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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Was wird aus Markus Söder? Es droht zu knallen
Markus Söders Zukunft ist in der Schwebe – in der Union brodelt die Gerüchteküche. Kann der CDU-Vorsitzende dem Bayer für die Kanzlerkandidatur überhaupt etwas anbieten?
Auf dem Marktplatz in Hallstadt stehen am Donnerstagabend Hunderte Menschen mit Fahrrädern in der Sonne. Als eine schwarze Limousine vorfährt, geht Aufregung durch die Menge. Ausgestreckte Hälse, einige beugen sich über ihren Lenker nach vorne, um besser sehen zu können. "Meinst du, wir fahren gleich so richtig in seiner Nähe?", fragt eine Frau ihre Freundin. "Ich will auf jeden Fall ein Selfie", antwortet die.
Der Mann, auf den gewartet wird, ist Markus Söder. Für den Wahlkampf hat der CSU-Chef in Oberfranken zu einer Radtour geladen. Ein klassischer Gut-Wetter-Termin. Etwas Bewegung, danach ein paar Selfies im Biergarten.
"Bayern ist groß, Bayern ist schön, aber Franken ist schon mit das Schönste, was die Welt zu bieten hat." Viel mehr muss Söder gar nicht sagen. Ein bisschen Franken-Liebe, ein bisschen Ampel-Bashing. Immer wieder gibt es großen Applaus. Hier ist er ganz klar die Nummer eins. Dann kommt erst mal ganz lange nichts. Es sei denn, Friedrich Merz ist zu Gast.
Bedingungslose Nummer zwei? Wohl kaum
Eigentlich ist in der Union klar, wer bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr Kanzlerkandidat wird. Stand jetzt läuft alles auf den CDU-Vorsitzenden Merz hinaus. Bleibt die Frage, was dann aus Markus Söder wird. Denn dass der CSU-Chef sich in der K-Frage bedingungslos als Nummer zwei einreiht, glaubt keiner so wirklich.
Dafür hat Söder in den vergangenen Monaten zu oft zu viel mit dem Thema gespielt. Hat kleine Nadelstiche bewusst gesetzt. Teilweise auch provoziert. Etwa, wenn er gesagt hat: "Die Frage wird im Herbst entschieden. Bis dahin ist noch viiiiiel Zeit." Oder: "Ich verspreche euch, an mir wird der Erfolg 2025 nicht scheitern."
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Im Konrad-Adenauer-Haus nimmt man solche Sprüche zwar mittlerweile gelassen. "Ach, Sie kennen ihn doch", heißt es dann nur noch. Aber: Der Gefahr ist man sich dennoch bewusst. Dafür ist die Erinnerung an den vergangenen Wahlkampf und das Debakel zwischen dem damaligen Kanzlerkandidaten Armin Laschet und Markus Söder noch lebendig genug.
Also wird seit einer Weile gerätselt, was man (konkret Merz) Söder für dessen Unterstützung anbieten könnte. Ein paar Theorien kursieren schon.
Der Superminister
Eine von ihnen, die vor allem in den Reihen der CDU kursiert, geht so: Merz könne Söder für den Fall eines Wahlsieges ein "Superministerium" anbieten. Die Altkanzlerin Angela Merkel hatte 2018 bereits das Innenministerium für den CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer um die Bereiche Heimat und Bauen ausgebaut und erweitert. Könnte so ein Modell nicht noch mal funktionieren?
Wer die Rollenverteilung zwischen Söder und seinen Ministern kennt, kann sich kaum vorstellen, der CSU-Chef könne sich mit einem Kabinettsposten zufriedengeben. Bei einem klassischen Termin in Bayern ist Söder der Popstar im Raum. Die Menschen scharen sich dann um ihn, machen Bilder, fragen nach Fotos. Die für den Termin zuständigen Ministerinnen und Minister stehen meist nur daneben.
Wäre er selbst "nur" Minister, müsste Söder sich plötzlich hinter Merz einreihen. Ein Kanzler ist immer der Main Act, hat im Zweifel immer das letzte Wort. Selbst ein beliebtes Kabinettsmitglied, wie Boris Pistorius, schafft es nicht, sich gegen Olaf Scholz durchzusetzen. Auch Merkel hat Seehofer seinerzeit zurechtgestutzt, wenn nötig.
Der Bundespräsident
Es gibt noch eine andere Theorie, was man Söder anbieten könnte. Seit Monaten wabert in Berlin das Gerücht durch die Reihen, Merz könne dem bayerischen Ministerpräsidenten den Vorschlag unterbreiten, Bundespräsident zu werden. Er wäre dann zumindest pro forma auch weiter die Nummer eins, das Staatsoberhaupt. Zumal der CSU-Vorsitzende dem Ex-CDU-Chef Laschet bei der Wahl 2021 genau das andersherum angeboten hatte. Laschet als Bundespräsident, Söder als Kanzler, so damals die Idee für den Fall eines Wahlsiegs. Allerdings hatte der CDU-Politiker aus Nordrhein-Westfalen das abgelehnt. Und wenn Merz es jetzt umdreht?
