche Rolle genau wird Robert Habeck im November einnehmen? Wird er zum Kanzlerkandidaten Habeck? Oder gibt man sich doch bescheidener und es wird nur der Spitzenkandidat? Möglicherweise sogar noch im Duo, mit Baerbock an seiner Seite?

Über diese Fragen wird bei den Grünen schon seit Wochen gesprochen. Jetzt stellen sie sich noch einmal verstärkt, denn die Vorbereitungen der Kandidatur müssen beginnen.

Es gibt Grüne, die sagen, eine Kanzlerkandidatur wirke angesichts von derzeit 11 Prozent in den Umfragen vor allem eines: lächerlich. Manch linker Grüner verbindet das mit dem Wunsch, sich wieder stärker auf die grünen Kernwähler zu konzentrieren, also eher kleine Brötchen zu backen, und zwar vegan mit Dinkel. Für sie kann das bedeuten, nächstes Mal nicht mehr mitzuregieren.

Aber auch Ultrarealos sind dafür, Habeck lieber Spitzenkandidat zu nennen, um Peinlichkeiten zu vermeiden. Der Prominenteste heißt Winfried Kretschmann und ist in Baden-Württemberg Ministerpräsident. Andere finden, man sollte zumindest erst mal klein anfangen. Den Spitzenkandidaten zum Kanzlerkandidaten upgraden, das gehe ja immer noch.

Noch ist nichts gewonnen

Andere raten zu weniger Bescheidenheit. Olaf Scholz habe seine Kanzlerkandidatur vor der vergangenen Wahl auch verkündet, als seine SPD in den Umfragen bei 13, 14 Prozent stand, ist dann das Argument. Und: Als Kanzlerkandidat habe Habeck die große Bühne der diversen TV-Debatten sicher. Ob er dort auch als Spitzenkandidat eingeladen wird, ist mindestens offen.

Und dann gibt es bei den Grünen auch noch die, denen es wichtig wäre, dass eine Habeck-Kandidatur nicht zur One-Man-Show wird. Sie sind primär im linken Flügel zu finden und hadern oft ohnehin mit dem selbstbewussten Vizekanzler. Mancher dort wünscht sich, dass Habeck im Duo mit Baerbock antritt.

Noch also sind bei den Grünen viele Fragen offen. Auch wenn eine wichtige geklärt ist. Und gewonnen ist sowieso noch nichts.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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