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Zum journalistischen Leitbild von t-online.AfD-Parteitag Das wird knallen
Die AfD will beim Parteitag in Essen mit 600 Delegierten den künftigen Kurs der Partei bestimmen. Doch die Nerven liegen blank, Lagerkämpfe ziehen sich durch die Partei.
Es wird knallen – so viel steht fest, wenn die AfD sich am Wochenende in Essen zum Parteitag trifft. 600 Delegierte werden bei Temperaturen an die 30 Grad über den künftigen Kurs der Partei entscheiden. Die Parteichefs sowie der Vorstand werden neu gewählt, heftig umstrittene Positionen im Programm stehen auf der Tagesordnung.
Als "gärigen Haufen" hat Ehrenvorsitzender Alexander Gauland die AfD einst beschrieben – zurzeit aber gärt es besonders heftig: Unzufrieden ist man über das Wahlergebnis bei der EU-Wahl, bei der sich viele ein noch wesentlich besseres Ergebnis als die knapp 16 Prozent erhofft hatten. Der Umgang mit Skandal-Spitzenkandidat Maximilian Krah hat zudem heftige Lagerkämpfe ausgelöst – und das gerade in den rechtsextremen Strömungen. Geschwächt wirkt deswegen auch der sonst so mächtige Strippenzieher Björn Höcke.
Die Parteitage der AfD sind legendär, weil sich sonst im Hintergrund wabernde Machtkämpfe auf offener Bühne freie Bahn brechen. Da wird gebrüllt und mit Kollegen oder gleich der gesamten Partei abgerechnet. Immer wieder verschlang die Wut der Basis in der Vergangenheit auch ihre eigenen Vorsitzenden.
Was also ist zu erwarten? Vier der wichtigsten Streitpunkte:
1. Wer soll die AfD führen?
Bleibt es bei der Doppelspitze? Diese Frage treibt die AfD bei jedem Parteitag um. Der Drang zur Einerspitze ist stark, in der Partei ist sie das eigentlich deutlich favorisierte Konzept: Alle Macht in einer Hand – und wenn was schiefläuft, alle Schuld auf einen Kopf. Doch jedem in der Partei ist bewusst, dass der Job an der Spitze ein hartes Stück Arbeit ist. Stichwort: gäriger Haufen.
Durch die Hintertür befeuert ein Antrag auf Installation eines Generalsekretärs für eine zugespitzte, geschliffene Kommunikation nach außen die Einerspitzen-Diskussion in Essen. Denn dieser Generalsekretär soll ab 2025 möglich sein – und nur an einen Parteivorsitzenden berichten. Sprich: Generalsekretär und Einerspitze kommen Hand in Hand. Beide würden dann auf einem Bundesparteitag 2026 gewählt.
Viele Landesvorsitzende unterstützen den Antrag, aber die Doppelspitze Alice Weidel und Tino Chrupalla will die Diskussion am liebsten im Keim ersticken. Die beiden sind ein eingespieltes Team: Weidel ist an der Basis wie in den Medien äußerst prominent, Chrupalla der fleißige Malocher im Hintergrund. Sie brauchen einander derzeit.
Ihre große Angst: Durch den Antrag könnte die Einerspitze nicht erst ab 2025, sondern ab sofort gefordert werden – und die Basis in der Halle entgegen aller Vernunft ganz nach Bauchgefühl abstimmen. Weidel dürfte dann gewinnen, Chrupalla fliegen. Doch Weidel dürfte den massiven Workload fürchten. Sie sucht sich ihre öffentlichen Termine derzeit gezielt aus und hat sich auch so ihre Beliebtheit erarbeitet.
Im Hintergrund laufen deswegen seit Wochen heftige Diskussionen, wird auf Strippenzieher eingeredet und über eine Vertagung oder Änderung des Antrags beraten. Gut möglich ist, dass der explosive Satz gestrichen wird, der den Generalsekretär an nur einen Parteivorsitzenden bindet.
Die meisten Landesvorsitzenden dürften ihre Delegierten ohnehin zur Zurückhaltung drängen, wenn es um eine sofortige Einerspitze geht – selbst wenn sie sie eigentlich wollen. "Die Zeit für eine Einerspitze ist noch nicht gekommen", sagt einer aus dem Kreis der Länderchefs t-online.
2. Wie will man mit Skandal-Spitzenkandidat Krah umgehen?
Er brachte der AfD Skandale und Negativschlagzeilen zuhauf und widersetzte sich mehrfach den Anordnungen der Parteichefs: Maximilian Krah, Ex-Spitzenkandidat für die EU-Wahl. Am Ende führten in Brüssel die mächtigen Franzosen um Marine Le Pen ihn als Argument an, um mit der AfD zu brechen und sie aus der Fraktion "Identität und Demokratie" werfen zu lassen.
Auch die neuen AfD-Abgeordneten im EU-Parlament haben Krah nun aus ihren Reihen verbannt, weil die meisten selbst von ihm die Nase gestrichen voll haben und er als nicht vermittelbar gilt. Sogar noch sehr viel radikalere Parteien als der französische Rassemblement National wollen angeblich nicht mit ihm zusammenarbeiten. Eine neue Fraktion sei mit diesem Mann nicht zu machen, heißt es aus dem Umfeld der AfD-Delegation in Brüssel.
