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Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Baerbocks Ankündigung Ein Paukenschlag – am falschen Ort
Außenministerin Annalena Baerbock wird nicht als Kanzlerkandidatin antreten. Das bringt Klarheit für ihre Partei, aber die Verkündung auf dem Nato-Gipfel irritiert.
Es war ein Paukenschlag, den Außenministerin Annalena Baerbock aus Washington nach Deutschland sendete. Die Grünen-Politikerin wird bei der Bundestagswahl 2025 nicht als Kanzlerkandidatin ihrer Partei antreten. "Statt in einer Kanzlerkandidatur gebunden zu sein", wolle sie angesichts der internationalen Krisen ihre Kraft "weiterhin voll und ganz" ihrer aktuellen Aufgabe als Außenministerin widmen, sagte Baerbock am Mittwoch in einem Interview mit dem US-Nachrichtensender CNN.
Das war kein Zufall. Zwar antwortete die deutsche Außenministerin in dem Gespräch auf die direkte Frage, ob sie erneut als Kanzlerkandidatin kandidieren möchte. Schnell wird klar: Die Verkündung ihres Verzichts auf die erneute Kandidatur war geplant.
Bereits wenige Minuten nach dieser Ankündigung reagierten die Fraktionsspitzen der Grünen im Bundestag. Britta Haßelmann nannte Baerbock im sozialen Netzwerk X eine "Teamplayerin". Auch Wirtschaftsminister Robert Habeck soll im Vorfeld informiert gewesen sein, heißt es.
In einer Mitteilung an die Bundestagsfraktion der Grünen schreibt Baerbock: "Diese Entscheidung ist für mich auch Ausdruck einer staatspolitischen Verantwortung. Auch hier in Washington beim Nato-Gipfel ist noch einmal klar geworden, wie wichtig Vertrauen und Verlässlichkeit für unsere Partner sind." Die Mitteilung liegt t-online vor.
Durch ihren Verzicht erspart Baerbock ihrer Partei lästige Personaldebatten und die Grünen bekommen das, was sich viele in der Partei nach dem schlechten Ergebnis bei der Europawahl gewünscht hatten: Klarheit.
Für die Grünen ist das gut – und bringt zumindest vorerst Ruhe in die eigenen Reihen. Doch beim wichtigen Nato-Gipfel in Washington sollte es eben nicht um parteipolitische Personalfragen der Grünen gehen, dafür ist die Lage in der Ukraine zu ernst. Zu einer Botschaft gehört auch immer der passende Zeitpunkt – und genau in dieser Frage ist Baerbock ihrer staatspolitischen Verantwortung dieses Mal nicht gerecht geworden.
Baerbocks Entscheidung ist richtig
Der Zeitpunkt des Vorstoßes der Außenministerin irritiert: Erst Mitte Juni wollte Baerbock in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" eine eigene Kanzlerkandidatur nicht ausschließen. Sie sagte: "Als Außenministerin habe ich gelernt, dass alles möglich ist." Zuvor hatten ihre Fürsprecher in der Partei das Thema forciert.
Nun die Kehrtwende. Baerbocks Sinneswandel kommt angesichts der Äußerungen im Juni überraschend. Für die Grünen ist ihr Verzicht durchaus mit einem Risiko verbunden. Jetzt läuft alles auf Robert Habeck als Spitzen- oder Kanzlerkandidat der Partei hinaus, und es wird zumindest keine für die Partei lähmende Urwahl zwischen Habeck und Baerbock geben.
Trotzdem wären die Grünen gut beraten, den Wirtschaftsminister noch nicht zu benennen, sich öffentlich noch nicht festzulegen. Denn bis zur Bundestagswahl sind es mehr als 14 Monate, bis dahin kann noch viel passieren.
