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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Rechtsextreme Gesinnung? Alte Videos könnten für Höcke zum Problem werden
Kurzer Prozesstag um die "Alles für Deutschland"-Aussage von AfD-Mann Björn Höcke. Jetzt geht es darum, ob brisante Videos für das Verfahren genutzt werden können.
Muss sich Björn Höcke im Gerichtssaal in Halle auf einem riesigen Bildschirm anschauen, wie er 2010 bei einer Neonazi-Demo mitlief? Die Anklage will das, die Verteidigung will es nicht – und das Gericht will erst bis zum nächsten Prozesstag entscheiden. Am 14. Mai soll es auch das Urteil geben im Prozess gegen den Thüringer AfD-Landesvorsitzenden, der wegen des Verwendens von Kennzeichen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation angeklagt ist.
Höcke hatte 2021 am Ende einer Rede in Merseburg in Sachsen-Anhalt "Alles für Deutschland" gesagt, die Losung der SA (Sturmabteilung) im nationalsozialistischen Deutschland. Um die Tragweite der Äußerung bei Höcke einzuordnen, haben Staatsanwaltschaft und Verteidigung neue Beweisanträge gestellt. Der Anklage geht es unter anderem um drei Videos:
Höcke skandierte auf Video: "Wir wollen marschieren"
Ein Video vom Februar 2010 aus Dresden soll als Beweismittel dienen. Die rechtsextreme "Junge Landsmannschaft Ostdeutschland", früher "Junge Landsmannnschaft Ostpreußen", hatte die Kundgebung zum vorgeblichen Erinnern an Opfer alliierter Bombenangriffe organisiert. Höcke ist auf dem Video beim Skandieren von "Wir wollen Marschieren" zu sehen.
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Dieses Video soll im Falle einer Verurteilung für die Höhe der Strafe eine Rolle spielen, weil es Beweggründe und Gesinnung von Höcke zeigen könnte: Die Staatsanwaltschaft sieht es als möglichen Beleg, dass Höcke Gesinnungstäter ist, bei dem der Satz vorsätzlich gefallen ist.
Dazu soll auch ein ARD-Beitrag gezeigt werden. Bei diesem Video ist zu sehen, wie Höcke 2016 eine Verurteilung von Ursula Haverbeck als schreiende Ungerechtigkeit kritisierte. Die hochbetagte Haverbeck gehört zu Europas bekanntesten Holocaust-Leugnern und war kurz vor Höckes Rede nach diversen Vorfällen zu elf Monaten Haft verurteilt worden. Höcke hatte kritisiert, dass für die "sogenannten Meinungsdelikte" manche für Jahre hinter Gitter wanderten. Ihm selbst droht beim aktuellen Stand allenfalls eine Geldstrafe, hat das Gericht signalisiert.
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Die Anklage will auch ein weiteres Video zeigen lassen, das deutlich neuer ist, bei dem sich aber viele rechtliche Fragen stellen. Darf es in diesem Verfahren überhaupt genutzt werden? Höcke-Verteidiger Philip Müller protestierte, weil es gegen das Doppelverwertungsverbot verstoße.
In dem Video geht es um eine Szene am 12. Dezember 2023 in Gera. Höcke berichtete in Gera vor rund 350 Anhängern von der Anklage wegen seines Satzes, den er aber nicht voll aussprach: Auf "Alles für ..." folgte eine ermunternde Handbewegung; das Publikum vollendete. Unter einem Video der Veranstaltung auf YouTube fanden sich laut Staatsanwaltschaft 65 "Alles für Deutschland"-Kommentare.
In Halle wartet ein zweites Verfahren auf Höcke
Die Rede in Gera hat Höcke eine weitere Anklage eingebracht, die dann zunächst mit dem Verfahren wegen der Aussage verbunden wurde. Weil Höcke kurzfristig seinen Verteidiger ausgewechselt hatte, kam das seinem neuen Anwaltsteam zu schnell, die Anklage wurde wieder abgetrennt. Und dabei bleibt es: Staatsanwalt Benedikt Bernzen zog einen Antrag auf neuerliche Verbindung der Verfahren "aus prozessökonomischen Gründen" zurück.
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Damit ist auch klar, dass es wegen dieses Vorfalls ein weiteres Verfahren gegen Höcke an der Kammer in Halle geben wird, wieder unter dem Vorsitz von Jan Stengel. Und der muss mit der Kammer bis zum nächsten Prozesstag entscheiden, ob das Video aus Gera nun im bereits laufenden Verfahren gezeigt werden kann. Für die Staatsanwaltschaft ist es ein Beleg von Höckes Nachtat-Verhalten – aus ihrer Sicht zeige es, dass Höcke wenig Einsicht erkennen lasse.
Die Verteidigung hielt die alten Videos für unerheblich. Sie hat aber bereits Erfolg damit, ein Buch von 1946 als Beweismittel einzubringen: Die Verfahrensbeteiligten müssen sich bis zum nächsten Prozesstag mit einem Werk von Karl Geiler befassen, dem damaligen Ministerpräsidenten von Groß-Hessen: Er habe in dem Buch "Alles für Deutschland" geschrieben – aber als aufrechter Demokrat in klarer Gegnerschaft zum NS-Regime, so die Verteidigung. Höcke hatte am vorigen Prozesstag angegeben, ihm sei trotz Ermittlungsverfahren gegen andere AfD-Politiker nicht bewusst gewesen, dass "Alles für Deutschland" eine potenziell strafbare Formulierung ist.
"Spiegel"-Überschrift soll Höcke entlasten
Um zu zeigen, wie wenig geläufig die SA-Losung sei, dient der Verteidigung auch ein "Spiegel"-Artikel vom September 2023. Die satirische Kolumne in einem ganz anderen politischen Kontext hatte die Überschrift "Alles für Deutschland". Verteidiger Müller erklärte, wenn das dort erscheine, obwohl sämtliche Inhalte von der Dokumentationsabteilung gründlich überprüft würden, zeige das, dass die Parole nicht geläufig sein müsse. Der "Spiegel" hatte die Überschrift nach Hinweisen sehr schnell verändert. Müller wies auch darauf hin, dass auf Höckes Betreiben nun das Video der AfD Sachsen-Anhalt mit Höckes Rede in Merseburg gelöscht worden sei. Beim vorigen Verhandlungstag war es auf Facebook noch abrufbar gewesen.
Bevor die Verhandlung am Freitag nach rund zwei Stunden bereits geschlossen wurde, ließ Richter Stengel noch zu Höckes Werdegang und persönlichen Verhältnissen sprechen. Höcke kam dabei ins Schleudern bei der Frage nach seinem Einkommen. "Das kann ich nur grob schätzen, Finanzministerin ist meine Frau." Er verwies darauf, dass ihm als Fraktionsvorsitzenden die doppelte Abgeordnetenentschädigung zustehe: "Ich glaube, das sind so netto 9.000 Euro im Monat." Das könnte grob hinkommen bei dem verheirateten Vater von vier Kindern: Die einfache Diät in Thüringen liegt bei 6.548,12 Euro.
*Wir hatten an dieser Stelle zunächst "Junge Landsmannschaft Ost" geschrieben.
- Eigene Beobachtungen im Verfahren in Halle