Krah aber ist in der AfD ein guter Netzwerker, stark vernetzt im rechtsextremen Osten der Partei. Und auch der bayerische Landesverband hielt immer treu zu ihm. Aus Bayern liegt denn auch ein Antrag für den Parteitag vor, der fordert: "Die Alternative für Deutschland versteht, dass auf Lügen und Verdächtigungen basierende Schmutzkampagnen gegen ihre (...) Spitzenkandidaten (…) die einzig verbliebene, demokratiefeindliche Waffe sind, um dem Ruf der gesamten Partei zu schaden und uns innerparteilich zu spalten."
Der Antrag dürfte den Startschuss für heftigste Zerfleischungen an den Mikrofonen geben: zwischen Rechtsextremen und Rechtsnationalen, Krah-Feinden und Krah-Freunden und vor allem zwischen Mitgliedern, die dafür oder dagegen sind, sich nach außen hin gemäßigt zu geben.
3. Wie stark ist Höcke noch?
Er gilt als mächtiger Strippenzieher in der AfD, jahrelang wurde er in den Medien sogar als heimlicher Parteichef beschrieben. Doch Björn Höckes Einfluss scheint zunehmend zu schwinden, an Bedeutung gewinnt seit dem Europaparteitag 2023 immer mehr ein Netzwerk von jungen Strippenziehern um den Weidel-Zögling Sebastian Münzenmaier. Der Thüringer Landeschef Höcke scheint nun eher auf Deals angewiesen zu sein, als sie zu diktieren.
In Essen jedenfalls sind die Bedingungen für ihn nicht optimal. Ein entscheidender Grund dafür ist der Streit im rechtsextremen Lager um Krah. Bei seiner Kandidatur als Spitzenkandidat hatte Höcke Krah 2023 unterstützt. Als der aber aus der AfD-Delegation in Brüssel ausgeschlossen wurde und seine Anhänger massiv gegen den neuen Delegationsleiter, den Thüringer René Aust, schossen, ergriff Höcke deutlich Position für seinen Zögling Aust. Er kritisierte eine "zutiefst ehrenrührige Kampagne".
Manchem im rechtsextremen Lager habe er damit die Augen über Krah geöffnet, heißt es. Manch anderer aber nimmt ihm das zutiefst übel.
Abgebügelt wurde nach t-online-Informationen bereits im Voraus Höckes Begehr, mit Stefan Möller einen weiteren Mann aus seinem nächsten Umfeld im Vorstand zu installieren. Dort nämlich sitzt mit Stephan Brandner bereits ein Thüringer, der dort bleiben soll. Das Bundesland sei zu klein und mitgliederschwach, um sich einen weiteren der begehrten Sitze im Vorstand zu sichern, so die Argumentation. Höcke hin oder her.
Ob Möller trotzdem eine Kandidatur wagt, ist unklar. Mit Anträgen zu Inhalten und Ausrichtung der Partei versucht Höcke aber ohnehin, der AfD ideologisch seinen Stempel aufzudrücken.
4. Schafft es eine umstrittene Weidel-Gegnerin ins Bundesschiedsgericht?
Jahrelang wollte die AfD-Spitze die frühere schleswig-holsteinische Landeschefin Doris von Sayn-Wittgenstein aus der Partei werfen, scheiterte aber im März final vor dem Bundesschiedsgericht. Nun will Sayn-Wittgenstein, die in der AfD meist nur "die Fürstin" genannt wird, selbst für einen Posten im Schiedsgericht kandidieren.
Dabei wiegen die Vorwürfe gegen Sayn-Wittgenstein schwer: Sie soll zur Unterstützung einer rechtsextremen und vom Verfassungsschutz beobachteten "Gedächtnisstätte" in Thüringen aufgerufen haben, die von einer Holocaust-Leugnerin gegründet wurde, berichtete die "Welt". Die "Fürstin" soll auch selbst den Holocaust geleugnet haben.
Sayn-Wittgenstein bestreitet das. Nach jahrelangem Streit vor den Schiedsgerichten der AfD siegte sie vor allem aus einem prozessualen Grund: Ihr war im Verfahren kein rechtliches Gehör gewährt worden, wie eigentlich vorgesehen.
In einem Video auf Telegram hat die Juristin angekündigt, in Essen nun selbst für das Bundesschiedsgericht kandidieren zu wollen. Leider könne sie aus "familiären Gründen" nicht persönlich teilnehmen. "Ich bitte aber trotzdem um euer Vertrauen und eure Stimme." Sie werde ihr Amt "nach Recht und Gewissen ausüben".
Eine Kandidatur in Abwesenheit ist möglich. Und wie Sayn-Wittgensteins Chancen stehen, ist unklar. Denn viele in der AfD, vor allem aus den extremsten Lagern, verehren sie innig. Sie dürften mit ihrer Kandidatur eine große Hoffnung verbinden: Unterstützung für Parteimitglieder, die wegen rechtsextremer Umtriebe ausgeschlossen werden sollen.
Für die Parteispitze dürfte diese Vorstellung ein Graus sein. Sie hat ohnehin große Probleme, Extremisten auszuschließen. Die Verfahren dauern oft sehr lange, die zuständigen Richter am Parteigericht gelten als entscheidend.
Allen voran dürfte Parteichefin Alice Weidel nicht über diese Kandidatur frohlocken. Sayn-Wittgenstein gilt als ihre Intimfeindin und ist vor Kurzem nach Baden-Württemberg umgezogen. Dort dürfte sie Weidel künftig in deren eigenem Landesverband die Stirn bieten.
- Eigene Recherchen