Söder selbst soll durchaus mit dem Gedanken gespielt haben, so heißt es aus seinem Umfeld. Ob man das Amt nicht neu erfinden könne, soll er Skeptikern geantwortet haben, wenn die davon abrieten. Wenn man ihn danach fragt, winkt Söder zwar ab. "In Berlin kursieren derzeit viele Theorien. Man sollte nicht jeder Theorie glauben. Ich rate allen zu Ruhe und Gelassenheit", so der Ministerpräsident zu t-online. Nach einem wirklichen "nein" klingt das aber auch nicht.
Wer sich nun ein Bild davon machen möchte, wie so ein Szenario aussähe, der kann sich die vergangenen Reisen des Ministerpräsidenten nach Schweden und China mal ansehen. Söder auf der Karaoke-Bühne zu Abba's "Dancing Queen", Söder kuschelnd mit Plüsch-Pandabären und (natürlich) #Söderisst chinesische Hühnerschenkel. Er wäre das Gegenstück zum jetzigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier, dem oft vorgeworfen wird, zu blass aufzutreten. Aber wäre es auch wirklich gewinnbringend?
Seine Parteizugehörigkeit müsste der Bayer dann ruhen lassen. Insgesamt wäre er meinungstechnisch deutlich eingeschränkter. Kein Grünen-Bashing mehr, die Reden wären vorgeschrieben. Am Ende lässt der Job nicht wirklich viel Spielraum. Hinzu kommt, dass die Entscheidung nicht bei der Union oder gar Merz alleine liegt. Ein Koalitionspartner müsste dem zustimmen. Und wollte man nicht eigentlich eine Frau für das Amt?
Gibt es einen Plan C?
Was bleibt also noch? In der CDU beschäftigt man sich durchaus intensiv mit der Frage. Denn der Herbst rückt von Tag zu Tag näher und einen wirklichen Fahrplan gibt es bislang nicht.
Dass Söder den Anspruch erheben wird, auf Augenhöhe mitzubestimmen, wird spätestens deutlich, wenn man ihn nach den Grünen fragt. Eigentlich hatte Parteichef Merz deutlich gemacht, dass die Union nach der kommenden Bundestagswahl für alle demokratischen Partner offenbleiben will.
Söder aber sagt: "Wir sind klar gegen Schwarz-Grün." Die Grünen hätten nicht den Nachweis erbracht, dass sie gut regieren könnten. "Deswegen müssen sie wieder in die Opposition." Schlichte Kommandos von der großen Schwesterpartei funktionieren also schon einmal nicht. Söder werde nur dann nachgeben, wenn für ihn etwas dabei herausspringe, so erklärt es ein CSUler.
Symbolische Nummer eins – reicht das?
Beim Wahlkampfendspurt am Freitagabend vor der Europawahl sind CDU-Chef Merz, Spitzenkandidatin Ursula von der Leyen und der Generalsekretär Carsten Linnemann zu Gast im Münchener Löwenbräu. Als die Blaskapelle beginnt, reißt es die Menschen von den Stühlen. Hunderte Handykameras richten sich auf die Menschentraube, die gerade den Raum betritt. Ganz vorne (natürlich): Markus Söder. Breit grinsend und winkend. Merz, der einen halben Meter weiter hinten geht, wirkt fast, als sei er ein Teil der Entourage, die klare Nummer zwei.
Auch bei den Reden ist Söder als Gastgeber zuerst an der Reihe. Es ist der klassische Bierzelt-Auftritt. Ampel-Kritik und die Vorzüge Bayerns. Das gibt großen Applaus. Er wolle kein Bashing betreiben, sagt Söder, um dann hinzuzufügen: "Diese Ampel hat kein Vertrauen mehr und diese Ampel muss weg." Wieder großer Applaus. Als er schließlich den Grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck zum Rücktritt auffordert, tobt der Saal regelrecht.
Dann kommt Merz. Der CDU-Chef versucht es einen Moment mit Europa. Zählt die Herausforderungen der vergangenen Jahre auf: Corona, der russische Angriffskrieg in der Ukraine. Im Saal wird es unruhig. Die Reihen beginnen zu reden, Gläser klirren. Merz registriert das – und legt den Schalter um. "Das, was da in Berlin stattfindet, ist ein Desaster für Deutschland, aber es ist auch ein Desaster für Europa", ruft Merz. Die Menge jubelt. Knappe 20 Minuten macht er jetzt so weiter. Am Ende gibt es Standing Ovation. Bemerkenswert, denn das Publikum entscheidet sich damit, noch einen Schritt weiter als bei Söder zu gehen. Auf den Bildern mag der CSU-Chef an diesem Abend vorneweg marschiert sein. Die Nummer eins war in Wirklichkeit Merz.
Für den einen Abend mag das nicht groß stören. Dass Söder den Zustand jedoch dauerhaft akzeptiert, glaubt niemand mehr, nicht bei der CDU und schon gar nicht bei der CSU. Auf die Frage nach der Kanzlerkandidatur sagt Söder jedenfalls nur noch: "Ich bin mit mir im Reinen – 2021 ist erledigt. Unser gemeinsamer Fahrplan steht: Alles Weitere besprechen wir im Herbst." Wenn das mal nicht eindeutig uneindeutig ist.
- Eigene Recherche