Richtig war es für die Partei trotzdem: Die Grünen werden nun intern an Ruhe gewinnen, da im Hintergrund eben nicht Baerbock und Habeck um Einfluss ringen. Das ist wichtig, um das Wahlergebnis der Europawahl aufzuarbeiten und um sich auf die kommenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im Herbst vorzubereiten. Die Partei kann sich Selbstbeschäftigung nicht leisten, denn durch schlechte Wahlergebnisse in den östlichen Bundesländern könnte sie weiter in den Negativstrudel geraten.
Kein Ende der Machtambitionen
Auch für Baerbock selbst muss dieser Verzicht nicht unbedingt negativ sein. Die internationalen Krisen wiegen schwer, kosten Zeit und Deutschland braucht in der Tat eine funktionsfähige Außenpolitik – und eine Außenministerin, die sich im kommenden Jahr nicht ausschließlich auf den Wahlkampf konzentriert. Deswegen steckt hinter der Entscheidung eine innere Logik.
Baerbock ist erst 43 Jahre alt und in der Bevölkerung laut aktuellen Umfragen ähnlich beliebt wie Habeck. Weitere Chancen, Kanzlerin zu werden, könnten also noch kommen. Manchmal ist ein Verzicht eben klug, wie schon 2002 Angela Merkel (CDU) bewies, also sie Edmund Stoiber (CSU) den Vortritt als Kanzlerkandidaten ließ. Stoiber verlor gegen Gerhard Schröder (SPD) und Merkel wurde im Jahr 2005 Kanzlerin.
Das ist beim Wählerpotenzial der Grünen zwar deutlich unwahrscheinlicher, aber es zeigt auch: Ein Verzicht muss eben nicht das Ende jeglicher politischer Ambitionen bedeuten. Die schlechten Umfragewerte der Grünen lassen momentan Zweifel zu, ob die Partei überhaupt einen Kanzlerkandidaten oder eine Kanzlerkandidatin aufstellen sollte – immerhin lagen sie bei der Europawahl mehr als 18 Prozent hinter der Union. Die Hypothek wird also wahrscheinlich zu Beginn des Wahlkampfes groß sein, auch deshalb erscheint der Verzicht für Baerbock selbst als strategisch vernünftig.
Kein Raum mehr für Personaldebatten
So richtig Baerbocks Verzicht also aus ihrer eigenen Perspektive und aus der der Grünen erscheint, so falsch ist der Ort der Verkündung. Es sollte beim Jubiläumsgipfel der Nato in Washington eben nicht um deutsche Parteipolitik gehen, nicht um Baerbock und die Grünen.
Warum hat sich die Grünen-Politikerin also für diesen Ort entschieden? Das ist nur schwer begreifbar. Vielleicht wollte Baerbock damit ihren Spagat zwischen deutscher Außenpolitik im Rahmen der Nato und der möglichen Aufgaben einer möglichen Kanzlerkandidatin betonen. Trotzdem war diese Entscheidung wenig zielführend, weil sie dadurch anderen wichtigen Themen die Luft zum Atmen nimmt. Das ging nach hinten los.
Die Nato braucht ein Bild der Geschlossenheit, ein klares Signal an Kreml-Chef Wladimir Putin, der seinen Angriffskrieg in der Ukraine weiterführt und andere Länder in Europa bedroht. Doch nun bestimmt Baerbock die Schlagzeilen, obwohl zum Beispiel nur eine Stunde zuvor bekannt wurde, dass die USA weiterreichende Raketen in Deutschland stationieren werden. Dieser Schritt ist im Angesicht der russischen Bedrohung richtig, aber die deutsche Bevölkerung muss hier mitgenommen werden, um diesen Schritt möglichst gut zu erklären und um die Sorgen der Menschen zu begegnen. Das ging jedoch komplett unter – und damit muss jetzt Schluss sein.
So wie nun hoffentlich Ruhe bei den Grünen einkehrt, sollten am Donnerstag auch in Deutschland die Personaldebatten ruhen. Am letzten Tag des Nato-Gipfels muss es auch im deutschen Diskurs wieder um die Unterstützung für die Ukraine gehen und um die eigene Sicherheit. Alles andere wäre fatal.
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